Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Marienbad.

Die Gegend hat fortwährend jenen böhmischen, halb nomadischen Charakter, sie sieht halbwüst aus. Hier und da ist der Pflug darüber hingezogen. Man sieht wenig Menschen, wenig Dörfer, das Ganze ist eine niedrige Hochebene. Unbedeutende Berge und Waldungen ziehen sich bald hier bald da im Lande herum. Vornehme Reisewagen flogen zuweilen an uns vorüber, die Gegend schien nur zum Durchpassiren für die Badegäste da zu sein, denn sonst fuhr Niemand. Ich machte die Augen zu, drückte mich in die Ecke des Wagens, und dachte an Maria und ihre warme schöne Wange, der Starost sprach von den polnischen Juden. Man halte ihn oft wegen seines russischen Barts und orientalischen Ansehns für einen Israeliten. In Teutschland habe man überhaupt gar keinen asiatischen Geschmack, und Alles, was orientalisch aussehe, nenne man Juden. Man verstünde auch wenig von orientalischer Schönheit, die klaren, 427 ausgeprägten Menschenzüge, welche den scharf abgeschnittenen Sternbildern am morgenländischen Himmel glichen, wüßte man gar nicht zu würdigen; weil die Juden Unarten hätten, die ein Ergebniß jeder Sklaverei seien, haßte man Alles an ihnen, auch ihre Schönheit. Die kleinen verwischten Züge unsers Geschlechts hätte nur die Romantik genießbar gemacht; ein gesunder, plastischer Schönheitssinn werde sich immer zum Armenier, Türken, Juden flüchten, wo er vollständige, reife Menschenbilder fände. In Teutschland seien alle Gesichter stumpf; es habe kein Land die Emancipation der Juden so nöthig, als dieses, damit die deutlichen Menschengesichter gediehen; nur Rußland habe es noch nöthiger, sich mit den Juden zu vermischen. Jehovah habe auch gewiß eine solche Racen-Verschönerung beabsichtigt, als er ein asiatisches Volk vom Jordan in alle Winkel zerstreut habe. Aus Asien komme die Schönheit, aus Amerika das Gold, Europa sei eigentlich bettelarm, und um doch etwas zu besitzen, habe man hier die Gelehrsamkeit erfunden. Nur wolle die herrschende Religion nicht dazu passen, denn das Christenthum befördre sie weniger als der Mosaismus. Die Juden seien von Religionswegen klüger als die Christen, der Talmud lehre nachdenken, er entwickle, die Bibel gebe historische Data und Resultate, Christus habe sich zu lange präparirt: die Lehre sei zu fertig 428 und die Leute hätten nichts mehr zu thun. Der Talmud und die Unterdrückung sei Schuld, daß die Juden scharfsinniger seien, als die Christen.

Ich fragte ihn, ob er Wurst und Schweinefleisch äße. »Mit Vergnügen« – erwiderte er – »ich gebe mich zwar gern für einen Juden aus, um die Leute herauszufordern, aber ich theile die Thorheiten ihrer klimatischen Gesetze nicht.«

Der Starost ging augenscheinlich darauf aus, ein großer Mann zu werden, namentlich da er eben nichts Besseres zu thun hatte, denn es regnete nicht nur industriös, sondern hastig.

Der Wagen rollte in ein waldiges Thal hinein, kerzengerad und triefend standen an beiden Seiten die jungen schlanken Tannen wie ein Heer römischer Jünglinge in der Schlacht. Sie begleiteten uns treu auf einem im Kreise hinabeilenden Wege, in dessen Kessel plötzlich Marienbad die nassen Dächer zeigte. Stärkere Bäume gruppiren sich bis unten an die Häuser, und es gewährt den Anblick, als führe man in ein altes Theater hinein, die terrassenförmig aufsteigenden Bäume seien die Zuschauer.

Die reducirten Adligen etabliren in Oestreich Gasthöfe, und ihre Titel dienen als Schilder. Der Postillon fragte, ob er uns zum Grafen oder zum Baron fahren sollte, der Baron sei aber besser.

Wir schlüpften in's Zimmer und ließen Feuer 429 anmachen, obwohl es mitten im Sommer war. Nachdem wir uns umgekleidet und in die weichen Schlafröcke gewickelt hatten, öffneten wir die Fenster, und ließen die Reiselust dampfen aus den frischgewaschenen Gesichtern und Augen. Die Wärme strich uns um die Schläfe nach der Regenluft hinaus, vor unserm Hause war ein abschüssiger freier Platz, weit drüben an seinem Ende öffneten sich die Waldberge, und große Christuskreuze heben sich in dem Passe empor. Dahinter aber öffnete sich licht das Land mit unbestimmter matt schimmernder Ferne, durch den dunkel regnerischen Vordergrund sahen wir in ein süß dämmerndes Jenseits. Der ganze Anblick war süß katholisch, die fächelnde Wärme flüsterte stille lateinisch-italienische Worte, große Parteien von stolzen Gebäuden sahen uns nun mit dunkeln, vom Regen geschwärzten Augen an. Alles war todtenstill. Leidende Herzen, hoffende Unterleiber aus Norden und Süden saßen hinter den stummen Mauern, aber kein Laut verkündete, daß ein Mensch in Marienbad wohne.

Als es dunkel wurde, schlug ich dem Starost vor, eine Partie Whist mit mir zu spielen, die Postpferde zu bestellen, und nichts mehr von Marienbad zu sehen, sondern diesen Eindruck stummer, italienischer Villen mit uns zu nehmen. Er war's zufrieden, und wir ließen uns Karten bringen. Die Karten bedecken 430 die Stimmungen ohne sie zu zerstören, ich mochte mir's kaum gestehen, wie die kleinen Hände der schönen Maria an meinem Herzen zerrten. Ich erzählte dem Starost die Geschichte vom Nordteutschen, und daß er mir ein Stück Jugend gestohlen, und all' die beunruhigenden Verhältnisse, für welche ich keinen Schlüssel fand. Völker, welche in einfachen Situationen groß geworden sind, die wenig mit komplicirter Gesellschaft verkehren, sehen schnell und scharf, sie müssen in öden Steppen und verwickelten Wäldern oft den Weg suchen, ihr Blick ist unbefangener – der Starost sagte, jener Nordteutsche mit der seidnen Weste habe uns alle düpirt. –

In diesem Augenblicke ging die Thür auf, ein um und um zugeschlagener Mantel trat ein, und der Wolf in der Fabel war's. Er legte stumm Mantel und Hut ab, setzte sich lächelnd zu uns, und bat sich einen Strohmann aus. Wenn wir eine Stunde gespielt hätten, wollte er uns mancherlei erzählen.

Als abgehärtete Lebemenschen zeigten wir gar keine Verwunderung, und spielten ruhig Whist. Da er den Rock aufknöpfte, sah ich, daß er heute die seidne Weste nicht trug.

Da wir aufhörten, bestellte ich Thee, der Nordteutsche rauchte sich eine frische Cigarre an, räusperte sich, faßte meine Hand, und sprach: Sie sind ein Novellist, und können eine Novelle nicht übel 431 nehmen, wenn Sie nicht voll Handwerksneid sind. Hören Sie mich an, und erlauben Sie, daß ich nicht um Verzeihung bitte. Und er sprach wie folgt.

»Meine Schwägerin ist ein naseweises Weibchen, die gern alle Welt verwirrt und auslacht. Sie hatte in ihren Briefen schon allerlei Wege versucht, mich zum Narren zu haben; ich beschloß, ihr selbst einen zu öffnen, und schrieb ihr die Geschichte von meinem Nervenfieber, und daß ich das Gedächtniß verloren hätte, und nichts mehr von meiner Jugend wüßte. Darauf hatte sie die Güte, mir jene Schulbegebenheiten mit Julie und die fünfjährige stumme Liebe zu dem blonden Mädchen mitzutheilen, und mir ihre lebhafteste Verwunderung darüber auszudrücken, daß ich so tiefe Eindrücke hätte vergessen können, das blonde Mädchen gedenke noch lebhaft meiner. Mein Bruder aber, der mit mir unter einer Decke spielte, hatte den Herrn Tuli leicht aufgefunden, und kam mit leichter Mühe dahinter, daß Sie, Herr Doktor, jener vogelmörderische, schweigsam liebende Jüngling gewesen seien. Nun ließ ich Sie in Leipzig aushorchen, ob und wann Sie in ein Bad reisen würden, oder ob die Intrigue in Leipzig abgesponnen werden müßte. Gegen meine Schwägerin hatte ich mich nämlich höchlichst erfreut gestellt, und lebhaft von ihr mir ein Rendezvous mit meiner Jugendliebe erbeten. Ich erfuhr, daß, und wann Sie nach Karlsbad gehn 432 würden, und bestellte sie dahin. Zu rechter Zeit war ich in Leipzig und stieg mit Ihnen auf den Postwagen; eine Stunde vorher hatte ich noch von meinem Bruder die Nachricht erhalten, das Mädchen, was mir seine Frau in Karlsbad vorstellen würde, sei nicht Ihr blondes Wesen, was Sie im Quinquennium angebetet, sondern eines Professors Tochter, ein loses Kind, mit welcher meine Schwägerin in Briefwechsel stünde. Der Professor habe bereits die Einwilligung zur Hochzeit mit mir gegeben. Das Mädchen wollte sich aber erst den Bräutigam ansehn. In Zwickau trat die Novelle in's Leben, in Karlsbad ist sie vor wenig Stunden zu End' gegangen. Maria wollte heut Morgen trotz des Regens nach dem Heilingsfelsen fahren, meine Schwägerin und der Professor, denen Sie, lieber Doktor, im Wege waren, wollten nichts von der Partie wissen. Es gab eine häusliche Scene, da ich mich dem zukünftigen Schwiegervater anschloß, und Maria erklärte, daß sie mich nimmermehr heurathen wolle. Darauf zog ich lachend den Schleier von der Geschichte, und theilte unter Anderm meiner Frau Schwägerin mit, daß ich schon lange verheurathet sei.

Sie wollte mir die Augen auskratzen, der Professor war sehr ärgerlich, und erinnerte sich, daß Sie sehr schöne antiquarische Kenntnisse besäßen, Maria lachte ohne Aufhören, und schickte nach Postpferden, 433 damit ich Ihnen nacheilen und Mancherlei sagen könne, z. B., daß man Sie im September in Wien erwarte, und dort im Erzherzog Karl wohnen werde. Ich hatte aber die Pferde sogleich selbst bestellt, als ich Ihre Abreise erfuhr – und nicht wahr, Sie nehmen die Novelle nicht übel.«

Der Erzherzog Karl war mir immer der liebste Oesterreicher, ich fragte nur noch nach dem Harfenmädchen.

»Die brauchte ich nur zum Recognosciren,« erwiederte er, »und zu einer andern Novelle, die ich Ihnen in Wien erzählen werde.«

Dabei umarmte er mich, sagte »Maria ist ein schönes Mädchen,« und ging und verschwand.

Das war der Mann mit der seidnen Weste. Der Starost ging schlafen, ich aber rannte hinaus bis zu jenen Kreuzen, und sah in's Land, über welches der Mond zuweilen mit flüchtigem Blicke hinweglief. Es regnete noch sanft, und immer sanfter sprach mein Herz »Maria ist ein schönes Mädchen.«

Mit denselben Worten erwachte ich am andern Morgen. Der Starost war schon reisefertig und ging sehr bewegt im Zimmer auf und nieder. Neben mir, sagte er, habe ein junges, rothes Mädchen aus Baiern geschlafen, das heut Morgen ebenfalls nach Eger und so weiter reisen werde, er habe eben auf dem Vorsaale ihre Bekanntschaft gemacht und ihr 434 gesagt, daß wir auch sogleich nach Eger fahren würden, und darauf habe sie erwidert, das sollten wir nur thun. Er rieb sich sehr vergnügt die Hände und trieb mich zur Abreise. Es war noch grau draußen über Marienbad, die Fenster des Himmels waren noch geöffnet, dieser Brunnenort wollte durchaus katholisch in meinem Gedächtniß zurückbleiben. Zwei Reisewagen standen vor der Thür, wir wollten langsam vorausfahren, damit uns die kleine Baierin zum Mittagsessen in Franzensbrunn oder Eger nicht entging.

Unser Wagen schleppte sich am Brunnen vorüber, da schlug Musik herauf an unser Ohr, süße überschwenglich süße Jessondastimmen an einem erst aufwachenden aschgrauen regnerischen Morgen. Der Kutscher mußte halten. O, sie lockten so indisch in der Morgenstille die unerfahrnen Liebestöne: »Laß uns dahin, dahin ziehn, wo die Herzen höher schlagen.« Ich sprang aus dem Wagen und eilte hinunter; in dem Augenblicke flog die Chaise mit dem bairischen Mädchen vorüber, tödtliche Unruhe, sie möchte ihm entfliehen, bemächtigte sich des Starosten, er bat, er flehte hinter mir her, diese fabelhaften indianischen Herzen zum Teufel schlagen zu lassen, da uns darüber ein reelles bairisches zum Teufel fahre – umsonst – in jenen hüpfenden Flöten: »Dahin – dahin« hört ich Marias lockende Stimme, in jenem 435 jubelnden Ensemble alle die zarten Stimmen, welche mir jemals gesagt hatten, daß sie Herzen besäßen. Es klang daher wie Liebesandacht durch den schweigenden grauen Morgen. Grollend folgte mir der Starost. Man tritt in den langen Brunnensal, wie in ein Klosterrefectorium, reizlos und wüst sieht er aus. Schwere Mäntel und Ueberschuhe schleppten die Leute, welche so früh an ihre Gesundheit und die Vergeistigung des Unterleibs gedacht hatten, auf und nieder. Sonst betete man in einer so frühen Stunde nur für das Wohl der Seele, jetzt und hier betete man für das Wohl des Unterleibs, für eine gesegnete Leibesöffnung. Statt der Gebetbücher und Rosenkränze verkaufte ein stiller Mann in einer Fensterbrüstung weiche Quartblätter sanften Druckpapiers, und lächelte dabei still und innerlich, als ich mir ein Blatt kaufte und lesen wollte. Nicht zu so gemeinen Zwecken waren die Blätter bestimmt.

Aber wer war jener große Mann mit dem großen, weitläufigen Gesichte, welcher entblößen Hauptes in einem Winkel lehnte! Die Züge schienen mir so bekannt, wie die Melodien der Jessonda mit ihren sehnsüchtig einherziehenden Rhythmen, und diese Melodien schwebten in gebahnten Gleisen auf und nieder durch des Mannes große heroische Züge, die Melodien schienen alle in dem Gesichte zu Haus zu sein. Und wenn der Rhythmus wechselte, da lenkte 436 er ihn mit den Augenlidern, welche sich fest auf die weiten lyrischen blauen Augen drückten. Er bemerkte es nicht, daß ich vor ihm stehen blieb, und ihn anstarrte, als fände ich einen alten Bekannten. Selbst ein Mädchen, was sich an ihn lehnte, und mit eben solchen musikalischen Augen schwelgend an ihm hinaufsah, beachtete nichts als ihn. Sie schien ihn eben so zu lieben wie jene Musik, und die keusche Liebe, mit der sie ihn ansah, deutete darauf, daß sie seine Tochter sei. Als jenes schöne Liebesduett dem Ende zueilte, da schlug er die Arme unter der Brust zusammen, und das Haupt, das so groß und so rund war, wie man's den Halbgöttern giebt, nickte schneller und triumphirender. Alle Halbgötter haben nämlich volle, runde Schläfe, während die der gewöhnlichen Menschenkinder eingedrückt sind von irdischen Sorgen. Man erkennt an diesem Zeichen antike Köpfe, ich erkannte auch den meinen daran, es störte mich nicht, daß nur dünne, glatte braun-blonde Haare ihn spärlich bedeckten. – Es war Jessondas Vater – es war Spohr. Alle Formen an ihm sind kolossal, und man sollte glauben, er müsse schon der Proportion halber statt der Geige wenigstens ein Violoncell in den Arm nehmen und an das breite übernapoleonische Kinn drücken. Trüge er nicht unter dem bloßen Halse eine altmodische Busenkrause, man hielte ihn für einen alten 437 romantischen Recken, der wiedergekommen wäre, um Nibelungenstücke zu geigen und zu komponiren, und der nur immer noch nicht den rechten Stoff gefunden hätte. Alle Züge seines Gesichts sind schweigsam, aber musikalische Titanenworte ruhen in diesem Schweigen, und in seiner Musik ist Alles keusch und von der Erde Regungen ist nur die Verwandtschaft mit den Göttern wiedergegeben.

Der Starost bat mich flehentlich von dannen zu fahren, Spohr's Gesicht entging' uns nicht, aber wohl das bairische Mädchen.

»Herr,« sprach ich, »haben sie Erbarmen gehabt mit meinem Faible für Maria, haben Sie nicht selbst das bis in's zehnte Glied rachsüchtige Judenthum in Schutz genommen? was ist so ein bairisches Mädchen, das Bier trinkt, gegen Maria, die von Aether und Sonnenschein lebt. Aber ich will Sie beschämen – Adieu Spohr, ich will nichts von Marienbad sehen, als dich.«

Und wir fuhren weiter. Der Wagen mit dem bairischen Mädchen war nicht mehr zu sehen, der Starost war sehr unruhig, und versprach immer höheres Trinkgeld. Die Gegend blieb wüst und unordentlich wie vor Marienbad; jenseits der Waldberge lag das Schloß Hohenwart, wo Metternich mit seiner jungen schönen Frau ausruhte von der Regierung des konservativen Europa's. Die 438 Diplomaten seiner Partei kommen tausend Meilen weit her in das wilde, abgestorbene Böhmen, um ihn zu befragen über die Maaßregeln gegen das unbändige neue Geschlecht. Er spricht französisch mit seiner schönen Frau beim Lever, und beim Souper sagt er mit eben den französischen Worten den Diplomaten, wie die Freiheit zu besiegen sei. Es ist nur andere Interpunktion dazwischen, und seine junge schöne Frau lächelt des Abends dazu, wie sie des Morgens gelächelt hat. Dort drüben hält man die Flitterwochen des Kongresses zu Münchengrätz.

Endlich kamen wir nach Eger, wo man den Wallenstein ermordet hat. Es sieht unordentlich in und bei der Stadt aus, wie bei einer armen schmutzigen Familie. Es muß sich sogar fatal hier sterben. Auch die alten Trümmer sind nordisch heidnisch, unerfreulich. So wie das nordische Heidenthum mit seinen Nebelgestalten und erfrornen Augen ein unerquicklich Gebräu ist. Wenigstens hat es seit Ossian keinen interessanten Dichter gefunden, denn die matten, frierenden Darstellungen Oehlenschlägers, Fouqués, und ähnlicher mittelmäßiger Poeten wecken kein Interesse. Es existirt in Scandinavien nur Auktoritätspoesie; je langweiliger die Sachen sind, für desto besser gelten sie. Ossian warf wenigstens Eisgebirge, und man erstarrte vor der entsetzlichen Natur und den ungeheuren Menschen: wenn Fingal 439 den Mund öffnete, so bebten die schottischen Ufer; aber was mich hier in Eger an den Norden erinnerte, war augloses, heidnisches Gerüll. Steingebröckel ohne Grün. Es ist ärgerlich, daß Wallenstein in solch' einem Loch zu Grunde gehen mußte – Wallenstein, ein Name, der immer wie Stahl in meinen Ohren klingt, Wallenstein, eine Tragödie, die ich dem Schiller nie vergeben hätte, wäre sie nicht seine schönste, wäre nicht jede Zeile darin schön. Denn die ganze Anlage ist doch verteutscht, teutsch unthätig, teutsch träumerisch, wie's nur irgend geschehen konnte, sie ist ein Traumbild von jenem schneidend thätigen, gespenstisch wagenden, wie der Blitz hin und her fahrenden Friedland, von jenem eiskalt verständigen Manne, dem der Kampf um Glaubensdinge Kinderspiel, dem die Macht, die Macht – o die Macht Alles, Alles war. Jener Wallenstein mit dem Dolchauge, mit dem grausam kurzhaarigen röthlichen Schopfe, dem höhnischen irreligiösen Kinn, mit der zermalmenden, eckigen, langen Knochengestalt, jener Wallenstein mit der Ahnung Napoleonischer Kraft, wo ist er hingekommen?! Ist er nicht ein Professor geworden? O, Friedrich Schiller war viel zu tugendhaft, um eine große historische Tragödie zu schreiben, er hätte aus dem Napoleon einen Ideologen gemacht, ihn kümmerte nicht die Handlung, sondern der Grund der Handlung, nicht die That, sondern 440 ihre Beschreibung, er war zu weich, zu gut, und saß zu viel in der Stube.

Da gedacht' ich William Shakespeare's, als ich in den Kirchhof Wallensteins, in's alte Eger hineinfuhr, welch' einen Feuergeist hättest du aus jenem dolchaugigen Friedland gemacht! Wie viel größer waren seines Herzens frevelhafte Wünsche als die deines dritten Richard, und was hast du aus ihm geschaffen! Ein historischer Tragöde muß kein befangenes Auge haben, auch kein durch die Tugend befangenes, er muß kühn und ohne Zucken hinsehen können, wenn auch das Blutigste geschieht. Solch' ein Auge hat Shakespeare so groß gezogen.

Man hat neuerdings den Wallenstein wieder ehrlich gemacht, und Beweise aufgefunden, daß er ein legitimer Mann und kein Empörer gewesen sei. Wo irgend eine historische Albernheit geschieht, da ist auch Friedrich Förster thätig, er ist immer thätig bei den Beweisen, daß es wahre Dummheiten giebt, um nicht zu sagen dumme Wahrheiten. Sie werden über Kurz oder Lang auch sicher noch auffinden, daß Napoleon eigentlich ein sehr guter Christ und ein rechtschaffener Mann gewesen sei. Glücklicherweise ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, die frommen Raupen kröchen auch da hinauf, und machten uns den Himmel tugendhaft.

Wallenstein soll sich auch viel mit 441 konstitutionellen Einrichtungen befaßt haben, das sieht ihm just so ähnlich wie die Gründung einer Bibelgesellschaft, er ist auch wahrscheinlich ein sehr guter Ehemann gewesen, und hat seine Frau immer erst um Erlaubniß gebeten, wenn er einmal hat spaziren gehn wollen.

Kurz, das garstige Eger und jene klugen Leute störten meine Wallenstein-Illusionen auf das Aergste. Da das bairische Mädchen solche Gefühle mit mir getheilt haben mochte, und auch sogleich weiter gefahren war, so eilten auch wir stracks von dannen. Der Starost war sehr bewegt, und erleichterte sein Herz durch ein leises Fluchen. Des Anstands halber ersuchte ich ihn, seinen Gefühlen russisch Luft zu machen, und diesen Gefallen erwies er mir. 442

 


 


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