Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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1813.

Wenn man stetig in einer Stadt lebt, so schickt sich's nicht mehr, auf Abentheuer und Novellen auszugehn. Die Leute nehmen das übel, wenigstens die Leipziger. Sie meinen, der gute Ruf litte darunter. Ich glaube das gern, denn die Leute verstehen sich auf den Ruf, der Ruf ist ein Artikel.

Aber Leipzig hat auch vor den Thoren ein Schlachtfeld, wo viele tausend Leute mit gutem und schlechtem Rufe todtgeschossen worden sind. Zu denen geh' ich, mit denen unterhalt' ich mich über vergangene Zeiten, und was die Welt gehofft und gefürchtet hat bei der Schlacht bei Leipzig. Es ist nur traurig, daß die Todten, so laut sie reden, doch nicht verstanden werden. Und es ist so traurig – ach, ich mache mir oft Vorwürfe darüber, – daß ich immer die Plätze der französischen Marschälle suche, die doch meines Vaterlandes Feinde waren, und auf meine Brüder 195 einhauen ließen, und namentlich den Platz des Marschalls der Marschälle, der so viel teutsche Mädchen unglücklich gemacht hat. Kann ich dafür, daß die Poesie die Tochter des Genies ist, daß sie nur die Größe und den Glanz und die Herrlichkeit liebt, und dem guten Willen, ja dem besten Willen den Rücken wendet? Ist es meine Schuld? Ich hab' es lang mit den Alliirten gehalten, aber sie konnten mir nichts mehr zu essen geben, sie waren fertig mit ihrem Bischen Ruhm; ich werde sie immer mit Pietät behandeln, mehr kann ich als rechtschaffner Poet nicht versprechen.

Der Himmel weiß es, wie ich mir die wackern preußischen Freiwilligen vergegenwärtige, so oft ich nach Möckern komme, wo sie gefochten haben wie die Helden, oder wenn mich gar das Pferd nach Lützen hinüber trägt, wo sie gefallen sind wie die Helden. Aber es fehlt ihnen das historische Fundament für mein Gedächtniß. Die plötzlichen Dinge der Geschichte gehen auch plötzlich vorüber.

Preußen und Berlin sind nie so liebenswürdig gewesen als im Jahre 1813, wo sie den Muth hatten, zu zürnen, und die besten Söhne hinzuschicken unter die Kugeln. Und wenn man das teutsche Philisterleben kennt, so weiß man, daß solch Verdienst zehnfach anzuschlagen ist. Ich weiß noch, wie wohl es 196 uns that, als nach der Schlacht an der Katzbach die ersten Freiwilligen zu uns in's Quartier kamen: die Figuren schwankten noch wie die Gerten, es war noch keine empirische Konsistenz darin, die dünnen Stutzbärtchen kamen erst schalkhaft schüchtern zum Vorschein, die Hände waren noch fein und weich, sie waren noch nicht durchgegriffen, die Wäsche war viel zu fein für das Feldlager, sie trugen noch Ringe an den Fingern und goldne Uhrketten und weiche Papierstiefeln, und sangen Körner'sche und Schenkendorf'sche Lieder. Ich sah meinen Vater den Kopf schütteln zu den weichen Rittern, er hatte die Schwülenhand manches alten Franzosen, der in Italien und Spanien mitgefochten, gefühlt, er hatte die verwitterten Gesichter, die undurchdringlichen Bärte der alten Kerntruppen, er hatte ihre klassischen zweifellosen Augen gesehn, und er schüttelte den Kopf zu unsrer jungen Romantik.

Damals betete ich alle Abende vor'm Schlafengehn und wenn der Vater am Tage die Zeitungen bekam, da betete ich noch einmal für unsre Freiwilligen, und ich habe an jedem neuen Morgen gefragt, ob ich die Nacht über nicht groß geworden sei, um auch mitzugehn mit den blanken Reitern.

Und wenn ich heut aus den Thoren von Leipzig gehe, so wendet sich mein Fuß immer nach Probsthaide und jenem Thonberge hin, wo die Franzosen 197 so fürchterlich nicht mehr um den Sieg, nein, um ihr Leben und um ihr Frankreich fochten, wo Er saß mit dem Fernrohre und dem ruhigen Gesichte. –

Ich muß mich erinnern lassen, wenn ich einmal auf der andern Seite über Möckern und Waaren hinausgehen soll, wo die liebenswürdigen Freiwilligen standen und fielen und standen. Es fällt mir wohl ein, wie sie den Livius und Ovid und sonstige Klassiker bei sich geführt und im Bivouak lateinisch gesprochen und ein klassisch Leben extemporirt haben, aber wenn ich zurücksehe und mein Auge in der Runde umherjage, da schwinden diese kleinen Dinge wie lustige Morgenträume vor der steinernen Wirklichkeit jener Heldenrunde. Dicht hinter mir seh ich den Ney, le brave des braves, eisernen Fürsten von der blutigen Moskwa, den neuen Bayard, le chevalier sans peur et sans reproche, drüben am Konnewitzer Holze, den schönen, schlanken Poniatowski ritterlich und unglücklich wie sein Volk, der nur einen Tag lang Marschall von Frankreich war, drüben bei Wachau fliegt der fabelhafte, närrisch tapfere neapolitanische König Murat daher vor den galoppirenden Schwadronen, mit den triumphirenden Straußfedern auf dem Barett, dem leichtsinnig fliegenden spanischen Mantel, dem orientalisch prächtigen Kamisole, den schreiend rothen Hosen, den kecken persischen Stiefeln. Er war der Komödiant der großen Armee; er spielte 198 seinen Helden konsequent im dichtesten Kugelregen, und der Feind wurde blaß, wenn der bunte Charlatan, in seinen goldnen Bügeln sich wiegend, heranstürmte. Und weiter hin findet mein Auge die stolzen, marmornen Köpfe Augeraus und Victors bei Probsthaide und Regniers bei Stötteritz, und auf dem Thonberge da drüben sitzt stumm und schweigend der Gott dieser Helden, und regt sich nicht, ob Alles um ihn erschüttert wird von der doppelten Ueberzahl des Feindes, und regt sich nicht, und zuckt mit keiner Miene, als neue Kanonen von Taucha her ihre gefährliche Melodie anfangen, und der fluchende Lärm durch die französischen Bajonnette springt »das sind Bernadottes Kanonen,« und zuckt mit keiner Miene, als die Adjutanten melden, daß die Sachsen unweit Schönfeld übergehn und die Kanonen gegen die Franzosen wenden, und steigt stumm auf den Araber, und winkt den Garden, und fliegt hin über Stötteritz unter die Kugeln. –

Da wird mein Auge mit ehernen Banden gefesselt, und der Fuß wird nachgezogen, und ich eile hastig zurück durch Leipzig nach dem Thonberge, und wenn mir Bekannte begegnen und fragen, so erwidre ich eiligst: »Ich führe meinen Unterleib spaziren, und mein Auge findet Poesie.«

Dort find ich freilich nicht Livius noch Ovid, aber die Bulletins von Montenotte bis Dresden liegen 199 schlagfertig auf allen Lippen, und wenn ich auf dem Thonberge ankomme, wo er saß, und der Mond geht auf und gießt sein Dämmerlicht über die Leipziger Ebene, die auf lauter tapfren Leichen schläft, da geht das Jahr 1813 und meine Kindheit vor mir auf, mein Auge füllt sich mit Thränen über das Gemisch von kleinen und großen Erinnerungen, und ich spüre es nicht, daß ich mich erkälte und den Schnupfen bekomme.

Auf dem Thonberge bei Leipzig saß er zum letzten Mal auf dem Throne, der Napoleon, der jetzt todt ist. Es wird nur diejenigen Leute wundern, welche keine Poesie der Geschichte ahnen, welche für ihre kleinen Augen nichts Großes brauchen, daß jetzt so Viel über Napoleon geschrieben wird. Es wird eine Zeit kommen, und sie ist nicht weiter als der Tod der jetzigen Mannesgeneration, wo man meilenweit wallfahren wird, um einen von uns aufzusuchen, die wir in frühen Jahren den Napoleon noch gesehen haben. Diejenigen von uns, welchen die Natur silberweiße Haare gewährt, sehe ich auf den Plätzen der freien Städte sitzen und wie die alten griechischen Rhapsoden die große Zeit und den großen Mann erzählen, wie jene Griechen die irdischen Thaten ihrer Götter auf den Plätzen sangen. Die Erscheinungen jener donnernden Jahre sind so fabelhaft, daß sie mit Sturmeseil in den fernen Nebel weiter Vergangenheit 200 zurückeilen, daß schon jetzt eine blau und rothe Romantik sie verherrlicht, und über wenig Jahre wird man uns nicht glauben wollen, daß wir die Garden nach Rußland marschiren, daß wir jene Titanenschaar der Marschälle, daß wir ihn gesehen haben.

Unter den letzten Regierungsjahren des Tiberius wohnte unweit Roms in kleinem Landhause ein alter Römer, der hatte in seiner Jugend den Julius Cäsar gesehen, als er aus Afrika und Spanien zurückkam, wo er die letzten größten römischen Männer überwunden; er konnte die Erdkreisstirn, die Imperatorennase und den geschlossenen, verschwiegenen Mund beschreiben, und sonst konnte der alte Römer nichts. Und doch gab's keinen beliebteren Mann als ihn zu Rom: vom Morgen bis zum Abende kamen die jungen Römer zu ihm und er mußte erzählen von Cäsars Stirn und seiner schweigsamen Lippe: und mit Ehrfurcht betrachtete man ihn, der den Julius Cäsar gesehen.

Cäsar gab allen Herrschern seinen Namen, bis auf die heutige Stunde nennen sich die Mächtigsten nach ihm Kaiser, das heißt Cäsaren, sogar Napoleon that's – könnte die Zeit noch einmal so zurückfallen, daß Einzelne sie beherrschten, sie würden nicht mehr Kaiser, sondern Napoleons heißen. –

Und man wundert sich, daß wir erzählen, was wir von ihm gesehn! Das Bedürfniß eines Gottes liegt tief in der menschlichen Brust, und wenn's auch 201 Voltaire nicht just so meint, wie ich's hier anführe, so war es doch sein größtes Wort: »Wenn's keinen Gott gäbe, so müßten wir einen erfinden.« Und allüberall suchen wir die Manifestation dieses Gottes, unser Herz braucht etwas, das es verehre, und wenn wir nichts Größeres haben, so erwählen wir uns ein Mädchen, und beten dies an, und überschütten das Kind mit allen göttlichen Eigenschaften.

Und wenn der Verstand auch über das Götzenthum hinaus ist, das Herz liebt und braucht seine Irrthümer, und die Mutter läßt sich ihr Kind nicht nehmen, wenn man's auch besser erziehen will.

Die Poesie des kleinen menschlichen Herzens rankt sich gern an Personen, Blut liebt Blut, und der größern Poesie der Weltgeschichte bleiben jene gewaltigen Dinge, die größer sind als Personen. Ich glaube nicht, daß unsere Gedichte je der Persönlichkeit werden entbehren können. –

Auf der Reise, die ich hier erzähle, habe ich außer Luft und Erdboden nichts so oft gesehen, als Napoleon, ja an manchen Stellen ist er noch heute Luft und Erdboden. Von der Moskwa bis an's Kap Vincent, und von den Eisbergen Norwegens bis an die Quellen des Nils, ja bis tief in den stillen Ocean, bis zu jener einsamen Insel, dem steinernen Sarge des modernen Gottes, kann man nicht einen Tag lang reisen, ohne dem Cäsar Napoleon zu begegnen. 202 Wo sein Fuß nicht hinkam, da sieht man die Spuren seiner Hand, jener schönen weißen Hand, auf die er so eitel war, und Frankreich, Teutschland und Italien waren seine Wohnzimmer, warum soll ich an all' den klassischen Stellen vorübergehn, ohne seiner zu erwähnen, da ich doch einer der letzten Römer bin, welche den Cäsar gesehen, als er aus Afrika und Spanien kam.

Jene saueren zusammengeschrumpften Gemüther, denen die Napoleonspoesie ein Gräuel ist, werden sich trösten, wenn sie hören, daß ich Napoleon gehaßt habe, so lange er lebte, und zwar so gehaßt habe, wie ich ihn jetzt liebe. Findet man's doch oft, daß aus den Gegensätzen die größten Bäume wachsen. Wenn man Napoleons Geschichte schreibt und kein Gedicht schreiben will, so soll und muß man auch anders sprechen, als wir von ihm reden. Nur mit innerem Grimm hatte ich ihn bewundert, denn ich war ein guter Patriot, so lange ich jung und dumm war; als ich aber seine helenischen Memoiren las, da stürzten mir die Thränen aus den Augen: da sah ich jener klassischen Weisheit auf den Grund, da erkannte ich, daß der größte Mann vieler Jahrhunderte gestorben sei, den man lieben müsse, auch wenn man ihn bekämpfe. Ich werde nie seine Geschichte schreiben, denn Liebe kann man nicht unbefangen beschreiben, aber ich werde ihn besingen, wo ich kann.

203 Wenn man mich peinlichst inquirirte. so könnte ich's nicht beschwören, daß ich ihn gesehen habe. Und doch hab' ich ihn gesehn. Das Gerassel der Kanonen, das Gebraus der Heeressäulen, als er nach Rußland ging, liegt nur wie eine dumpfe militairische Masse in meinem Gedächtniß. Von der Schlacht bei der Moskwa, vom Brande der Czaarenstadt, von der gräßlichen Beresina, dem entsetzlichsten Bilde des Kriegs, was je den Fuß aufs Auge meiner Seele gesetzt, habe ich erst viele Jahre nach der Schlacht bei Waterloo etwas erfahren. Aber in hellem Sonnenscheine liegen die Kriegserscheinungen nach der Bautzner Schlacht in meinem Gedächtnisse, wie sie in Sprottau, einer kleinen Stadt im Lande Schlesien, meiner Vaterstadt, auftraten.

Mein Vater nahm lebhaftes Interesse an den Begebenheiten und haßte die Franzosen mit Energie, ich machte ihm Alles nach und haßte sie mit. Eines Tags ging ich mit ihm vom Felde nach Haus, da legte er sich plötzlich auf die Erde und drückte das Ohr an den Rasen, und bedeutete mir, still zu sein, und es auch so zu machen. Ich hörte ein dumpfes Geräusch und es schien mir die Erde leis zu beben.

Das ist Kanonendonner, mein Sohn, wahrscheinlich eine große Schlacht.

Von diesem Moment an nahm ich zum ersten Mal Interesse an der Welt, ich war erst sieben Jahr 204 alt, und konnte noch nichts als lesen und ein Wenig schreiben.

Es war mir so wunderbar feierlich zu Muthe, und ich sah mich nach allen Seiten um, ob keine Soldaten zum Vorschein kommen würden. Die waren aber in gerader Linie wohl an die zwölf Meilen entfernt, und schlugen die erschütternde Kanonenschlacht bei Bautzen.

Bald vergaß ich über meinen Spielen die Franzosen. Es kam der Himmelfahrtstag des Jahres 1813, die Sonne schien rührend warm, ich kletterte mit Buben meines Gelichters auf allen Leitern herum, uns war so wohl, als wollten wir in den Himmel steigen.

Da warf man uns plötzlich von den Leitern herab, jagte uns aus dem Hause und schloß die Thür zu. Wir waren bei fremden Leuten gewesen. Ich wußte nicht, wie mir geschah – drüben am Markte sprengte ein Kosack mit eingelegter Lanze, das kleine Pferd streckte sich so gewaltig, daß der Bauch das Pflaster zu berühren schien. Das freute mich, ich klatschte in die Hände – meine Mutter, die vorüber kam, faßte mich hastig, und schritt auf unser nahes Haus zu. Ich sah sie fragend an »die Franzosen kommen,« sagte sie, und bald schrie Alles in unsrer Nachbarschaft »die Franzosen kommen« und warf die Thüren zu, verhüllte die Fenster, und der 205 Markt war wie ausgestorben; er hatte keine Augen mehr. Mein Vater ging rekognosciren, und trotz meiner Mutter Flehen nahm er mich mit. Ein Kosackenpiquet ritt vor uns her, einzelne Männer schlossen sich ängstlich fragend an uns an.

Als wir über die Brücke kamen, wo sich die Aussicht öffnet, hörten wir ein verwirrtes Brausen, Pistolenschüsse – plötzlich wimmelte Alles, was wir vor uns sahen, von grünen Reitern.

Die Kosacken hatten ihre Pistolen abgefeuert, ein erschrecklicher Lärm wie Meeresbrausen erscholl von drüben, wo die grünen Reiter kamen, eine Menge Schüsse knallten, die Kugeln pfiffen über uns hin, die Kosacken ras'ten zurück, einzelne grüne Reiter an uns vorüber ihnen nach. Wir eilten, was wir vermochten. Meine kleinen Beine reichten nicht aus, mein Vater schalt, ich weinte, wir flüchteten uns in ein Seitengäßchen. Da sah ich den ersten Franzosen deutlich an mir vorübersprengen: er saß auf einem großen, braunen Pferde, hatte eine erschreckliche Bärmütze auf dem Kopfe, unter einem breiten Schnurrbarte im Munde steckte der Säbel, in der Hand hielt er den Karabiner, und im Augenblicke des Vorübersprengens schoß er ihn ab hinter einem flüchtigen Kosacken her. Es war ein Chasseur.

Jetzt wußte ich, wie die Franzosen aussahen, ich lief nun vortrefflich. Bald waren wir durch die 206 Hinterthür in unserm Hause. Ueber der Hausthür war ein kleines Fenster, ein großer Tisch ward hinter die verschlossene Thür gesetzt, ich holte mir noch ein kleines Bänkchen, von da kuckte ich mit meinem Vater hinaus auf den Markt. Die Mutter bat uns fortwährend, in die Hinterstube zu kommen, sie dachte wie der Strauß: wenn wir nur die Feinde nicht sähen, so sähen sie uns auch nicht. Aber wir hatten eine gefährliche, neugierige Kourage, und wichen nicht von unserm Posten.

Vorsichtig sprengten einzelne Chasseurs bis auf den Markt, sie wußten nicht ob sie trauen durften. Das kam mir gerad so vor, als ob ich mit meinen Kameraden hinten auf dem Brauplatze Räuber und Gensd'armes spielte; ich lachte sehr über die furchtsamen Chasseurs, als sie ihre Karabiner luden und ganz langsam in die Glogauer Gasse hineinritten.

Eine Stadt, die plötzlich vom Feinde genommen wird, liegt zusammengekauert da wie ein armselig Thier, dem die Klapperschlange langsam näher kommt. Wenn sich, wie hier, auch der Feind fürchtet, so ist der Anblick noch beängstigender.

Plötzlich donnerte von der Glogauer Seite eine fürchterliche Kanonenladung. Die Chasseurs, welche eben vorüber trippelten, standen mit ihren Pferden plötzlich elektrisirt, ich purzelte von meinem Bänkchen und klammerte mich an meines Vaters Rockschoß. 207 Auf jener Seite stand nämlich eine russische Batterie; die fing ihr Spiel an, daß mir die kleinen Ohren brummten. Bald antwortete von der andern Seite, von wo die Franzosen kamen, eine noch gröbere Stimme. Da hatte ich den Krieg, und hinter meinem Hausthürfenster fand ich das sehr vergnüglich. Laut flogen einige französische Worte von Reiter zu Reiter, sie schienen von zurücksprengenden Chasseurs auszugehn. Ein fürchterlicher Lärm, der wie Jubel klang, entstand, sie schossen ihre Büchsen in die Luft, ich hörte Fenster klirren, manche Kugeln mochten sich verirrt haben; es begann die Plünderung. Ich wurde mit allen Frauenzimmern des Hauses in den Keller geworfen, das war mir sehr fatal. Die Weiber jammerten, nur unsre alte Köchin war gutes Muths. Sie hatte eine große Kanne Kaffee und eine Tasse in aller Eil gerettet, und tröstete die Gesellschaft mit ihrer Tasse. Das Mitglied was trank, konnte nicht winseln, sie ließ so schnell wie möglich ihre Tasse die Runde machen. Ich lauschte an der Thür; oben gingen klirrende Säbelscheiden auf und ab. Herr Gott, sie kamen die Treppe herunter, die Weiber sanken wimmernd zusammen, meine Mutter gebot mir leise, von der Thür wegzugehn. Es war eine schlechte Bretterthür, herunterkommendes Licht schimmerte durch ihre breiten Ritze, ich konnte mich nicht enthalten, noch 208 einmal durchzusehn, eh' ich der, meinen Namen immer dringender wispernden Mutter gehorchte. Mein Vater leuchtete, bärtige, wie mir's schien, himmelhohe Gestalten von Chasseurs folgten ihm. Jetzt waren sie an unsrer Thür, unsre alte Köchin neben mir betete leise vor sich hin ein Vaterunser, und goß sich eben so leise die letzte Tasse Kaffee ein. Heftige französische Worte, wie Flüche klingend. Sie gehen vorüber nach dem großen Keller. So wie wir deß gewiß sind, hält uns nichts mehr, hinauf in's Haus fährt Alles, und zerstreut sich nach allen Seiten, Einen Blick in's Zimmer werfend, seh' ich einen langen Chasseur die Kommode meiner Mutter ausräumen, eben steckt er das braunseidne Kleid meiner Mutter, was ich so liebte, in den Sack. Das überwältigte mich, und ich schrie: Mutter, der Kerl nimmt dein braunseidnes – – hastig reißt mich meine Mutter von dannen, daß ich auf das steinerne Estrich des Hauses schlage. Die Nase blutet, aber auf und fort gehts nach dem Gartenhause hinter unserer Wohnung. Meine Mutter ist in jäher Hast: der plündernde Chasseur hat sie gesehen, sie war eine junge schöne Frau mit schwarzem Haar und blauen Augen und einer weißen Haut. Wir hörten eine Zeitlang seinen zögernden Schritt hinter uns. Er mochte unsicher sein, ob er eine gewisse Beute der ungewissen opfern sollte. Das Sichre hatte ihn gelockt, wir 209 hörten ihn nicht mehr. Da saßen wir denn in dem weiten leeren Gartenhause, die Mutter, meine kleine Schwester, ich und die alte Hanne mit dem leeren Kaffeekruge, den sie in der Angst nicht aufgab. Die Sonne schien warm und lieb, die grünen Bäume sahen unschuldig und stumm herein durch die hohen Fenster, sie wußten von nichts, dicker Pulverdampf wälzte sich zuweilen zusammengeballt vorüber. Die Mutter ängstigte sich um den Vater, ich fing an, mit meiner Schwester Bohnen zu schieben. Da donnerte und krachte es plötzlich dicht hinter uns, daß die Fenster klirrten. Funfzig Schritt von uns, jenseits des einen kleinen Flusses, der rings um die Stadt fließt, auf einer kleinen Anhöhe, blitzten und leuchteten aus dem dichten Pulverdampf helle Kanonen. Und zu gleicher Zeit erhob sich vorn am Garten, wo unser langer Pferdestall stand, in dem ich immer Wischemann gespielt hatte, weil nie Pferde drin waren, ein toller Spektakel, Pferde stampften, fremde Stimmen lärmten, gelbe Gesichter, wie ich sie in meinem Leben nicht für möglich gehalten hätte, mit krausen Haaren und Bärten, die schwärzer als schwarz waren, streiften im Garten herum, Futter für die Pferde zu holen. Wir waren zwischen zwei Feuern. Nun fing ich an, mich jämmerlich zu fürchten, die gelben Kerle, die wie unsers alten Grabebitters Citrone aussahen, wenn er zum Begräbniß 210 einladen kam, entsetzten mich und raubten mir das Gleichgewicht. Es waren Provencalen, wie ich später erfuhr; wegen dieses unangenehmen Eindrucks habe ich lange nicht daran glauben können, daß die provencalischen Lieder süß und schön schmeckten. Ich dachte immer an jene Citronengesichter mit der schwarzen Einfassung am Himmelfahrtstage. Der alte Grabebitter mußte auch erst sterben, eh ich unbefangen wurde, denn er erinnerte mich immer wieder daran. Und Alles, was sich mit dem Tode beschäftigt, hab' ich von Jugend auf nicht leiden können. Ich glaube, ich würde eher selbst sterben, als mich mit Sterbenden abgeben. Es ist leichter, zu leiden, als leiden zu sehn. –

 

Bald weint ich aber damals nicht mehr bloß aus Furcht, sondern vor Hunger und Grimm über die garstigen Franzosen, und den garstigen Krieg, meine Schwester weinte vor einfachem Hunger. Die alte Hanne flennte, daß gar keine Aussicht zu neuem Kaffee da war, meine Mutter weinte leise über Alles. Als ich das sah, da schwur ich mir, wie ich später hörte, daß es der kleine Hannibal gethan, die schlimmen Franzosen zu verfolgen und zu hassen, bis sie alle todt wären.

So hat Mancher geschworen, der nicht mehr älter werden konnte, als ich, und so ist die Masse 211 altbackner, verstorbener Feindschaft entstanden, die sich noch immer stellt, als hätte sie Fleisch und Blut.

Ach, es giebt recht viel unnützen Haß in der Welt; meiner hatte doch einen Anschein von Gerechtigkeit, denn Hunger thut weh, und unser Jammer war sehr groß. Da hörten wir des Vaters Stimme, und Alles jauchzte. Er sagte uns, die Infanterie käme, und die Plünderung sei zu Ende; da habe er uns ein Brot gerettet. Wir kauten und kehrten zurück in unser Haus, wo Alles leer war; nur Hanne weinte noch, weil es keinen Kaffee gab. Später betete sie alle Tage beim Frühstück, und mehrere Mal nach Tisch, »Gott bewahre uns vor der Himmelfahrt der Franzosen« und sie wußte am besten warum.

Auf dem Markte ging die Trommel, und Alles lag voll Stroh, und blaue, blasse Soldaten fielen darauf, und baten um ein Stück Brot. Das waren auch Franzosen, ich ward ganz verwirrt. Als ich dem nächsten ein Stück von meinem Brote gab, streichelte er mich, ich erschrack, und verwunderte mich, daß mir nichts geschah, denn ich hatte geglaubt, wo solch' ein Franzose hingriffe, da geschähe ein Unglück.

Nun ließ sich auch unser alter Rathsdiener sehn, vor dem wir uns Alle fürchteten, und jetzt dachte ich: nun ist's gut, der wird die Franzosen schon Raison lehren, und wenn sie mucksen, so wirft er sie in den schwarzen Prison. Er sah zwar heute sehr blaß 212 aus, aber als er ganz sanft sprach, was er doch sonst gar nicht that, als er sogar bei einigen Rippenstößen, die ihm verabreicht wurden, sein spanisches Rohr nicht hob, sondern sogar seine Mütze abnahm und ein Kompliment machte, was sonst nur dem Herrn Bürgermeister und dem Herrn Polizeiinspektor widerfuhr, da war ich ganz verdutzt, und bekam durch eine unbewußt in mir vorgehende Schlußfolge einen grausamen Respekt vor den Herren Franzosen, die ja so viel wie unser Herr Bürgermeister und der Herr Polizeiinspektor sein mußten.

Er trug Billets in der Hand, die Soldaten kriegten mich beim Ohr, ich mußte ihnen lesen, und die Hausnummern zeigen. Ich führte alle zu uns, weil ich mich auf die Zahlen noch nicht recht verstand, vor den fremden Franzosen mich aber nicht blamiren wollte. Warum meine Mutter kein freundlich Gesicht dazu machte, konnte ich nicht begreifen, je mehr, je besser, dachte ich.

Der mich gestreichelt hatte, weil ich ihm ein Stück Brot gegeben, war auch dabei, und hieß Gardy, und war aus dem Elsaß. Er gehörte nicht zur Infanterie, sondern zu den Reitern; man hatte ihm aber bei Bautzen sein Pferd todtgeschossen, und er hatte noch kein neues. Gardy unterrichtete mich zuerst von der großen Armee, er war mein erster Geschichtslehrer. Bald kam ein Rittmeister zu uns 213 in's Quartier, der hatte ein Beutepferd, das bekam Gardy; dafür mußte er die Sorge der Pferde über sich nehmen.

Ich ritt mit ihm in die Schwemme, ich saß bei ihm oben auf dem Futterboden, wo er den Häckerling schnitt, was sie in Schlesien »Siede« nennen – paille hachée, sagte Gardy – und hörte mit offnem Munde zu, wie er erzählte. Eigentlich erzählte er gar nicht, sondern er schimpfte und fluchte nur. Er konnte den Kaiser nicht leiden, aber er betete ihn an wie einen Gott, wie die Juden den Jehovah nicht liebten aber fürchteten.

Gardy war einer von den jungen Konscribirten, bei Vittoria lag sein ältester Bruder begraben, in der Donau sein zweiter, der dritte war nicht aus Rußland zurückgekommen, »meine Marion wird mich wohl auch nicht wiedersehn«, sagte er, stampfte mit dem Fuße, und fuhr sich mit der Hand über die Augen. So viel ich mich erinnere, war er nicht hübsch, eine kleine, knorrige Gestalt mit einem zugehäkelten Gesicht; er trug einen grünen Husarenpelz, und selten eine Mütze. Mit seinen Kameraden sprach er gar nicht. Durch ihn erfuhr ich denn, daß Napoleon die Schlacht bei Bautzen gewonnen habe. Wenn aber Gardy von den Schlachten erzählte, da war er ein ganz andrer Mensch, da nannte er den Kaiser nur Napoleon, und er sprach das Wort so stolz aus, wie 214 unser alter Rathsdiener, wenn er »Donnerwetter« sagte. Sprach er aber sonst vom Kaiser, so nannte er ihn »l'empereur« und biß die Lippen dabei zusammen, als schmerze ihn etwas auf der Zunge.

Ich fragte ihn, wie's denn der Kaiser mache, daß er immer die Schlachten gewinne, und daß er wieder die bei Bautzen gewonnen habe. »Sacre nom d'Dieu!« – rief Gardy – »dafür ist er der Napoleon.« Und nun sagte er unter Fluchen, Napoleon habe bei Bautzen so viel Kanonen zusammenfahren und auf einmal losschießen lassen, daß sie alle gedacht hätten, der Mond fiele herunter. »Ah« – fuhr er ärgerlich fort, und kratzte sich in dem schwarzen dichten Haare – »il est trop grand«.

Gardy hielt den Kaiser für ein überirdisch Wesen, und das belegte er durch die Schlacht bei Bautzen. Da habe Napoleon mitten in der Schlacht geschlafen. Als man ihn endlich aufgeweckt, da habe er seine Hand an's linke Ohr gelegt, und den Kopf nach der Seite gebogen, dann genickt, und mit der Hand »oui« gesagt. Und gleich darauf habe man weit links drüben Kanonendonner gehört, und das sei der Ney gewesen, der beste Soldat der großen Armee, den auch keine Kugel tödte, und nun habe Napoleon angreifen lassen, und wie man eine Hand umdrehe, sei die Schlacht gewonnen gewesen.

215 »Ah - sacre nom d'Dieu - il est trop grand«. Von da war das Corps des Herzogs v. Belluno und die Reiterei des General Sebastiani durch die Görlitzer Haide gekommen, dort sei nichts zu essen gewesen, und in Sprottau, dem ersten Städtchen, hätten sie erst wieder Brot gefunden, und ich hätte ihm den ersten Bissen gegeben.

Sebastiani's Reiter waren also jene grünen Chasseurs, die ersten Franzosen gewesen, welche ich sah. Später, wenn ich von diesem Männchen aus papier maché mit den Schönpflästerchen und dem glatt gewichsten Gesichtchen, wenn ich von diesem schlüpfrigen Sebastiani die neuen zitternden Erklärungen der Nichtintervention las, da hab' ich's immer nicht glauben können, daß jene ersten französischen Reiter mit den grimmigen Bärmützen, vor denen ich mich so gefürchtet, seine Reiter gewesen sein könnten. Als ich später unsern gewaltigen Rathsdiener morsch und weiß und ohne sein spanisches Rohr wiederfand, da glaubt' ich's wohl, daß allenfalls die beiden Sebastiani's eine Figur sein möchten. Für eine statistische Verläumdung halt' ich's aber heute noch, daß der Herzog v. Belluno, jener kühne Marschall Victor, ein Judenjunge aus Dessau gewesen sei. Denn, wie die Leser wissen, bin ich später in Dessau gewesen, und ich weiß, was aus Nazareth kommen kann. Ich kann das durchaus nicht zugeben, um die anhaltinischen 216 Charaktere nicht zu verwischen. Oder ich muß darauf fußen, daß Victor ein ächter, unverfälschter, Jerusalemscher Judensproß gewesen, denn ein solcher ist überall ein neutraler Gegenstand, und wird von keiner andern Nationalität afficirt. Diese furchtbare Konsequenz ist eine historische Größe der Juden, wie mancher andre hartnäckige Jahrtausendfehler, und ich nehme diesen Ausweg auch nachträglich für den in Dessau gebornen und beschnittnen Mendelssohn in Anspruch.

Ich wußte aber trotz Gardys Mittheilungen immer noch nicht, was ich mir unter dem Worte »große Armee« denken sollte; da kam der fünfzehnte August, wo Madame Lätitia in größter Eil auf Corsika den Napoleon geboren hatte, und ich erfuhr's auf einmal. Da marschirte Alles, was in der Umgegend von Soldaten lag, über den Markt, und ich sah zum ersten Male die roth, blau und weiß schimmernden Massen, ich sah zum ersten Male hier jene Adler, welche räuberisch unternehmend die Flügel anziehn, als wollten sie über die Sonne hinausfliegen, ich hörte die berauschende Janitscharenmusik des Ruhms, ich sah die ersten Mohren mit den verstorbenen, unerklärlichen Gesichtern, und sie schlugen die Becken zusammen, daß mir die Glieder bebten, ich sah die braunen Sappeurs mit den orientalischen Bärten und den blitzenden Beilen, den unnahbaren Schurzfellen und 217 dem barbarischen Ernste der Gesichter. So hatte ich mir aus Kindergeschichten die alten Rittergespenster und Zauberer gedacht, und ich entsetzte mich, wenn die Kerle ausspuckten, denn dunkelbraun war ihr Speichel und ich wußte noch nichts davon, daß man Tabak kauen könne. Da drückte ich mich furchtsam in den Winkel des Rathhauses, von wo ich zusammengekauert zusah. Und das Marschiren und das Trommeln und das Trompeten, und das Fenster erschütternde Geschrei »vive l'empereur« nahm kein Ende, und immer neue Generale in Gold genäht, kamen vorüber, und der ernste Mund Bertrands, der nicht weit von mir zu Pferde hielt, ward nicht müde, immer mit zu rufen »vive l'empereur«, und Alles hob die Säbel und die Bajonette so hoch die Arme reichten; sogar Gardy kam vorüber im stattlichen Husarenpelz, sein Pferd war blank gebürstet, daß man sich darin spiegeln konnte, und er schrie auch wie besessen, der fluchende Gardy: »vive l'empereur

Es marschirten die Kolonnen, es flogen die Adler, es jauchzten die Becken, es schrien die tausend Kehlen bis es dunkel ward. Und nun entzündeten sich zu meiner größten Verwunderung über und neben mir alle Fenster des alten Rathhauses; die Lichtsäulen liefen an den Thürmen in die Höhe, durch alle Fenster, über alle Dächer so weit ich sah, und an 218 des gestrengen Herrn Bürgermeisters Haus brannte unter einem 13. August ein strahlendes – N – so was hatte ich nie gesehn.

Nun war das Defiliren zu Ende und die Soldaten zerstreuten sich jubelnd. Der Wein sprützte über die Straßen, die silbernen Napoleonsstücke flogen, meine armen Landsleute, die eine klägliche Rolle dabei spielten, fingen sie auf, ich selbst eroberte ein Frankenstück und kaufte mir lauter Pfannenkuchen dafür, und schmauste und sah zu. Auf dem Markte, auf allen Straßen lagen die bunten, jauchzenden Krieger vor großen Weinfässern, die Illumination leuchtete dazu, und wo ein Mädchen sich sehen ließ, da mußte sie auf's Wohl des Kaisers trinken, und sich zu ihnen setzen und küssen lassen ohne Ende. Alle Häuser standen offen, und wo man hintrat, da trällerten sie Lieder, da umarmten sie einander, da waren sie dünkelhaft, übermüthig und liebenswürdig, da brauste plötzlich immer einmal dazwischen wie ein Windstoß »vive l'empereur,« und das war die große Armee.

Eines Tags sagte Gardy ganz geheimnißvoll, als er mich auf's Pferd hob: Er ist da, du sollst ihn sehn.

Als wir nach Hause kamen, wusch er sich, zog seine beste Uniform an, und bedeutete mir, ich möge mein Sonntagsjäckchen holen, das war aber sehr schön, nämlich von grauem Nanking, um die Taille 219 mit einer schwarzen Sammtborde besetzt. Es war gegen Abend und meine Mutter sah mir lächelnd zu, und fragte, warum ich mich so spät noch putzte. Ich durfte nichts sagen, legte den Finger auf den Mund, und zog geheimnißvoll die Augenbrauen in die Höhe. Sie sah mir kopfschüttelnd nach, und erfährt es erst jetzt, zu welcher Kour ich damals gelangt sei, denn ich habe immer davon geschwiegen, wie von einer heiligen Handlung, die nicht entweiht werden dürfe.

Ich ging aber damals mit Gardy vor jenes hohe Haus an der Ecke der Herrngasse, wo General Bertrand wohnte. Es wurde, wie gesagt, schon dunkel, und es half mir nicht viel, daß Gardy mich auf ein offnes Fenster im ersten Stock hinwies. Ich sah allerdings eine Figur, die uns den Rücken kehrte, ich sah ein Paar breite Atlasschultern – plötzlich verschwanden diese vom Fenster, ein Wagen fuhr vor's Haus, Gardy nahm mich hastig bei der Hand und zog mich ungestüm an die Hausthür. Hinten an der Treppe erschienen Lichter, zwei Männer kamen langsam den Flur entlang auf die Thür zu. Gardy stieß mich in die Rippen. Der kleinere blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehn, und sah nach dem Himmel. Ich machte es ihm nach, und sah auch nach dem Himmel, es zog weicher, seidner Sommer vom Firmamente nach dem Abende hin 220 in das erblassende Abendroth. Dessen erinnere ich mich deutlich; das Gesicht des Mannes gefiel mir indeß damals nicht besonders, es sah wie von Wachs aus und hatte keinen Bart. Der kleine dreieckige Hut, der auf dem Kopfe saß, mißfiel mir entschieden. Aber dennoch rieselte mir ein solcher Respekt durch alle Glieder, daß ich der festen Meinung wurde, der Mann sei ein Verwandter vom lieben Herrgott. Wäre er nur größer gewesen, hätte er einen langen Bart gehabt und keinen Dreimaster getragen, so hätte ich ihn für den lieben Gott selbst gehalten, denn als er das Auge niederschlug, sah er mich einen Augenblick an. Da wußt' ich nicht, wie mir geschah; es war mir, als sei ich in der Kirche, und als bekäme das braunschwarze gemalte Auge Gottes, was oben an unserm Altar in einem Dreieck hing, Leben und Bewegung. Es war Alles ganz still, auch der Mann mit dem Auge Gottes sprach nicht.

Plötzlich wendete er sich zum General Bertrand, sagte »bon soir, mon cher,« stieg eiligst in den Wagen, und fuhr davon.

Wir standen noch lange da, und rührten uns nicht. Gardy war sogar mehrere Tage hinterher ganz still. Als ich nach Hause kam zog ich sacht mein Sonntagsjäckchen aus, ging nicht zum Abendessen, sondern legte mich in's Bett, machte die Augen zu 221 und sah unverwandt in das Auge Gottes, und hörte fortwährend: »bon soir, mon cher

Meine Mutter, die sich gewundert, daß ich nicht gegessen, kam mit Licht, und sah, ob ich schliefe. Ich machte die Augen nicht auf, ich regte mich nicht.

Am andern Morgen wußt' ich nicht, ob die Sache wirklich passirt sei, und darum weiß ich's auch heut nicht ganz gewiß, daß ich's beschwören könnte, ob ich den Kaiser Napoleon gesehen. Ich weiß zwar noch, daß meine Mutter fragte, warum ich nicht zur Nacht gegessen, und weshalb ich mir das Sonntagsjäckchen angezogen habe, der braun schwarze Glanz vom Auge Gottes schimmerte ebenfalls heut noch in meiner Seele; ich will's aber der Romantik halber unentschieden lassen.

Gardy mußte bald darauf marschiren, ich ging neben seinem Pferde bis vor's Thor und weinte sehr. Die Franzosen gingen alle fort, auch der große Sergeant, der bei unserm Nachbar im Quartier lag, und der einen so großen rothen Backenbart hatte, immer schneeweiße Hosen trug, kerzengerade ging, fortwährend von der großen Armee sprach, uns Alle auf das übelste behandelte, kurz, der ein unausstehlicher Mensch war, um dessentwillen ich lange Zeit die Franzosen gehaßt habe. Auch der mußte 222 marschiren, und bald war kein Soldat mehr bei uns; mein Vater sagte, der Waffenstillstand sei zu Ende.

Ich spielte nun mit meinen Kameraden Soldaten; wir hatten aus einer alten Rumpelkammer einen dreieckigen Hut erbeutet, den kriegte immer der Anführer des Spiels, und hieß dann »der Napoleon.« Wir haßten ihn alle sehr, gehorchten ihm aber ohne Widerspruch.

Eines Tags ward plötzlich ein großer Trupp Gefangener in die Stadt gebracht, wir hörten, daß an der Katzbach unter dichtem Regen und dichten Mänteln eine Schlacht geschlagen und von den Franzosen verloren worden sei. Ach sie sahen so jämmerlich aus wie unser alter Bettler vor'm Thore. Sie waren so schwach, daß sie immer niederfielen, und wenn sie fielen, da schlugen sie die Gensdarmes mit den blanken Klingen. Ich mußte bitterlich weinen, und hätte den armen Leuten gern geholfen. Zu meinem Schrecken erkannte ich auch den garstigen Sergeanten unter ihnen, und ich wußte gar nicht, wie ich mich dabei benehmen sollte. Er war todtenbleich, und ein rother Säbelhieb, den ein kleines Tuch schlecht bedeckte, ging über sein ganzes Gesicht. Aus allen Häusern brachte man große Körbe Brot, die garstigen Gensdarmes wollten auch das nicht einmal. Freilich waren's dieselben Franzosen, die uns Alles, auch meiner Mutter das braunseidne Kleid 223 genommen hatten. Aber die armen Menschen winselten vor Hunger. Ich bat meine Mutter um einen großen Korb, und stahl mich hinter einem Gensdarmes mitten in den Haufen hinein. Ach, was sah' ich da für blutige, verschwollene, von Jammer auseinandergeschnittne Gesichter. Ein armer Franzose, dem eine Kugel im Halse steckte, schrie unaufhörlich vor zerstörendem Schmerz, es hätte die Pflastersteine erbarmen mögen. Seine Augen und Hände krümmten sich nach einem Stück Brot, ach und er konnte den Mund nur öffnen zum herzzerschneidenden Jammergeschrei.

O, was bin ich da böse auf den Krieg geworden. und ich habe jene Scenen nie vergessen können, und meine Civilisationsgedanken haben sich immer unwillig gesträubt gegen die rohe Waffenentscheidung.

Henri, Henri! rief's hinter mir. Himmel, jenes abgerissene Gesicht, in welches die verwüsteten Haare hineinhingen, war es nicht Gardy! Ach, leider war er's. Oh, wie verhungert fiel er über das Brot her. »Er hat uns verlassen,« sagte er, »darum hat man uns geschlagen.« In der größten Bewegung lief ich nach meinem Vater. Wir wollten ihn losmachen, um ihn bei uns zu behalten, wir sagten, daß er den Napoleon hasse, und ein halber Teutscher sei, ach, sein Gesicht bat so kläglich um Freiheit.

Umsonst. – Noch heut seh' ich die schwindelnde 224 Hoffnung in seinem Gesicht jählings kopfüber herunter auf das Pflaster stürzen, noch hör' ich die Schmerzensworte »Oh Marion, j'avais raison!«

Wie eine Heerde Vieh wurden sie fortgetrieben, laut schluchzend lief ich mit, den armen Gardy im Auge. Vor'm Thore stieß mich ein Gensdarmes mit der Säbelscheide, daß ich niederstürzte, und lang nicht aufstehen konnte.

Fort ging der Zug, und ich hörte noch lang sein jämmerliches Winseln. Seit jener Zeit kann ich die Gensdarmes nicht leiden. Den armen Gardy hab' ich nicht wieder gesehen; wenn ich einmal nach Frankreich komme, will ich mich nach seiner Marion erkundigen. –

– Es war schon lange hohes Gras über diese meine Kriegserinnerungen gewachsen, als ich auf dem Thonberge bei Leipzig bei dämmerndem Mondscheine wieder lebhaft des Jahres 1813 gedachte.

Jetzt übersah' ich ihn im Ganzen diesen vierten Akt der großen Napoleonischen Tragödie, das Jahr 1813. Ich sah's, wie die Waffen von allen Seiten gegen ihn herandrangen, wie Duroc neben seiner Seite bei Reichenbach erschossen wird, ohne daß er es gewahrt; ich sah seinen Schmerz, mit dem er sich einschließt und keinen Menschen zu sich und zu den Gedanken an die Leiche seines Freundes läßt. Die ganze Armee erhält keine Befehle, weil der Kaiser 225 um einen Freund trauert. Ich erkannte jetzt jenen düstern Waffenstillstand, mit dem er selbst die Zeit gewährte, daß sein Unglück reif werden konnte. Während ich die ersten Franzosen sah, grub man bereits ihrem Kaiser das Grab. Damals wohnte er in einem kleinen Hause zu Dresden und regierte zum letzten Male halb Europa, verschanzte sein letztes Bollwerk, die Dresdner Gegend, wünschte zum ersten Male lebhaft den Frieden, weil er ihn brauchte, und sprach zum letzten Male den Metternich.

Als der Kaiser lebhaft mit ihm im Zimmer herumgeht, fällt ihm sein kleiner Hut auf die Erde, und Metternich hat die Kühnheit, jenen kleinen Hut, vor dem Europa sich gebeugt hatte, nicht aufzuheben. Napoleon muß sich selbst darnach bücken.

In diesem Vorfall mit dem kleinen Hute liegt die Schilderung des ganzen damaligen Zustandes. Man bückte sich nicht mehr vor Napoleon, sein vorletzter Akt war da. Ich weine aber nie so beim Tode selbst, als wenn ich die Anzeichen sehe, daß ein großer Mann sterben wird. Die Todesangst ist schlimmer als der Tod.

Und nun brechen die letzten Scenen donnernd herein. Kaiser Franz verläugnete seine Liebe zu Napoleon und zu seiner Tochter, Oestreich trat zu den Alliirten. Sieg und Niederlage des Hauses Habsburg gegen Frankreich waren immer gleich 226 schmerzhaft: für die Revolution fiel Marie Antoinette, für den Frieden zu Wien Marie Louise, die beide in der Burg zu Wien blond und schön geworden waren.

Aus Schlesien drängte Blücher, le sabreur, aus den böhmischen Engpässen die Haupt-Armee der Alliirten. Napoleon schien's zu ahnen, daß ihm einst Blücher ein Hauptstein des Anstoßes werden könne, – er eilte über die schlesische Grenze, und immer noch wird der Strom aufgehalten, wo er sich zeigt. Die Hauptarmee der Alliirten ist auf dem Anzuge gegen Dresden, dem damaligen Schlüssel zu Teutschland und Frankreich. Napoleon kommt bis Pirna zurück. Schon wird Dresden angegriffen, der Marschall St. Cyr schickt die drängendsten Boten, Dresden ist verloren, und der Kaiser ist nicht da.

Es war der sechsundzwanzigste August, ein Tag der tödlichsten Angst für Dresden; schon waren die Preußen bis in den großen Garten gedrungen, der alte König von Sachsen, Napoleons treuester Freund, der den Helden liebte wie seinen Sohn, sah trostlos aus dem Fenster seines Schlosses, die ganze Ebene am linken Elbufer war von Alliirten bedeckt, die Kanonen reichten schon bis in die Stadt, die ersten westphälischen Regimenter gingen über, man sprach von Kapitulation und der Kaiser ist nicht da.

Zehn Uhr schlägt's in der Stadt, da erscheint im 227 Galopp auf der Elbbrücke Napoleon, hinter ihm kommen die Kürassiere Latour-Maubourgs und die Garde im Sturmschritt, und als ob ein Gott erschienen sei, lebt Alles auf, er ist da, und das Vertrauen ist da. Er eilt, Friedrich August zu umarmen, und die Schlacht zu ordnen, die unglaubliche Schlacht bei Dresden.

Man gab die Franzosen auf, und die Alliirten drangen schon zu den Thoren herein. Napoleon wußte es besser, und sagte zum König von Sachsen, er möge ruhig in seinem Schlosse bleiben. Nun stürzen aus allen Thoren die todesentschlossenen französischen Ausfälle. Alles ändert sich wie mit einer Handbewegung. »Der Kaiser ist in Dresden,« ruft Fürst Schwarzenberg, »der günstige Augenblick ist vorüber, denken wir nur daran, uns zu sammeln.«

So dachten die Troer nur an Rettung, nimmer an Sieg, wo sie den Wagen des Achilles sahen. Und der Hektor, Karl v. Oesterreich, lag still und verstorben auf seinem Schlosse Weilburg im schönen Helenenthal bei Baden. –

Und noch hielt es Napoleon nicht einmal für nöthig, selbst in den Kampf zu reiten, er erwartet auf der Elbbrücke mit Ungeduld die Herzöge von Belluno und von Ragusa. Rings um ihn hielt man Alles für verloren, aber er sagt mit geisterhafter Ruhe 228 und Gewißheit: »Meine Freunde, der Feind wird nicht wieder stürmen.«

Und nun reitet er im Galopp nach dem Dippoldiswalder Thore. Wie mit einem Zauberschlage wird Dresden frei, die Alliirten weichen zurück.

Es wird Nacht auf der Dresdner Ebene, und der Regen fällt stärker und stärker, die Wachtfeuer leuchten matt wie kümmerliche Siegeshoffnung – einsam reitet Napoleon über das Feld, um den folgenden Tag zu ordnen. Der Tag kommt, und es regnet und regnet unaufhörlich. Um sechs Uhr rückt Napoleon aus dem Freiberger Thore; die gegenüber liegenden Höhen sind noch leer, sein Auge lacht durch den Regen, von jenen Höhen wird die Schlacht gewonnen, von da herunter wird Murat kommen.

Die Kanonade beginnt, der Kaiser ist vor dem Dippoldiswalder Thore, das Wasser stürzt vom Himmel, er läßt ein großes Feuer anzünden, und leitet von da die Schlacht.

Murat ist auf den Höhen angekommen, der Kaiser läßt die Kanonade in seinem Centrum verdoppeln, die Wolken werden davon in die Höhe gejagt, die Sonne scheint einen Augenblick, man sieht auf den nächsten Höhen viele Handpferde – die Regenten Europas sind einander gegenüber. Die Batterien beginnen auf des Kaisers Befehl neue Lauffener, da die Aufmerksamkeit des Feindes auf diese Seite 229 gelenkt werden muß. Man sieht auf jenen Höhen die lebhafteste Bewegung, ein bedeutender Mann muß getroffen sein. Die Franzosen glauben, es sei Schwarzenberg. Erst am folgenden Tage findet man in Nöthnitz ein zurückgelassenes Windspiel, auf dessen Halsbande steht. »Ich gehöre dem General Moreau.« –

Der König von Sachsen schickte dem Kaiser dies Halsband – Moreau, sein gefährlicher Widersacher muß von weit her über's Meer kommen, um von einer Kanonenkugel des Kaisers zerrissen zu werden. Moreau hatte kein Glück. –

Unterdeß kommen Murats Kanonen näher, Napoleon sprengt durch einen Kugelstrich nach seinem linken Flügel auf die Pirnaer Straße, und befeuert ihn durch drei Worte. Er kommt zurück – da erscheint der fliegende goldgestickte Mantel und die Reiherfeder Murats, und er stürzt mit Karabiniers und Kürassieren wie das geflügelte Unglück auf die Oestreicher herab. Auf allen Seiten entzündet sich des Kaisers Schlacht aufs Neue, die Artillerie der Alliirten wird schwächer, sie hört auf, es ist erst 3 Uhr, der Sieg ist da. Napoleon ertheilt noch rasch Befehle, und reitet nach Dresden hinein. Das Wasser läuft in Bächen vom grauen Rock und den steifen Stiefeln, die durchnäßten Hutkrempen hängen ihm auf die Schultern, so umarmt ihn, den triefenden Sieger, der König von Sachsen vor seinem Schlosse, 230 wo er vor 24 Stunden nicht mehr sicher zu sein glaubte.

Die Schlacht bei Dresden war der letzte flüchtige Kuß des Glücks. Der vierte Akt ging seinem Ende zu. Vandamme verwickelte sich in den Strudel des Rückzugs auf den Nollendorfer Höhen, statt ihn aufzuhalten, und kam drin um. Die Weisheit Napoleons ward vom Unglück zertrümmert. Sein Zug nach Berlin stockte in der Unlust seiner Krieger, welche nach Paris schmachteten, und nur zögernden Fußes die Straße nach Frankreich aufgaben, die Elasticität des Kriegs und Glücks war dahin, und ein verlassener Gott saß er am 18. October auf dem Thonberge bei Leipzig. 231

 


 


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