Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Halberstadt.

Ging sie nicht da vor mir her am Arme jenes langröckigen Mannes – war das nicht Jerta, die um die Ecke bog? Ich stürzte hinterher, sie gingen rasch, sie traten in ein Haus. Athemlos kam ich davor an – ich wollte warten bis sie wieder herauskämen. Es war die letzte Viertelstunde vor Abgang der Post; ich überlegte, ob ich mein Postgeld, meine Sachen im Stich lassen sollte, und ich faßte den heroischen Entschluß, setzte mich auf die Bank vor dem Hause, und hüllte mich in meine Träume und meine Tugend.

Es gingen viele Leute in das Haus, endlich auch der Postbote, der meinen Mantelsack aus dem Gasthofe geholt hatte. Er ermahnte mich dringend zur Eil und ging in's Haus. Kühn folgte ich ihm, vielleicht half er mir an's Ziel. Plötzlich stand ich vor dem Postwagen, das Haus war ein Durchweg, 117 Jerta saß im Postwagen und lachte. Ich stürzte hinein, machte mein Kompliment, fragte, wie es ihr ginge, und warum sie mich vorhin nicht gekannt hätte, erzählte eine Viertelstunde lang ununterbrochen. Wir waren vor der Stadt, sie hatte mich noch nicht angesehn, noch nicht ein Wort geantwortet. Ich war noch mitten im Erzählen, da nahm sie ein Buch aus ihrem Strickbeutel und fing an zu lesen.

Meine Nachbarn sahen mich besorgt an, Jerta's Begleiter war eingeschlafen – ich verstummte. »Werden Sie in Halberstadt bleiben?« fragte Einer den Andern.

Halberstadt? Ich fuhr nach Halberstadt statt nach Hannover. Ich fühlte mir an den Kopf, den Puls, ich schlug mir eine Ohrfeige, um zu erfahren, ob es seine Richtigkeit mit mir habe. Mein Nachbar rückte noch weiter von mir, und sah mich scheu an, und ich bemerkte es, wie jammervoll er den Uebrigen winkte.

Damit ich ihm beweise, die Dinge seyen verrückt, nicht ich sey's, fragte ich ihn höflichst: »Wohin reisen Ew. Wohlgeboren?«

»»Nach Constantinopel,« stammelte er.

Großer Gott, ich war in einen Narrenkasten gerathen. Wer nie daran geglaubt hat, daß er wohl verrückt sein, oder werden könne, in dem war nichts zu verrücken, der war sehr simpel. Shakespeare ließ seine besten Leute verrückt werden, und Jerta's langer Begleiter da drüben schlief höchst großbritannisch; ich war am Ende der Held einer neuen Tragödie, deren letzter Akt auf dem Postwagen zwischen Braunschweig und Halberstadt spielte. Ich zählte meine Rockknöpfe, ich rechnete mit Brüchen, was ich nie ordentlich konnte, ich sagte das hebräische Alphabet her, was nie glatt zum Vorschein kam – mein Zustand ward immer schrecklicher: ich rechnete fehlerlos, ich alphabetisirte in einem Zuge bis zum Thau. Als wir nach Wolfenbüttel kamen, war mir's klar, daß eine unnatürliche Clairvoyance eingetreten sey, und ich dachte mitleidig an Lessing, der dort oben auf der Bibliothek nichts Derartiges geglaubt hatte.

Erschöpft lehnte ich mich zurück und schloß die Augen; ich war entschlossen, die Welt gehn zu lassen, wie sie wollte, ich mochte nicht mehr regieren helfen.

Lange schwieg die Gesellschaft, ich lauschte aus einer Ritze der Augenlieder, und sah an des Constantinopolitaners Pantomime und den zustimmenden der Uebrigen, wofür man mich hielt.

Es wirbelte in mir. Jerta's Nachbar erwachte, strich sein Gesicht, das ausdruckslos aussah, wie ein Spiel Karten, in Ordnung, und rauchte sich eine Cigarre an. Jerta sah ihm gleichgültig in's Gesicht, er ihr wieder, aber keins sprach ein Wort. 119 Er trug drei Röcke, sah unanständig gesund aus, hatte öde Augen ohne Blick, wie die lichtblaue Luft, den reinsten Teint, die schönsten Zähne, gar keinen Bart, dünnes rothbraunes Haar, unter sich ein Sitzkissen, und sonst gar nichts Merkwürdiges – war ich nicht wirklich verrückt, so mußte er ein Engländer sein. Gott, und was war aus Jerta's Augen geworden, auch in ihnen war die einfachste Frage und Antwort gestorben, auch sie hatten keinen Blick mehr.

Der Constantinopolitaner erzählte von Peru und wie oft er da spaziren geritten sei, er sprach vom König von England, in dessen Kabinet er lange gearbeitet habe, er brachte einen Kreditbrief an den Sultan Mahmud aus der Tasche.

Hörte ich denn das Alles wirklich, oder war ich denn wahrhaftig um meinen charmanten Verstand gekommen, von dem ich bis dahin gelebt hatte!

Was sollte denn aus mir werden!

Ich sah den Kreditbrief, er war, weiß es Gott, vom König von England, der Ueberbringer sollte ein Klempnermeister aus Hannover sein.

Herr, in des Teufels Namen, sagte ich, wer sind Sie? Und rückte ihm auf den Leib.

Er kroch in den Winkel, und streckte mir zitternd seinen Paß entgegen.

Der Kerl war wirklich ein Klempnermeister aus 120 Hannover, sein Paß war auf Constantinopel ausgestellt.

Ich war erschöpft – meine Tollheit oder Verzauberung war evident, mein anderer Nachbar sah sich nach dem Kondukteur um. Jerta und ihr Begleiter sahen mich noch immer nicht an. Aus Verzweiflung schlief ich ein.

Die Träume spielen heut zu Tage eine Hauptrolle in den teutschen Schriften, es wird entsetzlich viel geträumt, und es befällt mich stets eine Angst, wenn solch ein Romanheld nur die Augen schließt – ich glaube, diese vielfache Träumerei wirkt nachtheilig auf den Volkscharakter. Deshalb nahm ich mir vor, als ich unter die Schriftsteller ging, nie Träume zu haben oder zu beschreiben. Das mochte wohl ein Grund sein, warum ich sehr fest und vernünftig schlief, und sehr vernünftig erwachte. Ich dachte nicht mehr an die mögliche Verrücktheit, und es existirt ja nur das, was man denkt.

Der Klempnermeister zog eben mit einem Janitscharen über den Balkan. Ich bitte meine Leser, diese Figur für kein Gebild eines novellistischen Gehirns anzusehn, es müßte mich und ihn wegen beiderseitiger Realität sehr schmerzen. Dies Individuum existirt wirklich und ist wirklich als Klempnermeister in Hannover habilitirt; er hatte in vollem Ernste die fabelhaftesten Reisen gemacht, hatte die 121 wunderlichsten Naturmerkwürdigkeiten gesammelt, und stand mit Cuvier, Humboldt, Brougham in speciellem Verkehr; er war zu dumm zum Lügen und zur Eitelkeit, und sprach von Cuvier und Brougham wie von seinen Kollegen, den übrigen Herrn Klempnermeistern in Hannover. Mit des englischen Königs Kabinet hatte es ebenfalls seine Richtigkeit, es bedeutete nur ein Naturalienkabinet; eben so mit Peru. Ein teutscher Kaufmann, der in London angesessen ist, und direkt von Lima kam, stellte ein Examinatorium an, und es ergab sich bald, daß der Klempnermeister in Lima specieller bekannt war, als jener. Er redete alle Sprachen, erzählte ohne Aufhören die interessantesten Dinge auf die uninteressanteste Weise, hatte Alles in der Welt gesehn, was weit, schön und theuer ist, und war so langweilig, daß eine Revolution gegen sein Schwatzen auszubrechen drohte, im Postwagen auszubrechen drohte, wo man so Viel verbraucht. Der Mann hatte so Viel gelernt, und war so bornirt, daß er bald der schwarze Peter der Gesellschaft wurde. Sein Wissen hatte keinen Charakter, und wenn man die kleine Klempnerfigur, das erfrorne blecherne Gesicht, den ausdruckslosen, viel gelesen braunen Frack, die naturwissenschaftlichen dünnen Beine, den friedfertigen grauen Regenmantel und die ganz häusliche hannöversche Mütze ansah, und hörte die stolzen Worte Lima, Elektrizität, 122 Cuvier, Platina, Constantinopel, so mußte man lachen. Er hatte Empfehlungen an die Gesandtschaften in Wien und Herrn von Hammer, die ihm zur Reise in die Türkei behilflich sein sollten, und das kursirte Alles auf dem Postwagen, als wären's Passagierzettel von Delitzsch nach Bitterfeld; es war etwas Fabelhaftes um diesen Klempnermeister. Auf den Stationen stieg er auch nicht aus, sondern er brachte ein kalt Stück Braten in die hannöversche Zeitung gewickelt, vielleicht also ein Stück Haidschnuckenkeule aus der Tasche, nagte einige Minuten daran, wickelte es sorgfältig wieder ein, und steckte es in die Tasche, als wolle er bis Constantinopel davon leben.

Der Harz, an dem wir vorüber flogen, ward sehr verächtlich von ihm traktirt, er sei zu nahe, meinte er. Das war das erste Mal, daß ich dem Klempnermeister Recht gab. der Harz ist ein unvollständiges Gebirg, er hat seine Studien nicht vollendet, und die Nordteutschen machen nur so viel Wesens davon, weil sie nichts Besseres haben. Teutschland hat eigentlich nur ein Gebirg, und wenn man dem Seume glauben soll, so ist in Europa nur der Aetna schöner, das ist das Riesengebirge – alles Uebrige sind Waldberge oder Gebirgsversuche. Es ist eine wunderlich unordentliche Wirthschaft in diesem Harze, Alles liegt durch und übereinander, wie 123 in einer Stube, in welcher eben Handwerksburschen vom Lager aufgesprungen sind. Hier liegt ein Stück Wald, hier faullenzt ein Hügel Steine, dort braust auf eigne Hand ein Fluß, es ist keine reizende, sondern eine platte Unordnung, ein Stück ist dem andern im Wege, man sieht das Eine vor dem Andern nicht, es ist keine Harmonie darin. Ich bin einmal vierzehn Tage darin herum gereis't, und habe immer gefragt: wann kommt denn der Harz? Man sieht den Wald vor Bäumen nicht. Und steigt der Wandrer, der von Hoffen und Harren matt ist, endlich auf den Brocken hinauf, so hat er eben auch weiter nichts, als einen wüsten Ueberblick über die unordentliche Stube, die besten Geräthschaften stehn aber unter den Tischen, den Bänken, er schüttelt den Kopf, und ein warmes Glas Grog im Brockenhause ist ihm interessanter, als der verworrene, nebelhafte Kram. Es liegt Alles umgestülpt, verdrießlich, arbeitsbedürftig da: ein Gebirg, was nicht fertig geworden ist. Nur kleine Proben, wie die Roßtrappe geben eine Andeutung, was daraus werden sollte. –

Noch hatten Jerta und ihr Begleiter kein Wort gesprochen. Ich war vollkommen unsicher geworden, und es stieg mir zum ersten Male der Gedanke auf, daß ich mich irren könne. Schon lange saß sie verschleiert mir gegenüber. Ich suchte ihren Fuß, um 124 eine Korrespondenz anzuknüpfen – vergeblich umkreis'te ich ihn von allen Seiten, er war unzugänglich. Allerdings kam er mir kleiner vor, als da ich ihm hinter Radegast im Lande Anhalt zum ersten Male begegnet war. Indeß lag hier der Irrthum sehr nahe, wer kann sich so genau auf das Pedalgefühl verlassen. Aus Aerger setzte ich den meinen auf den ihren. Sie regt sich nicht. Nach einer kleinen Weile zieht sie den ihren langsam zurück, und setzt ihn tapfer auf den meinen. Wir schaukeln einander, der hannöversche Klempner spricht von der Polarität, die er dem Sultan vortragen wolle. Die Cigarre von Jerta's Begleiter ist aus, er wirft sie aus dem Wagen, und legt sich wieder in die Ecke zum Schlafen zurecht. Es ist ganz dunkel geworden. Ich lege mich vorn über, als wollte ich köpflings schlafen oder träumen, und erobere zwischen den beiderseitigen Mäntelflügeln eine Hand Jerta's. Sie widerstrebt nicht, als ich ihr den Handschuh herunterstreife, und sie küsse. Wahrlich, auch die Hand war feiner und zarter, als die zu Radegast. Kein Gegendruck, obwohl sie warm wird unter meinen Küssen. –

Halberstadt war da; wir mußten aussteigen, um die Post weiter zu bezahlen. Ein Wenig hatte sie den Schleier zurückgeschlagen – es war Jerta. Ich fragte sie dringend, warum sie denn nicht sprechen wolle. Zum ersten Male sah sie mich an, so 125 gleichgültig wie der ausdruckslose Mondschein. Aber den Mund öffnete sie nicht. Ihr Begleiter legte stumm ein Goldstück hin, und strich ein, was man ihm dafür herausgab. Ein Teutscher konnt' es unmöglich sein, der hätte seinen Paß gewiesen, und um den Postschein gebeten, welchen dieser ohne ein Wort erhielt. – Gegen die Polizei und sonstige Behörden spricht der Teutsche nie ein Wort zu wenig, wohl aber manches zu viel.

Es war Nacht in Halberstadt, ich hätte den Poetengang und Gleims Wohnung, dies Stammbuch teutscher Dichter, aufsuchen können, aber mein Konstantinopolitaner war schon langweilig genug. Er kam mir eben in den Wurf, ich nahm ihn unter den Arm und führte ihn an einen kleinen Bogengang. Signore di Annovera, sprach ich, seien Sie andächtig, das ist ein klassischer Punkt, nehmen Sie ihre vermaledeite, unklassische Klempnermütze ab. Da, wo Sie mit Ihren unwürdigen naturwissenschaftlichen Beinen stehn, stand einst alle Abende, wenn es dunkel wurde, der berühmte Fabeldichter Lichtwer, und ersann nicht ohne Anstrengung eine seiner unsterblichen Fabeln, und wenn Gleim vorüber kam, Papa Gleim, der preußische Grenadier mit dem großen spanischen Rohre, und ihn anreden wollte, so streckte er seine rechte Hand vor sich hin, und sprach wie Archimed: Störe mein Kreisen nicht, ich bin dabei, 126 die Moral zu gebären. Da nahm Papa Gleim seinen dreieckigen Hut ab, salutirte und sprach: »Teutschland, ich bringe dir dies Opfer« und ging vorüber in's Bierhaus. Den nächsten Morgen aber schrieb er nach Berlin an seinen Freund, den königlich privilegirten Odendichter Herrn Ramler: Gestern Abend, Geliebter in Apollo, war Lichtwer, der vortreffliche, wiederum thätig für vaterländische Poesie zur Beförderung der Tugend.« Auf diesem Fleck, fabelhafter Klempnermeister, stand Lichtwer, und Arm in Arm gingen hier die Unsterblichen all, welche den sehr ehrenwerthen Vater Gleim besuchten, vorüber, unter ihnen auch der gefühlvolle Herr v. Matthisson. Darum heißt dieser Platz der Poetengang.«

Der Hannoveraner schauerte vor epischer Andacht, zog seine braunlederne Schreibtafel, und stellte sich unter eine Stadt-Halberstädtsche Laterne, die sehr stätisch brannte, um die merkwürdigen Namen zu notiren. Seine Literaturgeschichte begann und endigte mit Benjamin Schmolke, und er war sehr erfreut, so viel neue Namen für den Sultan erbeutet zu haben, wenn er diesem den Zustand unserer Literatur entwerfen würde. Mit der bestehenden Orthographie lag er in einigem Widerspruch und den Namen des Odendichters wollte er verbessert dem Sultan mittheilen. Ich konnte nichts dawider haben.

Es ist wirklich Schade, daß der brave Gleim 127 Verse hat drucken lassen, er ist sonst ein so durchweg liebenswürdiger Kauz, und obwohl er nicht eigentlich wußte, was Poesie sei, so liebte er sie doch wie ein Jüngling die nie gesehene Geliebte seines Herzens, und liebte sie nicht so wohlfeil wie die meisten Teutschen, d. h. er gab den Poeten zu essen und zu trinken, wenn's ihnen, wie gewöhnlich, daran gebrach. Wie manchem armen teutschen Dichter hat der Postbote einen Brief mit dem Postzeichen »Halberstadt« gebracht, worin Vater Gleim preußische Thaler zur Leibes Nahrung und Nothdurft schickte. Ja, was noch mehr war; er bettelte für die armen Poeten, wenn er selbst nichts hatte. O, er war ein wackrer Grenadier, und sein Herz war voller Gedichte, diese besten hat er nur Niemand erzählt.

Der gute Mann, ich wollte er lebte noch – da hätte ich ihm meinen naturhistorisch merkwürdigen Klempner gebracht, den hätt' er gewiß besungen. Wenn der alte Wachler in Breslau auf ihn zu sprechen kam, nicht auf den Klempner, sondern auf den Gleim, so wackelte sein weißer Kopf vor Rührung und Freude noch mehr, und seine kleinen, strahlenden schwarzen Augen funkelten noch heller, und seine schnarrende Stimme erhob sich noch schnarrender zu den Worten: »Der alte Vater Gleim dichtete fortwährend Weinlieder, und trank dabei klares Wasser.«

Und das war dem guten Wachler so spaßhaft, daß 128 er sehr lachte, und aus Gefälligkeit lachten wir alle mit, obgleich wir die Geschichte aus der Lektüre von Gleims Weinliedern schon lange kannten. Die alten Literaturhistoriker sind wie die alten Soldaten: sie sprechen nur mit Begeisterung von den Kriegen, welche sie selbst mitgemacht haben. Der Krieg und die Kritik braucht am nöthigsten stets ergänzende Jugend. Der alte Wachler giebt sich redliche Mühe, die neuen Schriftsteller kennen zu lernen, aber es gelingt ihm nicht, er hat kein Herz für sie, so wie ein Soldat aus dem siebenjährigen Kriege eine unzufriedene Rolle in den Revolutionskampagnen gespielt hätte. Wachler ist nur klassisch, wenn er von der Klopstock-Lessingschen Periode spricht, und es ist das Tragische dabei, daß er eben diese Periode für klassisch hält. Er weint nur, wenn er Klopstocks Ode an Ebert: »Sind sie nun Alle dahin« vorlies't, und ich habe einmal herzlich mit ihm geweint.

 

Ist es nicht beweinenswerth, daß funfzig Jahre hinreichen, das glänzendste Streben vergessen, ja lächerlich zu machen. Das Buch von Klopstock, was man vor funfzig Jahren nur mit Andachtsschauern in die Hand nahm, worüber man so wenig zu kritisiren wagte wie über die Bibel, dasselbe Buch ist jetzt ein halbes Spottwort, nur sogenannte Philister sprechen noch von Klopstock, und wenn man einen 129 thörichten langweiligen Dichter bezeichnen will, so sagt man. er schreibt Klopstocksche Gedichte.

Ist es nicht Grauen erregend, wenn man an einem solchen Manne die sausende Schnelligkeit der Civilisationsbewegung sieht. Man möchte eiligst im Schlafrock hinunter laufen auf die Straße und etwas Großes thun, weil man fürchtet, morgen sei es zu spät. Ja wohl, nur 365 kurze Tage braucht die Erde zum Laufe um die Sonne.

Der poetische Prediger Klopstock war dem dürren achtzehnten Jahrhunderte ein ächter Sprößling des alten Messias, er hatte ein liebevoll religiös fanatisches Herz – zu Begeisterungspoesie gehört immer ein Grad von Fanatismus – und wie dem Worte Gottes lauschten die Teutschen seinen Offenbarungen, die Bibelkundigen glaubten, die alten Propheten stünden wieder auf, und der ernsthafte Norden, von dem er hersang, erhöhte die Illusion.

Und das Alles hat sich nicht seit funfzig Jahren, nein, seit weniger denn zwanzig Jahren so verändert. Ich weiß mich zu erinnern, daß der stolze Name Klopstock an mein Ohr schlug, als ich ein kleiner strebender Bube war: alle Anwesenden machten dabei ein feierliches Gesicht, als wären sie in die Kirche getreten, und es sprach eine Zeitlang kein Mensch. Als ich meinen Vater zupfte, und ihn leise fragte, wer das sei, sagte er mir eben so leise in's Ohr: das ist 130 Teutschlands größter Dichter. Und er ging zu seinem Schreibtisch, worin die theuersten Bücher mit großen architektonischen Kupfertafeln lagen, die ich nur an Feiertagen in gehöriger Entfernung sehen durfte, und gab mir ein Buch, darin standen Klopstocks Oden. Ich eilte in unsern Hof und setzte mich in einen schattigen Winkel; es war ein schöner Sommertag, und der Sonnenschein lag innerlich lachend weit und breit auf den Dächern. Da las ich denn und las, und verstand wenig, aber es war mir so, als stünd' ich in der Kirche, wo ich auch nichts verstand, und doch sehr glücklich still und andächtig war. Ich hatte nicht viel weniger Respekt vor Herrn Klopstock, als vor dem Herrgott, und als ich zu der Ode »an Ebert« kam, und sah, daß auch Herr Klopstock so traurig sein könne, da weinte ich bitterlich, die Stelle aber, wo er durch den Nebel auf ein geliebtes Wesen hindeutet und spricht:

»Ist dann auch die nicht mehr, die einst mich lieben wird –«

ging mir wie ein Sonnenriß durch's Herz, der eine sanft und warm regnende Wolke theilt. Ich wußte noch nichts von der Liebe, war ein Bube, der die ersten Jahreszahlen lernte, aber ich ahnte plötzlich, daß es etwas Süßes, sehr Süßes sein müsse. Und das Buch sank mir auf's Knie, und ich sah sinnend in 131 den Sonnenschein hinauf, was der Herr Klopstock wohl damit meinen könne.

Bei jeder schönsten Liebe, die mir später begegnete, das heißt bei jedem Liebesweh, dachte ich an Klopstocks Ode und seinen Schmerz, und an die Worte: »hat mich auch die schon geliebt, die einst mich lieben wird« – und es hegt Niemand so viel Pietät für Klopstock als ich, denn die erste Ahnung von Liebens- und Achtenswerthen ist die Pietät – und demnach schüttelte ich zu Wachlers veraltetem, historisch erstarrtem Enthusiasmus den Kopf, und seine begeisterten Worte fanden nur zu einer kleinen Ritze meines Herzens den Eingang, wo jene Odenworte hingefallen waren.

Als Socrates starb, sprach er von der Unsterblichkeit, als Klopstock auf dem Sterbebette lag, sprach er auch darüber, und recensirte sich besser als irgend Jemand es vermag. Er sagte nämlich sterbend: diese eine Ueberzeugung nehm' ich mit mir, daß Shakespeare kein Dichter war. Und er starb.

Die Welt geht. Wer sich nicht an die unwandelbarsten Dinge hält, vergeht mit ihr, und wir Zeitschriftsteller, die wir unsre Rosse an die Interessen des Tages binden, vergehen um so schneller mit ihnen, je eher unsre Wünsche befriedigt werden. Nur gutmüthige Literaturgeschichten werden die besten der jungen Namen eine Zeitlang aus Erkenntlichkeit 132 nennen, so lange der Sieg unser Dings regiert. Es werden neue Forderungen aufwachsen, und all die geschäftigen Leute, welche jetzt handthieren als geschähe es für die Ewigkeit, sinken in ein ewiges Vergessen. Aus dem großen Wirrwar von Namen wird nur unangetastet nach Jahrhunderten noch Wolfgang Goethe bestehen, der sich in die Felsen der festeren Natur gegraben hat. Nur mancher Schriftkundige wird vielleicht dann noch den Namen seines Bewegungssohnes nennen, den er in fröhlicher Stunde unbewußt gezeugt, den er nicht anerkannt hat, weil er sich dieser Verwandtschaftskräfte nie bewußt geworden ist, den Namen dessen, der einer modernen poetischen Schule den Namen gab, den Namen Henry Heines. –

Und auch Du, liebenswürdigster aller Dichter, mit dem heißesten menschlichsten Herzen, den man liebt allerwegen, sobald man zu fühlen beginnt, auch du, Friedrich Schiller, wirst vergessen werden, und das ist etwas, worüber ich noch heute die bittersten Thränen weinen kann, denn ich liebe dich wie meine erste Liebe. Die Welt geht. Wer sich nicht an ihre unwandelbarsten Dinge hält, vergeht mit ihr – –

»Er bläs't zum dritten Male« schrie mit der Kraft der Verzweiflung mein Klempnermeister, riß sich los, und stürzte davon. Ich hatte ihn nämlich am Arme festgehalten und ihm all' das vorgesprochen. Lange hatte er gezappelt und aus Respekt nichts 133 einzuwenden gewagt. Jetzt stand das Messer an der Kehle, und sein Postgeld war ihm wichtiger, als Klopstock, Goethe und Schiller. Und er hatte Recht; ich rannte auch.

»Meine Herren, sagte der Kondukteur, die Welt geht und die Zeit rennt, wer zu spät kommt ist verloren.«

Der Konstantinopolitaner sah mich erstaunt an, und sagte:

Der Kondukteur ist auch gegen Klopstock. 134

 


 


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