Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Magdeburg.

Und es war Mittag geworden im Lande Anhalt. Wir waren in ein kleines Städtchen gekommen, dort war Alles mittagsstill, und eine Katze lag auf dem Markt in der Sonne, und ein Soldat stand Schildwacht. Ich fragte ihn, was er hier im friedlichen Lande Anhalt bewache. Er verachtete mich und schwieg. Fräulein Jerta, die sich immer größer und gewaltiger entwickelte, je höher die Sonne stieg, ging mit mir spazieren. Die alte Dame trank Kaffee im Hausflur, unser Begleiter streckte sich auf die Bank vor dem Hause, und ließ sich von der Sonne bescheinen, die Pferde fraßen, der Kutscher pumpte Wasser – es war anhaltinisch. Ich sprach mit Jerta von der Liebe, aber sie traute mir nicht – ich führte im kleinen Obstgarten hinter dem Hause ihre schöne Hand an meine Lippen, sie sah mich bedenklich rührend mit ihren großen, schwimmenden 65 Augen an; aber sie traute mir nicht – sie legte sogar einen Augenblick ihre weiche Hand an meine Wange, und fragte mich ehrlich, wovon ich so heiß sei, aber sie traute mir nicht, und als ich ihre Hand fest halten wollte an meiner heißen Wange, da sprang sie in's Haus.

– Und wir fuhren weiter, es ward dunkel, und Calbe, das verpestete Jaffa, näherte sich. Unsere Alte ward immer bewegter, und fragte zu wiederholten Malen, ob man denn auch im Wagen die Cholera bekommen könne.

Ich versicherte ihr zu wiederholten Malen, kein vernünftiger Mensch bekomme im Wagen die Cholera. Das war ihr aber ein sehr unsichrer Trost.

Indessen kam die Nacht und mit ihr der beruhigende Schlaf für meine Gefährten, Jerta erkundigte sich nach einigen Sternen – sie wollte schwärmen mit dem kleinen und großen Bär – und schlief auch ein. Die Nacht war ziemlich hell, und ich sah weit über die ausdruckslose Gegend hin, die in matter Fläche sich ausdehnt, ich gedachte des mittelmäßigen Pflanzenlebens, was die Leute auf diesem Strich Erde führen. Sie quälen sich für des Leibes Nothdurft, und das ist ihr Sinnen und Trachten, womit sie aufstehn und sich zu Bette legen, und des Sonntags lassen sie sich vom Pfaffen etwas über das Himmelreich sagen, und unter dem 66 Himmelreich denken sie sich Braten und Kuchen, und alle Tage Sonntag, die Weiber aber hoffen, das Kindergebären werde nicht mehr schmerzhaft seyn. Ein Hoffen und Fürchten, was über Nahrung und Schulden hinausgeht, kennen sie nicht, und doch sterben sie nicht gern. Ich sah hastiger zwischen die Sterne, ob ich des Herrgotts Gesicht nicht entdecken und aus seinen Augen die Absichten und Geheimnisse seines Treibens mit uns herauslesen könne. Da hielt der Wagen; ich hörte die Saale rauschen, wir waren an der Fähre; zehn Schritt neben uns lag Calbe mit der Cholera, zusammengeballt wie ein schwarzes Gespenst.

Wie mancher arme Teufel mochte eben da drüben an der unanständigsten Krankheit seinen Todesschweiß schwitzen. Ich hatte das Ungethüm in Schlesien gesehn: mein Ekel davor war größer als meine Furcht. Und doch ist sie mit ihren schauderhaft komischen Waffen eine vollkommen moderne Pest, ein Pendant des Humors, ein Todeshumor. So wie dieser die gemeinsten Gegenstände für sich in Beschlag nimmt in seiner unwählerischen Demokratie, so tödtet sie die Menschen mit Dingen, die wir unanständig und lächerlich zu nennen übereingekommen sind. Sie ist todtesernsthaft und todtesspashaft, wie man es nennen will, mit Waffen, die uns bisher zum Spott und zum Gelächter dienten, sie ist der 67 populärste und wirksamste humoristische Schriftsteller, den wir je in Teutschland gehabt. Und was den großen Städten noch erlaubt war, ein zorniger Lärm gegen das Ungethüm, ein Aufstand, der, wenn auch dumm und nutzlos, doch den Alpdruck ein wenig lüftete – das ist solch' einem Städtchen an der Saale nicht einmal gestattet. Ruhmlos und ohne Versuch zum Widerstande stirbt der Calbenser in stiller Nacht, nicht einmal die Renommée der Cholera, die etwas episch Wichtiges über eine große Stadt verbreitete, entschädigt ihn. Arme Calbenser! ich weiß Euch nicht zu helfen, warum seid Ihr aus Calbe!

Die Fährleute tranken schweigend ihren Schnaps, kauten Tabak und sprachen kein Wort. Daß ihre Gesichter bleich aussahen, mochte vom Laternenschein kommen. Mich fror, und ich drückte mich in die Wagenecke; es ging immer tiefer in's märkische Land, und ich verlor nichts, wenn ich schlief. Jerta schien gleiche Empfindungen zu theilen: sie griff im Schlaf herunter nach meinem Mantel, und deckte sich damit zu, ich ließ mir die intimere Annäherung duldsam gefallen, und träumte bunter, als der einförmige, nächtliche Weg verdiente.

Als die Sonne kam, sahen wir von einer kleinen Anhöhe Magdeburg und das Elbthal. Das unscheinbarste Gesicht sieht leidlich interessant aus, 68 wenn es sich bis zum Morgen warm und roth geschlafen hat. Die stolze Magdeburgis ist der erste märkische Prahlhans: sie machte sich in dem Morgenscheine mit ihrem Dome und ihrer Elbe ganz hübsch, wie ein ärmlich montirter Soldat, dessen Gewehr durch den Nebel in der Morgensonne blitzt. Und ich wußte doch, daß nichts dahinter war, und sollte es bald erfahren.

Und doch ist mir die Mark mit ihrer Renomisterei und ihrer Unverschämtheit lieber als Anhalt und was drum und dran ist mit seiner mittelmäßigen Gleichgültigkeit. Es ist doch Nerv und Spannkraft im Märker, und er hat doch Kourage, wenn auch bisweilen zu nichts weiter als zum Aufschneiden. Zum Aufschneiden gehört schon eine Art von Phantasie und speculative Thätigkeit. Der Märker braucht wenigstens bereits ein Interesse, und wenn er auch noch auf das Abgeschmackteste fällt, so bekundet sich doch schon ein geistiges Blut.

Es ist auffallend, wie deutlich sich der Volkscharakter in den provinziellen Dialekten unsers Vaterlandes abstuft und ausdrückt. Der Schlesier spricht eine harmlose schwatzhafte Mundart, in welcher noch ein großer Rest österreichischer, heimlicher Gutmüthigkeit wohnt. Eine thörichte Bescheidenheit läßt den Accent nicht bis zur Höhe der vollen Doppelvokale aufsteigen, er spricht episch schnell und die vollen 69 Laute zerquetscht er zu kleinen Vokalen, die harten Konsonanten zerdrückt er zu weichen Stauden »'s is ihm firchterlich, die Leite mit hochen Worten zu erschrecken.« Bei dieser Schnelligkeit der Rede, welcher er alle Hindernisse aus dem Wege räumt, ist eine gewisse Rührigkeit und Behendigkeit im Schlesier geblieben, die ihn viel empfangen und in aller Eil verbrauchen läßt, es ist ihm indeß das vollere, derbere Nordteutschland nöthig, wenn sich etwas Ernstes, Schweres in sein Wort ansiedeln soll. Aber er hat eine große Bildungsfähigkeit vor dem Dialekte des Sachsen voraus, er ist ein junger Virtuos, der bequeme mittelmäßige Streicher auf den Kirchmessen spielt und viel neue Melodieen erlernen kann. Der Sachse aber ist ein alter Musikant, welcher immer und ewig »Blühe liebes Veilchen« aufgeigt. Und wenn er was Neues, Kräftiges, oder was Fremdes versuchen will, so schwänzelt immer wie ein kleines sentimentales Hündchen sein »Blühe liebes Veilchen« dazwischen. Ich glaube, es ist der Kapellmeister Schneider gewesen, der die Marseillaise und »Heil dir im Siegerkranz« ineinander hinein komponirt hat: unter den wildesten Revolutionsrhythmen geht in unerschütterlichem Schritte »Heil dir im Siegerkranz« einher. So mag der Sachse noch so kuriose Dinge sprechen, es geht immer der spaßhafte Grundton »Ach Herr Jeses, heeren Se« unter den 70 Worten her; er mag zürnen wie ein Titan, man glaubt's ihm nicht, weil der Dialekt den Zorn parodirt. Es ist ein Unglück, in Sachsen sprechen gelernt zu haben, denn der sächsische Dialekt schwemmt das Organ so tief aus, daß nie wieder etwas Anderes damit zu machen ist. Wenn beim Pfingstfest zu Jerusalem unter den andern heiligen Geistern auch ein sächsischer erschienen wäre, die Apostel wären zu Schanden geworden, und hätten sich blamirt. So hartnäckig selbstständig ist dieser Dialekt in seiner singenden Weichlichkeit, daß er wie ein neutrales Fluidum sich mit keiner andern Substanz verbinden läßt. Von jedem Worte schleift man die Ecken ab, und das ist seine Verwandtschaft mit dem Schlesischen, aber er begnügt sich nicht damit, sondern biegt den abgeschliffenen Ton noch in die Höhe und hängt ein flatterndes Schwänzchen daran. Er hat keinen sichern, festen Tritt, sondern geht trippelnd immer auf- und abwärts, er hat keinen Redefall, sondern den Singfall. Jeder Satz wird wie eine halbe Skala gesungen, und weil der Brustton zu jäh und unhöflich hervorkommt, so muß er immer erst die Werkstätten der Kopf- und Nasalstimmen passiren, eh er zum Vorschein kommen darf. Ein ächter Sachse in der Nähe von Dresden spricht mit lebendiger Beihilfe der Nase und leidet stets am Stockschnupfen. Es ist ein Dialekt völliger Unkraft 71 und Thatlosigkeit, und es ist den Sachsen hoch anzurechnen, daß sie ihm noch immer nicht ganz erlegen sind. Ich habe mich im Jahre der Revolutionen 1830 über nichts mehr gewundert, als über die Aufstände in Sachsen, und es hat mir keine Bewegung des Volks mehr imponirt als die sächsische; denn es war erst der gefährlichste Feind, eine thatlose, kraftlose, allen Enthusiasmus verkleisternde Sprache zu überwinden, was andern Nationen zur That behilflich, was bei so vielen schon die halbe That ist, das geflügelte Wort, die fortreißende Rede – das trat dem Sachsen wie ein Hinderniß in den Weg. Wenn ein Sachse auf gut Sächsisch begeistern will, so klingeln die kleinen naiven Schellen hinter jeder Komma, und man hält's für einen Spaß, wenn der Sprecher ein noch so ernsthaftes Gesicht macht. Der Dialekt hat keine Zähne. Und doch hat sich dieses Volk, die leere Höflichkeit abgerechnet, welche nirgends so abgenutzt wird als in Sachsen, eine Art von Zähigkeit, von hartnäckigem Willen, von eigensinniger Selbstständigkeit, ja von nachhaltiger Charakterstärke bewahrt, welche bei einer völlig charakterlosen Sprache, die gar keinen Willen hat, in das größte Erstaunen setzt. Der Sachse ist bei aller scheinbar willenlosen, windelweichen Artigkeit so charakterhartnäckig und konsequent, wie kaum irgend ein teutscher Volksstamm. Was müßte er 72 darum geben, wenn diese Selbstständigkeit in einer straffen, festen Schritts und Tritts einhergehenden Mundart erscheinen könnte. Das jüngere Geschlecht erkennt auch immer klarer dieses Hinderniß, und bestrebt sich, den Dialekt zu reinigen. Man braucht durchaus nicht darauf auszugehn, jede Schattirung der Stammeigenthümlichkeit zu verwischen, das hieße eben so viel mannigfachen Reiz vertilgen, als wenn man den Landleuten ihre Trachten nehmen und sie nach Pariser Moden kleiden wollte. Aber man kann ein Individuum bleiben, und doch allgemeinen Gesetzen huldigen.

Bei dem jetzigen Dialekte ist dem Sachsen auch jede fremde Sprache verschlossen, er biegt die Redeorgane gewaltsam nach gewissen Winkeln und Richtungen, daß sie alle Unparteilichkeit einbüßen, und jede fremde Sprache sächsisch produciren. Es ist keine teutsche Mundart so eigensinnig, so antikosmopolitisch als die sächsische.

Zwischen ihr und der schlesischen streckt sich die Stiefschwester beider Provinzen, die Lausitz, in sandigen Flächen und einförmigen Föhrenwäldern hin, ein unleserlich bedrucktes Blatt im Buche Teutschland. Diese Provinz hat seit mehrern Jahrhunderten still mit selbstgeschlossenen Augen dagesessen, eine Hand nach Schlesien, die andere nach Sachsen und das Ohr unmuthig nach der Mark hingestreckt. Eben 73 so hat sich auch die Sprache jener Leute. die nicht warm noch kalt sitzen, verhalten. Nach Sorau hinauf wird mehr geschlesiert, nach Cottbus und Guben hinüber mehr gemärkert, nach Görlitz und Spremberg hin mehr gesächsert. Aber das Herz der Lausitz was Liebe und Haß empfindet, hat sich lange Zeit zu Sachsen hingeneigt. Dies Land ist das teutsche Tomi, es fehlt ihm nur der Ovid. Wenn man das Wort Lausitz ausspricht, so denkt man an die Langeweile, und das Land wird am interessantesten, wenn's regnet. Die Theologen nennen es Patmos, und der alte, wackere Superintendent Worbs zu Pribus ist der mürrische Lausitzer Johannes, der alljährlich seine trocknen Geschichtsoffenbarungen über die provinziellen, vermoderten Herzöge und Fürsten schreibt. Aus Langeweile hat hier Ernst v. Houwald seine larmoyanten Dramen geschrieben, aus Langeweile ist Solger, ein halber Lausitzer, hier ein feiner Aesthetiker geworden, und hat so lange Briefe geschrieben, aus Langeweile schreibt Leopold Schefer in Muskau alle Jahre ein paar phantasiereiche Novellen, aus Langeweile ist sein Patronus, der Fürst Pückler, verstorben und nach England und Frankreich gereist, um seiner Julia, welche er liebt, und die sonst auch seine Gattin war, interessante Briefe zu schreiben, aus Langeweile betrachtet der Dr. Nürnberger in Sorau die Wolken und die 74 Sterne, und beschreibt sie im Morgenblatte. – Alles geschieht in der Lausitz aus Langeweile, und wenn's was Gutes ist, so kann die Lausitz nicht dafür. Sobald sie aber direkt in's Spiel kommt, begiebt sich auch gewiß etwas Langweiliges, davon weiß der Königlich Preußische Justizkommissarius zu Lübben, wie auch der Oberlaus. Gesellschaft für die Wissenschaften ordentliches Mitglied, Herr F. W. Neumann, zu erzählen, welcher den »Versuch einer Geschichte der Niederlausitzschen Landvögte« geschrieben hat. Ein Unternehmen, dem, beim Propheten, Keiner gewachsen ist, der nicht schon eine erkleckliche Zeit in der Lausitz gelebt hat.

Ich werde bei der Lausitz immer an amerikanische Urstämme erinnert, welche die Kultur beleckt, aber noch nicht durchgebildet und geschwächt hat. Die Lausitzer erscheinen mir wie die letzten Mohikans eines alten verwüsteten Geschlechts: mitten unter ihnen, zum Theil jetzt schon in Sachsen, wohnen noch reine, unverfälschte Ueberreste der alten Wenden, ein nordheidnisch ernsthafter, verwildert hochgewachsener Menschenstamm, die mitten unter uns herumgehen mit einer stockfremden, unzufrieden murrenden, und doch an Arm und Bein zerschlagenen Sprache; das reine düstre Bild übereilter und überbauter Urstämme. Aber auch den Lausitzern selbst meinte ich in der Fremde stets etwas ähnlich Fremdes, Ursprüngliches, 75 Wendischromantisches anzusehen. Ein wenig kulturfremd und blöde verstecken sie das hinter eine ostentirte Kourage, die Lausitzer Studenten zeichnen sich auf den Universitäten immer durch ein forcirtes Wagen mit Becher und Klinge aus. Sie streben darnach, ihrem ausdruckslosen Lande eine auffallende Physiognomie der Menschen zu geben.

Die Dialekte führten mich anfänglich nach Schlesien, der Lausitz und Sachsen, obwohl ich diese Provinzen natürlich auf der Reise nach Magdeburg nicht berührte. Es liegt aber auch noch eine tiefere Bedingung zum Grunde: ich bedurfte jener Länder, um den Begriff teutscher Zwischenländer aufzustellen, und unsre Mundarten stufenweise zu entwickeln.

So wunderlich es klingen mag: Sachsen ist mit seiner teutschen Redeweise der Scheidepunkt von Nord- und Südteutsch: dieser Begriff Sachsen erstreckt sich aber in der Breite von Spremberg oder Torgau bis Eisenach. Er hat gar nichts mit der früheren Bezeichnung Niedersachsen zu schaffen, sondern ist eben das Grenzland Sachsen, was den Süden vom Norden scheidet. Von der Wartburg, den Thüringerwald und das Erzgebirg' entlang, über die Vorhügel bei Zittau hinweg nach den Lausitzer Föhren zieht sich die östliche Grenzlinie zwischen dem Süden und Norden der teutsch redenden Völker. Westlich wird sie fortgesetzt durch Hessen 76 Cassel und einen Theil der Rheinprovinzen, welche dort die Zwischenländer, die Brechung des teutschen Wortes bilden. In jenem Westen beginnt der Nord mit Westphalen und streng und plötzlich im schönen romantischen Mündner Waldgrunde mit Hannover, in unserm Osten mit der Mark im weitesten Sinne des Worts. Wo das Plattteutsche sich langsam erhebt, da beginnt überall schon Nordteutschland. Die nördlichen Thüringer, die südlichsten Harzbewohner, das Land Mansfeld, Anhalt, und weiter hinab die Lausitz, sind mehr oder minder das moderne Sachsen, das indifferente Scheideland zwischen dem Norden und Süden Teutschlands. Der bequeme, legère südteutsche Accent bricht sich in Hessen, im Voigtlande, an der böhmischen Grenze, in der Lausitz. An der böhmischen Grenze geht er durch die nicht teutschen Böhmen wie ein Fluß im Sande völlig verloren, und es beginnt darum diesseits des Erzgebirges die ganz originale, weichlich singende sächsische Mundart, welche sich nach den verschiedenen Seiten in mancherlei Schattirungen verbreitet.

Hier bei Magdeburg nun ist eine ihrer Grenzgegenden, wo sie allmählig ganz von den nordteutschen vollen Vokalen und harten und starken Konsonanten verschlungen und zermalmt wird.

Auf diesem Umwege sind wir wieder vor Magdeburg bei Fräulein Jerta angekommen, die mit 77 Hilfe des kleinen schmutzigen Spiegels im Wirthshause ihre Toilette macht. Die Alte ist durch die nächtliche Fahrt sehr erschöpft und lallt von der Cholera und lechzt nach Kaffee, unser Reisegefährte ist in der Nacht abhanden gekommen, der Herr Wirth im ledernen Schaafpelz, welcher nur ein Stück bis über die Kniee reicht, ist noch verschlafen, spielt aber als angehender Märker den geistreichen Galanten gegen die Damen. Halbblaue Strümpfe bedecken nachlässig das Unterbein, hölzerne massive Pantoffeln schlagen den Takt zu seinen massiven Komplimenten. Der sächsische Accent liegt in den letzten Zügen, das jlatte, märkische Fangmesser ist ihm an die Kehle gesetzt. Ein im letzten Stadium sich entwickelnder Dialekt ist wie junge Mädchen, die nahe daran sind, Jungfrauen zu werden. Alles ist noch eckig, hervorstehend, das Auge verletzend, unreif. In der Gegend von Wittenberg und Magdeburg sieht man das eckigste Mädchen dieser Art. Das Sächsische und Märkische haben sich grinsend in den Armen gelegen, und ein Idiom erzeugt, was dem buntesten Wechselbalge gleicht. –

Magdeburg selbst hat drei Merkwürdigkeiten: den Bürgermeister Franke, den Dom und die Sage vom Weiberball. Der erste ist klassisch, der zweite romantisch christlich, die dritte romantisch heidnisch, weil ein keuscher Vorhang über ihrer Unkeuschheit 78 hängt. Dieser Weiberball – man nennt ihn auch den schönen Frauenverein – ist aber das Interessanteste von Magdeburg, der treffliche Bürgermeister und der christliche Dom müssen mir das gestatten. Sonst weiß man in Magdeburg Alles; es ist die erste preußische Stadt, preußischer noch als Berlin, und in Preußen weiß man bekanntlich schon lange Alles; in Magdeburg hat man das Schießpulver erfunden und in Berlin die Ironie; in Magdeburg giebt's jetzt auch einen Telegraphen, und man weiß in ein paar Minuten, ob man in Berlin gut oder schlecht geschlafen, und ob Mlle. Hagn ein rothes Kleid oder ein rosenrothes getragen habe; aber was es eigentlich für eine Bewandniß mit dem Weiberballe habe, das weiß man nicht. Er ist allein das Zauberwort, den Strom der märkisch-preußisch-magdeburgischen Allwissenheit zu stopfen. Die Magdeburger werden kleinlaut, wenn man das verhängnißvolle Wort ausspricht, und je vornehmer sie sind, desto kleinlauter. Man ist sehr fromm in Magdeburg, weil man sehr preußisch ist; die guten alten Reichszeiten leben wieder auf; ich war mit Fräulein Jerta in einer Gesellschaft, die meist aus Komödianten und Komödianten liebhabern bestand, und es war nicht von Kotzebue und Raupach und von gewissen Proben, sondern vom Bischof Dräseke und vom heiligen Geiste die Rede, und wir mußten uns dem guten Tone anschließen, und 79 mit in die Kirche gehn. Der Dom wird schon sehr lange restaurirt: man interessirt sich überhaupt in diesen Gegenden für alle Restauration, und die kirchliche kostet den König von Preußen viel Geld. Dafür liebt man ihn aber auch nirgends so industriös als in Magdeburg, das ist seine allergetreuste Stadt, ein modernes Saragossa, und man geht in den Dom, und hört lange Predigten. Der kleine nüchterne Tilly, welcher den sehr einfältigen Ruhm zu verlieren hatte, nie trunken gewesen zu seyn, nie ein Weib berührt, nie eine Schlacht verloren zu haben, hat bekanntlich den Dom einst stark beschädigt, diese Wunden hat man ächt protestantisch bis auf die neueste Zeit offen gelassen, und erst in dieser eine Heilung versucht. Friedrich der Große mag wohl Schuld an dieser späten Kur haben: er interessirte sich nicht für die Kirchen. Jetzt ist das Gebäude wieder recht stattlich geworden; ein Nibelungenreisender weiß nur nicht recht, was er damit anfangen soll, es ist nicht recht gothisch oder altteutsch, nicht mittelalterlich, luftig-schnörkelig; gegen einen mystischen alten Dom sieht es schon sehr naseweis aufgeklärt aus, es hat keinen tiefen Charakter.

Jerta hing an meinem Arme, und war in großer Verlegenheit wegen des Windes, der sich zudringlich mit ihren Kleidern beschäftigte – es war Ziererei, denn sie hatte sich eines vollen schönen 80 Beines nicht zu schämen, und der Magdeburger heilige Geist wußte das am Besten, darum wehte er. – Um die Kirchen ist immer viel Wind. – Sie hätte mich beinahe aus Verlegenheit geküßt. In der Kirche war sie sehr andächtig, es wurde von den fünftausend Mann und den wenig Broten und zween Fischen gesprochen, eine Predigt für's Militair und die Officianten, die mit ihrem Brote zufrieden sein sollen. Heißhungrig hörten die Leute zu. Ich machte dem Herrgott im Stillen Vorwürfe, daß er es nicht umgekehrt und fünftausend Brote für wenig Menschen gäbe, was ihm offenbar doch eben so wenig Mühe machen würde. Der böse Kirchenrath Paulus in Heidelberg soll die biblische Geschichte für einen Schreibfehler halten, und wirklich der Meinung sein, die fünftausend gehörten vor die Brote. Es giebt recht schlimme und recht prosaische Menschen.

Als die Gemeinde gesättigt war, und das Intelligenzblatt des Gottesdienstes, Todesfälle, Kindtaufen, Verlobungen und dergleichen materielle Dinge abgelesen wurden, faßte ich mir ein Herz, meine Nachbarin, die eigentlich polizeiwidrig ein weiches, schwelgerisch katholisches Gesicht hatte, anzureden, sie war so oft mit der Hand nach dem Herzen gefahren, wenn der Bischof von den fünftausend Männern gesprochen und in Begeisterung hinzugesetzt hatte, das sei nur eine Angabe in Bausch und Bogen, und es könnten ihrer 81 noch viel tausend mehr gewesen sein. Ich glaubte, ihren Schmerz zu erkennen, daß sie kein größeres Herz habe, und es schien mir am Passendsten, ein Gespräch über den Orient, den Herrn Muhammed und Monsieur Enfantin und die »femme libre« mit ihr anzuknüpfen. Aber sie erwiderte mir sehr protestantisch, in Magdeburg verachte man die fremden Zeitungen. Nun fragte ich sie natürlich nach dem Weiberballe, weil das eine wunderliche Tradition ist.

Wie der Blitz schlug das ein, das Blut jagte stürmisch durch das Gesicht, sie faßte unten in der Dunkelheit der Bänke nach meiner Hand, ich hatte kaum Zeit, den Handschuh auszuziehen, drückte sie krampfhaft, und bat mich um Gotteswillen zu schweigen. Des Abends um acht Uhr solle ich sie auf dem breiten Wege vor der Stadt London erwarten, sie werde vorüberfahren, mich in den Wagen nehmen, und mir das Nöthige anvertrauen, aber ich solle ihr sogleich schwören, nie ein Wort von dem zu verrathen, was wir je mit einander gesprochen. Ich schwur in aller Eile. Sie hatte wahrscheinlich mit all' den Dingen so geeilt, weil der Bischof eben die Sünden vergeben wollte, sie war fertig, eh' das geschah, und schlürfte mit frommen, weit aufgeschlagnen, himmelsbuhlerischen Augen und mit leicht geöffneten, sehnsüchtigen Lippen die vollständige Absolution ein. Dann sah sie mir noch einmal eindringlich in 82 die Augen bis tief in das Hirn hinein, und ging. Die Kirche war aus, Jerta ließ sich nicht von mir führen, und sprach von schleuniger Abreise. Der griechische Argus ist kein Mann gewesen, sondern ein Weib.

Ich stempelte unsern Kutscher, er erklärte, das Handpferd sei lahm, und er könne erst morgen früh fahren. Jerta ward stürmisch, und wollte Postpferde nehmen, ich mußte sie Elvira nennen. Der alten Tante setzte ich auseinander, daß die Poststraße drei Meilen weiter sei, und so und so viel koste. Darauf ging ich zu Tische. Ueber der geistigen Speise wird die irdische vernachlässigt, man iss't in Preußen mittelmäßig. Alles sprach von der Speisung der fünftausend Mann. Ich war sehr unglücklich, daß die Zeit in Magdeburg so langsam ging, und daß es nicht acht Uhr schlagen wollte, gab mir nach Tisch mit einigen Tischnachbarn große Mühe, mich auf einer Landpartie zu amüsiren, und stand ganz ausgetrocknet vor der Stadt London, als es ¾8 schlug. Sie kam, sie war sehr schön, sehr katholisch, aber vom Weiberballe wollte sie nichts erzählen, und ich vergaß am Ende, darnach zu fragen.

Wir sprachen über Allerlei, wahrscheinlich war sie verheurathet, denn sie vertheidigte lebhaft das System der Nichtintervention. Vor einem großen Hause ließ sie halten, ein Wagen fuhr im Lohnkutschertrabe 83 vorüber – wahrhaftig, es war Jerta. Ich war unschlüssig, was zu thun sei.

»Man ist zu Hause!« »»Gnädige Frau«« – referirte ein Diener – »»es ist beim Thee Bibelgesellschaft beliebt worden, und es war schon nach Ihnen gesendet, der Johann muß Sie verfehlt haben.««

»Demain comme aujourd'hui Msr. - bon soir.«

Ich jagte meiner flüchtigen Jerta nach, dem verrätherischen Kutscher drohte ich mit der Polizei, wenn er nicht umkehre, und mich und meine Sachen mitnehme. Jerta schwieg, er that's.

Als ich dem Kellner das Trinkgeld abzählte, fragte ich ihn nach dem Weiberballe. Er machte ein Faunengesicht, und zog Augen und Stirn in die Höhe. Drauf sprach er leise, wohl zehn Minuten lang, mein Kutscher rief, die Fremden klingelten, aber das Thema interessirte ihn.

Meiner stockstummen Jerta gegenübersitzend, wußte ich, was der Weiberball sei. Aber ich darf nichts davon erzählen, und es ist eigentlich eine ganz alte Geschichte. Schon der verstorbene Geheimerath Göthe wußte davon, als er »Der Gott und die Bajadere« schrieb. Es war meine Schuld, daß ich nichts von Orgien der Venus gehört hatte, wo die Priesterinnen aus dem Meeresschaume in die Quadrille, den Kontretanz und die Galoppade fliegen, wo die plastischen 84 Künstler sich begeistern, wo das blühende Fleisch, welchem der christliche Glaube das Sonnenlicht genommen hat, beim Lampenscheine in die heißen Augen hüpft, wo es keinen Protestantismus giebt.

Aber ich halte die Sage vom Weiberball für eine Verläumdung, und traue den Magdeburgern nicht so viel Genialität zu.

Die Magdeburger sind keine Genies, sondern gute Christen. 85

 


 


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