Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Breslau.

Und ich zog aus der Heimath und suchte das Glück,
Und kam am Ende zur Heimath zurück –
Ach die Heimath, die Heimath ist schon ein Glück.

Es war ein schöner Sommertag, und ich saß unter dem Schatten eines Birnbaumes am Weiher, und sah den Schwänen zu. Schwäne sind grobe Hautrelief-Gedanken, von weitem viel hübscher als in der Nähe. Sie waren gerade weit genug vor mir unter einer kleinen, gewölbten Brücke, und tändelten und klapperten mit den Schnäbeln um einander her. Wenn ich aber Schwäne sehe, so denke ich an den Süden, und wenn ich an den Süden denke, so denke ich an's Glück und an's Reisen, denn das Reisen selbst ist ein Glück, und nur auf der Reise kann man einmal plötzlich das Glück finden. Das Glück ist nämlich jener einzige Vers, aus welchem der liebe 6 Gott die ganze Erde gemacht hat, und der flattert herum auf der Oberfläche hierhin und dorthin, und wer ihn einmal erhascht, dem stehn alle Seligkeiten der Erde zu Gebote. Da ich nun aber niemals glauben kann, daß ein so schöner Gedanke, wie der Gedanke unsrer ganzen Erde, sich anderswo aufhalten könne, als wo die Natur fortwährend empfängt und gebiert, nämlich im Süden, so sehn' ich mich von Jugend auf nach dem Süden. Oft mit großen Schmerzen. Es hat Zeiten gegeben, wo mich keine blauen oder schwarzen Augen ausschließlich beschäftigten; in solchen Zeiten gaben mir die Namen Italien, Bosporus, Libanon, Fez und Marokko, Biledulgerid, zu Teutsch: Dattelland, einen Stich in's Herz. Dattelland! wo diese üppige Frucht wächst wie bei uns die ordinaire Kartoffel, ist der Name nicht verführerisch süß! Und in Fez, der soll der ganze Livius zu finden sein, weil ein Bischof oder Erzbischof aus Byzanz sich dahin begeben in Begleitung des Livius. Ich habe nun zwar meine schwachen Stunden, wo ich mich nicht so leidenschaftlich nach dem totalen Livius sehne, aber die geheimnißvollen berberischen Mädchen, und die vortrefflich trabenden berberischen Pferde – wie locken sie mit ihren langen Schleiern, den hochfliegenden Schweifen und Mähnen, dem üppigen Wiehern, wie locken sie einen armen Deutschen, welcher Schöpsenfleisch und weiße Rüben gegessen hat, und am Weiher 7 sitzt, wo die Schwäne ihr verführerisch südliches Spiel treiben.

Ach, und das Hauptwort verschweig' ich noch immer, denn dann ist es gleich mit dem Schreiben aus, und ich muß das Fenster aufmachen, Luft schöpfen und tiefe Seufzer hinausschicken in die Luft. Dann erfaßt mich eine krankhafte Sehnsucht.

Warst du, jugendlicher Leser, niemals im Theater, wenn Mozarts Don Juan aufgeführt wurde, hast du nie den Cid gelesen, sind dir nie die Namen Donna Anna, Guadiana und Cordova geheimnißvoll über die Lippen geflossen? Hast du nie einen zauberischen Schauer empfunden, wenn ein Mädchen mit ihren weichen Lippen vom Schatten am Guadalquivir sprach?

»Aber in Spanien!« – Ja Spanien, das ist das Zauberwort des Südens, wornach meine Seele lechzt von früher Jugend auf. Im alten Maurenreiche Granada unter den vornehmen Granatbäumen zu liegen, auf dem Rücken zu liegen, und die Zegris und Abencerragen vorüber reiten zu hören, am Thore des Alhambra zu stehn gegen Abend, wenn der Maurenkönig herausreitet auf dem ächten Raçepferde mit stahlschlankem Fuß und arabisch geistreichem Stutenkopfe. Der König sieht ernsthaft, weise und schön aus wie der Koran, und neben ihm reitet seine goldne 8 Tochter mit der überirdischen Schönheit, und sie läßt leise eine Rose bei dir herabgleiten, und in der weichen, maurischen Nacht, wo alle Sterne heiße Liebesverse herunterhauchen, wo die Springbrunnen schwellende Küsse brüseln, in solcher Romanzen-Nacht giebst du der goldnen Tochter in den mysteriösen Gärten des Alhambra die Rose wieder, die Rose von Damascus. – –

Da kam schweißtriefend der Breslauer Briefträger über die Brücke, gab mir einen Brief, verscheuchte die Schwäne, verlangte zwei und einen halben Silbergroschen, und sagte, der Sommer sei doch eine schlechte Jahreszeit von wegen der Hitze.

Das Postzeichen war nicht Spanien, sondern Leipzig, und ein Freund schrieb mir, ob ich denn nicht bald käme, die ganze scharmante Weltgeschichte ginge vorüber, und wir würden am Ende gar nichts mehr sehen, vor einigen Tagen – es war im Juni 1831 – sei erst wieder eine ganz erkleckliche Revolte in Paris gewesen. Statt bei solchen Dingen gegenwärtig zu sein, säßen wir in Teutschland, und ich wohnte oben ein an der polnischen Grenze, wo die Bauern kaum noch teutsch verstünden; ob ich mich denn nicht schämte!

Ich lief hastig aus mein Zimmer, und schrieb dem Alphons, ich schämte mich. Dann packte ich 9 meinen Koffer und war nur unschlüssig, ob ich meine unsterblichen Manuscripte mit den Weltverbesserungsgedanken auch einpacken sollte. Denn die Welt ging also im Galopp, daß ich mich immer wunderte, wie man noch Bücher schreiben könne, und während ich selbst welche schrieb, dachte ich immer: das kommt ja doch Alles zu spät, deine Reformgedanken werden nicht so schnell gedruckt werden können, als die Reform eintritt, es wird moutarde après diner sein. Aber der kleine Paul, mein neunjähriger, leider auch schon revolutionairer Stubenbursche, gab den Ausschlag, und sagte, es sei ja Schade um die viele Philosophie, welche ich geschrieben hätte, ich sollte sie doch mitnehmen.

Und am andern Tage nahm ich Abschied, auch von meinen kleinen Litthauer, der mich so oft getragen, von der Bibliothek, namentlich von der schönen Gräfin Agnes in den Memoiren des Freiherrn von S—a, von den Schwänen an den Trauerweiden am Weiher. Sie hatten mich immer an die Weiden von Babylon erinnert, an denen die Juden, das unglücklichste Volk der Erde, ihre Harfen aufhingen, unter denen sie weinten. Und als man mich fragte, wohin ich denn eigentlich reisen wollte, so sagte ich »nach Babylon zu den Harfen,« denn in jenen Harfen hängen noch große, mark- und welterschütternde Lieder, welche nie ein Mund ausgesprochen hat, ob ihrer zerschmetternden Kühnheit und Traurigkeit. Ich 10 habe Muth, und will sie holen, um den Juden wenigstens ihr Testament zu retten.

Das Christenthum geht bereits zu Grunde, und dann verschwinden auch die letzten Juden, denn sie haben zu Jerusalem einen fürchterlichen Schwur gethan, die Christusreligion bis auf den Tod und bis an's Ende der Welt zu verfolgen; und nun können sie nicht eher sterben, als bis der Schwur erfüllt ist. Die Juden sterben nur mit den Christen. Die armen Juden! Ihre Erlösung ist nahe. Am letzten Rachegedanken Jehovah's müssen sie Jahrhunderte lang sterben, und auch den Jehovah müssen sie jämmerlich untergehen sehen, die Juden und die christlichen Juden, d. h. unsre Dogmatiker. Er stirbt nicht in einem muthigen, wilden Kampfe, der alte Jehovah mit dem Zorn und den Höllenstrafen stirbt an der Auszehrung, bleich, abgemagert und jämmerlich, an der Gleichgültigkeit, dem hohlwangigen Indifferentismus.

Darum will ich eiligst noch gen Babylon reisen, und retten, was zu retten ist.

So schied ich, versprach dem Paul, ihm Wasser aus dem Euphrat mitzubringen gegen die Sommersprossen seiner Schwester, und fuhr neben der Oder hin die kurze Strecke nach Breslau hinein.

Der Süden, der Livius in Fez, Spanien, ach Spanien, das purpurgoldne Paris, Babylon, 11 Leipzig, Alles das trieb sich bunt in meinem Herzen um, nur eins wußte ich: das Glück wollt' ich suchen, und zu dem Ende mir einen Platz auf der Schnellpost bestellen.

Der Wagen rollte am Dome vorbei, das ist ein eignes katholisches Stadtviertel, menschenleer und still im Verhältniß zum übrigen wogenden und fluthenden Breslau. Hier steht immer eine große Kirche nur funfzig Schritt von der anderen, gekreuzigte Christusbilder verkümmern den Sonnenschein; purpurrothe Meßner kriechen wie gekochte Krebse an den Mauern hin, die kleinen blauschwarzen Kirchenfenster blinzeln wie falsche tückische Augen, die christliche Verzweiflung ist rings verbreitet. Wenn ich nicht sehr frischer Laune war, so wagte ich mich in Breslau niemals hinaus auf den Dom; es fiel mir immer ein Verbrechergefühl auf die Brust, wenn ich diese steinerne Betrübniß und Zerknirschung sah, es war mir, als hause die Pest in diesem Stadtviertel. Ein eintöniger Sonnennachmittag auf diesen Domplätzen kann einen verstockten Sünder mürbe machen, er wird unwillkührlich an ein langsames, rettungsloses Sterben erinnert. Ein gutes Christenthum war von jeher ein mit leinwandnen Blumen ausgeputzter Kirchhof; ich kam von Gottes gesundem Lande und war nicht daran gewöhnt: es schüttelte mich wie ein afrikanischer Wüstenschauer.

12 Aber hundert Schritt weiter umfängt Einen das rauschende Breslauer Straßenleben, man wirft den Alp von der Brust. Ich sprang vom Wagen und lief auf die Promenade, ich wollte Alles noch einmal sehen, ich wollte Abschied nehmen von all' den Plätzen und Aussichten, wo ich mich gefreut oder gelangweilt hatte. Denn Alles, was man verliert, ist sehr schön.

Die Breslauer Promenaden sind poetisch, in Teutschland sind vielleicht nur die Frankfurter schöner, und der Hamburger Stieg und die Wiener Bastionen sind vielleicht allein so Gedanken weckend, Wünsche hebend als die Breslauer hochgelegenen Anlagen.

Auf der einen Seite schwimmt der Dom mit seinen Kreuzen, seinen Pfaffen, seinen platt viereckigen Thürmen mit seinem ganzen Katholicismus in der breit hinschwellenden Oder. Eine gebrechliche Brücke verbindet ihn noch mit der lebendigen Welt, sonst ist er isolirt von der Menschheit. Diesseits der Brücke ist der Breslauer Katholicismus, ein munterer Weltgeistlicher mit nachgiebigen vernünftigen Ansichten, der des Nachts die Augen beide zudrückt. Man lebt fein munter zu Sanct Breslau. Die Kopfhängerei hat trotz Steffens und Scheibel nicht gedeihen wollen, und die fleischlichen Verbrechen sind ein gesuchter Artikel.

13 Das sind Rücksichten, welche ich dem Dome schuldig bin; ich wende mich aber nun auf die andere Seite der Promenade um vorwärts zu sehen. Da gießt sich aber von der Taschenbastion meine ganze schöne Heimath, das bergblaue Schlesien von Morgen nach Abend, und lehnt liebeslustig das Haupt an den geharnischten langen und hohen Sudetenritter, der ausgestreckt liegt von den Karpathenpässen bis an die sächsische Grenze.

Schlesien gehört von Natur unzweifelhaft zu Polen, es ist nur ein Glückskind Teutschlands. Die Oder ist fast durch ganz Schlesien ein polnischer Fluß, an seinen Ufern, auf seinen Wellen vernimmt man lauter polnische Worte, die ihr zu Ehren wasserpolnische genannt werden. In Breslau selbst spricht man so viel polnisch, als in Straßburg teutsch. Das wissen die Breslauer gar nicht, weil sie teutscheitel sind; sie haben die Polen niemals geliebt, und das alte Sprichwort geht in Schlesien nicht unter. »In Polen ist nicht viel zu holen.« Aber die polnische Sprache klingt wirklich bis an's Breslauer Universitätsgebäude; das ist der teutsche Markstein.

Ich habe mich auch nie der trüben historischen Ahnungen entschlagen können, wenn ich auf leichtem Wagen mit rastlos eilenden sarmatischen Pferden ostwärts über die Fläche hinfuhr. Da herüber aus dem tiefen Osten sind die Hunnen, die Alanen, die 14 Vandalen, die Gothen, die Tartaren und die Kosaken gekommen, Flüsse sind keine Grenzen, die Kosaken schwimmen durch die Flüsse, der ganze preußische Staat, mit Ausnahme der Rheinprovinzen, schläft bei offnen Thüren, erst das übrige Teutschland ist durch Berge verschlossen.

Es ist ein wehrloses Land und Warschau ist am achten September gefallen. Auf den Ebenen zwischen Stettin, Königsberg und Breslau wird über Kurz oder Lang der vorletzte große Krieg geschlagen werden, hier wird der Ost und West zusammentreffen. Ebenen sind ein Uebelstand, Flächen ein Unglück. Es ist in Preußen sehr viel Intelligenz aber der Boden ist flach, es fehlt an Höhen; der Krieg hat den gefährlichsten Instinkt. Ach, und auch der Krieg wird prosaisch, alles Heldenthum hört auf: ein wenig realistische Wissenschaft und Geld thut Alles. In einigen Jahren werden Eisenbahnen und Dampfwagen die Kriege entscheiden, und der letzte Tropfen Blut wird der Welt ausgepreßt. Es war Zeit, daß ich auf Reisen ging, die weiten unbekannten Länder sind der letzte Athemzug der Poesie, die Poeten gehen rettungslos unter.

Ehre, Ruhm, Liebe, die ganze Romantik, welche sonst Staaten und Menschen hob und hielt, ist verbraucht, die alte Poesie ist an Entkräftung gestorben, 15 das neue Lebenselement ist das Geld, und noch einmal das Geld.

Das Gold ist Mittelpunkt, das Gold ist Blut geworden. Wem es gelingt, Poesie daraus zu machen, der ist unser modernster Dichter.

Dieser letzte Gedanke peinigte mich, als ich zu Breslau von der Taschenbastion herabsah auf den im Abendroth blitzenden Pallast eines schlesischen Grafen, welcher dicht an der Bastion steht, und glatt und stolz hinausblickt in das gesegnete, in grüner Ueppigkeit wogende Land. Auf dem Balkon, welcher mit einem purpurn und goldnen Baldachin bedeckt ist, stand ein stolzes adliges Frauenbild. Ich kannte sie, und wußte, daß sie von der adligen Herrlichkeit des Pallastes und von dem nobeln Geschlechte der Ritter und Barone träumte.

Von der Promenade herein aber bog ein schwerer Mann in schwarzem Frack. Aus seiner Weste quollen dicke goldne Uhrgehänge, die bis zu mir heraufblitzten, und er blieb stehn vor dem großen Palais und besah es aufmerksam, zählte an den Fingern und nickte mit dem Kopfe. Auch ihn kannte ich. Es war ein sehr bürgerlicher Banquier, und man sagte, daß er damit umginge, gelegentlich den Pallast zu kaufen. Als ihn das adlige Frauenbild erblickte, griff sie hastig nach ihrem Taschentuche und verschwand. Die Sonne ging eben unter, und der alte Zobten vor mir dampfte 16 dunkelblau, das ferne Riesengebirge lächelte unverständliche Worte. O, die Berge sind gar klug: sonst klangen nur Rittersporen auf ihnen, jetzt verkaufen sie Kaffee und Weißbier, sonst waren sie unzugänglich, jetzt betastet jeder Terrianer ihre keuschesten Stellen. Die Aristokratie ist todt, der Verstand und das Geld, zwei platte Gesellen, ziehen in die Schlösser, regieren die Welt. Die Berge wissen's und schweigen, die Adligen wollen's nicht wissen, und gehen zu Grunde, denn vom Adel kann man nicht mehr leben, wie sonst; die adligen Frauen weinen, und werden interessant. Wenn sie aufgeht und wenn sie sinkt, ist die Sonne am Schönsten. Ein romantischer Dichter muß heut zu Tage adlige Damen lieben; in solcher Liebe allein wohnen noch Romanzen und Balladen.

Und es ward dunkel auf der Bastion. Die ausländischen Bäume auf der Promenade sprachen mit ihren Blüthen und Düften herauf zu mir wie mit Liedern in fremden Sprachen. Die Blüthe ist des Baumes Gesang. Eine Nachtigall fing langsam an zu singen in den nahe liegenden Gebüschen. Liebespaare strichen küssend an mir vorüber, in dem Pallaste drüben sang eine schöne Stimme zum Klavier. Ich glaube es war Hektors Abschied, und der dicke Banquier mit den strotzenden Uhrgehängen erschien mir als Achill mit den unnahbaren Händen. Mir ward so fremd heimathlich zu Muthe, der Mond 17 ging auf über die Sündenstadt und das weiche, fruchtbare Schlesien, ich hätte weinen mögen, daß ich Abschied nehmen sollte von dem lustigen teutschen Winkel zwischen Böhmen, Ungarn und Polen, von dem Lande, wo ich zuerst geathmet, zuerst geliebt, zuerst gedichtet hatte.

Ich stieg in die Gassen hinab, wo es wimmelt und fluthet von weißen Schürzen, fragenden Augen, trotzigen Waden, durch welche die Jünglingsblüthe Breslaus prüfend mit halbgeschlossenem Augenliede hinstreicht. Ernst wandelt der Nobili, den Hut tief im Gesicht der hoffende Referendarius, dreist Bruder Studio, schüchtern der Theologe durch die Ohlauer Straße und hält nächtliche Heerschau, und erspäht die Räumlichkeit und die Gelegenheit, durch den Wink der Parole einen Deserteur zu gewinnen. Da kam auch Julia mit den schwarzen Capulettiaugen, ein elegisches Mädchen mit christlichen, sanften Gefühlen allgemeiner Menschenliebe. Sie lispelte »Romeo!« Schweig Julia, sagte ich; Romeo ist todt; er ist in Spanien, ich kaufe dir heute die letzten Bonbons.

Sie sah mich fragend an, und wollte wissen, wie weit es bis Spanien sei, und ob sie mitreisen könne. Nein, mein Kind, sagte ich ihr, es ist sehr weit – »Weiter als Mezibor?«– Weiter als Mezibor, und auf einer ganz andern Seite, und es ist auch sehr lange her, Julia, daß ich für dich schwärmte. 18 Die Zeit ist lang und der Weg ist weit, Gott schütze dir Haupt und Schooß, schwarzäugige Julia, hier sind die letzten Bonbons. Und wenn sich wieder Einer so thörigt in dich verliebt, wie ich es that wegen der Madonnenfalschheit deiner Züge, und dir auch Bonbons schenkt, so denke mein; ich küsse dann andalusische Mädchen. Sollte dir's aber schlecht gehn, so vergiß mein, denn ich habe dirs prophezeiht; zerre nicht so an meinem Rock, und weine nicht italienische Thränen, mein Herz ist längst todt, und liegt mit meinem Glauben im Sarge.

Ich bog in die Bischofsstraße hinein, Julia stand an der Ecke des rothen Hirsch, und streckte bittend die Hände aus, und ich sah's beim Mondschein, daß ihr die Thränen über die Wangen liefen. Sie trug das historische schwarz seidene Kleid, von welchem so viel gesprochen worden war, und nach dem dunkeln Shawl, welcher ihre blendende Schulter bedeckte, schmachtete mancher Jüngling des lustigen Breslau. Ich hörte es, wie ihr die letzten Bonbons auf die Steine fielen, als sie die Arme ausstreckte, aber ich hüllte mich in meine unwandelbare Tugend und schritt weiter, dem Hôtel de Pologne vorüber. Dieses Hôtel de Pologne denkt traurig seines Pillmeyer, wie Athen seines Perikles. Es war eine klassische Zeit, wenn Pillmeyer, moralischen Angedenkens, in schneebleichen, lautlosen Wintertagen 19 die erheiternden Zettel an die Straßenecken kleben ließ, worauf mit römischen Lettern stand: Grand bal masqué. Da hob sich das Herz des schlesischen Jünglings und das Herz der Grisette beim Anblick dieser Zettel. Denn Pillmeyer war der entschlossenste Demokrat Breslau's, und lächelnd wie Leporello im Don Juan stand er des Abends an der lampenerhellten Pforte, und sang: »Hier gilt kein Stand, kein Alter – immer näher, schöne Damen!«, und hinter ihm tönte aus den hellen Zimmern: »Hussah, die Freiheit!«, und die Zerlinen in freisinnigem Kostüm huschten hinter ihm vorüber. Es war aber ein sehr seltner Fall, daß eine mit den Sitten des Pillmeyerschen Spanien unbekannte Zerline aufschrie im bekannten hohen As beim dreisten Gesange Don Juan's; das war ein sehr seltner Fall, und die übrigen Spanierinnen lachten dann, und Pillmeyer zuckte verdrießlich die Achseln über diesen Mangel an Kultur, und öffnete der thörigten Dirne leise fluchend die Thür, und schob sie hinaus. Pillmeyer war ein klassischer Mann, ihm gebührt ein Platz im Pantheon. Ich hab' ihn gesehen, wenn in den Wochentagen diejenigen Leute bei ihm tanzten, und sich mit fünf Silbergroschen bei ihm zu amüsiren trachteten, welche man im gewöhnlichen, plumpen Volksdialekt »ordentliche, anständige Leute« zu nennen pflegt, und ich hab' ihn gesehen, 20 wenn die verführerische Grisette vor dem Büffet und vor seinem Blicke die Larve abnahm. Sie forderte Punsch und Pfannenkuchen, und ihr Begleiter, der zum ersten Mal voll Don Juan-Entzücken ihr Antlitz sah, rief: »Heda, Champagner!« Pillmeyer blieb wie Fanchon immer sich gleich. Er war ein Stoiker, der mir Bewunderung abnöthigte: wenn die »anständigen Leute« einander sauersüß bekomplimentirten mit einem kümmerlichen Gläschen Punsch, da lachte er nicht, und wenn der ganze schöne Teufel Mozart's mit heißer Lust in Champagnersätzen und galoppirenden Blicken um ihn herumsprang, wenn links und rechts die seidenen Domino's beider Geschlechter in die Seitenzimmer schlüpften – da lächelte er nicht. Pillmeyer war generis neutrius.

Ich bin des Morgens um fünf Uhr mit ihm über das Schlachtfeld gegangen, wenn all' die verschiedenartigen Niederlagen der modernen Welt entschieden waren; auch dabei blieb er Stoiker, da lernte ich Pillmeyer achten, und er kam mir vor wie der Breslauer Plato. Ich kann sein Verdienst nicht genug würdigen, denn ich darf das Schlachtfeld nicht treu beschreiben wegen des Anstandes. In diesem Winkel lag eine verlassene Donna Elvira und der unklare Punsch schlief fieberisch zuckend auf den ausgereckten Zügen, aus dem halboffnen Munde stiegen 21 hohläugige, garstige Gestalten, das Gewand war verschoben, und gähnte übernächtig. Dort saß bald aufrecht in unruhigem Schlummer, die verstorbenen Augen bald öffnend, bald schließend, ein stolzer teutscher Ritter, und sein Kreuz auf der Brust war zerrissen; eine schwere bedenkliche Atmosphäre lag über dem Saale; ich entwich mit Grausen, nur Pillmeyer's Züge wankten nicht, und am nächsten Sonntage las man wieder an der Straßenecke: Grand bal masqué im Hôtel de Pologne bei Pillmeyer.

Die Pfaffen gestatten zu Breslau kein legitimes Heidenthum, drum nimmt sich Alles, was ein gefühlvolles Herz hat, des verpönten Götterdienstes an, und Bacchanalien und Orgien aller Art erfüllen Breslau's Straßen und Nächte. Ein moralischer Protestantismus und gefälliger Katholizismus halten einander hier die Wage, und der letztere wiegt noch etwas schwerer – so ist Breslau eine der liberalsten Städte geworden. Sein Umfang ist groß, seine Häuser sind hoch, es giebt verborgene, weitabgelegene Straßen, es ist noch viel Romantik in den Mädchen aller Stände, alle dunkeln Hausthüren und Hausflure sind des Abends belebt, die Jünglinge suchen Abenteuer, die Mädchen erwarten sie, es werden plötzliche Bekanntschaften gemacht, wie in der buntesten Ritterzeit; man frägt nach keinem Namen, es 22 ist noch Duft, noch Straßenpoesie in Breslau. Die Geliebte wohnt draußen, weit draußen, jenseits der Oder, hinter der Elftausend-Jungfrauen-Kirche, der Geliebte schläft diesseits, weit drüben, hinter den »Barmherzigen Brüdern«, und des Abends reisen sie einander entgegen bis in den breiten Schatten des Jesuitenkollegiums, wo Tag und Nacht die sieben freien Künste und unfreien Wissenschaften gelehrt werden, was heut zu Tage Universität heißt. Sie wissen nichts von einander, als daß sie sich sehr lieben, und wenn die Liebe aufhört, so kommt einige Abende nur Eins von Beiden in den Schatten der Universität, und dann verschwindet auch das, und ein neues Paar erscheint. Das ist der Lauf der Welt. Haben sie sich aber vielleicht zwei Abende nur verfehlt, so hat das Schicksal sie getrennt, und sie suchen sich eine Zeitlang umsonst in dem weiten Breslau, und finden sich einmal zufällig nach einem Jahre wieder, und erkennen sich nicht mehr, oder beginnen als Fremde eine neue Liebschaft.

Das ist Breslauer Straßenpoesie. Es werden unglaublich viel Verse in Breslau gemacht, die besten läßt man nur nicht drucken. Schlesien und Schwaben, die östlichen und westlichen Zipfel von Teutschland, produciren immer die meisten teutschen Dichter; nach den Grenzen hin sprechen die Leute immer am eifrigsten, um die Sprache zu retten, dort 23 im Westen vor den Franzosen in Paris, hier im Osten vor den Franzosen des Nordens. Und damit kein Unglück geschieht, hat man einen Abzugskanal gegraben und einen schlesischen Musenalmanach gestiftet, wo jeder brave Schlesier seine Verse loswerden kann für ein Billiges, und Dichtervereine und Künstlergesellschaften sind ein stehender Artikel in Breslau. Es wird gereimt, gedichtet, verdünnt, recensirt, geraucht, geschnupft, als müßte die ganze Welt damit versorgt werden. Namentlich blühen die Charaden und erfreuen sich enthusiastischer Theilnahme, und der Mond hat sehr großen Anhang. Er scheint aber auch sehr schön in Breslau zwischen die himmelhohen Häuser hinein, auf die breiten Wasserspiegel und die verschwiegenen Gebüsche um die Stadt herum. Wilhelm Wackernagel, der so charmante Lieder schreibt, versicherte mir immer, der Breslauer Mond sei von ganz besonderer Qualität, bei weitem nicht so abgenutzt, als an andern Orten. Und wenn ich zu ihm kam, das heißt zu Wackernagel, so schrieb er auch immer Gedichte an den Mond, und ihre Ueberschrift war immer: »Es spricht der Mond.« Nur in Breslau weiß man, wie der Mond sich äußert. Dabei saß Wackernagel immer in einem langen, höchst langen preußisch-Freiwilligen Mantel auf dem Sopha, die langen blonden Haare hingen ihm 24 mittelalterlich um Kopf und Gesicht, er sah aus wie ein Schüler Ofterdingens, der nur des Mondes wegen von Berlin nach Breslau gekommen war. In seinen großen, teutschen, harmlosen Zügen, in dem klaren, blauen Seherauge lagen alle die schönen Dichterworte, die er noch singen und schreiben wollte.

Wenn ich zu Wackernagel kam, da sind mir immer die reichen, fahrenden Poeten Teutschlands eingefallen, welche, die Goldgruben des poetischen Geheimnisses in der Brust, mit leerer Tasche und singendem Munde durch die Welt ziehn, Mangel leiden, und doch Alles lieben, immer die süße, göttliche Ahnung in den Augen tragen. Wackernagel ist einer von denen, welche mit brünstiger Liebe und gesundem Kopfe die alte teutsche Poesie studirt und durchgesungen haben. Er ist eine Autorität im Altteutschen, und auf einer Kegelbahn ist's gewesen, wo er das Nibelungenlied und den Percival und Titurel bis in die innersten Falten gelesen hat, auf einer Kegelbahn in Berlin hat er sich, in Ermangelung einer andern Wohnung, häuslich einrichten müssen, dort hat er, in seinen Freiwilligen-Mantel und seine langen Haare gehüllt, Tag und Nacht gesessen und studirt und gedichtet, trotz Hunger und Kälte. Einen alten schwarzen Rock hat er zuweilen vorsichtig abgestäubt, und ist hinaufgestiegen in die goldnen Säle 25 der vornehmen Berliner, um sich zu wärmen, und die Bibliotheken zu ordnen, und die alten, schweren Bücher zu stellen, von denen sie nichts verstanden.

Ich habe auch in Breslau nie Geld bei ihm gesehen, und doch war er immer glücklich, das heißt poetisch, und litt nur zuweilen an Vollblütigkeit, doch schrieb er mir immer die heitersten, vornehmsten Billets auf spiegelglattes Papier mit saubern römischen Buchstaben, nahm Holteis Liederspiele gegen mich in Schutz, und träumte von einem griechischen Lustspiele, das er nächstens in teutscher Sprache schreiben wollte. Der liebe Wackernagel! Ich war damals ein dummer Mensch, der ihm nicht glauben wollte, daß Göthe's Tasso mehr werth sei, als Schiller's Braut von Messina, und ich hatte mich deshalb ein Vierteljahr lang auf Tod und Leben mit ihm herumgeschlagen in den Breslauer Zeitungen. Da erweichte er eines Tags mein vandalisches Herz durch eine schöne, innige Ghasele, und ich ging, um ihm meinen ersten Besuch zu machen. Er wohnte bei dem berühmten Chemiker Runge, und aß alle Tage Schöpsenfleisch mit ihm. Runge aß nämlich einige Monate lang nichts als Schöpsenfleisch, um zu sehn, was dabei aus seinem Magen würde, und Wackernagel litt geduldig mit, als Opfer der Experimentalchemie, aß mit Runge Schöpsenfleisch, und ließ den Mond sprechen.

26 Seit der Zeit denk' ich bei Schöpsenfleisch immer an Runge, der stets gesund war, wie ein geistreicher Quäker aussah, und aus einem kleinen Stummel heftig Tabak rauchte, wenn er nicht Schöpsenfleisch genoß; und an Wackernagel denk' ich, wenn mir der Breslauer Mond einfällt, der so schöne Lieder schien, als ich den letzten Abend durch die Breslauer Gassen schlüpfte. Auch damals fielen mir lauter süße Wackernagelsche Verse ein, und ich stand still am Graupenthurme, in dessen Nähe er gewohnt hatte, und dichtete mir im Mondscheine ein weiches Abschiedslied.

Leider hab' ich's vergessen, es war aber sehr schön und ging nach der Melodie:

    Nach Sevilla, nach Sevilla,
Wo die letzten Häuser stehen,
Sich die Nachbarn traulich grüßen,
Mädchen aus den Fenstern sehen,
Ihre Blumen zu begießen,
Dahin sehnt mein Herz sich sehr.

Ach, sehr! 27

 


 

O laß mich lauschen, laß mich lispeln, kosen
Mit dir, du Geist der Mondscheinnacht!
Du hast mit deinen Lilien, deinen Rosen
Den Geist der Liebe mir gebracht.
Hoffmann von Fallersleben.

Wenn ich's beschreiben könnte, wie schön an meinem letzten Abende in Breslau der Mond schien, so hielten mich die Leute für Mond–süchtig. Denn ich empfand wirklich eine lebhafte Sehnsucht nach dem Monde, und ich hätte mich auf das Pflaster legen und den Schein küssen mögen. Aber es hatte kurz vorher ein Wenig geregnet, darum that ich's nicht. Die nüchternen Leute, welche in einer Passion für den Mond viel Ueberschwenglichkeit und wenig Vernunft finden, mögen sich beruhigen. Für gewöhnlich lieb' ich den Mond nicht: er ist mir zu bleich, zu schwindsüchtig, zu kraftlos, zu monoton, zu langweilig. Es stehen noch einige Adjektive zu Diensten, wenn's sein muß.

28 Aber wenn ich einen Raum zum ersten oder letzten Mal sehe, dann ist der Mondschein sein Himmelsnimbus, dann macht er Alles so weich, so fromm, so rührend. Es war mir damals am Graupenthurme in Breslau, als sähen mich all' die lieben Augen im Strahl des Mondes an, welche mir jemals in zärtlicher Neigung zugewendet waren. Ich konnte die Züge nicht ordnen, nicht unterscheiden, aber es war ein süßes Gewirr von all' den Mienen, welche meinem Herzen wohlthun, es in süßem Weh bewegen.

Kuß auf Kuß warf ich dem Monde zu. Ich fühlte, daß der Abschnitt all' meiner Jugendneigungen mit diesem Mondschein zu Ende ging, des andern Tags reis'te ich in die Welt, nach Spanien, Babylon und Leipzig; ich mußte Abschied nehmen von all dem, was der Mond mich küssen sah.

Hinter mir, im Schatten des Graupenthurmes, stand ein langer Mann mit gekreuzten Armen und sah ebenfalls in den Mond. Langsam kam er heraus in den hellen Schein. Wiederum das Bild eines Minnesängers. Breslau hat in vielen schweigsamen Winkeln ungewöhnliche, ernsthaft ganze Figuren, es hat viele Blätter, die noch Niemand umgewendet hat, noch viel unberührte Jugend.

Der Mann war lang, unsicher lang, ein magrer grauer Mantel verhüllte kaum die Länge, und er 29 hatte einen Kopf wie ein ernsthafter Vogel, weit flogen im leichten Abendwinde die weichen Haare davon wie wogende Schwungfedern. Fein, spitz und klar wie Luft formten sich nach vorn die saubern Gesichtszüge voll kindlicher Unbefangenheit, und die sanften, ahnungsreichen Augen sahen mild wie zwei glückliche Sterne drüber hin. Ein schwarzes Napfmützchen deutete darauf hin, er sei ein Scholiastenvogel, der sich mit Weisheit nähre; aber in freien Stunden singt er, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und der ist ihm schön gewachsen.

Wir gaben einander die Hand, und sprachen über den Mond, und er konnte mir nicht genug beschreiben, wie schön sich der alte Mond ausnehme in der großen Bibliothek, in welcher er wohnte. Hoffmann von Fallersleben war damals Kustos der Breslauer Universitätsbibliothek, und er lud mich ein, mit ihm zu gehn. Da werden die alten Poeten alle unruhig auf ihren Repositorien, wenn ihr alter Bekannter, der Signore Mond, sie besucht, und es beginnt ein Flüstern von alten unbekannten Liebesgeschichten, daß man nicht Ohren genug hat zu hören. Namentlich spricht der heilige Augustinus von den warmen afrikanischen Abenden seiner Jugend, und der heilige Abälard beschreibt in süßen Stanzen die verführerischen fränkischen Nächte. Hoffmann konnte gar nicht fertig werden mit Beschreiben, und 30 da setze er sich in einen Winkel, mache die Augen zu, und lasse alle die alten Gedichte durch sein offnes Herz aus- und einziehn wie prächtige Brautpaare. Daher komme es denn auch zum Theil, daß er so schöne Gedichte schreiben könne; er habe ein sehr feines Gehör.

Es that mir sehr leid, diese Einladung abschlagen zu müssen, aber ich hatte noch gar zu viel Besuche zu machen, und den Mond brauchte ich nothwendig dazu. Ich versicherte Hoffmann, daß es in Breslau sehr viel Fenster gebe, große und kleine, an welche meine Blicke und der Mond heut noch klopfen müßten. Er nickte mit dem Kopfe, denn er ist ein Dichter. Ach, die Geschichten von den Fenstern, aus welchen die Lockenköpfe und die weißen Hände sehen, diese Geschichten sind nicht eben lehrreich, aber sehr schön. Hoffmann sagte, das hätte seine Richtigkeit, und er freute sich immer, wenn er mich mit den unternehmenden Augen und Schritten sähe, die Klassiker aus der Bibliothek brächten zwar schöne Lieder, aber wenig reelle Küsse, der Mensch lebe doch nicht vom Brot allein – –

Freilich, freilich – dies Kapitel würde uns zu weit führen, lieber Professor, mich rufen die Fenster!

Und er wünschte mir glückliche Reise nach Spanien, und verlangte, ich solle ihm drei anständige 31 Balladenthemata aus Granada schicken mit der ordinairen Post, aber nicht zu leichtfertige, bat er noch hinterdrein.

Ich hab's ihm versprochen. Damals blieb er noch stehn auf der kleinen Brücke am Graupenthurme, die großen Augen ernsthaft auf den Mond richtend. So ist er mir im Gedächtniß geblieben, die schöne Mondscheinstatue eines nordischen Sängers, an welcher kindliche Träume auf- und niederklettern. Ich weiß nicht, wenn er nach Hause gegangen ist.

– Durch unterschiedliche Gassen ging mein Lauf, und der gute Mond lief wie ein lustiger Pudel mit mir, und blieb stehn, wenn ich stehn blieb. Ich blieb aber oft stehn. Ach, hinter den meisten Fenstern waren weiße Grabesgardinen; in ein Paar Jahren ändert sich viel. Man sieht sich, man begegnet sich, man sucht und findet sich – man verliert sich. Mein Gott, die Stadt ist groß, und das Auge ist kein Philister, es ist frevelhaft, die Schönheit der Welt nicht in ihrem größtmöglichen Umfange zu würdigen.

Wie der Mond lachte vor einem großen Hause auf der Albrechtsstraße, der Schalk! Da wohnte einmal während eines milden Sommers, wo Alles reif ward, ein Mädchen, schlank und luftig wie ein Reh, im zweiten Stock, ich wohnte aber im dritten, und 32 ich war ein Student. Des Morgens machte sie mit Geräusch ihr Fenster im zweiten Stock auf, und nun öffnete ich das meine im dritten Stock, und sang hinab:

Ich war, wenn ich erwachte &c.

Da sah sie herauf, und lächelte, und ich sah hinunter, und lächelte auch. Wenn wir aber ausgingen, so schlugen wir heftig die Thüren zu, und dann begegneten wir einander auf dem Saale. Dann sagte ich, »schön guten Morgen, mein Fräulein«, und sie erwiderte: »Ich wünsche Ihnen, wohl geschlafen zu haben«. Später im Laufe des Sommers sagte ich ihr mehr, unter Anderm auch, daß ich nicht wohl geschlafen habe. Wir begegneten uns auf dem Markte, und ich kaufte ihr verrätherische Blumen, es kamen die schönen Sommerabende, ich sang zur Guitarre himmlische Lieder an den Abendstern von Richard Roos, Theodor Hell, dem Naturdichter Hiller, oder sonstigen ausgezeichneten Teutschen, ich sang sehr, und spielte dazu die Guitarre. Zuweilen begegnete mir's in der Hitze des Gefechts, daß ich falsche Akkorde griff, aber solch ein gemeiner Vorfall störte unsere edleren Gefühle nicht, meine Geliebte hatte auch glücklicherweise ein verwahrlostes musikalisches Gehör, und konnte nichts singen, als: »Du, du liegst mir im Herzen«, und auch dabei erlaubte sie sich immer einige musikalische Freiheiten.

33 So kam der Spätsommer, und wir freuten uns schon sehr auf die langen Abende. Ich sang damals verführerische Lieder von Kuhn, dem Redakteur des Freimüthigen, welcher sich leider später dem unnatürlichen Laster des stillen Trinkens ergeben haben soll. Da näherte sich mir eines Abends auf eine ernsthafte Weise meine Wirthin, und erklärte, daß sich bedeutende Differenzen zwischen uns vorfänden, namentlich wegen der Miethe. Ich studirte zur damaligen Zeit Theologie, und äußerte mich sehr sanft. Die gute Frau hatte aber wenig Religion, sprach von Mangel an Solidität, und nöthigte mich, plötzlich auszuziehn. Sie war von sehr niedriger Gesinnung und ohne alle Poesie. Ich habe ihr das später vor dem Universitätsgerichte auseinander gesetzt, aber ausziehn mußte ich damals. Bei solcher Verwickelung der Verhältnisse vergaß ich meine gefällige Nachbarin mit den Rehaugen und dem schlanken Wuchse, ich kam in ein ganz andres Viertel der Stadt, wo ich an der weitern Ausbildung meiner frühern Gefühle behindert wurde. –

– Der Mond trat ungeduldig hinter die Häuser der Albrechtsstraße, ich mußte weiter. Ich kann nicht im Detail fortfahren, sonst würde meine Abreise zu lange aufgehalten, ich kann nur bemerken, daß in jener letzten Breslauer Nacht der Nachtwächter manches abgelegenen Viertels unruhig wurde, weil 34 ein Mann so lange vor manchem kleinen Hause stehen blieb. Die Breslauer Nachtwächter sind berüchtigt wegen ihrer Disciplin und Tapferkeit, sie halten nichts von der Dichtkunst und verfolgen die Schwärmerei, sie sind ohne äußere Bildung, und schonen kein zartes Gefühl. Sie störten mich in meinen besten Empfindungen.

So mußte ich denn auch flüchtig an einem Hause vorüber in der südlichen City, wo ich sonst ein ganzes Jahr lang nicht vorübergehen konnte, weil ich immer genöthigt war, einzutreten. In jenem Hause hatte ich viel ernsthafte Thränen geweint, und jenes Eckfenster war mir lieber gewesen, als die ganze Stadt Breslau. Hinter jenem Eckfenster saß sie alle Abende im Lehnstuhle, die Hände ruhten ihr im Schooße, die Augenlieder lagen wie geheimnißvolle Abendwolken über dem Himmel, und sie sah von unten auf verstohlen nach der Thür, ob ich eintreten würde. Sie hatte mir immer etwas Trauriges zu sagen, es ging uns sehr schlecht, und ich konnte ihr immer keinen andern Trost mitbringen, als alle Tage neue Gedichte. Die lasen wir miteinander und weinten ihre Melodie, und weinten wie die Kinder. An einem kalten Wintermorgen mußte sie fort, weit fort, »vielleicht gar über den See« – oh, das war ein sehr kalter Morgen.

Und das arme Fenster, wo am Tage nicht mehr 35 ihr Kopf, des Abends nicht mehr ihr Licht hinter den Blumen zu sehen war, wie lange habe ich das arme, leere Fenster bedauert, diesen gläsernen Sarg! Jetzt wohnten fremde Leute da, und die Geschichte war schon sehr lange her, aber es fuhr mir doch wieder jener flüchtige Stich aus dem Herzen durch den Arm bis in die linke Hand, nur schwächer, wie es mir damals immer geschehen war. – –

– – Immer weiter, immer weiter! Die Stadt ist groß, und das Leben ist lang. –

– Der alte Pedell Frese war todt, der Sturm, sein Nachfolger, hatte die große eiserne Thür der Universität nicht zugeschlossen, ich trat hinein in die schallenden Korridore. Es war doch traurig, daß auch Frese hatte sterben müssen, er war so römisch lang, und sprach immer im plurali majestatis: »Wir haben beschlossen.« Die Jesuiten, die geistreichsten Schufte jener letzten Jahrhunderte, die ich niemals hassen kann, wegen ihres impertinenten Verstandes: die Jesuiten haben das stolze Gebäude erbaut, und die Jesuiten und Frese sind todt. Wir gehen Alle wie Schatten an dieser Sonne vorüber, und sollten doch nicht so viel Wesens von unserm Bischen Aerger und Zorn machen.

Die breiten steinernen Treppen, die hohen, gewölbten Korridore gaben all' meinen Tritten laute Antwort. Der Mond fuhr unruhig an den Fenstern 36 hin und her; er konnte nicht zu mir. Es ist ein schöner Raum, um Weisheit zu hören und zu lehren, dies Breslauer Universitätsgebäude. Ich wollte mich schnell erinnern, was ich Alles hier gelernt hatte, ich drehte alle Taschen um, sie waren lächerlich leer. Außer Henrik Steffens war mir in diesen Räumen nicht einmal ein Interesse nahe getreten; die klingenden Sporen, die jungen Bärte, die bunten Mützen der Studenten waren mir in den hohen Bogengängen noch immer das Interessanteste gewesen. Die Theologen lasen drei Jahre lang über eine alte, abgedroschene Geschichte, und lasen noch dazu unzweckmäßiger als auf mancher andern Universität; die Juristen lasen drei Jahre über ein andres Buch, und die Philosophie war ganz abhanden gekommen, nur Henrik Steffens redete stürmisch poetische Gedanken über die Philosophie. Henrik Steffens ist ein sehr interessanter Mann. Sein Fehler ist's nur, daß er mehr sein will. Als ich seine erste Vorlesung im Musiksaale hörte, da war es mir, als stünde ich unter dem Wasserfalle des Niagara; betäubendes, überwältigendes Getöse, rings stäubendes Wasser, stockfremde breitblättrige Pflanzen, auf einem einzelnen Felsen ein Wilder der nach einem Wasservogel schießt und dann kopfüber mit der Flinte in's brausende Wasser springt. Es war mir urweltlich, flötzgebirgig, fabelhaft zu Muthe, und als ich hinaus kam an die frische Luft, da fing ich plötzlich 37 an, laut zu lachen. Was war das? Professor Henrik Steffens hatte über Anthropologie gelesen. In dieser Anthropologie fehlten nur die Menschen, aber die Berge, Pflanzen und Steine sprachen wunderbar interessante Dinge. Wie er so da stand der lange Norweger mit den irren blauen Augen, und der nach Himmel und Erde zeigenden weißen Hand, da dacht' ich fortwährend an einen alten Druiden, der die Natur belauscht hat in stiller Einsamkeit, und die Menschen und den gewöhnlichen Gang der Dinge vergessen hat, und nun zurückkommt in die Stadt, um über den Menschen zu sprechen, und Novellen zu schreiben. Er trug einen feinen blauen Frack mit gelben Knöpfen, in der einen Hand hielt er gegen Ende der Stunde seine goldne Uhr, ich dachte jeden Augenblick, wenn in irgend einem Flötzgebirge eine Schlucht sich öffnete, er würde sie einem der Zuhörer an den Kopf werfen, nämlich die Uhr. Er war eine schöne Erscheinung auf dem Katheder, dieser lang und gerad gewachsene Professor. Sein Kopf ist fein und scharf, die glatten grauenden Haare und einige frühe Falten geben ihm etwas Weises, und doch wird Steffens ebenso wenig jemals weise werden als der Sturm nach dem Takt sich bewegen lernt. Er ist ein Mann der strudelnden Bewegung, welcher sich die unnatürlichste Mühe giebt, fest zu stehen. Durch sein Gesicht laufen so viel zuckende, spitzige Linien, poetische List, 38 frommer Jesuitismus, ein unreifes Lächeln, Alles das stürzt sich über und durch einander, daß es mit Mühe von dem starken Geiste des Ganzen gebändigt wird, daß man in steter Erregung bleibt bei seinem Anblicke. Und nun kommen die Worte dazu, die sich wie eine unerschöpfliche Fluth aus seinem Munde stürzen, eine Welle will eher da sein als die andre, wie ausgerißne, fremdartig grüne Bäume fliegen auf den Wogenspitzen die ungewöhnlichen Gedanken mit herunter in's Auditorium, und das Gebrause, der fremdartige übervolle norwegisch-teutsche Ton, die zischenden Sprachfehler brausen, schäumen, toben rastlos, ruhelos durcheinander, nicht ein Sonnenstäubchen kann sich dazwischen drängen – man wird betäubt, bedeckt, man schnappt nach Luft. Es giebt vielleicht keinen Menschen, der eine solche enorme und schnelle Gedankenproduction besitzt als Steffens, die Gedanken gehen wie ein brausendes Viergespann mit ihm durch. Wenn er auf den Katheder steigt, so geht es ihm wie der Pythia, welche sich auf den Dreifuß setzt. Der Dampf der Weisheit und der Begeisterung umfängt seine Sinne, die Orakel zerwühlen seinen Körper, er wird herumgeschleudert von den Dämonen, er wird zerbrochen. Natürlich hält er, ein langer, starksehniger Norweger, das länger aus, als die Pythia, von welcher die Meisten ernsthaft versichern, daß sie ein Frauenzimmer gewesen sei. –

39 Steffens ist eigentlich ein Professor der freien Künste, und er trägt die Naturgeschichte und Philosophie und das heilige Donnerwetter der Poesie und die Menschenkenntniß, er trägt alles dies vor wie eine freie Kunst, er faselt über Alles. Aber er faselt im größten römischen Baustile, er faselt Riesenschnörkel. Bedeutende Poeten wie Heine sprechen ihm die Poesie ab; ich glaube, das rührt von einem Irrthume her: Steffens hat einen belebenden, einen erzeugend poetischen Blick für das Vegetabile, das Halbtodte, das Ganztodte, er macht den Schnee und die Steine und Berge lebendig, welche sich durch drei enge Druckbogen seiner Novellen erstrecken, aber er hat ein ganz ordinaires, zu unordentliches Auge für die Menschen. Und wir sind nun freilich der Ansicht, daß die Menschen in den Novellen die Hauptsache seien. Bei Steffens ist es aber immer der Boden, und die Menschen sind umgekehrt die Staffage, weil er sie nicht kennt.

Doch bin ich der Meinung, er sei reich an Poesie, überreich, und Heine, der Verehrer Göthes, verwechselt bei Steffens die Poesie mit der Kunst; letztre lernt der teutsche Norweger in seinem Leben nicht. Es wird nie Maaß in ihn kommen, er wird nie ein Dichter werden; aber ein Poet, und obendrein ein gewaltiger bleibt er. Seine Novellen mit der altklugen oder im Traume sprechenden Natur sind Kolosse von Ungeschicklichkeit, große Schachtelkunststücke. 40 Aber ein Kunststück ist eben kein Kunstwerk, wird nie mündig; auch wenn er eine Novelle schreiben will, so gehen die Rosse mit ihm durch, tief in den Wald hinein, und wenn sie nun nicht weiter können, dann steigt er ab, bewährt seine Geschicklichkeit, und haut links und rechts Wege durch den Wald, bis er endlich schweißtriefend wieder heraus kommt; und diese Arbeit nennt er eine Novelle. Es fehlt ihm alle Kunst der Empfängniß, es fehlt ihm die Dichtkunst, aber nicht die Poesie.

Das haben die Freiwilligen im Kriege herausgefühlt, und sie haben sein eisernes Kreuz verdächtigt, und nie etwas wissen wollen von seinen konkreten Thaten. Sie erzählen wunderliche Spottgeschichten vom Norweger und seinen langen Beinen, und der Schlacht bei Leipzig, die er so schön beschrieben. Darauf ist aber nicht viel zu geben, denn hinter einem ungewöhnlichen Menschen weis't der Haufe immer mit den Fingern her, und es ist auch nicht schwer herauszufühlen, daß Steffens kein Mann der That ist. Sein Geist ist ein bunter, ein herrlich bunter Renommist der Phantasie. Er ist ein speculativer Poet; wer ihm Alles glauben will, wird zuverlässig ein Dummkopf, wenn auch ein merkwürdiger. Seine politischen Bücher hab' ich immer wie geistreiche Karnevalsentwürfe gelesen; wenn Steffens einmal Minister des Auswärtigen würde, so könnte die 41 Politik auf 24 Stunden sehr amüsant werden, denn länger würde der Spaß nicht dauern.

Der Mond wollte fort, die Korridore wurden finster, ich glaubte die Stimme des Henrik Steffens aus den Musiksaale zu vernehmen: »Meine Herren, betrachten Schie die Flötzgebirge.«

Es war aber ein Irrthum; Steffens war schon nach Berlin gegangen, um von den Flötzgebirgen zu sprechen, und über den Opernplatz steuerte er mit dem breiten Quäckerhute und den starrenden Prophetenaugen.

Wäre ich der König von Preußen, ich ersuchte den Professor Steffens, unbekannte Gegenden zu bereisen. Dann könnten wir interessante Bücher erwarten, er improvisirte neue Welten. Wenn sie sich auch später nicht als richtig erwiesen, so wären sie doch unterhaltend; denn er ist ein kleiner Schöpfer, es fehlt ihm nur das Bischen Ordnung, in welcher der Herrgott geschaffen hat. –

– Draußen auf der Oderbrücke war viel Amüsement: die lustigen Burschen führten ihre lustigen Mädchen zum Tanz hinüber nach der goldnen Sonne. Durch den Dampf der Tänzer blinkten die erleuchteten Bogenfenster der »Sonne« herüber, und die Musik jauchzte und wieherte, und die Mädchen hüpften schon vor Vergnügen auf der Brücke. Es ist ein merkwürdig Institut, diese Sonne. Der Saal ist einer 42 der größten und schönsten in der Stadt, die Musik ist die beste, rauschend, berauschend und neu, die Gesellschaft – nun ja, die Gesellschaft ist die bunteste und harmloseste. Es ist eine demokratische, und das Entrée ist sehr wohlfeil, eigentlich nur ein Unterpfand, daß man sich mit irgend einem Genusse stärken wolle, mit einer gut gepfropften Flasche Bier oder einem Breslauer Liqueur. Für die an der Thür gezahlten zwei Silbergroschen wird dem Durstigen solch ein Genuß im Saale gratis verabreicht. Hier findet man nun jeden Sonntag und Montag die entschlossenste Gesellschaft, entschlossen, sich jeden Falls zu amüsiren, man findet die zuschauende Frau des Bürgers, den Tabak qualmenden Handwerker, die leichtfertig springende Dirne, man findet immer Lärm, und zu jeder Stunde und ohne viele Mühe die besten Prügel. Wie vom Blitz getroffen fliegt der Uebelthäter durch mehrere Zimmer, von Hand zu Hand, aus dem Hause hinaus. Aber, »in diesen heilgen Hallen kennt man die Rache nicht,« nachdem er die Busenkrause wieder hineingestopft hat, tritt der Deportirte ruhig wieder ein, als sei nichts vorgefallen.

Als ich noch Student war, kam ich des Sonntags aus dem »blauen Hause« immer an der Sonne vorüber, und der Menschenkenntniß halber ging ich gewöhnlich hinein: damals lockten die neuen Oberontänze, damals war Oberon jung; es ist doch 43 entsetzlich, daß auch solch' ein Feenprinz altert – damals scheute ich auch eine massive Prügelei nicht für ein Paar schöne Augen. Ich trug noch keine Vatermörder, und haßte noch Hut und Frack.

An einem solchen melancholischen Spätsommerabende war's, als ich jene schwarzen Augen, jene schöne andalusische Figur wild an mir vorübertanzen sah, welche im Ganzen Julia hieß. Mein Begleiter, ein alter, erfahrner Bursch mit bemoostem Haupte, machte mich aufmerksam, und rief: »Sieh um Gotteswillen diese Augen!« Sie waren wirklich erschreckend feurig und schön, wie ein schönes Buch, was mit vieler Freiheit geschrieben ist. Ich eilte, es ihr zu sagen, mein Begleiter desgleichen. O, wie sie lachte, und mir die heiße Hand auf den lobpreisenden Mund legte, – mein Begleiter war im Feuer dieser Augen grob gegen unsre Nachbarn gewesen, und ich sah eben noch in der Ferne sein ruderndes, kämpfendes Pfeifenrohr, er wurde just hinausgeworfen, oder wie die Schlesier sagen, hinausgeschmissen, als mir Julia ihren Arm gab. Ich geleitete sie nach Hause und kaufte ihr Bonbons.

Ach, ich schmachtete in diesen Augen, und las um jene Zeit den Plato, und das war meine Dummheit, denn Julia wußte nichts von Plato. Ich glaubte noch an die Menschheit und an die Tugend, und eines Tags schenkte mir jener erfahrne, hinausgeschmißne 44 Student ein Bonbon, was ich den Abend vorher der Julia geschenkt und worauf ich geschrieben hatte »Romeo und Julia.«

Das war ein merkwürdiger Tag in meinem Leben, das fühlte ich tief, als ich mich im Mondschein auf der Oderbrücke sein erinnerte. An jenem Tage verwünschte ich die Tugend und meine Dummheit in einem Athem. Es war ein schrecklicher Mittag, ich aß gerade Milchreis bei der Madame Lange im weißen Engel auf der Kupferschmiedstraße, und dort im weißen Engel verwünschte ich zum ersten Male meine burschenschaftlichen Grundsätze, die mich schon in Halle und sonstwo um so viel Vergnügen gebracht hatten; im weißen Engel auf der Kupferschmiedstraße schwor ich dir ab, o Plato! –

Diese Erinnerungen trieben mich fort von der Oderbrücke, ich ging nach Haus und legte mich schlafen und »Plato oder nicht Plato?« beschäftigte mich bis zur Stunde der Abfahrt. Zwei Freunde geleiteten mich bis zum schwarzen Bären, dort tranken wir zum letzten Male eine Schale schlesischen Kaffee mit einander, sie segneten mich, und ich fuhr von dannen gen Babylon. Zuerst nach Leipzig. Ich sah mich nicht mehr um, denn ich fürchtete mich vor dem Abschiede, und ich fuhr ohne Gedanken durch das mädchenfreundliche Liegnitz, ohne Gedanken bis auf den Markt von Leipzig.

45 Bei freundlichem Nachmittagssonnenscheine trat ich in das Zimmer meines Freundes. Er saß hinter einem breiten Tische voll Landkarten, reichte mir trübselig die Hand herüber, und sagte es sei gut, daß ich käme, denn er könne Golkonda nirgends finden; ich möchte es ihm suchen helfen.

Nach einigen Tagen erfuhr ich, daß er sehr hypochondrisch sei, und die Welt aufgegeben habe. Der einfache Grund davon sei folgender: Es gebe so erschrecklich Viel zu lernen in der Welt, daß es unmöglich sei, fertig zu werden, und deshalb habe er beschlossen, lieber unglücklich zu sein, als sich noch länger zu quälen. Während er auf das eifrigste Naturwissenschaften und Medicin studire, laufe ihm die Geschichte und Geographie davon, und während er diese einholen wolle, würden jene über Nacht ganz andre. Es sei zum Todtschießen, und ein ehrlicher Mensch müsse dabei zu Grunde gehn, und das wolle er denn auch.

Dabei streckte er sich auf's Sofa, und machte die Augen zu.

Ich sah ein, daß hier das Glück nicht zu finden wäre, weshalb ich auf Reisen gegangen, und am andern Morgen, als er noch schlief, packte ich wieder meinen Koffer und ging. Nur einen kleinen Zettel ließ ich ihm zurück, darauf schrieb ich: Freund, alles Wissen macht dumm und unglücklich, denk an den 46 Baum der Erkenntniß und Adam und Eva; nur die Sonne ist was werth in diesem Leben, geh spaziren, am besten recht weit, in die weite Welt. Wenn du kein Geld hast, so schreib mir's, ich werde wohl auch kein's haben, und dann reisen wir zusammen, und werden zusammen glücklich. Vor der Hand reis' ich allein.

Nachschrift: Trink recht viel Wasser, alle Elemente sind gesund. Elemente sind aber: Luft, Wasser, Sonne, ausgebacknes Brot und roher Schinken, Homer, Shakespeare und theilweise Goethe.

Verbrenne um Gotteswillen dein Tagebuch, so was kann einen gesunden Menschen krank machen, und thu' mir den Gefallen, und lebe wohl. 47

 


 


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