Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Braunschweig.

Jerta war sehr liebeweich, meine Anhänglichkeit mochte sie gerührt haben. Als wir zum ersten Mal anhielten, um auszusteigen, strich sie mir sanft die Haare vom Schlaf, und küßte mich flüchtig darauf. Ich war trotzig, ob es mir auch wohlthat, und erklärte, daß ich nicht wieder die Nacht hindurch fahren wolle.

Das war nicht mein Ernst, ich wollte nur geschmeichelt sein. Man meinte leider, ich habe Recht, und blieb, und konnte nun nicht begreifen, warum ich nicht freundlicher würde. Jerta schälte mir Kartoffeln, und steckte sie mir in den Mund, milde, schöne märkische Kartoffeln; ich biß sie in den Finger, und schlief am Ende auf der Bank ein.

Der Mond schien hell, als ich erwachte. Es war mir kalt, und ich konnte mich kaum besinnen, wo ich sei. In meiner Nähe hörte ich das Geräusch eines 86 Schlafenden, mein Gedächtniß wurde allmählig vernünftig, ich nahm meinen Mantel um, und versuchte es, mich zu orientiren. Die Sprache des nächsten Schnarchens kannte ich aus dem Wagen, sie interessirte mich nicht. Aber drei Schritt weiter stand, vom vollen Mondschein beleuchtet, ein zweites Bett. Halb angekleidet, unordentlich mit dem Mantel zugedeckt, lag Jerta darauf. Sie hatte sich die Haare aufgelöst, und lang und hellbraun waren sie von beiden Seiten der Schlafhaube entschlüpft; auch der Schuhe hatte sie sich entledigt, und der volle Fuß mit dem eng anschließenden weißen Strumpfe streckte sich ein wenig über das Bett heraus. Ich blieb eine Zeitlang vor ihr stehen, und betrachtete sie lächelnd. Da schien es mir, als zuckten ihre Augenwimper und ihre Lippen ebenfalls. Das Bett war breit, ich setzte mich neben sie, und näherte mich langsam ihrem Munde. Es schien mir zweifellos, daß sie wache, und ich wollte keinen Kuß stehlen, ich wollte sehen, ob sie sich küssen ließe. Sie ließ sich küssen, und es war mir, als ob sich ihre Lippen leis' öffneten, ich fühlte ihren warmen Athem. – Da ward plötzlich an die Thür geschlagen, die Alte kreischte auf, Jerta fuhr in die Höhe, ich war wie ein Blitz im Dunkeln, und streckte mich wieder auf die Bank.

Die Alte ermunterte sich allmählig, und fragte. Es war der Kutscher, der uns zum Weiterreisen 87 weckte. Ich schlief unerschüttert, um die Weiber in ihrer Toilette nicht zu stören. Leider war die, welche viel Ursache dazu hatte, nicht blöde, und die, welche keine hatte, stellte sich in's Dunkel.

Alte: Der Herr hat einen gesunden Schlaf.

Jerta: So scheint es.

Es ward Feuer im Kamin angemacht, Licht und Wärme spielten auf meinem Mantel hin und her. Mir war sehr behaglich. Jerta ging zum Feuer, um Kaffee zu kochen, sie streifte die Aermel des Kleides ein Stück über den weißen Arm in die Höhe, und ordnete das Geschirr auf einem Tischchen beim Feuer. Flüchtige Vorpostenblicke flogen über mich hin. Da ging die Alte aus dem Zimmer; es war ganz still, sie guckte in's Feuer, und ich lispelte ihren Namen. »Stehn Sie doch auf,« sagte sie ganz leise, ohne sich umzusehn. »»Ich kann nicht, mich hat der Schlag gerührt.«« »Ach, warum nicht gar.« Dabei wendete sie sich um, ich sprang auf, und eilte zu ihr, sie flüchtete hinter das Kaffeetischchen, die Alte trat ein.

Es gab ein friedliches Vossisches Frühstück. Unterdeß kam der Morgen; wir fuhren weiter.

Das Land und die Sprache fängt nun an, sich zu erheben, es kommt klingendes Laubholz, es kommen immer klingendere, vollere Vokale. Die Sprache vom O beginnt, der Accent, und die Menschen 88 nehmen einen entschiedenen Charakter an, es nähert sich das Land Braunschweig.

Man kommt in das halb trockne, halb wunderlich blaugrüne Thal von Helmbstädt, und ist in Nordteutschland. Wie geographisch, so ist Helmbstädt auch historisch ein Grenzpunkt teutscher Aeußerungen. Es war eine Zeitlang der Mittelpunkt unsrer Gelehrsamkeit, namentlich der theologischen; was noch zu erklären war über die Poststationen des Himmels, das nahmen die protestantischen Helmbstädter vor. Und die Herren Professoren haben gearbeitet wie die Taglöhner, das muß ihnen der Neid lassen, sie haben ihre Besoldung abgedient. Die armen Erdgeister – jetzt zeichnet sich Helmbstädt, das gelehrte, durch guten Pfefferkuchen aus; dieser Pfefferkuchen kommt aber aus Braunschweig.

Die Braunschweiger ganzen Gestalten zeigen sich immer mehr und mehr. Man sollt' es nicht glauben, daß sich die Provinzen so streng absondern könnten, aber der Braunschweiger scheidet sich wirklich, ein abgeschlossenes Individuum. Der Harz ist die letzte Anstrengung, Teutschland vor dem Meere zu retten; um ihn herum, als seine nähern oder fernern Vorposten sind die Braunschweiger gelagert, Hüter der Erde, Vertheidiger des reellen Bodens, Leute, welche fest auf ihren Füßen stehen. Der Braunschweigische 89 Stamm gehört zu den ehernsten in Teutschland: starke Muskel, solider Knochenbau, kalter, zweifelloser Muth, rücksichtslose Grobheit, sie sind das unveräußerliche Eigenthum dieser Guelfen. Es ist nie anders gewesen, als daß ihre Fürsten ächt Braunschweigisch mit der Faust drein schlugen, wenn es irgendwo stockte, und daß die übrigen Bewohner dies natürlich fanden, und ebenfalls die Fäuste erhoben gegen jeden etwaigen Widerspruch. Von Heinrich dem Löwen bis zu dem bei Quatre-bras gefallenen Friedrich Wilhelm waren die Fürsten tapfer, vom Brande Bardewiek's bis zur Einschiffung bei Elsfleth, bis zur überstürzenden Schlacht bei Ligny schlugen die Braunschweiger kühn und unerschrocken todt, was ihnen in den Weg kam, und ließen sich kühn und unerschrocken todt schlagen.

Es gab im frühen Mittelalter keinen Staat, der sich so viel herumgebalgt hätte mit seinen Nachbarn, als Braunschweig, wie das Herr Blumenhagen aus Hannover in vielen Taschenbuchgeschichten eines Breiteren erzählt hat. Und so hat sich ein strenges, plumpes Selbstgefühl vom Vater auf den Sohn geerbt, daß jeder Einzelne mit einer gewissen innern Zuverlässigkeit dem Fremden imponirt. Braunschweig ist massiv. Früher war es die Hauptstadt des teutschen Nordens, der Mittelpunkt des Verkehrs, eine rauhe, starke Stimme unter den teutschen Reichsstädten. 90 Der Braunschweiger Bürger weiß vielleicht heute nichts mehr davon, aber er geberdet sich noch also.

Der neue ernste, entschlossene Stamm kündigt sich schon in den Trachten der Landleute, in den Gesichtern, in den Augen an. Es sind die Kastilier des Nordens. Ein breit angekrempter, schwarzer Hut beschattet das dunkle, strenge Gesicht. Viel weniger als in den umliegenden Ländern, in Hannover, Meklenburg sieht man hier das nordteutsche Blonde. Dunkel sind alle Schattirungen des Braunschweigers, sonnverbrannt, schweigsam wie ein spanischer Brigand geht der Landmann in seiner düstern Tracht auf der Landstraße gen Braunschweig, einen nachlässigen Seitenblick auf den Fremden werfend, der an ihm vorübereilt. Jeder trägt ein schwarzes Halstuch, einen tief dunkeln Rock mit rothem Fries gefüttert und mit massiven Bleiknöpfen von oben bis unten besetzt. Nur im heißen Sommer wird über die schwarze Untertracht ein Leinwandkittel gezogen. Es ist eine kleine abgeschlossene düstre Nation, das Vaterland der teutschen Frachtfuhrleute, und Jedermann kennt den ungenirten Ton und die unzweideutigen Aeußerungen eines teutschen Frachtfuhrmanns. Sie sprechen nie ein Wort zu viel, und geben nie einen Schlag zu wenig, wohl aber machen sie's umgekehrt.

Das Land wird hügelicht, ich glaubte in Spanien zu sein, und redete zur lächelnden Jerta lateinisch. 91 Sie schlug mich auf den Mund, und ließ die Finger so lange ruhen, daß ich sie küssen konnte, nämlich die Finger. Ich sah, sie machte Fortschritte, die Alte sah es auch, und fragte mich, da unsere Reise doch nun zu Ende gehe, nach meinem Charakter.

Diese Frage hatte sie nämlich in Köthen gelernt; ich habe diese anhaltinische Begebenheit zu erzählen vergessen, zu Köthen nämlich, wo vor einigen Jahren eine katholische Kirche und eine sehr protestantische Heilmethode erfunden wurde, hielt man uns am Thore an.

»Wie heißen Sie?«

»»So und so.««

»Was haben Sie für einen Charakter?«

»»Einen sanguinischen.««

»Wie?«

»»Sanguiniker.««

Pause – der Korporal bemüht sich, das Wort zu schreiben, tritt zurück – das Studium malt sich in seinen provisorisch nachdenklichen Zügen, er versammelt die Wache um sich, und theilt seinen Kameraden das Wort mit. Sie nehmen die Pfeifen aus dem Munde, und bestreben sich nachzudenken. Jerta wirft unzweideutige Blicke des Mißtrauens auf mich, die Alte stößt sie wiederholt mit dem Ellenbogen an, und ist sehr blaß. Die Konferenz der Wache lös't sich kopfschüttelnd auf, der Korporal lies't noch immer an 92 dem Worte, und erklärt mir in langsamen Absätzen, er stehe da statt seines Fürsten, der alle Morgen zum Frühstück den Charakter der Durchpassirenden haben müsse, mein Charakter sei durchaus nicht gangbar, kein vernünftiger Mensch wisse was damit anzufangen, ich möchte mich deutlicher erklären.

Ich schrieb ihm auf einen Zettel: »the ghost of Banquo« und befahl dem Kutscher, zum Teufel zu fahren.

Der Köthenianer rief die Wache in's Gewehr, der Kutscher fuhr, die Musketen polterten, das Kriegsgeschrei lärmte, ein Gassenjunge schrie Hurrah, die Alte bat mich, auszusteigen, denn sie legten die Gewehre auf den Wagen an, der Kutscher lachte, ich lachte, und die Alte dachte jetzt vor Braunschweig noch, ich hätte keinen Charakter.

Ich fragte sie, ob sie Herrn Peter Schlemihl kenne, der keinen Schatten, aber vortreffliche Stiefeln habe.

Darauf sah sie mich so dumm wie möglich an, und Braunschweig erschien, und rettete mich vor der Inquisition.

Seine Physiognomie ist in der Ferne sehr einfach; wenn nicht die Vorberge des Harzes einen Seitengrund gewährten, so wäre es ohne Anhalt, ein abgerißner, alltäglicher Gedanke. Durch Grün, neben Gärten, durch freie Thore fährt man hinein. Ich 93 drückte und küßte meiner Jerta die Hand, als wir schieden, sie war sanft und lieb, und wollte mir gewiß eben ihre Adresse mittheilen, als die Alte dazwischen fuhr, und sich direkt Herrn Peter Schlemihl empfahl.

Ich dachte: Braunschweig ist nicht so groß, Jerta wird zu finden sein, und habe ich erst meinen weißen Hut und den Sammtrock und die Manschettenhemden ausgepackt, so wird die Alte gewiß mehr Respekt vor Peter Schlemihl haben.

Es fing an zu dunkeln, ich dichte mich gern unklar in eine Stadt hinein, und vertiefe mich gern in unbekannte Straßengewinde. Das kann man nirgends so gut, als dort, Braunschweig ist ein kleines Gedärm; verworren, ordnungslos, mit republikanischer Willkühr, allen verliebten Launen nachgebend, laufen die Gassen durcheinander, kein Instinkt, kein Ortssinn hilft, man muß all' diese kleinen Därme aus Erfahrung kennen, sonst verirrt man sich.

Ich stand plötzlich vor einem eisernen Gitter, das sich weit erstreckte; und einen großen Raum einzuschließen schien. Gelbe Fasces und Liktorenbeile erinnerten an Herrschaft, Prügel und Blut. Innen war es schauerlich still und leer, das Ganze sah wie der Käfig eines wilden Thieres aus, der leer geworden. Ich lehnte mich an das Gitter, es war noch fest, nächtliche Gedanken der Braunschweiger Revolution 94 gingen mir durch den Kopf. Der Mond kam und beleuchtete das Innere; in einiger Entfernung reckten eine Menge Pflöcke ihre kahlen Häupter empor – es sah aus, als wolle man ein Amsterdam bauen, im Hintergrunde standen leise flüsternd traurige, hohe Bäume, die Alles mit angesehen hatten und nächtliche Geschichten murmelten. Ich habe manches leise sprechende Blatt schon entziffert, denn ich kann schweigen, und wer Viel schweigt, hört mehr; aber diese Blätter lispelten zu weit von mir, und das war mir ernstlich leid. Mein historisches Herz fühlte es, dort werden nicht nur Geschichten, es wird Geschichte erzählt.

– In einem Hause in meiner Nähe entstand Lärm, ein Windhund flog jämmerlich schreiend heraus, Prügel und Flüche hinter ihm drein. Der Hund flüchtete sich zu mir, winselte, schmiegte sich an mich, beleckte meine Hände; es war ein schöner Hund, und er hatte so schmerzlich historische Augen. Ich streichelte ihm den Nacken, und er war so innig dankbar, als sei ihm das lange nicht widerfahren.

»Sie werden in schlechte Renomée kommen, das ist ein Karlist.«

So sprach ein dicker, wohlhäbiger Mann, der auf sein starkes mit Elfenbein verziertes Bambusrohr gestützt, an mich herantrat, und mir gutmüthig in die Augen sah. Er hatte ein kultivirtes braunschweigisches Gesicht, wie man es nicht oft sieht, denn die rohe 95 Strenge überwiegt in Braunschweig noch bei Weitem das Weiche, Humane. Man ist mehr kräftig, als fein, es wird eine materielle Wurst da gegessen, und die Erinnerung an's Königreich Westphalen lebt in solidem Schinken fort.

Und es war das Königreich Westphalen, das mich von moderner Zerstörung trennte. Ich lehnte an Jeromes Eisengitter, was er um das Braunschweiger Schloß gezogen hatte, dahinter lag die Nacht des siebenten Septembers, die Nacht der Braunschweiger Revolution. Der Mann hat mir wunderliche Dinge erzählt. Er führte mich auf dem Schlachtfelde herum, und ich erfuhr jetzt erst, wer da gekämpft. Das weiß die hohe Aristokratie in Braunschweig am Besten, und die Aristokratie war immer klug genug, sich ihrer klügsten Thaten nicht zu rühmen. Nur arme Leute klappern mit ihrer Kupfermünze. –

Der schöne Herzog Karl v. Braunschweig hatte es redlich verdient, daß man ihn aus seiner Väter Schloß vertrieb: er brachte seine Hunde mit in's Theater und zwickte sie in den Schwanz, daß sie Bravo heulten, er trat die Gesetze mit Füßen, er betrog die Seifensieder und Tischler, er haßte die Leute, welche viel Vermögen hatten, und confiscirte es, er spielte wie Nero Komödie, und war in vielen andern Dingen ein Nero.

96 Leider ist er nicht deshalb verjagt worden; er mißhandelte besonders einen Stand, und das war sein Unglück. Bei all seinen Unfläthereien ging die große Masse gewöhnlich unberührt aus, und er repräsentirte den völligen Braunschweigschen Miguel; das Volk war für ihn. Sogar die Maitressen wählte er aus der bürgerlichen Klasse – auch diese gewöhnlichste Begünstigung verlor der Adel. Adlige waren's, welche er auf das Abscheulichste, Rechtswidrigste verfolgte und verfehmte, und der feine, satirische Herr v. Sierstorpf und der kluge Herr v. Kramm haben zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß er anderswo besser aufgehoben sei, als in dem Schlosse zu Braunschweig. So kam denn das schlimme Semester von Johannis bis Weihnachten 1830 heran, wo die Revolutionskollegien so zahlreich frequentirt wurden. Auch hochgeborene Herren entschlossen sich zu diesem plebejen Mittel. Schon am sechsten Abende ließen sich unheimliche, verkappte Gestalten auf dem Bohlwege und in der Nähe des Theaters sehen, man lauerte dem Herzoge auf, wenn er aus dem Theater kommen würde.

Darin erkennt man adlige Kürze bei solchen Dingen. Jeder gute Aristokrat sieht sich für einen Pair des Reichs an, die Souverainetät der Mediatisirten schwellt immer noch sein Herz, die Augustnacht in Paris, das Jahr 1803, 1806 und den Wiener Congreß 1815 hat er nie in sein Gedächtniß 97 aufgenommen. Und es ist recht, nur so liegt eine Art Poesie im Adel, eine Größe des gesellschaftlichen Verbrechens ist auch eine Größe, Popilius Länas ist durch die römische Frechheit berühmt geworden, mit der er einen Kreis um den syrischen König zog, und Krieg oder Frieden aus der Toga geschüttelt haben wollte, so wie der König aus dem Kreise trete. Und einen stolzen, nackten Feind besiegt man eher, als einen flanellnen wie der gewöhnliche Adel, der mit französischen Brocken, Kammerherrnschlüsseln, Gouvernanten und Reitknechten sich vertheidigt.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß man an jenem Abende das Blutigste gegen Herzog Karl im Schilde führte; man wollte klassisch ernsthaft sogleich an die Hauptperson. Es mißlang. Das Glück führte den Herzog zur unerwarteten Stunde aus dem Theater, man gewann kaum Zeit, Steine nach seinem Wagen zu schleudern. Karl war nicht der Mann, steinernen Angriffen muthig in den Weg zu treten, er verkroch sich so gut es ging in seinem Wagen, die Menge lärmte hinterdrein, die Pferde hatten rasche, gesunde Knochen, es ging rasselnd in's Schloßthor hinein, das Gitter ward zugeschlagen, die Menge gaffte die Eisenstäbe an; der Herzog war in Sicherheit.

Wäre er nun ein entschlossner Tyrann gewesen, hätte er nicht ein böses Gewissen gehabt, so war mit drei raschen Griffen das hereinbrechende feindliche 98 Geschick zermalmt. Aber er war auch feig wie Nero. Hatte er auch die Soldaten vielfach sich abgewendet, durch knickrige Kleinlichkeit sie beleidigt, sie waren ihm dennoch in gewöhnlicher soldatischer Stumpfheit, die nichts kennt als das Kommandowort, so weit ergeben, daß sie seine Sache ohne Widerrede mit Leib und Blut vertheidigten. Klug genug war aber Herzog Karl, um seine Feinde zu kennen. Er war nicht minder schriftgelehrt wie Nero, dieser componirte Schauspiele, Karl schrieb raisonnirende Briefe an eine fürstliche Person in Gotha; er war ein systematischer Absolutist, und wenn man ihn recht mild beurtheilen will, so kann man einen Grad seines ausgebildeten, widerwärtigen Charakters auf Verhältnisse seiner Minderjährigkeit wälzen. Er war ein Jahr zu lange unter Vormundschaft gehalten worden; das war die erste Grundlage seines Ingrimms. Darüber schrieb er giftige Memorialien, und ließ welche schreiben.

Aber zwei Hauptfehler, unköniglich vor allen andern, die Furcht und der Geiz, kosteten ihn in jenen verhängnißvollen 24 Stunden das Herzogthum Braunschweig. Er fürchtete sich, etwas Entschlossenes zu thun, er wollte kein Geld ausgeben.

Der siebente brach an, die Menschen liefen hin und her, man wußte nicht, was geschehen sollte, unbekannte Gesichter mischten sich unter die Gruppen, sprachen von Tyrannen, vom Sturme des Schlosses. 99 Der Abend kam, die Menschenmasse wuchs, verlarvte Personen eilten hin und her, in den Wirthshäusern wurde getrunken, und die Trinkenden hatten nichts zu bezahlen, man sprach von Freiheit und Lafayette – die guten Braunschweiger kamen zu einer Revolution wie Saul zur Krone. Das Militair hatte sich in's Schloß zurückgezogen, der Lärm davor ward immer größer, die Masse drang in den Hof; man will an die funfzig Aexteträger gesehen haben, eine organisirte Macht, von welcher Niemand wußte, woher sie kam.

Die schwarzen Braunschweiger Schützen standen in den Gängen, an den Fenstern, den Kolben am Backen, den Hahn gespannt und warteten auf Kommando, Karl rannte hin und her, entschloß sich endlich, Champagner bringen zu lassen, die Officiere zu bewirthen. Es war die letzte Scene Don Juan's, der Teufel hob die Hand nach seinem Schopfe aus; nur die Hälfte von Don Juan's Kourage, und das Gericht ward aufgehalten. Er strich sich die Locken und den Angstschweiß von der Stirn, ließ seine Hemden und Kostbarkeiten packen, und gerieth um 150,000 Thaler mit einem Wechsler in den peinlichsten Streit. Es kam Rapport auf Rapport, die Soldaten drängten ihn, den Kampf eröffnen zu lassen, er hatte keine Zeit, der Wechsler bewilligt nicht Procente genug – da kracht die erste Thüre. Die Aexteträger waren gut gewählt und gut bezahlt – 100 über Hals und Kopf stürzt der Herzog zur Hinterthür hinaus, wirft sich auf's Pferd, läßt sich von seinen Reitern umringen, wirft einen ängstlichen Blick auf seine Geldwagen, und mit ihnen geht's in sausendem Trabe hinaus aus der Stadt, nach dem Augustthore hin, seinem schönen Herzogthume kehrt er feig für immer den Rücken; er hat Braunschweig nie wieder gesehn, und wird's nie wieder sehn.

»Jetzt fiel die Masse über das alte Guelphenschloß her« – so schloß der dicke Herr aus Braunschweig – »und der kahle Fleck hinter diesem Bonapartistischen Gitter ist der Rest davon. Dies geschah in der Nacht des siebenten Septembers, die hohe Lohe leuchtete weit in die Flächen, ja in die Harzschluchten hinein, das alte hölzerne Schloß brannte so vortrefflich wie eine Theaterdekoration. Dieser Schluß ging überraschend schnell. Noch war es nicht Morgen, so waren die schwarz und rothen Landleute vor den Thoren, und fragten, ob ihrem Herzoge etwas geschähe. Man sagte ihnen, es sei ein Irrthum vorgefallen, und am neunten wieß man ihnen den neuen Herzog. Sie zogen ihren breitkrempigen Hut vor ihm eben so tief, und freuten sich, daß sie so schnell wieder einen Herzog hätten, denn das Land Braunschweig müsse doch einen Herrn haben. Und sie rückten ihre schwarzen Halsbinden, und bekuckten ihre massiven Bleiknöpfe, und gingen nach Hause, 101 denn sie hatten nichts mehr zu thun. In Braunschweig war Alles in Ordnung: am siebenten war's los gegangen, und am neunten war wie gesagt, der neue Herzog schon eingerichtet. Er war in Berlin gewesen, und er stammt aus demselben alten und geliebten Geschlecht der Guelphen, es war nur eine Namensänderung. Sie schüttelten die Köpfe, daß sie sich ein neues Bild vom neuen Landesherrn kaufen sollten, besonders da das, was sie hatten, noch so jung aussah, weiter war nichts einzuwenden. So, mein Herr, war die plötzliche Revolution in Braunschweig. Dies arme Windspiel hat sich in jener Nacht des Siebenten verirrt, und läuft nun herrn- und brotlos herum. Es ist einer von den Theaterhunden, welche sich das öffentliche Mißfallen zugezogen haben, das arme Thier ist exkommunizirt. Niemand wagt's, dasselbe aufzunehmen, nur sentimentale Karlisten werfen ihm im Dunkeln ein Stück Fleisch zu. Des Abends treibt er sich immer hier um das Gitter herum, und heult, zuweilen nehm ich ihn im Vorübergehen mit nach Hause, damit er sich einmal wärmt. Aber es ist eine gefährliche Sache. Komm, Mustapha. Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Abend!« –

Damit verschwand der Herr sammt seinem Hunde; ich habe ihn trotz vielen Bestrebens nicht wieder gefunden. Er hatte einen vollen, schön gepflegten dunkeln 102 Backenbart, ein Paar royalistisch ergeben flimmernde braune Augen und glänzend weiße Zähne. Unter einem feinen braunen Rocke trug er einen sehr feinen blauen Frack, und um die Halsbinde und das Hemd sah er mir so diplomatisch aus, ich weiß nicht mehr, war ein Orden da, oder fehlte einer.

Ich war noch lange in Braunschweig, und es wurde mir sehr klar, daß der Mann sehr gescheidt gewesen sei. 103

 


 

Für die Unterhaltung in Braunschweig war jene Revolution ein eminentes Ereigniß. Denn Braunschweig ist sonst eminent langweilig, die Langeweile geht Arm in Arm mit Regen und Sonnenschein in den uninteressanten Gassen spaziren, die Stadt gefiel mir immer des Abends am besten, wenn ich nicht viel von ihr sah. Am Tage geschieht nichts: Frühmorgens kaufen die Weiber Gemüse ein, und Nachmittags reiten die Reitknechte mit den Herrn vom Adel um's Thor spaziren.

Es ist bekannt, daß der hannöversche Adel am meisten von Adel ist, und sein Alter bis zur Größe treibt. Sein gelehrigster Schüler ist sein Nachbar Braunschweig – Teutsch-Kastilien in allen Theilen. Aber man muß ein spanisches Stück von Lopez de Vega sehn, um mit solch' einem Braunschweigschen Junker, der alle Morgen vom Steinthore nach 104 dem Wendenthore, und vom Wendenthore nach dem Steinthore galoppirt, auf's Reine zu kommen.

Es ist eine verführerische Idee um den Begriff einer vorzüglichsten Klasse der Gesellschaft, es schleicht sich so viel Poesie hinein, und reckt und dehnt die Muskeln zu größeren Thaten, entzündet das Auge zu hellerem Glanze, daß ein schwaches Herz nicht leicht widersteht. Als ich die ersten spanischen Stücke sah, da hab' ich für den Adel geschwärmt, jener Royalismus mit seiner Aristokratie war mir der Jupiter mit seinem Olymp. Es schien mir göttlich, Götter zu improvisiren auf Erden. Und wer ist solch' ein Klotz, daß ihm das spanische System in seiner kolossalen Ganzheit, in seinem romantischen Zauber von göttlicher Manifestation und gebieterischer Vasallenunterwürfigkeit nicht imponire! – Der König ist der verkörperte Gott des Landes, er ist allgegenwärtig, er ist die Luft. Ihn sehn, wo er nicht gesehen werden soll, ist tödtlich, er irrt nie, sein Wort ist über allem Gesetz, sein Wort ist das höchste Gesetz, das Auf- und Niedergehen seines Augenliedes ist wie bei Jehovah Leben oder Tod, seine That ist über aller Prüfung, sie ist immer recht, sein Gedanke ist unfehlbar, ist untastbare Gottheit. Es giebt spanische Stücke, in welchen der König nicht zum Vorschein kommt, nur die Idee von ihm regiert wie das Fatum die ganze Begebenheit zum Glück oder Unglück. Und neben ihm, dem all' 105 diese Kräfte zugestanden sind, so lange Jemand denken, sich erinnern kann, neben diesem königlichen Gott, an welchem nicht das Sonnenstäubchen eines Traums zu zweifeln wagt, steht der Adel, der Halbgott des Landes. Der König ist über die Wolken gehoben, damit der Adel auf den Wolken sitzt, tief unten kriechen Menschen. Und Eins hat sich der Adel vorbehalten, darin weicht er auch nicht dem Könige, das ist der Sonnenstrahl, der auch ihn jeden Tag auf den Thron heben kann – das ist die Ehre. Der König ist die Atmosphäre, die Ehre das Licht, er liebt sie wie seine Augen, und er stirbt nicht nur, er mordet für sie. Und groß wie die Titanen gehen diese spanischen Edeln herum, unter den blitzenden Begriffen von Glanz und Göttlichkeit. Sie sind dem gewöhnlichen Kreise entrückt, man mißt sie nicht nach Alltagsbegriffen: sie messen sich selbst nicht darnach, und ihr Denken und Thun ist großartig und Halbgöttern ziemend, die nicht um niedre Güter sorgen und feilschen. Sie fragen nicht nach Geld und Schätzen, sie haben Beides, sie streben nicht nach Rang und Auszeichnung, ihnen gebührt Beides – sie haben sich hinausgestellt über alle kleinen Bedürfnisse. Man hat Mühe daran zu glauben, daß sie essen und trinken müssen, solch materiell Irdisches erscheint auch auf der spanischen Bühne nimmer, denn was nicht edel ist, wird nicht einmal in der Komödie Hauptperson.

106 Und nun stelle man unsern Adel daneben, der mit den Juden um die Wolle und um das Rindvieh feilscht, der ein Bauer ist, oder ein Beamter, als Adliger aber nichts, – nichts; und man gestatte nun dem Herzen den Aufwand, diesen lächerlichen Hebräern eines frühern Testaments zu zürnen, oder gar, sie zu hassen. Lächerlichkeiten muß man nicht hassen, aber wenn sie unfläthig werden, muß man sie verachten und ihnen ins Antlitz spucken. Gegen historische Bestialität ist ein Kampf mit humanen Waffen Inhumanität.

Ich habe unsern sogenannten Adel immer von ganzem Herzen verachtet, wenn ich aus einem spanischen Stück kam, und ich würde es immer für eine Beschimpfung angesehn haben, hätte mich Jemand in den sogenannten Adelstand erheben wollen. Daß der Spanier Cervantes die Idee des Don Quichote schon in dem sechszehnten Jahrhunderte fassen, daß ein Spanier damals auf dem klassischen Boden des Adels diesen Adel verhöhnen konnte, ist ein Bürge für des Cervantes welthistorischen Verstand. Hab' ich auch das Buch nie geliebt, so ist mir doch seine Intention immer werth gewesen, und Cervantes war mir stets so theuer, wie ein weiser Vater.

In allen Anfängen liegt die meiste Poesie, denn wenn etwas fertig ist, so bleibt nichts mehr zu dichten übrig. Diese Anfänge der spanischen Gesellschaft 107 werden immer poetisch bleiben; auf diese zwei Begriffe von Liebe und Ehre haben sie alle ihre Gedanken und Thätigkeiten gethürmt, da müssen Wunderwerke entstehen. Je mehr die Bildung steigt, desto mehr verschwinden die Unterschiede, dem Hervorragenden wächst das Uebrige nach, die Kontraste hören auf, und diese überraschenden Kontraste sind ein Wesentliches der spanischen Poesie.

Unser ausgebildetes gesellschaftliches Leben, in welchem kaum noch die Polizei und die Nachtwächter unwandelbare spanische Grundbegriffe bilden, kann nicht so imponiren, weil es seine Rücksichten und Gesetze auf's tausendfältigste zerspalten hat. Im Spanischen gab es nur drei Rücksichten, den König, die Ehre und die Liebe; man sah die Angeln, um welche sich Alles bewegte, die einfache plastische Schönheit lag vor Augen. Bei uns verkümmern sich jene Statüen zu Sandkörnern. Bei größerer Kultur und komplicirteren Verhältnissen geht die Einfachheit, und darum der Zauber der ungeschminkten Schönheit verloren, das Interessante kommt an die Reihe. Denn das Interessante ist jene glückliche Hand, welche glücklich auswählt. Was früher klassisch, romantisch war, das ist im modernen Leben interessant geworden.

Der bleibt aber auch unser größter Künstler, welcher die tausend Fäden unsers Lebens zu den 108 wenigsten Hauptfäden zusammenzuraffen weiß, und in Einfachheit das Ganze erschöpft. Das hat von seiner Zeit, dem Ende des 18. Jahrhunderts, nur Wolfgang Göthe vermocht.

Der Monarchismus, der Absolutismus ist die wohlfeilste, nächste Poesie, er überwältigt immer durch Einfachheit, er überwältigt nicht mit Argumenten, sondern durch seine specifische Schwere, darum überwältigt er schneller, plötzlicher, und dies Plötzliche ist das Geschäft der Poesie.

Darin ruht auch der Zauber des spanischen Theaters. Seit jenem Sturze des monarchistischen Lehnswesens ist aber der europäische gesellschaftliche Zustand nicht mehr zu einer steinernen, abgeschlossenen Ruhe gekommen, dadurch ist das Dichten so erschwert worden, und nur die größten Genies wie Shakespeare und Napoleon haben sich der Bewegung bemächtigen und hie und da bemeistern können. Was Andere schön gedichtet, wie Göthe und Tieck, ging auf Nebenverhältnisse, und beruhte, namentlich bei Letzterem, auf Täuschung und Lüge, Dichtkunst und Poesie beruht aber, wie schon die Worte sagen, nicht bloß auf Fiktion.

Die Geschichte ist immer der größte Dichter, und je schöner wir sie lesen, desto besser dichten wir. Wir harren annoch jenes glücklichen Auges, was die tausend Charaktere unsrer neuen Dinge zu einem 109 Zauberworte zusammenrafft – aber spanische Stücke wird das glücklichste Auge nicht wieder erblicken, so schön sie auch sind, denn das, was nicht mehr ist, kann nicht wieder herausgelesen werden.

Der Absolutismus unsrer Poesie ist noch unentdeckt, und nur die reproduktive Mittelmäßigkeit behilft sich mit einem alten. Das Genie, was die modernen Zustände seit dem Untergange der Lehensherrlichkeit zusammengedichtet, soll noch ausstehn, sein Fackelträger war Henry Heine. –

Das Geberden unsres Adels, dessen Existenz-Bedingungen in der Wirklichkeit des Staates längst begraben sind, der so wenig existirt wie der Vogel Rok, ist darum nichts als ein Plagiat aus alten Chroniken, womit sich Schwachköpfe spreizen, wie beschränkte Professoren mit Brocken verstorbener Sprachen.

Der Don Quichote des Cervantes ist eben unser Adel.

Und war er damals so reif zum Spotte – schon im Jahre 1616 starb Cervantes, in einem Jahre mit dem englischen Genie William Shakespeare, es war ein Unglücksjahr, und in barocker Laune ließ die Natur in selbigem Herrn Andreas Gryphius in Gr. Glogau als Ersatz zur Welt kommen – war er's damals schon, wie muß er's jetzt zweihundert Jahre später sein. Das kann man in Braunschweig und Hannover sehen, wenn Einem der Ekel die Augen 110 nicht schließt. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie schön eine schöne Aristokratie sei, die den Kulminationspunkt ihrer Zeit repräsentirt, die stolze Ottaverimenform des Gedichts vom laufenden Jahrhundert. Bis auf den Grund meines Herzens reichen meine demokratischen Gesetze, aber ich fürchte mich wie vor dem Winter vor dem uninteressanten Aussehen dieser Nordamerikanischen Prosa. Jene Aristokratie müßte Volksblut in den Adern, aber freie, vornehme Schönheit auf Stirn und Schultern tragen.

Ich wüßte wohl etwas, aber wahrhaftig ich weiß nichts – und man muß seine Freunde in Graccho nicht allzusehr necken, sonst werden beide Parteien irr, und man setzt sich zwischen zwei Stühle, wie Herr v. Raumer, gebürtig aus Dessau.

All' diese Betrachtungen machte ich zu Braunschweig, denn zu Braunschweig kann man nichts Besseres machen als Betrachtungen. Es war Zeit, daß ich meinen Wanderstab weiter setzte, denn die Leute wurden schon unruhig, was mich so lange in ihrer guten Stadt beschäftigen könne, sie suchten nach verborgenen Motiven, denn offne sind dem Braunschweiger selbst am unwahrscheinlichsten. Er kennt den Weg zum Jäger, kennt Huchs Kaffeehaus und die Straße nach Wolfenbüttel, er weiß am besten, wie lange ein gesunder vernünftiger Mensch diese Vergnügungen aushält.

111 Man schlich mir bereits des Abends nach; es wurde unheimlich in Braunschweig, ach, und mein Herz trug so sehnsüchtiges Verlangen nach Jerta und ihren weichen, leis' geöffneten Lippen. Ach, und Niemand kannte Jerta. Umsonst ging ich mit Todesverachtung alle Abende in's Theater, streifte auf allen Gallerien herum, beschrieb jedem Eckensteher ihr Aeußeres. – Das Volk hat keinen plastischen Sinn, Niemand erkannte sie. Jetzt ärgerte es mich, daß die Braunschweiger den Mund so voll nehmen, wenn sie sprechen, daß ihre Sprache wie ein rollendes Donnerwetter einher poltert, daß ein gedrücktes ò auf allen ihren Worten liegt wie ein vollgeblasener Alp, es ärgerte mich das ewige Geschwätz von der Gräfin Wrisberg, einer revolutionairen Koquette, die eine dumme Verschwörung angezettelt, um arretirt zu werden. Es ärgerte mich, daß die Braunschweigsche Konversation noch immer an den alten Knochen nagte. Vier und zwanzig Stunden sprach man darüber, daß die Wrisberg wie eine büßende Magdalena ganz schwarz im Kerker herumgehe, den zweiten Tag, warum sie schwarz gehe, und den dritten, daß Schwarz eine Magdalena sehr schön kleide. Ach, mich ärgerte Alles, namentlich, daß die Weiber immer erst Magdalenen würden, wenn auch diese Koquetterie nicht mehr 112 reizte – die Braunschweiger konnten nicht dafür; ich suchte meine Jerta.

Es war heller Mittag, ich blieb plötzlich auf der Wendenstraße vor einem hübschen Hause stehen. Eine Dame stand neben einem Herrn im offenen Fenster. War das nicht Jerta – beim Propheten, das war ihr voller Nacken – sie drehte mir den Rücken zu – so bogen sich ihre Schultern, diese üppige Taille war die ihre, so weiß und verführerisch war nur ihr Fleisch, so lockten nur ihre dunkeln griechischen Locken, die von den Schultern nach mir aufhüpften. Sie wendete sich ein wenig nach dem Mann hin – ja wohl, es war ihr Profil, sie fuhr mit der schönen, vollen Hand dem Nachbar um die Locken nach der Stirn, o, sie küßte ihn auf die Augen, und ich stand einsam auf einer Straße, und zwar auf der Wendenstraße in Braunschweig. Oh, oh, es war mir schlecht historisch zu Muthe. –

Ich gebe den Tag nicht eher auf, als bis es Nacht ist, spornstreichs ging ich auf die Hausthür los: sie war verschlossen, eine Klingel nicht zu sehn, mein Rütteln umsonst: leider war ich kein Simson, obwohl mich eine Treppe hoch Delila quälte, wie ihn. Sie sah herunter mit ihrem Schatz, wir sahen einander in die Augen, wahrhaftig, sie kannte mich nicht mehr, weil sie heute so schön war, und doch trug ich meinen weißen Hut, den Sammtrock 113 und ein Manchettenhemd. Ich sah's mit Entsetzen, der Mann neben ihr war viel hübscher als ich, ich sah's, wie ein wunderliches Lächeln über ihr Gesicht flog – ich wußte nicht, was ich wußte; ich war Hamlet. Blöde bin ich nicht, namentlich wenn mich ein überflüssiger Liebhaber reizt, ich sah die beiden Leute keck an, und fragte, ob nicht hier ein Zimmer zu vermiethen sey.

Jerta lachte laut – wahrhaftig, das war ein ausländisches mir unbekanntes Lachen – der Mann antwortete aber, in der Schützenstraße Nr. 17 wohne der Arzt.

Da ich sah, daß der Mensch auch mit Witz sich beschäftigte, so ging ich und suchte die Post; ich suchte sie, denn trotz meines instinktartigen Lokalsinns konnt' ich in Braunschweig nie bestimmen: ich gehe da- oder dorthin. Hinter den »Brüdern« schiffte ich immer unsicher, wie Kapitain Roß. Ich mußte fort, mein Herz mußte anderweitig zu hoffen und zu fürchten haben, denn mein Herz braucht Mädchenaugen, wie mein Kopf Bücher.

Die Post war bestellt, ich wollte noch Lessings Grab sehn und zu Mittag essen, und dann muthig nach Hannover, wo der teutsche Adel und die englischen Pferde gezogen werden. Literarische Notabilitäten giebt's in Braunschweig nicht; Klingemann, zwar nicht Teutschlands bester Dichter, aber 114 Teutschlands bester Theaterdirektor, war todt, Griepenkerl, der harmonistische Aesthetiker, mit den feinen paradoxen Worten war nicht zu Hause, Jerta war mir ausgetauscht – was sollt' ich noch zu Braunschweig. Ich aß erst, Lessing war kein Schwärmer, und nahm mir das nicht übel, drauf kam ich an einem schönen Hause an der Promenade vorüber, in dessen Antlitz hatte man einen Schnurrbart gemalt, der hieß »Husaren« – ich segnete den Geschmack von Lessings Nachkommen und eilte weiter.

Man weiß es nicht genau, wo Lessing liegt. Teutschland hat sich nie viel um seine berühmten Männer bekümmert, es war immer der Chronos, welcher seine eignen Kinder verschlingt. Die besten Teutschen sind an der teutschen Krankheit gestorben. Der Küster muthmaßte nur den Ort, wo Gotthold Ephraim Lessing, der genialste Poeten-Schulmeister. verscharrt sei. Das gießt eine Art Romantik über den unromantischen Didaktiker. Es ist vielleicht in unsrer ganzen Literatur Niemand ohne Poesie so poetisch berühmt geworden, als Lessing, der Herkules der teutschen Halbgötter, denn auch dieser war die poetische Prosa der griechischen Heroen. Jedes Wort Lessings ward eine That, und die Summe der Thaten gab einen großen Mann. Lessing hatte die stärksten Nerven unter den teutschen Schriftstellern, er ist der Artillerie- und Genie-General unsrer 115 beginnenden Literatur, er hat unsre Poesie formirt, er hat die Faulheit besungen, und den Rationalismus in Verse gebracht, er hat in Breslau täglich Faro gespielt, um Bewegung zu haben, und ist nie spazieren gegangen: die Natur ist ihm stets gleichgültig gewesen. Es war Gotthold Ephraim Lessing, welcher einst zu einem Freunde sagte, als ihn dieser zur Frühlingszeit bis vor's Thor gebracht hatte und ihm mit Entzücken das schöne Grün wies: »Ich wollte, es würde einmal Roth,« es war Lessing, der das erste teutsche Lustspiel schrieb, was heut noch nicht übertroffen ist, es war Lessing, an dem jeder Zoll vernünftig war, es war Lessing, der die teutsche Barbarei wie einen sumpfigen Wald niederschlug, und unsre Bildung kurfähig machte in den europäischen Salons, – Lessing war der erste Klassiker.

»Erlauben Sie,« sagte der Küster – »er war Bibliothekar in Wolfenbüttel, zwei Stunden von hier.« – 116

 


 


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