Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Die Nikolaistraße.

Seit anderthalb Jahren bin ich zu wiederholten Malen durch Leipzig gereis't, und ich bin über viele Monate lang da über Nacht geblieben, was Wunder, daß meine Reise hier ein Wenig anhält. Ich muß erst all' die Wirthshauszettel zusammensuchen, welche ich hier bezahlt, damit ich erfahre, was ich hier genossen, sonst fällt mir's nicht ein. In Leipzig hab' ich immer viel Zeit gefunden, nachzudenken, obwohl ich daselbst eifrig an der Weltgeschichte mitgearbeitet, und ein Journal redigirt habe. Ich gebe in dem Buche, was der Leser eben die Güte hat, in der Hand zu halten, und wofür ich ihm meine große Freude ausdrücke, ich gebe in dem Buche allerlei Gedanken und Geschichten, die an meinen muntern Augen seit langer Zeit vorübergegangen sind, ich will ihm auch das nicht vorenthalten, was ich seit Neujahr in Leipzig gedacht und gelitten habe. Denn 242 wenn man eine Zeitlang in Leipzig lebt, so fängt man ein Neujahr an, es ist Alles anders hier, als sonstwo, nämlich die Polizei ist sehr gut, und genirt Niemand und heißt auch nicht mehr Polizei, sondern Sicherheitsbehörde, und des Sonntags, wo andre vernünftige Leute und schlechte Christen lustig sind, da sind die Leipziger gute Christen, und gehen in die Kirche, und lassen Ketten über die Straße spannen, und Wachen ausstellen, daß kein Frevler Gottes Wort störe, und sind sehr still und feierlich, und sprechen vom jüngsten Gericht und vom Teufel und seiner Großmutter, und es ist überhaupt noch sehr viel Religion im Munde der Leute, was doch nirgends mehr vorfällt, und es kommt hier die Leipziger Zeitung heraus, welche selbige doch an andern Orten nicht geduldet würde, wo weniger auf Religion, aber auf Geschichte und Reputation gehalten wird.

Es ist Alles anders in Leipzig. Wenn man über eine andere Stadt schreibt, so schreibt man eben über die Stadt, um sie zu charakterisiren, man charakterisirt aber Leipzig, wenn man über alles Andre, nur nicht über Leipzig schreibt. Ich will nicht sagen, daß Leipzig keinen Charakter hätte, im Gegentheil, es ist in Leipzig Hauptsache, einen Charakter zu haben, denn wer keinen Charakter hat, das ist ein schlechter Mensch, und wer seine Miethe nicht bezahlt, der hat keinen Charakter. Ich habe nur sagen wollen, daß 243 Leipzig eine sehr artige Stadt ist, und Einen durchaus nicht nöthigt, über etwas Bestimmtes, Interessantes zu schreiben, es hat so verschiedene Interessen: dreiprozentige, vier-, fünf-, sechsprozentige, die Auswahl ist nur so schwer. Sollten meine Leser nie eine von jenen wohlkonservirten Kaufmannsfrauen gesehen haben, die ein schwer seidnes Kleid, eine schwer goldne Kette und eine schöne Haube, eine sehr schöne Haube tragen, die äußerst höflich, verbindlich, freundlich sind, die Alles vortrefflich finden, was Ihr sagt, ja das Ungezogenste schalkhaft und liebenswürdig nennen, und die, sobald man zur Thür hinaus ist, vom Stuhle aufspringen, entsetzt zum Spiegel gehen, und nicht begreifen können, daß die Polizei, oder richtiger die Sicherheitsbehörde, solche verworfene Menschen, wie Ihr seid, 24 Stunden in der Stadt dulde, daß solche Leute in respektable Gesellschaft geladen werden können. Sollten sie solche Frauen noch nicht gesehen haben, so wissen sie freilich nicht, was es heißt, eine Kaufmannsstadt zu schildern, welcher die Elle aus der Tasche kuckt, auch wenn sie Boston spielt und über das Christenthum oder das Gewandhauskonzert spricht.

Liebe und Poesie sind Einseitigkeiten, darum sind sie so schön; weil Leipzig keine Augen und kein Herz hat, darum weiß man nicht, was man darüber sagen soll. Eh' ich nach Leipzig kam, machte ich alle Tage, 244 wenigstens alle Wochen mein Gedicht, wenn's auch nur ein Gedicht für's Haus war. Seit der Zeit, wo ich so lange in Leipzig übernachte, hab' ich keinen Vers gemacht.

Aber heroisch wird man; man fürchtet den Tod nirgends so wenig, als hier. – Leidenschaft und Gleichgültigkeit haben oft ein und denselben Ausgangspunkt, Verzweiflung, und wirken darum oft gleich. Ob noch Niemand eine Verzweiflung aus Langerweile gesehen hat? O, ich weiß es jetzt, was englischer Spleen heißt, und ich glaub' es jetzt aus Eitelkeit, daß es die geistreichsten waren, welche sich aus Langerweile erschossen. Ein Dummkopf langweilt sich nicht. Ich war nur noch nicht geistreich genug in Leipzig, sonst säß ich lang nicht mehr drinn.

Als einen Beitrag zur Weltgeschichte geb' ich jetzt Gedankenscenen aus meinen drei Absteigequartieren in Leipzig. Ich hatte ein Stück des Nordens gesehn, wie in den vorhergehenden Kapiteln zu finden, und war an keinen Ort gekommen, wo ich hätte bleiben und lachen und sterben mögen. Da kam ich wieder nach Leipzig, und ich nahm mir ernsthaft vor, es solle mir sehr gut gefallen. Es war ein regnerischer Winterherbsttag, die Gasthöfe hatte ich satt, ich nahm einen Eckensteher, belud sein einrädriges Fuhrwerk mit meinen Habseligkeiten, spreizte den Regenschirm aus, und wir stiegen und rollten selbander die Straßen 245 entlang, um eine Wohnung zu suchen, der Eckensteher und ich. Es regnete gräulich, alle Straßen sahen gleich aschgrau, regenverdrießlich aus; der Eckensteher meinte, die Habseligkeiten würden immer schwerer, ich trat in ein Haus, dessen vergelbte Zettel oft verschmähte Wohnungen ankündigten, der Himmel selbst trieb mich hinein. Es war eine Stube wie eine Reitbahn, ich dachte an meine weitläufigen Gedanken – damals wollte ich noch die ganze Welt reformiren helfen – ließ auspacken, zog Schlafrock und Pantoffeln an, und schrieb gegen Ludwig Philipp, der damals schuld war, daß es so garstig regnete in der Welt.

Bald ward ich inne, daß es eine garstige Straße sei, aber ich hielt damals entschieden zur Opposition, der Aerger, den ich über die unreinlichen, unersprießlichen Gesichter der Häuser und Hausthüren empfand, war mir willkommen. Ich war noch recht dumm, und ärgerte mich noch über die Welt, und hatte nichts als Liberalismus und Freiheit im Kopfe. Ein Mensch von Bildung ärgert sich aber nicht.

Die Straße verengte sich ein Wenig bei meinem Hause, und ganz nahe und mir gegenüber wohnte ein schlankes Mädchen, was sich Wochenlang wunderte, wer der wildfremde Mensch sein möge, der den ganzen Tag lese und schreibe und so grimmige Gesichter schneide. Sie hatte sehnsüchtige Augen, so gewiß 246 supranaturelle Augen, die nach dem Himmel lechzen, aber nach dem muhamedanischen Himmel, wo es alle Tage Ball oder wenigstens Thé dansant giebt, wo lauter junge männliche Engel Galoppade und Kontretanz aufführen, und die Mädchen küssen und drücken, damit diese inne werden, sie seien im Himmel. Und ihre Wangen waren so resignirend röschenroth, wie ich mir immer die Marie Beaumarchais gedacht hatte. Sie saß den ganzen Tag am Fenster, und war immer glatt geputzt, und nähte fortwährend, wenn sie nicht zu mir herübersah. Das arme Mädchen konnte nirgends anders hin sehen, die Straße war zu eng.

Solch' ein Mädchen, was ihr ganzes Leben lang näht, ist ein arbeitsames Idyll. Wenn wir auch so genügsam Tag um Tag nähen könnten, ach, wie runde, kunstvolle Bücher könnten wir da schreiben. Wer ein guter Schriftsteller werden will, muß viel bei Mädchen sitzen, die ununterbrochen nähen, und dabei doch guter, sanfter, zufriedner Laune sind. Da gedeiht die Form, welche unser buntes, zerrissenes Leben zerstört. Und dann muß man sehen, was solch' ein anspruchsloses Kind für einfache Bücher lesen und schön finden kann. Der kleine Bruder sitzt auf dem Fensterbrett und liest ihr vor, und die fremden Namen lies't er alle falsch, das schadet aber nichts, sie näht immer fleißig dabei, und versteht ihn schon, und wenn er fertig ist, küßt sie ihn dankbar auf den 247 kleinen Krauskopf, nimmt ihm das Buch ab, schlägt die hübscheste Stelle noch einmal auf, liebt den Verfasser recht herzlich, und trägt die einfache Geschichte acht Tage lang mit sich herum, erzählt sie ihrer Freundin, und je einfacher die Erzählung ist, desto hübscher, einfacher erzählt sie selbige wieder.

Solch' ein Mädchen näht und strickt ihre ganze Lebensgeschichte; bis zum dreißigsten Jahre und oft noch länger Brauthemden, durchsichtige Busentüchlein, durchbrochene Strümpfe, nach dem dreißigsten aber dichte, warme Strümpfe, breitgeränderte entsagende Hauben, lange gottesfürchtige Todtenhemden. Ein stilles Mädchen kennt nur zwei Perioden im Leben, auf diese freut sie sich, vor diesen fürchtet sie sich in einem Athem: das ist die Hochzeit und der Tod. Wenn sie eine alte Jungfer wird, so schmerzt es sie am meisten, daß die schöne Hochzeitwäsche, die Aussteuer, umsonst und ungesehen, unbewundert im Kasten liegen soll. Und wenn sie heurathet, so näht und strickt sie ihre neue Geschichte in Kinderwäsche hinein.

Meine schlanke Marie Beaumarchais mir gegenüber war nahe am Ende ihrer ersten Periode, ich sah's an dem kleinen Sapphozuge um ihre schmalen Lippen, der oft traurig und voll Cölibats-Ahnung zitterte.

248 Ich schlage mein Leipziger Reisejournal auf, um treuer zu berichten. Das besteht aber aus lauter Briefen an eine »gnädige Frau«, welche sich lebhaftest für Weltgeschichte interessirte und der Meinung war, ich würde ein sehr berühmter Mann werden. Damals schrieb ich den ganzen Tag Briefe über die Menschheit und das Ende der Welt und die teutsche Literatur und meine Leberkrankheit, und über den europäischen Krieg, der kommen müsse; es war so viel Gelehrsamkeit darin, daß ich sie selbst nicht zweimal lesen mochte, und so viel Ingrimm, daß ich jetzt davor erschrecke, aber für die Nikolaistraße in Leipzig find' ich diese Gedanken heute noch sehr natürlich.

»Ein Firmament ohne Sonne, wie trostlos – ein Land ohne Freiheit, wie viel trostloser! dort sind doch blinkende Sterne mit Poesietaschen, hier Ordenssterne, womit die Thoren ihre Thorheit zur Schau tragen, und aller Welt verrathen, daß sie kleine Kinder sind, die man auf die Finger schlagen und in den Winkel stellen muß. Ich würde mich nie herablassen, einen Orden zu tragen. Midas war der Ahnherr der Ordensritter, er trug den ersten. Den Trost hab' ich, ich sehe hier in Leipzig keinen Menschen mit dem bunten Spielzeug, ihr Kours steht sehr niedrig.« – –

»Ich soll humoristisch sein, schreiben Sie, ich soll spotten und scherzen; – es ist nichts an sich, es 249 ist Alles nur etwas im Verhältnisse, ja als Gegensatz. Wer immer lacht, ist nicht spaßhaft, ein Meer ohne Tiefe lockt nicht – ich bin seit langer Zeit sehr seicht und langweilig. Der Humor ist der Schaum des Herzblutes, ich hab seit langer Zeit nicht Herz, noch Blut. Seit ich die Wasserkur gebrauche, bin ich eine vollständige Amphibie, reif für ein Naturalienkabinet.« – –

– »Die Erde bewegt sich, nur wer's zu spät einsieht, und auf Treue und Stetigkeit hofft, wird sehr unglücklich, weil er sehr irrt, und alles Unglück ist ein glücklich gebornes Kindlein des Irrthums. Das größte Unglück aber ist, nicht mehr irren zu können. Ich kenne alle meine Gräber, und um diese Kenntniß bin ich nicht zu beneiden. Diese Anschauung ist theologisch häßlich, ich tadle sie, und schreibe überhaupt ganz andre Dinge, als ich wollte – so wenig kann der Mensch, der Geist knechtet den Geist, die nächste Minute straft die frühere Lügen, Niemand hat Recht, als wer nicht Recht haben will.« –

Sieht nicht aus jeder dieser Zeilen die Nikolaistraße in Leipzig, ist nicht die Wasserkur sehr charakteristisch. An mancher Zeit ist's das Beste, daß sie vergangen ist, an mancher Stadt das Beste, daß eine kleine Geschichte darin spielt.

250 In jener Nikolaitenzeit war eine meiner interessantesten Bekanntschaften ein kleiner Kaufmann, von dessen Aermel und Schürze der ganze Viktualienladen widerglänzte. Er hatte gar keine Meinung, als daß man höflich sein müsse, und wollte von Gottes weiter Welt nichts, als alle Tage um einen Groschen mehr verkaufen, wie er den vorhergehenden Tag verkauft hatte. Meine Wirthin holte alles Oel für meine Lampe bei ihm, und weil ich damals noch so viel in Europa und der menschlichen Bildung überhaupt zu ordnen hatte, so brauchte ich sehr viel Oel, weil ich sehr viel schreiben mußte. Dafür hatte er ein Einsehn, und zog sein schwarzes Käppchen, wenn ich an's Fenster trat, um von meinen schwierigen Staatsgeschäften zu verschnaufen. Bald ging er noch weiter, und zuckte die Achseln, und bedauerte mich pantomimisch wegen des schlechten Wetters. Ich ward genöthigt, das Fenster zu öffnen, jetzt sprach er täglich drei Worte zu mir wegen des Wetters. So kam Weihnacht und der Sylvestertag auf der Nikolaistraße heran.

Da trat der Mann mit dem höflichen Gewissen in mein Zimmer, machte einige allgemeine Bemerkungen über Kindererziehung und Zudringlichkeit, und lud mich ein, den Sylvesterabend bei ihm zuzubringen. Erstens verbrauchte ich sehr viel Oel und sonstige Gegenstände von ihm, zweitens müsse man den 251 Abend doch einmal reichlicher kochen lassen, und da er von meiner Wirthin wisse, daß ich die Wasserkur gebrauche, so schließe er auch, daß ich keinen Wein tränke, drittens bringe Gastfreundschaft am Sylvesterabende Glück in Handel und Wandel, und viertens sei auch seine weitläufige Verwandschaft, mein Vis à vis da, und man könnte ja nicht wissen &c. –

Das war noch kein Kaufmann, er war erst auf dem Wege, einer zu werden, und darum noch so offenherzig. Ich verstehe nichts vom Handel, und bin ein schwacher Anfänger im Skizziren, aber ich werde mich üben.

Das ganze Kapitel gehört zur Handelsstadt Leipzig. – –

– Marie Beaumarchais war sehr sittig weiß und schwarz gekleidet, als ich bei ihrem weitläufigen Verwandten in's Zimmer trat, und ward jungfräulich roth, als ich sie begrüßte. Sie dachte gewiß an die Hochzeitswäsche im Kasten, und beklagte mich schüchtern, daß ich so fleißig sei, und mich doch auch noch um häusliche Angelegenheiten, wie Wäsche, Kleider und dergleichen kümmern müsse. Ich lächelte ihr in die supranaturellen Augen und sagte, daß sie Recht habe. Die kleinen Rangen des Krämers machten zwar einen ungezogenen Spektakel bei Tische, aber es thut einem einsamen Nikolaiherzen wohl, in einer Familie zu sein; das Geschrei der Rangen gehörte ja 252 auch zur Familie. Die Feiertage und Sylvester sind die Geburtstage der Familien, man kommt sich verstoßen vor, wenn man sie nicht mitfeiern und Kinder schreien und Klagen über schlechte Zeiten hören darf.

Marie Beaumarchais schlug vor, Blei zu gießen; es hatten sich noch einige wahlfähige Mädchen aus der Nachbarschaft eingefunden. Wir gossen Blei und ließen Nuß-Schiffe schwimmen mit Wachslichtern. Man läßt zwei solche Schiffe in's hohe Meer der Schüssel laufen, die neidischen Zuschauer rütteln am Tische, daß sie weit von einander verschlagen werden – das sind die Verhältnisse und die störsamen Menschen – und wenn sich die Schifflein mit ihren Lichtern trotz dem in irgend einem Winkel wiederfinden, so ist der Jubel groß, es geschieht ein Unglück im nächsten Jahre, und die Leute heurathen sich. Wenn sie sich aber nicht finden, und eins oder das andere untergeht, oder einsam bis zu Ende brennt und schwankt, so heurathen sie sich nicht. Und dann ist irgend etwas Unregelmäßiges geschehen, und man fängt die Sache von vorn an, bis sie glückt. Wenn man spielt, so spielt man immer doppelt: mit sich und mit dem Spiele.

Die kleine Beaumarchais hatte auch kein Glück. und das freute mich eigentlich, da ich auch mitunter 253 abergläubisch bin, und hierbei nicht ohne Angst war. Ich forderte sie auf – –

Jetzt begegnete mir das Unglück, dem ich bei solcher Gelegenheit oft erliege: ich wurde so zerstreut, daß ich mitten im Satze stecken blieb. Ich dachte an das neue Jahr mit aller Kraft meiner Phantasie, und an all seine Schatten, denn Freuden wußt' ich mir nicht zu denken, und nur einer war's, vor dem ich bleich wurde: das ist die Leere des Herzens, mit einem Worte die Langeweile. Und man pumpt einen Brunnen aus, und ich pumpte fortwährend für ganz Europa, und wohnte auf der Nikolaistraße – wo sollte das anders enden als bei der langen Weile.

Ich wollte mir durchaus etwas wünschen, und wurde nicht einig darüber, denn ich mochte auch nicht ein so gar nicht beunruhigter König sein, es wäre ja doch auch nichts als eine königliche Langeweile. Da fiel mir ein, ach und die Thränen traten mir in die Augen, weil ich die hinterher kommende Großmuth und Rührung schon mit empfand, ich wünschte mir alle Macht und Herrlichkeit der Erde, kurz ich wünschte Napoleon zu sein, und zwar nur – um aufzuhören Napoleon zu sein, oder was ein und dasselbe ist, ihn zu übertreffen. Nicht wer die Welt erobert, ist der Gott der Welt, wer die Besiegte den Besiegten wieder giebt, der ist es. Aber 254 nicht schenken, nein, als Recht wiedergeben – o wenn der König kommt, den will ich anbeten.

Bald zerplatzte dieser Seifenblasenwunsch, und ich knöpfte in der Zerstreuung, um allen weiteren Wünschen den Ausgang zu sperren, meinen langen Ueberrock bis an das Halstuch zu. Und jetzt erwachte ich und sah, was ich angerichtet hatte. Meine Blicke waren fortwährend auf die kleine Beaumarchais gerichtet gewesen, auch meine Thränenvorposten. Sie war verlegen und roth und muthig geworden, und faßte meine Hand – es schlug eben zwölf am Nikolaithurme – und lispelte:

Lieber Herr Doctor, was wünschen Sie mir?

In der Eil wünschte ich ihr das Nöthigste und Nützlichste, »einen Mann.« –

Die andern Mädchen, die mich auch fortwährend angesehen haben mochten, steckten zischelnd die Köpfe zusammen, und Marie Beaumarchais war nicht böse, sondern lächelte wie ein absolvirter Sünder, der seinen Passirzettel für den Herrn Petrus bekommen hat.

Mir fiel es aber schwer auf's Herz, wie Irrthum beglücken könne, und daß ich gleich das neue Jahr mit einer Täuschung anfinge.

Wer am Besten zu täuschen versieht, ist am liebenswürdigsten, und es übertrifft ihn nur einer: wer am besten zu lieben weiß, denn der braucht nicht zu täuschen.

255 Ach, ich wohnte auf der Nikolaistraße, und durfte keinen Anspruch auf Liebenswürdigkeit machen.

Wir gingen nach Hause. Ich war sehr froh, als das Mädchen hinter ihrer Hausthür war; wenn man nicht täuschen will, so ist der Getäuschte ein schmerzhafter Anblick. Sie hielt mich gewiß für sehr blöde, daß ich ihr an der dunkeln Hausthür nur ein steifes Kompliment gemacht hatte.

Ich öffnete mein Fenster, um zu sehen und zu hören, was Leipzig mit dem neuen Jahre anfinge. Es fing nichts an, auch die Studenten, die auf allen Seiten wohnten, waren nicht zu hören. Die teutschen Studenten sind gestorben, und zwar aus schuldigem Respekt, weil man ihren Tod dekretirt hat.

Es schien mir, als ob eins der zischelnden Mädchen aus unsrer Sylvestergesellschaft an den Häusern hinschlüpfe. Gewiß hatte sie sich von ihrem Studenten ein fröhliches Neujahr wünschen lassen.

Die Studenten sind in Leipzig die Hauptquelle des einstigen Ehestandes für die Mittelklasse der Leipziger Mädchen.

Die armen Mädchen und die armen Studenten!

Zum Lieben passen sie für einander, aber nicht zum Heurathen! Das Herz des Studenten braucht bunte Beschäftigung, und wo er sie findet, da wird er alsbald festgesponnen mit bürgerlichen Verlobungsnetzen, der arme junge Vogel, der noch Jahrelang 256 fliegen möchte. Eiligst wird er zum halben Hausvater gemacht, und was ihm nun noch Schönes begegnet, das ist für ihn verboten, und zwanzig Jahre ist er vielleicht alt. So wird die Jugend frühzeitig gebrochen, und gerade die Besten haben zur Untreu den geringsten Muth – so bäckt man die teutschen Helden, die mit zwanzig Jahren nichts sehnlicher wünschen als ein Aemtchen, sei's um welchen Preis es wolle.

Und die armen Mädchen, die Jahrelang warten und hoffen und zagen und darüber vertrocknen müssen wie die Herbstblumen!

Wie kann bei unsern bürgerlichen Eheverhältnissen eine starke Generation entstehen!

Und diese Studentenheurathen sind namentlich in Leipzig zu Hause. Schon ein altes Sprichwort sagt.

Wer von Leipzig kommt ohne Weib,
Von Jena mit gesundem Leib,
Und von Halle unzerschlagen,
Der kann von großem Glücke sagen.

Es war eine finstre, ernsthafte Nacht, die Neujahrsnacht; es verlosch immer ein Licht nach dem andern auf der Nikolaistraße, ich hatte lauter schriftliche Gedanken, die gedruckt werden können. Hier folgen sie.

Solch' ein Neujahrswechsel ist der deutlichste Beweis, wie die Menschen der Poesie bedürfen, wie 257 sie darnach rennen – sie machen einen willkührlichen Schnitt in die Zeit und heute begeistern sich alle mit Erinnerungen, Vorsätzen. So viel Anlage zu Maschinen, und das Regieren sollte so schwer werden! Ich bin immer frech mit dem Schicksal umgegangen, ich bin nie ein guter Christ, niemals demüthig gewesen, es hat mich oft schon in der Jugend geärgert, daß ich ohne mein Wissen und Willen auf der Welt sei, ich forderte denn auch in jener Nacht auf der Nikolaistraße das Schicksal heraus, und sah ihm stolz in's Gesicht wie einem Polizeikommissarius. Es ist eine Kleinigkeit, die uns die Herrschaft über Leben und Geschick, über das Widerspenstigste, das Ich, also über Alles verschafft, diese Kleinigkeit ruht in dem Worte »den Tod nicht fürchten, zu jeder Stunde sterben können.« Das wissen die Völker der Erde nicht; die Furcht ist die Mutter alles gemeinen Unglücks, und auch die Knechtschaft ist ein solches, nur die Armuth ist ein vornehmes Malheur. Der Muth aber ist das Mysterium der Herrschaft; wer einen ordentlichen gesunden Muth hat, dem würden selbst Gott und Teufel nichts anhaben, wenn sie ihm nicht eben den Muth nehmen könnten. Ein Muth, der dem äußersten Schrecken in's Auge sieht, ohne bleich zu werden, das ist die höchste Potenz der Erde. Das haben unsre Vorfahren gewußt, als sie ihre Söhne nicht blos um Jura, sondern auch um 258 Muth zu studiren, auf die Universitäten schickten. Der Muth ist die Luft des Geistes, der die Fäulniß abhält, der Muth –

– Da drüben öffnete Marie Beaumarchais das Fenster, sie hustete leise – mein Muth war hin. Ich stand da mit meinen erschrecklichen Gedanken, wie ein Rekrut, der den ersten Kanonenschuß hört. Sie hustete zum zweiten Male, ich rührte mich nicht. Es war wie gesagt seriös finster, sie konnte nicht genau wissen, ob ich da sei – sie gab mich auf, und schloß ihr Fenster.

Ich schämte mich meiner wilden Gedanken, und sagte vor mich hin: Ach wenn die Menschen nur die Freiheit lieben wollten, das wäre genug; denn die Liebe überwindet Alles. Genug davon, ich drückte einen andern Zug meines Gedankenklaviers.

Worin liegt denn die Poesie des zwölften Glockenschlages in der Sylvesternacht? – In der Demokratie dieses Glockenschlages. Millionen denken in diesem Augenblicke dasselbe – in der Oeffentlichkeit dieser weltgerichtlichen Verhandlung – Alle wissen, daß Alle dasselbe denken. Es ist der einzige Augenblick, wo man bestimmt weiß, daß Millionen eben in Liebe bewegt werden, sei's auch nur in Eigenliebe – so wohlfeil könnten die Leute die festlichen Stunden haben, sie dürften sich nur lieben und nicht beherrschen wollen.

259 Da schritt unten in einem langen Mantel eine lange Gestalt vorüber, und sagte mit dumpfer Stimme:

»Heurathe Marien, und ich werde sagen, du bist ein ganzer Kerl, aber entschließ' dich!«

Clavigo, seufzte ich entsetzt, und machte das Fenster zu, und ließ alle Gardinen herunter, und beschloß, sie nie wieder aufzuziehen, so lang' ich auf der Nikolaistraße wohnte. Ob jener lange Mantel mit seiner Carlosstimme, ob er mein oder Mariens Freund war, mocht' ich nicht untersuchen; denn es war mir einerlei.

Ich habe jene Nikolaistraße, das heißt symbolisch das Studenten-, Heuraths- und Krämerviertel Leipzigs nie wieder mit aufgeschlagnen Augen angesehn, und es war Winter als ich dort wohnte, ich kann also irren, wenn ich es immer kothig da gefunden habe. Ich habe auch Marie Beaumarchais nie wieder gesehen, und ich weiß nicht, ob sie noch lebt und ihre Wangen noch röschenroth sind, und ob sie je gelebt hat, denn ich hatte mich an jenem Sylvesterabende so tief in Göthe's Clavigo hineingelesen, daß mir ganz dumm war, ich erinnere mich nur noch, daß es mir an Oel zur Lampe fehlte.

Zur damaligen Zeit las ich auch alle zehn Bände, ein großes Buch des kleinen Thiers über die französische Revolution, und die hat schon manchen 260 verrückt gemacht. Herr Thiers hatte sie zudem geschrieben, ehe er Minister war.

Allmählig merkte ich, daß mein Neujahrsschrecken sich vor und nach Neujahr erfüllt hatte, und daß ich an Leipzig oder mit andern Worten an der Langenweile darniederlag. Ich esse sehr gern Rebhühner. – Mais toujours perdrix! – und alle Leute und Bücher und Blätter, welche zu mir kamen, sprachen von Liberalismus, und von der Freiheit und der Konstitution. Es ist so viel zu reden, und ein halbes Leben dasselbe, das macht stumpf. Die Freiheit ist ja auch erst der Sonnenschein, die Gegend, die wir suchen; wie wir uns in diesem Sonnenschein, in dieser Gegend amüsiren werden, das wissen wir ja noch gar nicht. Wer hält es aus, so lange nach einem lichten Tanzsale herumzustöbern, auf welchem man ein hübsches Mädchen suchen kann, was uns vielleicht erhört. Ich bin nie teutsch genug gewesen, um mit Schillers Mädchen aus der Fremde und mit Glaube, Liebe und Hoffnung zufrieden zu sein.

Als die warme Feuchtigkeit von den Fenstern an die Gardinen schlug, und sie anfeuchtete wie Freudenthränen die Taschentücher eines Mädchens, da dacht' ich, es wird wohl Frühling draußen sein, und du wirst dir eine grüne Wohnung miethen gehn, um Leipzig von einer andern Seite zu sehn.

261 Und ich ging und miethete, gab mir Mühe, jene winterliche Seite dieser Stadt und den tödtlich tugendhaften Robespierre, die ich beide damals genauer kennen gelernt, zu vergessen, und diese Mühe ist in vorstehendem Kapitel verzeichnet, welches ich nicht liebe. 262

 


 


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