Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Karlsbad.

Es öffnete sich die Thalschlucht zur Linken; da kroch es hin, das wunderliche unschöne, aber pittoreske Carlsbad wie ein Regenwurm an dem indifferenten Flüßchen Tepel, an beiden Seilen eingeengt von Bergen, hinten verschlossen wiederum von einer dunkeln Höhe, so daß man meint, da sei die Welt zu Ende.

Vom kleinen Thurme herab erscholl ein entschlossenes Trompetengeschmetter, als zögen neue Kämpfer in eine alte Ritterburg ein, die wacker gleich den alten Ahnherrn saufen, fechten und stehlen könnten; so begrüßt die böhmische moderne Ritterwirthschaft zu Carlsbad die Fremden mit mittelalterlicher Sitte. Ich glaubte, in einen Spindlerschen Roman hinein zu fahren.

Es war ein buntes wirres Treiben auf der schmalen Egerstraße, der Wagen konnte kaum hindurch, so drängten und wogten die Menschen und Fuhrwerke. 358 Nothwendig mußte ein Fest in der Nähe gewesen sein. An der nächsten Hausthür klimperte und jubelte eine Harfenspielerin, und wucherte mit dem letzten Rest ihres Schauspielvermögens, ein Paar großen schwarzbraunen Augen, die schon viel gesehen hatten, und einer weißen Hand, einer verführerischen, empirischen Hand.

Ich stieß meinen Nordteutschen an, der sehr begierig auf all die Dinge war, welche ihm hier in Carlsbad kommen sollten, und sagte, ob das vielleicht sein verkleidetes Mädchen der schwarzen-Peter-Bekanntschaft sei. Er setzte seine massive Brille mit großen, runden Gläsern auf, der Wagen mußte in dem Gedräng einen Augenblick halten, die Dirne lächelte, mein Nachbar lächelte auch, und er sagte leise, es sei doch nicht wahrscheinlich, daß blonde Haare und blaue Augen so unverschämt schwarz würden in einigen Jahren.

»Man hat Beispiele.« –

»»Wirklich?«« – –

Das Mädchen trat mit dem Notenblatte vor den Wagen, und streckte es mit ihrer weißen Hand hinein. Mein Nachbar fuhr nicht ohne Verlegenheit in die Tasche, und ehe er den Beutel geöffnet und ein Zwanzigkreuzerstück – er war schon in der Illusion – gewählt hatte, flüsterte ich ihm zu, es sei 359 gewiß etwas dahinter, und er solle ihr unter dem Notenblatte die schönen Finger drücken.

Er faßte sich ein Herz und that's, das Mädchen schlug wie ein buhlerischer Vollmond die Augen lächelnd auf, und warf den schelmischsten Blick auf seine Brille. Da rollte der Wagen weiter – »Schaafkopf« schrie der Nordteutsche und der Postillon sah sich um, sich genauer zu erkundigen, wie der Gasthof hieße, in welchem wir absteigen wollten, er habe es nicht recht verstanden.

Vergnügt stieß er mich an, und sagte, »'s ist was dahinter.«

Ich wußte bereits, daß seine Schalkhaftigkeit nicht so riesenplanig war, ich wußte also auch, daß nicht ich, sondern er bei der zu verhoffenden Carlsbader Geschichte der Gefoppte sei, mein Dichten und Trachten ging nun auf seine Schwägerin.

Hinter allen Jalousieen kukten lockige Mädchenköpfe hervor, die blinkenden Equipagen mit strahlenden Damen braus'ten vorüber, auf allen Trottoirs hüpften die leicht- und hochgeschürzten – es lag noch ein feiner Thau von Regen auf dem Pflaster – wir wußten nicht, wohin wir sehen sollten, und trunken kamen wir vor dem »Schilde« an.

Ich eilte sogleich zurück nach der Egerstraße; hinter dem »Paradiese« fand ich die lilienhändige, harfenspielende Nausika, streichelte ihr die Wangen, 360 und bestellte sie mit einem allen, sehr alten Liede, was sie glücklicherweise kannte, Abends um neun in den Garten vor dem »Schilde.« Ich mußte meinen Romantiker durchaus gleich vornherein kopfüber in Verwirrniß stürzen, denn ich war noch immer nicht ganz ohne Besorgniß wegen meines blonden Mädchens. Und es ist eine meiner Schwächen: ich seh es nicht gern, wenn Mädchen heurathen, die ich lange und treu geliebt habe, und fünf Jahre kommen mir länger, viel länger vor, als der tollste Romantiker verlangen kann. Es ist dies nicht bloß eine Schwäche, es ist ein lasterhafter Wunsch, denn ich beabsichtige keineswegs, sie selbst einst gelegentlich zu heurathen, und dies ist also ein ganz artiges Stückchen von rothem, lasterhaftem Despotismus. Aber bei unsern meisten Sympathien ist etwas Laster. Selten ist Jemand so tugendhaft, daß er die Suppe ohne Salz äße; ein wenig Sünde ist zu jedem Interesse nöthig.

Ich instruirte das Harfenmädchen, halbe Antworten sollten sie meinem Nachbar romantisch machen, und wenn sie seufzte, so müßte sie nie anders seufzen als »Tuli.«

Es war ein gefälliges Mädchen, und ich eilte zurück, und sagte meinem Gefährten, daß ich überall von dem geheimnißvollen Harfenmädchen sprechen gehört, die man für mehr als ein Harfenmädchen 361 hielte. Er machte Toilette, und lächelte. Als er seine neue seidne Weste anzog, da flog ein freudiger, unausbleiblicher Sieg über sein gutmüthig Gesicht, er wußte es, was diese Weste vermochte, er baute auf sie, wie Cäsar auf seine vierte Legion.

Nun führte ich ihn aus, mit Staunen sah er das Stück großer Stadt, das ich ihm auf den Wiesen und am Markte zeigte, hohe steinerne Häuser, von innen und außen geputzt wie Hochzeitgeräth, fortwährender Sonntag, Jahrmarkt, Bazar, flüsternde Kastanienbäume, unter denen die verrätherischen weißen Kleider sitzen, mit hohen Bergwänden rings Alles verschlossen, vor aller Störniß der Welt geschützt, angefüllt mit allerlei Menschenbildern aus Süd und Nord, der schönste Winkel der Erde zum stillen, behaglichen Glück mit dieser oder jener. –

Und er nickte mit dem Kopfe, und freute sich, besonders da es Abend ward. Ich begrüßte meine Sechs-Wochen-Freunde, die alle Jahre in's Bad kommen, und Freunde brauchen, um beim Brunnen mit ihnen zu reden, wenn's regnet Whist mit ihnen zu spielen, und von den vielen und interessanten Bekanntschaften zu sprechen, wenn sie nach Hause kommen. Es sind die Meubles der Brunnenorte, und ich begrüßte sie mit demselben Interesse, wie ich die Brücken und Straßen von Carlsbad wiedersehe, sie gehören dazu, sonst ist der Ort nicht mehr der alte; 362 wenn ich nichts Besseres zu thun habe, so interessire ich mich für sie. –

Ein weicher, üppiger Sommerabend hing wie ein seidner dunkler Mantel über dem Thale, die wenigen kranken Gäste aßen im Garten, welcher vor dem »Schilde« ist, und wir setzten uns auch dahin. Es schlug neun, und allmählig ward es stiller.

Da erklangen Harfentöne, nicht weit von uns. Nach einem kurzen Präludium mit der verwitterten Melodie. »Hier ruhst du Carl, hier werd' ich ruhn,« änderte sich die Weise, und eine klare, böhmisch teutsche Stimme sang das alte Lied. »Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten.« –

Der Nordteutsche stellte die Pfeife bei Seite, und faßte mich kräftig und bewegt bei der Hand. »Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten,« o, ich kenne das Lied, obwohl ich nicht musikalisch bin lispelte er.

»»Es geht auf den liebesabeuteuerlichen Henri quatre«« sagte ich, und ging leise auf Recognoscirung aus.

»»Sie ist's,« flüsterte ich zurückkehrend – »»Sie sind ein Glückskind – auf!««

Er zog seine seidne Weste gerade und warf einen forschenden Blick darauf, dann schlichen wir nach verschiedenen Seiten fort. Plötzlich blieb ich wie vom Blitz getroffen vor einer andern Laube stehn, 363 und in dem Augenblicke schnappte drüben das Lied von Heinrich mit der Neuvermählten in der Mitte ab.

Vor mir aber speis'ten zur Nacht mein antiquarischer Professor aus Altenburg, und das reizende Mädchen, das aus dem Fenster gesehn, das neben mir im Postwagen geweint hatte und Nachts in Zwickau von dannen gefahren war mit der unglücklichen Mathilde, das Erinnerungsbild meiner Liebe aus der Sakristei.

Himmel, was war die Erde und das Mädchen schön in diesem Augenblick, was sprang mir für eine Freude vom Auge in's Herz, und auch der Professor sprang mir entgegen und fragte mich nach dem hämorrhoidalischen blauen Steine in Freiberg. Und als ich ihn mit Mühe zufrieden gestellt, erzählte er mir, daß ihm in dem Gewirr des Prinzenraubes an der Post in Altenburg seine Nichte abhanden gekommen sei, die er dort habe abholen wollen. Selbige Nichte hätte aber beabsichtigt, ihn zu überraschen, da sie ihn beim Vorüberfahren im Postwagen gesehen, und sei vor seinen Augen eingestiegen, in der Meinung, er folge ihr. Das habe er aber Alles in der Angst um den blauen Stein nicht bemerkt, sondern habe hinterdrein sogleich Extrapost nehmen müssen, als er inne geworden, was vorgegangen sei. Die Nichte aber durch eine äußerst unglückliche Freundin, die sie auf dem Wagen getroffen, 364 völlig in Beschlag genommen, habe erst bei grauendem Morgen erkannt, daß der Onkel fehle, habe sich ein Herz gefaßt und sei allein hinübergefahren nach Carlsbad, vor einer Stunde sei sie angekommen, vor zwei Stunden er, und die Nichte sei die junge Dame, welche er mir vorstellte.

Sie sah mich mit jenen klaren, fragenden Augen an, welche die Unbefangenheit so gefährlich machen – ach, das ganze Mädchen war ein so frisches, glänzendes Jungfrauenauge, daß meine in dichtem Papierstaub lange verhüllte Seele hoch auf die Flügel schlug, und ich mußte es ihr sagen, wie wohlthuend ihr Anblick auf mich eindringe. Ich wußte mir nicht zu helfen, aber sie mußte mich ihre Hand küssen lassen.

Und sie ward nicht einmal roth, so harmlos und natürlich war sie, und gewährte mir lachend beide Hände, und als ich's zu arg machte, schlug sie mir eine charmante Ohrfeige.

Sie meinte, mich schon gesehen zu haben, ich meinte es noch viel mehr, und erzählte ihr mit unendlicher Seligkeit meine Liebschaft während des Christenthums in der Sakristei, und dabei wurde ich so gerührt, daß mir das Wasser in die Augen trat, und aus liebenswürdiger Gefälligkeit ließen sich's ihre Augen auch gefallen, und ich sagt' es ihr rund und aus ganzer Seele, daß sie auch in einer Sakristei 365 das Christenthum gelernt haben müsse, und daß ich ihr sehr gut sei.

»Sie sind gewiß auch ein guter Mensch,« erwiderte sie, und fuhr mir leise und sanft mit ihrer flachen Hand über den Mund. Der Papa, der dabei stand, und gedankenvoll mit Kreide auf den Tisch Figuren malte, richtete sich jetzt auf, und meinte, wir möchten schlafen gehn.

»O, Professor,« sprach ich, »warum sind wir keine vernünftigen Heiden, und ihre erste Person Pluralis würde eine Wahrheit, sei's auch nicht länger als die französische Charte.« –

Marie unterbrach mich; ich fürchtete, Marie sei ein sehr kluges Mädchen.

Wir gingen durch den Garten, und begegneten plötzlich dem ganz von mir vergessnen Harfenpaare. Zu meinem Erstaunen ging der Nordteutsche ernsthaft mit dem Mädchen auf und ab. Das »Auf« und das »Und« schien mir sehr überflüssig. Er sagte sogar laut und vernehmlich »Guten Abend.« Marie fragte mich, ob ich denn schon Bekannte habe. Ich erzählte ihr mancherlei von Zwickau bis Karlsbad. Sie sah mich mit großen Augen an, und der Professor sagte, sie erwarte auch ihren Bräutigam hier.

»Nicht doch Papa!«

Wir schieden. – Das verzweifelte Heurathen, die Menschen morden also meine Freuden mit dem 366 Worte. Nur ein Volk, was nicht frei sein will, spricht bei jedem schönen Mädchen dieses Bannwort, diese Exkommunikationsformel aus, damit ich alsbald mein erfreutes Auge wie ein armer Sünder niederschlage.

Da sprang sie nun im Galopp hinein, in meine junge Neigung zur rosenfrischen Marie, jene Hast, welche die Schönheit und die Ruhe und des Olympos Glück zu Tode hetzt, und welche nichts dafür gewährt als eine schwindsüchtige modern-romantische Spannung, einen nervenquälenden Wechsel.

Ich lief hinaus über die Wiesen, hinaus auf die Berge, das ganze Thal, meine Seele war mir zu eng. Alle Augen schliefen, die letzten lichten Fenster schlossen ihre Lieder, in Karlsbad hebt der Tag mit der Sonne an, und schließt mit der Sonne, es sind da lauter Sonntage. Ich wollte meinen Körper ermüden und stieg immer bergauf, bergauf. So kam ich mit dem Monde zu gleicher Zeit auf dem Dreikreuzberge an. Der Herr Christus, leider Gottes einziger Sohn, hängt dort zwischen den beiden Schächern. Ich, ein dritter Schächer, setzte mich auf die Bank an den Kreuzen, und dachte an mein Kreuz, und der Mond blies seine lichten Backen heller auf – an das Kreuz der Menschen, die da unten in den Thälern und auf den Bergen wohnten, und fragte den schwarzen Himmel: »warum 367 Kreuze? Sind die Sterne, das heißt die Glückssterne, nicht eben so wohlfeil?«

»O Jupiter, warum logst du einst Unsterblichkeit, wenn du wirklich nichts weiter warst als ein Don Juan, den am Ende der christliche Teufel holte. Da unten ihr Schläfer aus Rußland und Frankreich und England und aus Grusien und Armenien, und vor allen Ihr Schläferinnen, die ich noch mehr liebe, weil Euch die passive Unterwerfung natürlicher ist, wacht auf, reklamirt die unbeschönigten olympischen Freuden, die ihr als Sünden stehlt, kommt heran, ich bin über Euch, laßt uns die Schächer in's Thal Hinnon werfen, emancipirt nicht blos die Juden, sondern die natürliche Kraft, vertilgt die Furcht und ihre Tochter, die Heurath von der Erde. O, Jungfrau Maria, die du eben erst schlafen gegangen, die du keine Heurathspedantin warst und bist, stehe Du mit auf, und tröste mich auf dem Dreikreuzberge, den Professor nehm' ich auf mich. Mond leuchte ihr bei Gruithuisens Zorne. Ich will dich küssen, Mädchen, daß deine Seele jauchzt in Beethovenschen Melodien, und dein Auge untergeht in Seligkeit, daß dein Herz reicher wird und klüger als aller Professoren Weisheitsmund, denn ich fühle Kraft und Reichthum in mir, mehr als die arabischen Zahlen zählen, und wir wollen auf dem Dreikreuzberge ein neues Liebesreich stiften, in 368 welchem die Furcht unbekannt sei, und in welchem die gestorbenen Worte: »Freuet Euch unter Furcht und Zittern« umgewandelt werden in die lebendigen: »Freuet Euch unter Jauchzen und Küssen und mit Kourage.« – – –

Diese frevelhaften Worte schreibe ich an Christi Geburtstage, den wir Weihnacht nennen, in der christlichen Stadt Leipzig, und wenn ich mit dem Kapitel fertig sein werde, so gehe ich in's Hôtel de Bavière, und esse unbefangen Rossbeaf und brennenden Pudding, und es wird mir schmecken, als sei nichts vorgefallen, und Niemand wird mir's ansehn, was ich begangen. Ich sehe aber auch das Geschriebene nicht mehr an, sondern gebe es mit abgewandtem Gesicht dem Burschen für die Druckerei, denn ich habe mir gelobt, die Wahrheit zu sagen, sie mag klingen, wie sie will. Es trieb mich der Geist, also zu sprechen in jener schönen Nacht auf dem Dreikreuzberge, und wenn ich nicht das Beste vergessen hätte, so spräche der Geist noch tollere Dinge.

Wahrscheinlich war ich trunken von Maria's Augen, und die guten Freunde der Knechtschaft, welche von mir sagen werden, ich sei ein besoffner Frevler, dürften nicht ganz Unrecht haben. Aber besser bin ich doch, als sie gern die Leute glauben machten, denn ich schreibe dergleichen nur, damit sie etwas Neues haben zur Verketzerung meiner Sippschaft.

369 Bin ich nicht sehr menschenfreundlich. O, ich habe immer ein königlich Ergötzen an den plumpen dicken Fingern, mit denen sie unsere zweischneidigen Worte anfassen, denn nur die Klügsten unter ihnen wissen, daß sie zweischneidig sind, und daß man Handschuhe dazu anziehen müsse, und daß ich endlich ein Wolf in Schaafskleidern sei, und unter der schwarzen Robe einen düstern Karbonarimantel trage.

Die Zeit und das Tuch ist theuer, wer wird sich alles stehlen lassen, namentlich unter stumpfen Gesellen, die auch das Gestohlene nicht reizt. Und wer mich nicht im Dunkeln an der Stimme kennt, der versteht mein Wort auch nicht am Tage. Die faulen, bequemen Bäuche bewegen kein Sandkorn, und die schlanken haben seine Sinne.

Ich bin auch schlank, und sah tief hinein in das mondhelle Karlsbad, dessen vornehme, egoistische Augen aus der Tepel verdrießlich herausblinzelten. Es sieht von der Höhe des Dreikreuzberges aus wie ein christliches Jerusalem, das sich vor den Muselmännern versteckte mit seinem weißen, reinlichen Viereck der beiden Wiesenstraßen, welche schlanke Brücken verbinden, wie eine zierliche Stadt von Pappe. Als kleine Buben bauten wir uns sogenannte Krippel, das heißt, wir steckten auf grünes Moos ein papiernes 370 Jerusalem und Bethlehem. Da durfte der Tempel Salomonis nicht fehlen und der Stall mit dem Ochs und dem Esel und den drei Königen aus dem Morgenlande und mit dem Stern darüber, und die Hirten bei ihren Hürden knieten auf dem Felde, und die Engel, auf langen Drähten in der Luft fliegend, bliesen lange Trompeten mit unglaublich dicken Backen. Eine Straße mit weißem Küchensand legte ich immer an, welche nach dem Tempel führte, es mochte eine dunkle Ahnung in mir sein, daß man nur mühsam in der Welt zum Allerheiligsten käme, und blasse, schweigsame Menschenbilder steckten wir an die Wege, welche Schafe, Tauben und anderes unschuldiges Vieh zum Opfer nach der Stadt trugen, und dazu sangen wir, wenn die dünnen Wachslichter brannten, und düster christlich das Stück Palästina erhellten, melancholische Weihnachtslieder von der Krippe und den Windeln.

Wie jenes Krippelbild lag Karlsbad in christlicher Mondbeleuchtung unten, und die Tepel war die weiße Straße von Küchensand, und die Menschenbilder mit den schuldlosen Thieren im Arm sah ich hinter den schwarzen Fenstern schlafen. Das kleine Christkind aber sah mich aus dem Dämmerlichte mit der Ahnung seiner grundlosen Liebe und den schmerzlich süßen Augen der Kindheit so tief beweglich an, daß ich die Gedanken meines frivolen Bluts vergaß, und still 371 hinabstieg, und, Marias gedenkend, wie eines jungen Engels, mich zu Bett legte.

Und so beweglich ist des Menschen Herz, so romantisch sind wir gewöhnt, daß ich jetzt andächtig und mit geringem Appetit in's Hôtel de Bavière gehe zu Rossbeaf und brennendem Pudding, was doch so gesunde englische Gerichte sind. 372

 


 

Am andern Morgen verschlief ich's natürlich, zu rechter Zeit an den Brunnen zu kommen. Die Brotstudenten des Karlsbader Wassers gingen schon heim, als ich mich einfand; doch wogten noch große Massen auf dem kleinen, mit zierlichen Quadern belegten Platze vor dem Mühlbrunnen, und die Treppen hinauf, die lange Wandelbahn entlang, auf den Terrassen des Theresienbrunnens, und die Musik spielte noch rauschend die verführerisch sinnliche, spanische Wollust athmende Ouvertüre zum Don Juan.

Es ist mir immer, wenn ich diese Musik höre mit ihren weichen und doch hie und da so stolzen, zierlichen, übermüthigen Rhythmen, als müßte ich das nächste schöne Mädchen bei der Hand nehmen, und sie da hinführen in gemessenen, hüpfenden Tanzschritten, wo man die Schönheit der Welt übersieht, und sie küssen mit Lichtstrahlen und 373 Freude, daß die Gottheit uns aus Augen und Lippen sprüht.

Der Morgen war hochgolden, seine blaue Nebel flohen wie verspätete nächtliche Träume vor der Sonne hin durch die Thalschluchten, die alten morschen Berge trockneten sich die bärtigen, bethauten Gesichter in der sich ausbreitenden Morgenwärme, auch der Dreikreuzberg sah verjüngt aus, und als wüßte er nichts mehr von der wüsten, unchristlichen Nacht. Er hatte Alles vergessen, und das ist so schön an der Natur, das ist ihre romantikfeindliche Romantik, daß sie Alles vergißt, und alle Morgen frisch, jung und neu aussieht. Sie ist der Phönix der Alten, die Poesie der Jugend, und das ist noch mehr werth, als die Poesie des Alters, die wir Romantik nennen.

Ich sah mit jenem jungen Morgenbehagen in die wogenden Gruppen, was so viel Lust zum Leben in sich trägt. Groß und Klein, Hoch und Niedrig strich nebeneinander hin, als sei die gestrige Welt zu Ende, als hätten Staaten und Gesetze, die Krücken der Menschen, aufgehört, nöthig zu sein. Neu-Griechenland sah ich vor mir, und unter den Säulengängen Athens das alte Geschlecht, was all seine Sünden vergessen hatte, und wiedergeboren war. Ich stand einen Augenblick still, um das nächste Mädchen, was kommen würde, zu umarmen. Einem 374 katholischen Priester mit den blanken, steifen Stiefeln, den kurzen, prallen, verschwiegenen schwarzen Beinkleidern, dem neugierigen, weltlich lüsternen, schmalen weißen Streifchen über dem schwarzen Halstuche, einem solchen Priester mit dem glatten, glänzenden Gesichte, von dem die Enthaltsamkeit in ächt katholischem Fett widerstrahlte, wünschte ich Glück, daß der Cölibat zu Ende sei – da kam Maria in einem fliegenden schwarz seidnen Ueberrocke; frei wie eine übermüthige neue Griechin trug sie auf dem schönen weißen Halse den schalkhaften, blitzenden Kopf. Ich wollte hastig auf sie zu, der Nordteutsche trat zwischen uns, und hinderte mich an dem dummen Streiche, den ich gewiß gemacht hätte.

Er sagte mir, ich sei ein Träumer, der den Tag verschliefe, und Maria sei die romantische Liebe seiner Jugend, und die Dame im bunten Mantel mit dem behaglichen Gesichte sei seine Schwägerin, und der Professor, der dort drüben seinen Brunnen trinke, sei sein baldiger Schwiegervater. All' die Erkennungsscenen hätte ich verschlafen.

Neu-Griechenland ging mir unter. Ich hatte kaum die Kraft, leise nach dem Harfenmädchen zu fragen, er runzelte die Stirn, und meinte, da liege der Mittelpunkt des Gewirr's, er ahne eine tiefe List, Maria sei schön, aber zu jung, und blondes 375 Haare würden schwarz, das Harfenmädchen sei die Hauptperson, und so leicht sollte man ihn nicht täuschen, er werde seine Rolle spielen, und Alle überlisten.

Ach, ich hatte alle Spannkraft zum Scherzen verloren, und ließ ihn gehn, und lehnte mich an die Mauer.

Manchmal hab' ich mich gewundert, wie die Poeten ihre größten Menschen, die nach der Welt Wurzeln und äußersten Gipfeln jagen, die den Gott mit Steckbriefen verfolgen, gleich dem Faust und seinen Genossen, wie die Dichter bei solchen Leuten der Liebe so großen Einfluß gestatten, ja wie sie ein Paar blaue Augen zum Mittelpunkte eines Lebens machen konnten, das nach dem Urquell alles Lebens lechzt. Was ist eine kleine warme, weiße Hand, was ist sie einem Himmelsstürmer. Ich hatte meine dummen Stunden, wo ich, angesteckt von meinen Umgebungen, solche Fragen aufwerfen konnte. Jetzt weiß ich's besser, denn ich weiß, daß ein geheimnißvolles Mädchenauge, und eine kleine, warme, weiße Hand mehr sind, als Alles Andre, denn sie sind das Geheimniß des Glückes. Ich frage nicht mehr: warum immer und immer wieder Mädchen und Liebe? wie mancher gute Bürger fragt, ich frage nur: Warum nicht mehr Liebe?

376 Wie war nur eben Karlsbad und der Morgen und die Welt schön gewesen, wie waren die Gedanken von meinem neuen Griechenland in mir herumgehüpft – jetzt war Alles vorbei, weil man einen bunten, liebenswürdigen Vogel in ein plumpes Bauer sperren wollte.

Ach, die dummen, dummen Menschen, Alles ist Geschäft, Geschäft und Berechnung. Tief verstimmt, ja traurig drängte ich mich durch die Massen hinauf nach der Terasse über dem Theresienbrunnen. Dort ging ich auf dem dritten Einschnitte langsam auf und ab. Das ist den Leuten zu hoch, und man kann ungestört hin- und hergehen. Unter sich sieht man die murmelnde bunte Masse hin- und herziehen. Drüben, hoch oben über Karlsbad am steilen Bergesabhang kommt in drohendem Sprunge die Straße von Prag daher, und beherrscht wie ein vorüberfliegendes stolzes Mädchen das ganze Thal. Viele meinen deshalb, man müsse nur nach Karlsbad reisen, um da anzukommen, denn es muß ein überraschender Siegestaumel sein, wenn man plötzlich aus den Bergschluchten heraus auf diese übermüthige Abhangsstraße gelangt, und ein fabelhaftes Thal mit einem Stück Residenz und hin- und herfluthenden, geputzten Menschen zu seinen Füßen sieht.

Ach, ich wollte mein Herz zerstreuen mit der 377 Prager Straße, aber ich sah Niemand davon fahren, und in den Bergschluchten verschwinden, als Maria, die morgenfrische, an der Seite des Nordteutschen mit der seidenen Weste. Und Maria hatte einen dichten weißen Schleier über das Gesicht gezogen, ich sah dies tröstliche Antlitz nicht wieder. –

Nur die verheuratheten Leute werden sich wundern, wie Romeo und Julie so schnell sich finden konnten, ich hatte Maria kaum gesehen. Eben darum war ich doppelt unglücklich. Ich war an jenem Morgen auf der Theresienterasse nicht mehr so jung, daß ich vorher noch kein Mädchen geküßt, kein Glück erfahren hätte, aber der Strahl hatte nie so plötzlich gezündet, ich hatte meisthin lieben gelernt. Nun ist das zwar eine schöne Wissenschaft, aber die plötzlich empfangene Kunst, das blitzschnelle Genie ist mehr als Wissenschaft. Bei Marias Anblick hatte mein Herz wie ein Genie empfangen, und das war meine unendliche Freude, die mich trieb, das Mädchen mit Gefahr des Lebens an meine Brust, an meine Lippen zu reißen, und sie vor allen gewöhnlichen, tugendhaften Händen zu bewahren. Mein Herz und meine Lippen waren aber besser als alle andern Marien gegenüber, denn sie hatten die Schönheit und Liebenswürdigkeit des Mädchens am schnellsten empfunden.

Ich hätte weinen mögen, ob aus Trauer oder 378 Aerger wußt' ich selbst nicht. Voll Vorwurf und Betrübniß sah ich starr in den Morgen hinein.

Da stand Maria vor mir mit des Nordteutschen Schwägerin, und Maria redete mich an, und mein Herz brach zusammen vor ihren frühlingsweichen Worten, ich hatte Mühe, meiner Thränen Herr zu werden. Als die Schwägerin sich nach einer Blume bückte, flüsterte ich ihr liebesfeucht, wie sie mir aus dem Herzen kamen, die Worte zu: Mädchen, ich liebe Dich unsäglich.

»Das weiß ich,« sagte sie laut, und stellte mir die Dame als eine Landsmännin vor, mit der sie alle Wochen lustige Briefe wechselte. Und diese Dame war wirklich ein heitres, witziges Wesen, mit einem jener unveränderlich hübschen Frauengesichter, von denen Alles spurlos abgleitet, wie von glattem Marmor. Sie behauptete, mich zu kennen, und nannte mir den Ort, wo ich auf der Schule gewesen sei, nannte mir dasige Familien, mit denen ich verkehrt, unter andern auch jene, wo ich schwarzen Peter gespielt und fünf Jahre stumm geliebt hatte.

Das überraschte mich nicht wenig, und bunte Kombinationsgedanken fingen an, in mir zu schwirren. Aber das nahe Unglück verscheuchte Alles: der Nordteutsche und der Professor traten heran, und jener geberdete sich wie ein Bräutigam, dieser wie ein besorglicher Schwiegervater. Maria fragte mich, ob das 379 nicht der Herr sei, welcher gestern Abend mit dem Harfenmädchen promenirt wäre. Ich wußte nicht, ob ich die Kameradschaft verletzen sollte, und zögerte, der Nordteutsche bejahte aber selber lächelnd. Der Professor machte ein aufmerksames, die Schwägerin ein ernstes Gesicht, man sprach aber nicht mehr darüber.

Wir gingen frühstücken. Auf der alten Wiese war unter den Kastanienbäumen eine lange Reihe von buntbedeckten Tischen aufgeschlagen, der Kaffee dampfte, die weißen Brötchen lockten, Alles genoß; das Frühstück ist in Karlsbad der erste und schönste Kuß des Tages nach der Sehnsucht der Morgenfrühe. Der Brunnen erzeugt nämlich einen energischen Hunger. Auch wir ließen uns da nieder, und genossen.

Ich konnte meine Traurigkeit nicht überwinden, und sah Marien oft mit schmerzensreichen Blicken an. Als wir aufstanden, flüsterte sie mir zu, ich möge mich nicht so jämmerlich geberden, und mich umsehen, an jedem Tische säße etwas Schönes, dem die Liebeshoffnung auf den Augenwimpern ruhe. Man ist wirklich wie auf einem fortwährenden Balle in Karlsbad. Da ließ sie einen kleinen seidnen Shawl, den sie in der Hand trug, entgleiten, ich hob ihn auf, sie faßte beim Hinnehmen einen Finger von mir und kniff ihn unter schalkhaftem Lächeln mit ihrer kleinen Hand und sprach: »Courage, Monsieur!« 380

 


 

Am andern Tage hatte ich's wieder verschlafen, und zu meinem Schrecken erfuhr ich, daß die Gesellschaft eine Partie unternommen, und vergeblich auf mich gewartet habe. Das Fräulein habe vorgeschlagen, mich wecken zu lassen, der Vorschlag sei aber verworfen worden. Der Kellner sagte, sie habe in aller Eil' auf ein kleines Zettelchen für mich geschrieben, und suchte darnach in allen Taschen. Ich brannte vor Ungeduld, hoffentlich stand das Ziel ihrer Reise darauf, was die Domestiken nicht kannten, und ich konnte ihnen nacheilen, oder es war ein freundliches Wort des Trostes – endlich fand der unanständige Mensch das Papier. Mit Bleistift geschrieben fand ich die kaum leserlichen Worte: »Vous êtes du genre des sept dormans.«

Ich war so verdrießlich, daß ich alle Brunnengäste hätte durchprügeln mögen. Den ganzen Tag über 381 schlenderte ich herum; es ward Abend und sie kamen nicht, es ward noch einmal Abend, und sie kamen nicht. Aus Langerweile und Verzweiflung machte ich lauter Bemerkungen über die Brunnengäste, und schrieb sie auf.

Wenn man unbefangen ist, kann das Zusehn in Karlsbad auf ein Paar Tage interessant sein, denn man sieht alle Parteien unsrer stürmischen Tage durch einander laufen, bald wird das Interesse aber matt, weil alle Parteien hier faullenzen. Es stumpft sich ab, wie das für einen Dichter, mit dem man täglich verkehrt, und der nichts mehr producirt.

Es ist eine allgemeine europäische Klage, daß Parteien die Welt zerrissen, sie unruhig, ungenießbar machten. Aber Stahl allein erzeugt kein Feuer, man braucht Stahl und Stein, die Parteiungen fördern eine Entwickelungsepoche, welche das zu erobernde Terrain theoretisch absteckt. Nur der That, der Eroberung selbst sind sie nachtheilig; alle europäischen Länder, Polen voran, sind dafür der sicherste Beweis. Ihr Treiben hält den Sieg einer Wahrheit auf, aber es klärt, läutert die Wahrheit selbst. Die betheiligte Generation verliert immer durch Parteiungen, die Weltgeschichte gewinnt.

In einer Aeußerung der Gesellschaft aber, in der Geselligkeit, bleiben sie unter allen Umständen Gift. Man sieht das nirgends deutlicher als in Karlsbad. 382 Dieser Brunnenort ist das millionenfach verkleinerte Spiegelbild, das Schachbrett Europas.

Karlsbad ist Klein-Indien; es theilt sich nicht nur Adel und Bürgerthum, sondern beide zerfallen wieder in eine Menge Schubladen.

Ich habe auch Unrecht, wenn ich sage, daß alle Parteien faullenzen: Die höhere adlige ist hier sehr thätig, das heißt sie thut das, was heutiges Tages That bei ihr genannt wird: sie reitet, fährt, tauscht Pferde, spreizt sich, ist bauernstolz, und doch wohl am Ende dabei gutmüthig. Ein moderner Christus würde ebenfalls diesen Jehoviten gegenüber lehren: Leute vergebt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.

Wenn diese Partei auch längst vergessen sein wird, in Karlsbad wird man Exemplare davon finden, denn hier ist ihre teutsche Zufluchtsstätte. Und ich hoffe es mit all' meinen Sympathien, in welchen der reiche Adel seine Kinder aufzieht, daß ihr Depot so lange aushält, als ich nach Karlsbad pilgre, denn ich brauch sie äußerst nothwendig. Erstlich lieb' ich die schönen Mädchen, und unter der göttlichen Faulheit und Behaglichkeit gedeiht das Mädchenfleisch vortrefflich. Es giebt eine Schönheit, welche ohne einen gewissen Grad von Dummheit nicht bestehen kann. Diese schönen adligen Mädchen zu Karlsbad will ich nimmer lieben, ich will sie nur sehen, mein Schönheitsgefühl daran weiden. Wenn mir das 383 Unglück begegnete und ich alt würde, so zög' ich doch noch gen Karlsbad, und setzte mich auf jene Bank beim Elephanten auf der Wiese, um mein altes ästhetisches Herz zu erfrischen für's ganze Jahr an adligen Formen.

Denn – und das ist zweitens – das Bürgervolk, wofür man arbeitet, denkt, und über Kurz oder Lang auch stirbt, das taugt zur Schönheit nicht; man braucht nicht nur Muth, man braucht Kühnheit um schön zu sein und schön zu erscheinen. Ich reise zweitens nach Karlsbad, um die Kaufleute, und alle die Rechenmeister zu vergessen, welche keinen andern Genuß als den Vortheil kennen, und Gottes Welt, und die Freude und alles Große zerrechnen und zerkalkuliren, ich reise nach Karlsbad, um dreisten Adel zu sehn, der nach fröhlichem Genuß trachtet, um dem beginnenden, trostlos vernünftigen Nordamerika, was sich zu bilden anfängt, zu entrinnen.

Im Emigrantenasyl zu Karlsbad spiegelt sich die römische Aristokratie, als sie nahe am Verscheiden war, und die ersten Triumvirate entstanden. Es steht hier obenan der französische, russische und böhmische Adel. Am ungeberdigsten ist der russische: er poltert mit scythischer Rohheit, ungebändigtem Uebermuthe, plumpem Reichthume, häßlicher Pracht hier herum, man wird an die Völkerwanderung, den säbelbeinigen schmaläugigen Attila und seinen Neffen Suwarow, 384 an Genserich den Vandalen erinnerte, welche Italien, das Land der Kultur geplündert haben, und mit schmutzigen Händen aus goldenen hetrurischen Schüsseln essen, mit ungewaschnen Mäulern aus Bechern von Kapua oder Sybaris schlürfen.

Eine gewaltige Masse solcher Tartarkhans giebt's gewöhnlich in Karlsbad; man hört Namen, die sich grollend wie die Wolga um's Ohr wälzen. In blitzenden Equipagen jagen die Gallizin, Trubetzkoi, Razomowkoi, und wer weiß wie viele Koi und Kow vorüber, und die kleinen kothigen Pferde mit dem unartigen Geschirr klappern wie spöttisch lächelnde Kommentarien vor der Herrlichkeit einher, und erinnern an die süßen Kosacken und Kalmücken. Die bestialischen Kutscher und Pferdeknechte bekunden den ungeleckten hunnischen Ursprung. Nur was zur Diplomatie gehört, hat in Paris studirt und glänzt in Civilisationsfirniß. So Ribeaupierre, sonst Gesandter in Konstantinopel, jetzt in Berlin, also des Czaaren Liebling, ein wohlbeleibter, feiner, hübscher Mann mit einem verbindlichen Gesicht trinkt langsam in kleinen Zügen von seinem Becher Neubrunn, und spricht links und rechts artig und freundlich.

Und ich glaub' es nimmermehr, daß jene graziöse Dame mit der bezaubernden Romantik im dunkel beschatteten Auge, mit der blendend weißen Schulter, mit der verführerischen Hand und dem französischen 385 Fuße, mit der civilisirten Melancholie in den weichen Zügen und der schlanken Figur, daß jene liebreizende Stroganof eine Russin sei.

Und doch versichern mich gründliche Kenner, daß man in Rußland neben der niedrigsten Rohheit die größte Schönheit, und was mehr sagen will, die allergrößte Liebenswürdigkeit finde. Es sei ein Land der Pole.

In ihrem schönen, elegischen Gesichte habe ich täglich gelesen wie in Tiecks Genofeva, und ich glaubte die ganze stürmische Geschichte darin zu finden, als ihr Gatte Gesandter zu Stambul war bei Ausbruch des Griechenkrieges, und die wuthschäumenden Moslems den russischen Adler von seinem Hotel reißen und den Ambassadeur stranguliren wollten.

Ich glaubte immer Thränen in der Schönheit ihres Gesichts zu sehen, und ich komponirte mir ein Gedicht, wenn ihr Gatte die Thür des Balkons aufreißt und hinaustritt vor die Augen der brüllenden Menge in den Bereich der auf seine Brust angeschlagenen Janitscharenröhre, und das Volk haranguirt – da sah ich das schöne, liebende Weib in Verzweiflung auf die rothseidnen Polster fallen, ich sah's wie sie sich aufrichtete bis auf die Knie, wie sie die schwarzen Flechten zurückwarf in den Nacken, und die weißen, schönen Arme ausstreckte nach ihrem Gatten, und die Gefahr mit ihrer Schönheit beschwor. Ich 386 sah's, wie sein Muth gesiegt, und er unverletzt zurück in's Zimmer trat, sah's, wie sie ihm in die Arme stürzte und die Thränen heiß und unaufhaltsam aus den Augen brachen.

O, ich wollte, alle Staaten hätten immer so entschlossene Männer, wie sie Rußland an allen wichtigen Punkten hat, und ich wollte, es liebte mich ein so schönes Weib, und weinte wollüstige Thränen um mich, um dieser Thränen willen würd' ich tausend Janitscharenröhren trotzen.

Das Weib und die Liebe, das ist ihr Blut, erzeugen die Heldenthaten, nur die Begeisterung für die Kultur gehet noch darüber, und zeugt die großen Thaten, aber es ist dieselbe Familie, auch die Begeisterung stammt von der Liebe.

Bei solchen Gedanken sah ich der schönen Frau unverwandt in's Gesicht, und wie ein Heiligenbild ließ sie es geschehen, bis sie lächelte. Da ward ich vernünftig, und nahm meinen Hut ab, und sie sagte mit ihrer schönen Stimme: »Bon jour Monsieur!«

Dieses »Bon jour Monsieur!« tröstete mich ob Maria's, und ich vergaß meiner Sehnsucht, wenn ich dies Frauengedicht mit dem lieben, durch und durch gebildeten Antlitze unter den plumpen Landsleuten umhergehen sah, wie Eurydice unter den Fratzen des Orkus.

Uebrigens ist diese russische Partei der Meinung, 387 sie herrsche in unsern Bädern wie zu Moskau; in ungeschickt schwer seidnen und sammtnen Gewändern schleifen und schleppen sie ihre Herrlichkeiten um die Brunnen her, und lassen sich von der hohen böhmischen Noblesse und den Altfranzosen den Hof machen.

Letztere anlangend, so ist Böhmen allerdings Neu-Koblenz geworden. Der Erkönig Karl zieht von einem Orte zum andern, um den regierenden Herrn aus dem Wege zu gehn – es ist ein tragischer Anblick, daß der alte Mann der Kirche und des Throns nicht einmal das entblößte Haupt ruhig niederlegen darf, selbst hier ist er überall im Wege. Sogar die Gläubiger verfolgen ihn von allen Seiten, Pfaffenhofen war mit schweren Forderungen im Anzuge, und der österreichische Kaiser, der kein leichtes französisches Schuldengewissen hat, und seine Privatbedürfnisse, die Schuster- und Schneiderrechnungen u. s. w. prompt bezahlt, soll sehr lebhaft wünschen, daß solche fatale Geldverhältnisse nicht in seinem Lande zur Sprache kämen. All' das erträgt nur ein ächter Bourbon mit stoischem Gleichmuthe, der auch in Schmach und Elend weiß, daß er der ächte König Frankreichs sei. Man verfolgt und verspottet den Wahn dieser Bourbonen, und vergißt, daß es seine Religion ist, man vergißt, daß alle Kämpfe unsrer Tage die alten Glaubenskämpfe in neuen Kleidern sind.

Dort ist absoluter Katholizismus, hier neu 388 gestalteter Protestantismus; der zehnte Leo hieß diesmal der zehnte Karl, Wittenberg Paris, Tetzel Polignac, die Bullen hießen die Ordonanzen, das alte Pariser Stadthaus ward die Wittenberger Schloßkirche und Lafayette spielte den humanern, und darum unkräftigern Luther. Und auf Religionskriege meinten wir doch immer vorbereitet zu sein, und wir wollten nicht mehr fanatisch mit einander umgehen, und einander nicht todtschlagen, weil wir über Dies oder Jenes verschiedene Gedanken hätten. Und doch – –

– Es wäre doch sehr traurig, wenn man den Mord und Todtschlag durch Politik und Justiz noch lange bestehen ließe.

Chateaubriand, der Karl X. in Töplitz besucht hatte, um die Entbindungshochzeit, das geborne Impromptü der Herzogin von Berry auszugleichen, hatte sich nur einen Tag in Karlsbad aufgehalten, und war fort – fort war mit ihm das schöne silberne Trinkgeld, was ich auf den letzten Stationen verschwendet hatte, um ihn noch anzutreffen. Er kostet mich zwei Gulden Münze, wie soll ich die aus ihm herausschreiben! Wenn ich den Namen Chateaubriand höre, so denke ich immer an einen der zwölf kleinen, und wenn ich etwas von ihm lese, an einen der vier großen Propheten im alten Testament. Es ist ein französischer Jeremias oder Daniel, der unter Ludwig Philipp unangetastet in der Löwengrube sitzt 389 und sich den Bart wachsen läßt. Wie jene Juden konstruirt er den Staat aus Traumgespinnsten der Gottheit, und eine gesalbte Macht der Rede besitzt er wie jene für den Theokratismus begeisterten Poeten, welche unter den Oelbäumen saßen und hineinschauten in den mysteriösen blauen Himmel und das schweigsame Dunkelgrün des Landes Palästina, und welche man Propheten nannte. Denn in der alten Zeit war alle Dichtkunst Weissagung, wie sie's denn auch wirklich ist. Daß man nicht allen Weissagungen glaubt, ist etwas anderes, und gar nicht so dumm.

Bei dem Worte Chateaubriand denke ich auch immer an Heinrich Heine, und wenn ich an Heine denke, so sehe ich eine indisch wollüstige Welt, welche ein kleiner Despot regiert, der all seinen bezaubernden und peinigenden Launen den Zügel schießen läßt, und dem ein schönes Wort mehr gilt als ein gutes, und der deshalb die Monarchie liebt. Alles in jener Welt spricht aber in stolzversigen Worten, an allen Wegen blühen Lotosblumen, und unter den Palmen und Cedern liegen purpurne und goldne Gewänder, und auf diesen die reizendsten Bajaderen, welche Goethesche Lieder singen und die Cymbel spielen, und das Tamburin schlagen.

Heine kann nämlich so schön schreiben als Chateaubriand, ja wenn er eben gut geschlafen hat, noch 390 schöner, denn er ist offenherziger, und sein Herz ist an kleinem lieben Spielzeuge noch reicher. Heine hat auch zwei Vorzüge, die Chateaubriand nicht erreichen kann, selbst wenn er noch einmal zum Jordan reiste: er ist witzig und hinkt nicht. Palästina war immer poetisch, aber niemals witzig, der Witz ist unchristlich; und der Teich Bethesda ist vertrocknet.

– Die französische Adelspartei hat sich völlig in Böhmen angesiedelt, die Prinzen Rohan haben sich Güter gekauft, und sind der sehr richtigen Meinung, besser nach Böhmen als nach Frankreich zu passen. Sie halten mit dem böhmischen Adel alljährlich die Saison in Karlsbad ab, wie der spanische Hof alljährlich einige Monate nach Aranguez ging. Was von guter Familie aus Frankreich kommt, schließt sich all' den erwähnten Notabilitäten an, und spricht von der Vergangenheit. Sie tragen auch noch Ludwigskreuze und schreiben das Imparfait und den Conditionel mit oi.

Als Maria auch den zweiten Tag nicht kam, entschloß ich mich, mit einer Karlsbader Rarität im sächsischen Saale zu essen, wo die haute société an kleinen Tischen speis't. Diese Rarität ist ein vergessener Kammerherr mit einem großen Umfange an Leibesbildung, er trägt einen Orden, zu dessen Erkenntniß man einen Almanach braucht, und spielt, so lange er sich erinnern kann, täglich Whist und ißt täglich zu 391 Mittage. Er kommt alljährlich nach Karlsbad in Begleitung seiner Schwester und einer großen goldnen Tabakdose, aus welcher er nie schnupft. Seine Schwester unterscheidet sich nur dadurch von ihm, daß sie weiblichen Geschlechts sein soll, und die Dose hat ihm der verstorbene teutsche Kaiser Leopold durch die Post geschickt, der Kammerherr ist aber so stolz darauf, weil er heue noch nicht weiß, warum sie ihm der Kaiser Leopold geschenkt hat. Er stellt sie immer neben seinen Teller, damit sie Jedermann sehe und ihn um eine Prise bitte. Alsdann entschuldigt er sich, greift nicht ohne Unbequemlichkeit in die Tasche und präsentirt eine andre Dose, erzählt aber zugleich die Geschichte von der unbegreiflichen Gnade des Kaiser Leopold. Der Kammerherr ist mein guter Freund, weil ich ihn stets, ich mag ihm begegnen wo ich will, zuerst nach der Dose, und dann nach seinem Befinden frage, und ohne Murren die lange Geschichte anhöre.

So saß ich denn mit dieser Rarität und seiner Dose im sächsischen Saale, der Kammerherr sprach, wie er bei öffentlichen Gelegenheiten immer zu thun pflegte, französisch, so sauer es ihm auch ward, als ein starker, mäßig bejahrter Mann eintrat, und mit weiten, nachlässigen aber festen Schritten durch die Gesellschaft bis in eine entfernte Ecke des Saales schritt. Zu meiner Verwunderung stand jeder vom 392 französischen Adel, bei dem der Mann vorüberkam, ehrerbietig auf und grüßte. Der Kammerherr erzählte eben die Dosengeschichte, ich durfte uns're Freundschaft nicht durch eine Zwischenfrage auf's Spiel setzen, und mußte meine Neugier zügeln. Der Herr mit dem teutschen Schritt und dem teutschen Gesicht setzte sich allein an ein kleines Tischchen und begann seine Mahlzeit, ohne sich um die übrige Gesellschaft zu kümmern. Sein Aussehn hatte etwas demokratisch Liebenswürdiges, das kurze Haar fing schon an, weiß zu werden, das Gesicht sah aber noch gesund roth, und scharf gezeichnet aus. ein kräftiges blaues Auge blitzte manchmal harmlos und ohne Gedanken über den Saal hin. Bald vertraute mir der Kammerherr, der Mann mit dem feinen weißen Teint und dem grauen Backenbarte sei Marschall Maison.

Er wird auch von den Altfranzosen mit fernbleibender Artigkeit behandelt, weil er von guter Familie, ein wohlrenommirter Napoleonide mit der Restaurationstaufe, und als designirter Gesandter in Petersburg eine wichtige politische Person ist, und ein Paar Hauptleinen des europäischen Gespanns in Händen hat. Wenn er auch nicht allein vom Bocke fahren darf, so weiß man doch, wie viel auf einen sanften Druck, eine leise Fühlung bei kitzlichen Dingen ankommt.

393 Am andern Morgen traf ich ihn in seinem groben Brunnenrocke beim Sprudel. Hier stach seine Napoleonische Ungenirtheit noch auffallender von dem Wesen der übrigen Franzosen ab: zum Glück liegt der Sprudel mit seiner Promenade von den übrigen Brunnenplätzen abgesondert, und die Emigranten kommen somit wenig mit ihm in Berührung. Sein unbekümmertes Wesen treibt er so weit, daß er mit einem Wiener Freudenmädchen, was er zu seiner Unterhaltung bei sich hatte, öffentlich ausfuhr und mit sonst Niemand umging. Am Brunnen sprach er hie und da leicht, behaglich, bequem, fast humoristisch. Es war namentlich interessant, wie leicht, scherzhaft und sicher er mit den ihm begegnenden Russen verkehrte. Die ganze französische Bravour mit ihrer unermeßlichen kriegerischen Zuversicht lag in dieser wohlklingenden, sorgenlosen Baßstimme und in der Nonchalance seines Wesens. Er hatte die erste Nachricht von Napiers kolossalem Seesiege am Cap Vincent, und theilte sie beiläufig mit, als er einen Becher Sprudel aus der Kelle hob. Die hiesigen Aerzte sollen sehr unzufrieden mit dieser Mittheilung gewesen sein; es ward ein schlechter Brunnentag, voll Diätfehler.

Der dritte Theil, der böhmische Adel, ist alle Jahre derselbe; kommt man oft nach Karlsbad, so wird er allerdings langweilig, aber mit wenig 394 schwerwiegenden Ausnahmen, ist er doch der angenehmste und liebenswürdigste. Er ist zwar ganz von Adel, aber er ist artig, und weil er eigentlich immer in einer mehr oder weniger verdeckten Opposition gegen Wien, das heißt gegen Metternich lebt, so findet man größere Regsamkeit, als man im Allgemeinen erwarten sollte.

Man darf aber doch nirgends die Opposition des Adels mit dem der böhmischen Nation verwechseln, jener hat immer ein kleineres Herz als diese. Die Nation würde frei sein wollen, wenn sie etwas wollte, der Adel will herrschen, und es kommt ihm nicht darauf an, ob das zu Wien in der Burg oder zu Prag auf dem Hradczin geschieht. Er hätte nichts gegen Metternich, wenn das ein böhmischer Kavalier wäre, er haßt ihn nur, weil Metternich kein Böhme ist. Der Adel bringt es nirgends weiter als zu einer Art Brotneid, er will keine Nationalfreiheit, sondern höchstens eine Nationalherrschaft. Und von diesem Gesichtspunkte aus nehmen sie auch Partie für die Polen, alle alten Adeligen Europas. Man darf sich ja nicht täuschen lassen, als hätten sie einmal im Rausche der Tapferkeit für die Freiheit geschwärmt, es war nichts als eine gottlose Adelsromantik, welche ihnen in die leeren Köpfe stieg.

Die Ministerstellen in Wien und das böhmische Vicekönigthum in Prag sind ein starkes Band, was 395 den böhmischen Adel an Oesterreich fesselt, und in diesem Augenblicke nehmen sie um ihres Landsmanns, des Ministers Collowrath willen Interesse am Kaiserthume. Der Sturz Metternichs beschäftigt die böhmische Partei am Hofe und in der Provinz schon seit vielen Jahren, und von Zeit zu Zeit trösten und stärken sie sich mit einem voreiligen Triumphe.

Auch vor Troja war unter den Argivern ein ewiger Neid um die Gewalt des Achilleus, und der schlaue Diomed, der eifersüchtige Ajax, der klugheitmächtige Odysseus trachteten, ihn zu stürzen; aber keiner entdeckte seine Ferse, und als Achilleus endlich vom Feinde fiel, da war auch die Heldenzeit zu Ende.

Wenn der Peleide Metternich einst dem belagerten europäischen Troja gegenüber fallen sollte, so wird ihn kein schlauer Böhme ersetzen, mit einem Helden aus göttlichem Stamme fällt auch sein Jahrhundert, und wenn die tausendjährige Ceder auf dem Libanon unter dem Sturme zusammenstürzt, so zerbricht sie mit dem Sturme Alles, was in ihrer Nähe ist.

Ich will indeß darüber nicht zu bemerken vergessen, daß der böhmische Verstand schlau und empfänglich ist, daß er mit Gewandtheit zu spähen und zu forschen versteht. Aber die Größe erfindet. –

396 Sonst schritten im Gedächtnisse meines Herzens schlanke, hohe Böhminnen einher, mit geheimnißvollem Reiz, verstohlnen kühnen dunkeln Augen, mit verschwiegener Freude eines innerlichen Sinnenfeuers. Dies Jahr war wenig wohlthuende Schönheit unter ihnen zu finden, und die Toilettenkunst entsprach den Anforderungen der Künstlerinnen durchaus nicht. Ich hatte seit langer Zeit nicht so dreist Rouge et Noir spielen sehn, und wenn man in einem Beutel mehrere unächte Münzen findet, so traut man dem ganzen Beutel nicht mehr; eine falsche Karte verdirbt ein ganzes Spiel.

Diese erste Abtheilung verdirbt denn hier auch das ganze Sommerspiel. Nur der beste Adel und bedeutende diplomatische Notabilitäten der konservativen Partei bilden die haute société; schon der zweite Rang des Adels spielt eine ärmliche Genitivrolle und der gewöhnliche Adel fällt der großen Masse anheim.

Eine abgesonderte Partei bilden ferner die unglücklichen Polen mit ihren Häuptern Chlopicki und Skrzynecki, die kurze Zeit zusammen hier waren. Skrzynecki mit seiner hohen, imponirenden Figur, die sich in heroischen Rhythmen vornehm einherbewegt, mit der ganzen einschmeichelnden Romantik seiner weichen, milden Stimme und des humanen Gesichts, mit dem forschenden aber blöden Auge 397 habe ich schon früher beschrieben. Er ist das Bild eines weichen civilisirten Polen, aber die Weisheit ist im Revolutionskriege ein Unglück. Chlopicki ist auch im Aeußeren nichts weiter als ein straffer Soldat, wie er uns zu Warschau erschienen ist. Er hat eine hohe tüchtige Figur, kurzes, weißes Haar und ein sehr bedeutendes rothes Gesicht, auf welchem statt der Gedanken rasche Kommandowörter, schnelle Schwerter ruhen. Mit kurzen polnischen Schritten geht er kerzengerad soldatisch einher, spricht Wenig und geht gleichgültig herum. Von der Granate, welche ihn bei Grochow vom Pferde warf, sieht man nichts mehr, unter der straffen weißen Hose scheint die Wunde vernarbt zu sein, wohl ihm, wenn auch die tiefere unter der Weste verharscht ist. Er verkehrte nur mit einigen seiner Landsleute, und tändelte viel mit einer kleinen, lachlustigen polnischen Frau, und mit der lächelte er auch zuweilen. Sein großes Unglück mag mit seiner Diktaturuniform in irgend einem Koffer liegen; man sieht nichts davon und ist dumm genug, sich zu wundern, daß man nichts davon sieht, daß er wie jeder Andere schlechten Melnicker trinkt und seine weiße Semmel zum Frühstück isst. Er war immer arm wie der Römer Fabricius, der daheim seine Rüben aß; vor der Revolution wohnte er in einer kleinen Dachstube, und trug wie Napoleon einen schlichten grauen Rock. 398 Den Dienst hatte er quittirt, weil man seinen polnischen Stolz beleidigt hatte; aber Constantin, der wilde Korporal, hatte großen Respekt vor ihm, und war sehr artig, wenn er zuweilen auf den sächsischen Platz kam, und die Parade ansah. Die Polen glaubten alle großen und tiefen patriotischen Tugenden Kosciuskos in ihm zu verehren, und holten ihn nach der siegreichen Novembernacht aus seiner kleinen Dachstube, zogen ihm den grauen Rock aus, und bekleideten ihn mit dem glänzenden Rocke der Diktatur. Aber nicht alle stillen Wasser sind tief, und seine einsame Zurückgezogenheit hatte ihn interessanter gemacht, als er's verdiente, er war nicht mehr als ein jähzorniger, gefährlich tapferer Soldat, in seinem Kopfe klapperten nur Bajonette, in seinem Herzen dröhnten nur Kanonen, aber keine moralischen Kräfte, die mehr sind als Bajonette und Kanonen.

Es ging ein einfältiges Gerücht um, er habe als armer Mann nur die einfache Kurtaxe gezahlt, und vier Gulden Conv. Münze, die ganze, für sich zu hoch erachtet. Zu gleicher Zeit erzählte mir ein Mann, der aus Warschau kam, es habe ihn in der Gegend von Kalisch ein Kutscher gefahren, der aller civilisirten Sprachen mächtig und zu seinem Erstaunen von großer Bildung gewesen sei. Nach einigen Stationen habe er erfahren, daß sein Kutscher noch 399 vor zwei Jahren als reicher Edelmann gelebt, und nichts gerettet habe, als zwei polnische Klepper, mit welchen er jetzt durchreisende Kaufleute von einem Orte zum andern fahre, und sein Leben friste.

Aber was ich von Chlopicki gesehen habe, deutete auf zureichende Wohlhabenheit. Der Stolz seiner Landsleute würde auch schwerlich jemals eine solcherweise ostentirte Armuth dulden, sie würden ihrem früheren Diktator vier Gulden Konventions-Münze zusammenbetteln.

Jener Mann, der aus Warschau kam, erzählte mir ferner, daß jetzt nur die Freudenmädchen dort vergnügt seien, wenn der Fürst Paskewitsch einen Ball ankündigte, denn in Ermangelung anständiger Tänzerinnen würden die Tanzsäle aus den Bordellen gefüllt.

Auch der gebrechliche alte Klicki war in Karlsbad, und es macht anfänglich einen wunderbaren Eindruck, wenn man die polnischen Feldherren bei den russischen Generalen, unter denen nur Pahlen einen Namen hat, vorüberstreichen sieht; man glaubt immer, nun müsse etwas geschehen. Bald aber gewöhnt man sich daran, daß diese Leute ohne Aufmerksamkeit neben einander hergehen: es ist hier europäischer Comment suspendu, man ist auf einem neutralen Boden, auf einem andern Sterne, Streit und Zwist bleibt jenseits der Berge, alle fühlen dieselbe Wirkung vom Brunnen. Dies warme Wasser, 400 das wie Hühnerbrühe schmeckt, ist die moderne Lethe. Nur der Stein der Stände widersteht ihm.

Die Klassen der Bürgerlichen falten sich zwar ebenfalls gleich einem Fächer vielfach aus einander, aber sie sind doch durch einen Griff verbunden. Der Kammerherr verkehrt mit dem Kandidaten, und Kandidat heißt doch so viel als: Einer der nichts ist; der Bürgermeister mit dem Schneidermeister. Auffallend ist es, wie viel Patienten Preußen beisteuert; die eminente Regelmäßigkeit seiner inneren Verwaltung muß den Unterleib über die Gebühr anstrengen; es scheint kein Land so reich an ärgerlichen, gallichten Personen zu sein.

Es ist sehr zu bedauern, daß jene äußere Demokratie der Bäder immer mehr verschwindet, nach welcher die Gäste blos als Menschen, so oder so viel Schuh hoch, herkamen, und alle gleich waren vor dem gleichmäßig wirkenden Brunnen, der kein Ansehn des hoch oder niedrig gebornen Magens kennt. Damals, erzählten mir ältere Leute, wo noch alles in Friede und Ruhe bestand, der Vornehme vornehm und der Niedrige niedrig war, da brachte man keine Orden und Auszeichnungen in die Bäder, solche Sachen waren selten und sicher. Jetzt glaubt Jeder, man könnte nicht wissen, ob er morgen noch ein ausgezeichneter Mann sein werde, und man sieht immer nach zehn Schritten einen aufgeklebten Orden 401 oder sonst ein Aushängeschild. Sie nützen die Dinge ab, und machen's wie die Verschwender, welche den Erben nichts lassen wollen. Ohne Aufhören sieht man, daß in dem gelben Manne und in jenem ein grandioses Verdienst an Leberschmerzen leide. Teutschland strotzt von großen Leuten. Diese großen Leute sollten officiell verboten werden, ein kleiner Laie, der in keinen Orden aufgenommen ist, kann leicht durch Reue, Neid, Aerger, Ehrsucht oder sonst eine andere Karlsbader Krankheit heimgesucht werden beim Anblick solcher Verdienste, und das stört die Kur.

Aber dem Gedeihen sehr zuträglich ist die Brunnenliste mit ihren ächt teutschen, wirklich ingeniosen Titulaturen. Sie quetschen den Paß eines armen Privatmanns so lange, bis etwas aus diesem wird, und mancher hat erst in Karlsbad erfahren, was er eigentlich sei. Ein gewöhnliches Kouvert reicht für die Titel und Würden nicht aus, an welchen ein ächter Kurgast leidet, und mancher ehrliche Mann mit schwachem Gedächtnisse ist nicht im Stande, während eines langwierigen Nachmittags seine Titulaturen auswendig zu lernen. Da giebt es »Kaiserlich Königliche privilegirte Gubernial-Kassen-Rendantur-Assistenten Gattinnen« mit ihren Söhnen, die noch einige Adjuncturen und Adspektanzen anzuhängen haben, es laufen Rentiere aus allen Zonen herum, mit und ohne Moos, und wenn Einer gar 402 nichts ist, so ist er ein Privatier, oder seine öffentliche Ehehälfte wenigstens eine Privatiersgattin. Auch die Weiber müssen etwas sein.

Ich habe die Drucker in Verdacht, daß sie ein gut Theil Schuld dabei haben, es ist meist an den Leuten so wenig, und ein österreichischer Drucker, der sonst nichts zu drucken hat, muß etwas aus ihnen machen. Darum hassen sie die französischen, kurzgeschößten citoyens.

Carlsbad ist ein Ferienpunkt der europäischen Notabilitäten.

Wenn es auf Erden nichts zu thun gab, oder wenn sie des Thuns satt waren, gingen die Götter in den Olymp, um sich zu restauriren. Carlsbad ist die Restauration mancher europäischen Götter in Ermangelung der olympischen; ich hoffe, man besingt es auch einmal, ein guter Romantiker findet alle Sorten von Recepten.

Bequem genug lebt sich's da; dafür sorgt höchst lobenswerth Regierung und Brunnenkommission, die Fremden werden wie kranke Kinder behandelt, denen man mit Verläugnung mancher Prinzipien allen Willen thut. Und Kinder sind wir doch alle gar zu gern; da dürfen wir wieder an eine Liebe glauben, wo's keine Eifersucht, keinen Wechsel, keine Treue, keinen Eigennutz giebt, an die Mutterliebe, an das erste und letzte Gefühl des Lebens. 403

 


 

Die Zeit ist eine Last, wenn man wartet; die Erwartung selbst ist eine nachhaltigere Staatsgewalt als der Schrecken, der Schrecken tödtet, wie die Erwartung mordet, der Schrecken ist ein Meuchelmörder, der bald mit seinem Geschäft fertig ist, die Erwartung ein Giftmischer, der Zeit braucht. –

Und Maria, die charmante, war betheiligt bei diesem Mordversuche: sie kam nicht wieder. Es ist allerdings eine akutere Glückskrankheit, ein Mädchen zu lieben, als in weiterer, breiterer Liebe zu leben; durch die schlafende im Monde träumende oder erwachende Natur hinzustreifen, in ihrem Odem zu weben, die Gottheit mit Wollust tief einathmen. Aber die Liebe ist eine Einseitigkeit. Einseitige Menschen werden große Männer, und namentlich Künstler, drum hat die Liebe mit jeder Art von Kunst so viel zu thun. Einen großen Theil der heutigen 404 Liebesarten verdanken wir dem Christenthume: die romantische, die sentimentale, die eheliche und die uneheliche. Es ist eine liebe und schöne Sache um die Liebe aber keine große, dachten die Griechen und Römer, und wir können heut doch noch größere Dinge haben als jene. Ein Bischen Vaterlandsliebe gehört doch jetzt zur bourgeoisie der Empfindungen, und ist bei der Masse nicht viel mehr als Philisterei und Barbarei, darin hat's die pommersche Landwehr so weit gebracht wie die Athener.

Wo steckte denn die große Sache der Alten, welche sie für die Flitterwochen des Herzens entschädigte? Mit der Natur hatten sie sich ein für allemal abgefunden durch Mythen und Sagen und Religion und Kultus, sie nahmen weiter keine Notiz von derselben, sie hatten ihre Pedanterien wie wir; hätte nicht Lucrez so hübsche Dinge darüber geschrieben, man müßte glauben, es sei früher in Italien und Griechenland eine ganz andere Natur gewesen ohne Reiz und Freude.

Wo steckte denn die große Sache der Alten? Lesen wir irgendwo, daß Alcibiades, der Suitier, in einer Mondnacht sanfte Lieder gesungen? und doch war er, waren die Griechen so glücklich. – –

Ja, unsre Liebe ist eine christliche Einseitigkeit aber nur die Gegensätze schaffen die Dinge; wir wüßten ohne jene Einseitigkeit nichts von der großen 405 kolossalen edlen Liebe, deren wir fähig sind, wenn wir uns in keinem verliebten Stadio befinden!

Was ist es für eine Seligkeit, über Land zu fahren oder zu reiten, wenn kein unbequemer störsamer Wind weht, kein ungezogener Regen stört, und unser Herz langsam und melodisch seine Pforten öffnet der Schöpfungs-Harmonie, wenn der Geist Gottes um unsere Schläfe säuselt, oder seine geschäftigen glühenden Boten sendet aus der sammtschwarzen Gewitterwolke.

Und all die großartige Herrlichkeit bläs't ein Mädchen mit rothem Munde auseinander – Herrgott, was willst du mit der Mädchenliebe sagen?!

Solche zerrissene Wolkengedanken trieben mich eben über den Theresienbrunnen auf dem kleinen Plateau des Berges umher, ich konnte das Badeleben mit seiner bunten, murmelnden Monotonie nicht brauchen, Marie fehlte mir, meine Seele war verdrießlich, mein Herz seekrank.

Je bunter die Gesellschaft, je größer die Stadt, je bewegter die Zeit, je reicher, sehnsüchtiger das Herz, desto größer die Langeweile. So viel Dinge, so viel Bedürfnisse dehnen das Herz aus, und die große, wüste Masse des Stoffs füllt es nicht immer. In einem kleinen Städtchen oder Dörfchen, wo wir mit den kleinsten Freuden groß werden, da giebt es 406 keine Langeweile, denn es giebt keinen leeren Platz für das Verlangen und die Sehnsucht.

Und ist man gar im Begriff zu lieben, und die wachsende Göttin verläßt uns, so ist das ganze Herz ausgehöhlt für das Meer des Glücks, das eindringen soll, aber das Meer bleibt aus – wer zu lieben beginnt, und die Liebe nicht findet, kann vor Langerweile des schmerzhaftesten Todes sterben.

In dem Apfel der Erkenntniß, von welchem die blonde Eva naschte, ruhte nicht blos die sogenannte Sünde, welche wir Freude nennen, sondern auch jene göttliche Sehnsucht, die durch alle Freuden der Erde nicht befriedigt wird, die Ahnung überirdischen Glücks, welche tief unglücklich macht, menschlich unglücklich, welche in weichen Gemüthern die Religion und Poesie, und in harten, störrischen die Langeweile erzeugt.

Und doch blonde Eva hast du wohl gethan, zu naschen, dreist und opponirend will der Herrgott seine Menschen, will ich meine Schwestern und Brüder. Ich bin auch der Meinung, die Weiber hätten ursprünglich frischere, natürlichere Kourage als wir. Das hat Moses durch die Eva angedeutet. Die Weiber sind durch das Menschengebären der Gottheit näher. – –

Maria, ich fing an, dich immer heftiger zu lieben, deshalb langweilte ich mich, und das kann man 407 nirgends besser als in einem Badeorte, denn sein buntes Geräusch gestattet keinen erquickenden Schlaf und Tod, es tödtet durch fortwährendes Wachen.

Wie viele Novellen liefen hinter den verbleichenden Mädchengesichtern herum, die hier gesund werden wollten, wie viel Schauerromane gähnten hinter den leberwüsten Gesichtern der Männer. Denn Karlsbad ist der Abzugskanal aller gallichten Kritik Europa's. Sogar Amerikaner waren da, und hatten ihre traurige Unterleibsgeschichte über's Weltmeer gefahren, um sie dem heißen Brunnen zu erzählen. Der Adel aus Süd und West, lauter historische und chronische Leiden finden sich hier ein. Geschichten von gebrochenen und zerstörten Herzen und Lebern und Magen tief aus der Wallachei, oben aus Schweden streichen mit ihren hängenden Augenliedern an mir vorüber, tausend Gedanken wurden in mir aufgeregt, und wer kennt nicht das Elend, unter der Gedankenfülle, der man nicht Herr werden kann, zu stöhnen – all meine Gedanken hatte Maria.

Es war wieder ein Tag und eine Nacht um, und sie war noch nicht zurück. Ich stand in tiefen Gedanken am Sprudel, und sah in die emporspringende und niederstürzende siedende Fluth, und meine Gedanken verloren sich in dem durcheinander brausenden Geschäum, und stiegen hinunter in die Mährchen der Erde. Die Gnomen und Erdgeister sind 408 doch immer am schlechtesten weggekommen: zusammengeschrumpft, bleich, klein, machtlos werden sie geschildert, sie haben nie Glück in der Liebe, machen schlechte Verse, und sehen keine Sonne. Arme Gnomen, pauvre Demokraten, die man unter die Erde gebracht hat.

Wo jetzt der Sprudel und Karlsbad ist, da hat man früher nichts als einen dichten undurchdringlichen Wald gesehen. Mitten in diesem Walde hat eine kleine Elfenfamilie ein lüderliches Leben geführt; ihr großes Reich war schon zerstört durch die Aristokraten, das heißt: die Menschen, und die ganze Elfensippschaft war in die babylonische unterirdische Gefangenschaft getrieben. Hier in diesem unzugänglichen Thale lebte nur noch ein kleiner Ueberrest, und hatte sich aus Verzweiflung über das Schicksal seiner Brüder einem leichtsinnigen Lebenswandel ergeben, trank den ganzen Tag Champagner und sang und lärmte Vaterlandslieder aus Körners Leier und Schwert, die einige Jahrhunderte später durch den Druck bekannt wurden. Eines Tags stürzt athemlos hoch vom Felsen herab ein Hirsch mitten unter sie – in Ermangelung besserer Gesellschaft hatten sie sich mit den Thieren des Waldes familiär gemacht – bricht ein Bein, und schnauft sehr jämmerlich. Sie versuchen es, ihn mit Champagner zu sich zu bringen, man übergießt, man ersäuft ihn in schäumendem Weine. 409 Da knistern die Gesträuche, ein böhmischer Herr, der Jäger des Hirsches, erscheint, heulend stürzen die Gnomen all in einem Knäul in die Erde hinein, und aus der Oeffnung beginnen sie eine Kanonade mit Champagner. Im ersten Schreck ruft der böhmische Herr »Heiliger Aeskulapius steh' mir bei,« der heilige Aeskulapius hat aber die größte Macht über die Gnomen in Teutschland, er hat sie einst alle unterworfen, deshalb sind die Elfen von Nothwendigkeit und Rache gezwungen, ihre Champagnerkanonade ununterbrochen durch alle Jahrhunderte fortzusetzen. Das macht ihnen so unsäglich viel zu thun, daß sie kaum Zeit haben, sich fortzupflanzen, und nun weinen sie über ihr großes Unglück ganze Ströme von Thränen in die Fluth. Also ist der Sprudel entstanden, der von den heißen Thränen der Elfen einen feinen salzigen Beigeschmack hat, aber auf dem Berge zeigt man noch heute den Hirschensprung. Einigemal haben die Elfen versucht, in ihrer Pflicht nachzulassen, und erst vor einigen Jahren verschwand einmal plötzlich der Sprudel; da erscheinen aber nur die Herren von Böhmen mit ihren Trabanten, und sprechen ihre Beschwörungsformel, und lassen Keile in die Erde schlagen auf die Häupter der Gnomen; da thun diese alsbald wieder seufzend ihre Schuldigkeit.

Ein leichter Schlag auf die Achsel weckte mich 410 aus meinen Sprudel-Träumen. Der Nordteutsche stand neben mir mit der seidnen Weste.

Ist sie da?

»Wir sind alle da, nicht bloß sie«, sagte er sehr ernsthaft. Ich eilte fort, hinüber zum Mühlbrunnen, wo ich sie zu finden hoffte. Um die Ecke biegend, prall' ich überrascht zurück, denn Jerta, Jerta vom Postwagen, die englische Jerta stand vor mir, roth und weiß und schön wie damals. Aber wiederum nicht die kleinste Miene von Bekanntschaft war in ihrem Gesicht. Ich machte ihr in der Eile ein Kompliment, sie that, als gälte das sonst Jemand, und ging wie ein Gerichtsgang unbetheiligt, unparteiisch weiter. Mit offnem Munde, staunend sah ich ihr nach, und vergaß den Hut aufzusetzen. So unbedeutend war ich mir noch nie vorgekommen.

»Herr Ritter, ist das Eure Treu?« Maria stand neben mir. Ich faßte mich, denn die Freude meines Herzens unterjochte eiligst das Erstaunen – ach, Maria sah aus wie das Mädchen aus der Fremde, in einem Auge lauschte der sehnsüchtige Frühling, in dem andern der glückliche Sommer. Und ich hub an, mein Herz in Worte zu bringen, – da hielt ein Postwagen neben uns, man rief meinen Namen heraus, es war der Starost der mich zur Reise nach Italien abholen wollte. Ich mußte hin, ihn zu begrüßen, ich mußte sehn, wie der Nordteutsche 411 ihren Arm nahm, und sie von dannen führte, auf ihrem Gesicht lagen die Gedanken in der Sanskritssprache, ich begriff sie nicht.

Die Interessen hetzten mich todt, es war nicht eine Minute Zeit mehr übrig zur langen Weile. Den andern Tag schon wollte der Starost fort; meinetwegen war er da, er hatte mein zuverlässiges früheres Versprechen; wenn ich ein ehrlicher Mann sein wollte, mußte ich ihm folgen, aber ich wollte kein ehrlicher Mann sein, sondern ein glücklicher. Ueber die englische Jerta mußte ich auch nothwendig auf's Klare kommen, das war eine zu wichtige psychologische Aufgabe, denn das Mädchen war sehr hübsch. Der Professor sagte mir ferner, er habe beschlossen, übermorgen die Hochzeit seiner Tochter hier in Carlsbad zu feiern, der Pastor seines Orts sei angekommen, und da es hier keine protestantische Kirche gebe, so werde er sie im Zimmer trauen.

Herr, sagte ich, ich bin auch Protestant, und ich werde bis zu meinem letzten Athemzuge protestiren. – – Von Sinnen war ich, ein zerrütteter Mann. Und aus Malice wurde das Wetter wunderschön, ich hätte mich mit dem Herrgott schlagen mögen. 412

 


 

Ich rannte, der Tag rannte, denn der Tag thut uns Alles zu Gefallen. Der Starost lächelte verneinend, als ich meinte, es wäre hübsch, wenn wir noch ein Paar Tage blieben. Verdammtes aristokratisches Lächeln bei dem Jammer eines armen Teufels. Mit fliegenden Händen packte ich dies und Jenes ein, und packte es immer wieder aus, es war nicht das Rechte, ich hätte weinen mögen vor Zorn, Verlegenheit und Liebe, namentlich fluchte ich jeder Delikatesse. Wäre es ein anderes Hinderniß gewesen, ein thurmhohes, ich hätte einen kühnen Anlauf genommen, ein delikates, wie das diesmalige, lähmte all' meine Kräfte. Dabei saß der Starost unbefangen, höchst unbefangen auf meinem Fenstertritt, und rauchte mit empörender Behaglichkeit seine lange türkische Pfeife, strich sich den Stutzbart, besah sich im gegenüber hängenden Spiegel, murmelte in halbem 413 Gesange Opernarien, deren Melodie aber immer ganz falsch war. Lauter Dinge zum Aergern. Falsch Singen kann den besten Humor vertreiben, und nun gar – ich hätte ihn gern zum Fenster hinausgeworfen, den Störenfried, aber er war ein großer, breitschultriger Mann, ich wäre wahrscheinlich eher draußen angekommen als er.

Wagen, Reiterinnen und Reiter braus'ten vorüber, das amüsirte ihn sehr, aber es hielt ihn nicht. Ich wußte, daß er viel muhamedanische Inklinationen hatte, ich machte ihn auf die ergiebige Saison aufmerksam; er lächelte wieder, aber es half nichts.

Ich rannte hinaus, Maria wollte ich sehn, ihre Knie wollt' ich umschlingen, mein thränenvolles Gesicht einmal in ihren Schooß drücken, ihr sagen, daß sie ein Engel an Schönheit sei, und dann scheiden. Aber in Gedanken stürmte ich ganz wo anders hin, ich lief vielleicht an ihr vorüber, und als ich endlich in's »Schild« kam, war sie nicht zu Hause.

Ach, es war trostlos! der Tag neigte sich schon gegen den Abend, es war mein letzter Abend, und am Ende sah ich das Mädchen nicht mehr. Zerknirscht setzte ich mich auf eine Bank, und es fiel mir plötzlich ein, daß ich wohl nur wegen der vielen Hindernisse so viel Interesse an dem Mädchen nähme, und ich wußte selbst nicht, wie es kam, daß ich plötzlich laut auflachte. Aber meine Ungeduld 414 blieb dieselbe, ich hätte vergehen mögen vor prickelnder Qual.

Es ward dunkel, und ich saß noch auf derselben Bank am »Schilde«. Plötzlich erhalte ich einen leichten Schlag auf den Kopf, ich fahre auf, Maria steht am offnen Fenster und lacht. In meine Träumereien versunken, hatte ich sie nicht in's Haus gehen sehen, ich hatte sogar vergessen, daß ich unter ihrem Fenster saß. Sie wohnte zu ebner Erde. Hastig griff ich nach der Hand, die mich geschlagen, sie zog sie weg, und trat einen Schritt in's Zimmer zurück. Sie bat mich mit leiser Stimme, nicht so viel Geräusch zu machen, sonst mache sie augenblicks das Fenster zu, der Vater lese im Nebenzimmer. Ich versprach, mich ruhig zu verhalten, und bat sie nur innig um eine Hand. Scherzend gewährte sie endlich, und nun war sie gefangen. Auf dem Fenstersims sitzend, zog ich sie dicht an's Fenster, und ließ sie nicht wieder los. Zwar that sie böse, aber sie war es nicht, und nun sah ich erst, wie schön sie eben war. Vom Spaziergange leicht erhitzt, glühten Augen und Wangen, die Locken flatterten wie lose Vögel um Nacken und Schultern, da ich ausgelassen genug war, ihr den Kamm aus den Haaren zu ziehn. Sie trug ein weißes luftiges Nachtkleid, und sie war warm und lieb wie eine blumige Frühlingsgegend, die den Tag über im Auge der Sonne geruht hat. Ich 415 bedeckte ihre Hände mit Küssen, und flehte um ihren Mund, aber sie neckte mich nur, blies mir den blühenden Athem über den Mund, und entwich stets.

Jetzt erst besann ich mich, daß es die letzten Augenblicke seien, daß mein Starost mich morgen von dannen zerre, daß ich zu fragen habe, ob sie wirklich den Mann mit der seidenen Weste heurathen werde. Aber über all' das sprang sie hinweg: morgen dürfe ich nicht fort, sondern müsse sie zum Heilingsfelsen begleiten, ihre Verheurathung ginge mich nichts an, und ich würde doch Zeit meines Lebens ein Vagabond bleiben – –

»Still« – sagte sie plötzlich zusammenschreckend, und drängte ihr Haupt ängstlich horchend an meine Schulter – »man öffnet über uns ein Fenster – es kommen Schritte durch den Garten« –

In diesem Augenblicke regte sich auch der Professor in der Nebenstube, und kam auf die Thür zu.

Wir rührten uns nicht; es war stockfinster geworden. Oben am Fenster blieb Geräusch, die Schritte aus dem Garten kamen direkt zu uns, der Professor war an der Thür – er öffnete, es fiel ein Lichtschein aus dem Nebenzimmer in das Maria's.

»Ich gehe zu Bett, Papa«, sagte das böse Mädchen leise, und regte sich nicht. Der Professor war sehr kurzsichtig, sagte gutmüthig: »Gut Nacht, mein Kind«, und ging wieder.

416 Die Schritte aus dem Garten endigten dicht vor mir. Eine Baßstimme begann ein zärtliches französisches Gespräch, noch zärtlicher wurde von oben geantwortet. Maria kniff mich mit unterdrücktem Lachen in die Wange, ich küßte sie auf's Auge, sie konnte nicht entrinnen, meinte ich.

– Da fiel mir von oben ein Schlüssel auf den Rücken, er hing an einem Bande, und ich schleuderte ihn eiligst meinem unbekannten Nachbar zu. Dieser schien darauf zu warten, fing ihn glücklich, und entfernte sich nach einer andern Thür hin. In diesem Augenblicke entglitt mir Maria, ich kam durch die unvermuthete Bewegung völlig aus meiner Position, und hatte Mühe, mich auf der Bank zu erhalten. Blitzschnell hatte sie unterdessen die Fenster geschlossen.

Ich war ausgesperrt, und es fing an zu regnen. Jetzt fiel mir's erst schwer auf's Herz, daß sie meine Abreise fortwährend scherzhaft aufgenommen hatte, und nicht daran glaubte, daß es der letzte Moment gewesen, in welchem ich sie gesehn. Angst und Unruhe kam über mich, ich klopfte stärker und immer stärker an die Scheiben. Sie antwortete nicht.

»So wahr Gott lebt, ich reise morgen«, rief ich endlich mit lauter Stimme; ich erschrak selbst davor. Im obern Zimmer antwortet ein durchdringender Schrei, ich höre Geräusch, ich höre den Professor, 417 oben sehe ich Lichter hin- und herfliegen, am Gartenzaune vernehm' ich Stimmen – ich stürze nach der andern Seite, und will über die Planken. Eine Kartoffelfaust packt mich beim Kragen, als ich auf der Erde ankomme. An den Fingern fühl' ich, daß es eine Hand ist, die sich einigen Zwanzigkreuzern krümmen werde; stumm greife ich in die Tasche, und stumm empfängt er, und läßt mich ziehn. Wahrscheinlich war es ein gebildeter Nachtwächter. – –

Am andern Morgen weckte mich der Starost, er war reisefertig, der Postwagen stand vor der Thür, es galt kein Zögern, über Hals und Kopf mußte ich packen, bei jedem Kleidungsstücke seufzte ich. »Maria«. Kaum gewann ich so viel Zeit, den Postillon zu bestechen, daß er den Umweg nach dem Heilingsfelsen zu einschlage.

Es regnete mit sommerlicher Arbeitsamkeit; Karlsbad sah grau und feucht wie eine trauernde Wittib aus, mein Herz war voll trauriger Sehnsucht. An einer Ecke sahen wir unter dem Regenschirme eine feine, schmiegsame Gestalt hintrippeln. Die hob ihr seidnes Kleid regenfurchtsam hinten auf, und der Starost stieß mich vergnügt an, und deutete auf den schönen Fuß und das runde, lockende Bein mit dem engen schneeweißen Strumpfe. Seufzend sagte ich ihm, daß er heut noch das schönste Mädchen sehen 418 sollte, wenn der Himmel ein Einsehen hätte, und sich die Wolken aus dem Gesicht striche.

Er horchte hoch auf. Das Mädchen aber vor uns war die englische Jerta, und heute lächelte sie; es stand auch ein kleines Wörtchen vom hallischen Posthause in diesem Lächeln. Aber vorüber, vorüber, hinaus tobte der Wagen; ich hätte mich in Regen auflösen mögen, um die Menschheit zu ennüyiren.

Draußen sahen die Thäler und die bewachsenen Höhen silbergrau aus, und wenn die Sonne manchmal einen verstohlnen Blick hineinwarf in die Regendämmerung, da glänzten und glitzerten über weite Strecken hin lauter hüpfende Augen. Es ist ein halbwüstes, halbverwachsenes, stummes Waldgebirg nach dem Heilingsfelsen hin. Eine halbe Stunde davon hört die Straße auf, und wir mußten aussteigen. Der Postillon sollte uns erwarten, wir machten uns auf, die Sonne jagte die letzten Wasserschauer in's Land hinüber nach Sachsen zu.

Ueber eine schweigsame Hochebene, die an Walter Scotts Plateaus in Schottland erinnert, geht es nach dem Heilingsthale. Ich bildete mir ein, zu Robin dem Rothen zu gehen, und schottische Träume sanken wie weiche Decken aus mein krankes Trennungsherz.

Langsam öffnet sich ein unordentlich zerrissenes Thal. Es ist keine Unordnung der Größe oder Schönheit darin, es ist eine wüste Wirthschaft von 419 schlanken Tannen, durcheinander gestürzten Felsblöcken, kahlen Strichen: dazwischen geht mit raschen ernsten Augen der Fluß.

Körner erzählt eine lange Geschichte von Heiling, und benutzt dabei fleißig den Teufel. Ich hatte sie früher gelesen, und nahm ihm die unnütze Teufelei übel, denn der Teufel muß überall herhalten, wo man nichts Besseres weiß, und er hat die poetische Spekulation sehr gehemmt. Der Teufel war ein Monopol der Poeten. Als ich indessen dies Thal sah, ward ich viel milder gesinnt gegen Theodor, der so glücklich gewesen ist, in allgemeiner Begeisterung zu singen und zu sterben; der Teufel hat allerdings hier und überhaupt in Böhmen arg gewirthschaftet. Der gelbe Salpeterathem liegt überall noch auf den Steinritzen, es ist wie eigensinnig durcheinander geworfenes, revoltirtes Erdreich. Böhmen ist eine der besterhaltenen Barrikaden aus der Revolution der Erde. Da ich der Meinung bin, daß Alles so lange besteht, bis es zu einer gewissen Schönheit oder Vollkommenheit gediehen ist, so glaube ich, die Erde werde sich noch lange in den jetzigen Sonnenkreisen und Verhältnissen befinden, es ist noch gar zu Viel auszuräumen, einzurenken, einzurütteln.

Das Heilingsthal stärkte mich solchergestalt in einem stillen Lieblingsglauben, welcher mich oft hinter dem warmen Ofen erquickt hat, daß nämlich die 420 Menschen noch viel vollkommener werden, als sie's jetzt sind. »Den Kindern ist das Himmelreich,« man verhöhnt immer diejenigen Leute, welche alle Menschen für vortrefflich halten, es giebt nun sogar welche, die alle Menschen noch viel vortrefflicher glauben als sich ein Mensch vorstellen kann: diese Leute besitzen die meiste Poesie, und die klugen Leute, die Alles besser wissen, also auch Dieses, sollten sie sehr um das Seherglück beneiden.

Unweit des Ufers lag ein großer Stein im Flusse, darauf saß ein Mann und angelte. Leute, die angeln können, sind geborne Philosophen, oder süße poetische Träumer; ein andrer vernünftiger Mensch hält das Geschäft nicht aus. Ich sprang auf einzelnen hervorragenden Steinen hinüber zu ihm, ich stand hinter ihm und er regte sich nicht. Ein Stoß von mir, und das Wasser verschlang ihn, und er dachte im schnellen Scheiden, die Gottheit habe ihn plötzlich hinweggerissen. So wohlfeil ist oft die Gottheit. Langsam und still schlich ich zurück; ich wollte ihn nicht erschrecken.

Jetzt zeigten sich am jenseitigen Ufer die Heilingfelsen, es sind senkrecht aufgestellte Steinblöcke von mäßiger Größe, die für eine bewegte Phantasie wunderliche Figuren bilden. Der Starost meinte, dergleichen sehe man in Adersbad an der schlesischen Grenze viel schöner, und er hatte Recht, unser Führer, ein 421 moderner Tischler aus Aich, hatte aber auch Recht. Den ersten ungeschlachten Block nannte er den Kapuziner, und den folgenden einen Brautzug, welcher dem Kapuziner zur Kirche folgend, plötzlich versteinert worden sei. In der Jugend hatte der Tischler diesen Brautzug ganz bis in's Detail kennen gelernt, denn da hatte er noch frische, junge Augen gehabt, und von daher kannte er noch die erste und zweite Brautjungfer und den Hochzeitsvater, die lustige Person des Zuges, ja er hatte den Busen der schönen Braut sich heben sehen. Später aber war der Mann gebildet worden, jetzt mischte er hochteutsche Worte in seinen böhmischen Jugend-Dialekt, trug des Sonntags und wenn er Fremde führte, Handschuhe und Vatermörder, jetzt war sein Auge blöde geworden, er sah keine Geister mehr, und erzählte uns nur aus Führerschuldigkeit das Mährchen von Hans Heiling, eine sehr aberglaubige Geschichte, wie er sie nannte.

Hans Heiling hat als ein Knabe am Ufer gelegen und mit den Wellen geplätschert, und mit flachen Steinchen sogenannte Butterbröte über die Oberfläche hingeworfen. Das Thal ist tief und eng, wenn es draußen, jenseits der Berge noch goldner Tag ist, da sinkt hier schon ein rother Abend in den Fluß. Als der gekommen, hat sich Hans aufmachen und heim schlendern wollen, aber er ist plötzlich stehn geblieben. Eine übermäßig schöne Göttin hat sich nämlich auf 422 einmal aus den Wellen erhoben, und ein wunderschönes Lied gesungen, dazu hat sie mit runden weißen Armen das goldne Haar aus dem göttlichen Gesicht gestrichen, und das ist hinuntergefallen über die weißen, vollen Brüste tief in's Wasser hinein. Ihre großen, blauen Augen haben ihn aber hingezogen bis dicht an's Ufer. Nun hat sie ihm mit einer Stimme, die wie Harfen geklungen, versprochen, sie werde ihn heurathen und zum Könige machen, wenn er warten wolle, bis ihr schneealter Vater gestorben sei, wenn er ihr treu bleiben wolle, bis sie ihn abholen werde. Heiling hat vor lauter Glück und Vergnügen nicht sprechen können, sondern nur mit dem Kopfe genickt. Darauf hat die Göttin ihm einen Kuß mit der Hand zugeworfen und ist unter den Wellen verschwunden, Heiling aber ist seelenvergnügt nach Hause gegangen.

Es sind einige Jahre verflossen, Heiling ist täglich in's Thal hinuntergestiegen, die Göttin hat sich aber nicht mehr sehen lassen. Auf dem Rückwege ist er immer bei einem Hause vorbeigekommen, an dessen Thüre stets ein blondes Mädchen gestanden, welche seiner Göttin sehr ähnlich gesehen und ihm sehr gefallen hat. Sie hat immer auf seinen Gruß erwidert »Guten Abend, Hans,« und nach einigen Wochen »Guten Abend, lieber Hans.«

So ist es wieder einmal Herbst geworden, und 423 eines Abends hat das Mädchen sogar gesagt »Guten Abend, liebster Hans,« und ihre Augen sind voll Thränen gewesen. Da hat sie Heiling bei der Hand genommen, und sie ist ihm weinend an's Herz gefallen, und Heiling hat ihre volle Brust warm an der seinen gefühlt. Und nun ist er heiter geworden, »sie bleibt mir zu lang,« hat er gesagt, und ist mit dem Mädchen in's Haus getreten, um sie von ihrem Vater zum Weibe zu verlangen.

Drunten im Thal hat eine Kirche gestanden, da hinab ist einige Tage drauf der Brautzug gewallt, der Kapuziner voran. Und als der Zug dahin gekommen ist, wo Hans der Göttin Treue versprochen hat, ist ein fürchterlich Wetter losgebrochen, und der ganze Brautzug, der Kapuziner voran, ist in Stein verwandelt worden.

»Es ist eine sehr aberglaubige Geschichte,« wiederholte der Tischler von Aich, und der Starost schlug sich lächelnd Feuer, und sagte: In Rußland haben wir viel solche dumme Geschichten.

Ich aber dachte an unsre Historiker, denen die Göttin einen Pallast von Begriffen gebaut, denen sie versprochen hat, das weiche, warme Lager mit ihnen zu theilen, wenn sie unverzagt den Tag ihrer Ankunft erwarten wollen. Wenn sie sich aber ungeduldig geberden, und sich trauen lassen mit gleißenden 424 Zugeständnissen, so werden sie versteinert, wie der Brautzug Hans Heilings.

Wir gingen langsam zurück, der Mann mit der Angel schritt vor uns her, und bemerkte uns wieder nicht, obwohl der Tischler von Aich laut sprach und demonstrirte. Als wir an ihm vorüber kamen, streckte er uns lautlos einen großen Fisch entgegen, den er gefangen, und verzerrte das Gesicht widerwärtig dazu. Der Starost fragte ihn etwas, er nahm keine Notiz davon, und antwortete nicht, es war ein unheimlich Wesen. Erst als der Tischler herankam, der, um einen Stein aufzuheben, einige Schritte zurückgeblieben war, erfuhren wir, daß der Mann taubstumm sei. Ein Blinder erregt Mitleid, ein Taubstummer Grauen; es ist etwas Bestialisches um den gelagert, der die Hauptsinne der Civilisation, das Gehör und die Sprache nicht besitzt.

Der Starost fragte mich, wo das schöne Mädchen bleibe, das ich verheißen habe. Ich zuckte traurig die Achseln, und deutete auf die Regenwolken, die wie Gespenster vorüberflogen.

Heiling und Maria erfüllten mein Herz, als der Wagen immer weiter forteilte von ihren Stätten. Ach, Scheiden und Meiden thut weh. Lebe wohl, Maria mein, rief ich zum Wagen hinaus, und wenn Du mich liebst, so denke mein!

»Ich denke, sie heurathet?« – sagte der Starost.

425 Wenn ich nur wüßte, wer das erfunden hat; es ist ein kluger, aber ein langweiliger Gedanke, das Heurathen.

Der Starost sprach: »Sehr richtig,« und weiter sprach er nichts. Wir fuhren aber weiter, und es war sehr viel Dreck und schlechter Weg allda, und der Postillon meinte, das käme vom Regen und von der Feuchtigkeit. 426

 


 


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