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VII. Unsere Jugend.

37. Brausejahre.

Der Jugend laß' ihr Recht, doch zieh' ihr feste Grenzen;
In edler Fassung nur kann das Juwel erglänzen.

a) Das Verhalten der Jugend im Hause.

Es lohnt sich wohl, der Jugend ein besonderes Kapitel zu widmen, da, wo die schöne Form und ihr wertvoller Inhalt, im fortwährenden Verkehr vom Menschen zum Menschen, eingehende Betrachtung erfahren. Denn auf der Jugend beruht die Hoffnung des Volkes, sie ist die verjüngende Kraft des gesunden Stammes; aus der Saat, die in ihre empfänglichen Herzen eingesenkt worden, soll herrlich emporsprossen und zu reicher Ernte gedeihen, was Edles, Reines, Wahres und Großes das Menschengeschlecht ziert und bessere Zeiten herbeiführen könnte, als die gegenwärtige Generation sie geschaut.

Von der Schule wird so viel, wird fast alles erwartet. Viel kann sie zur Veredelung der Jugend beitragen neben dem tatsächlichen Wissen, das sie ihr vermittelt, der Grund aber muß im Elternhause gelegt, muß durch die Familie gepflegt und gehütet werden. Und sie kann es! Werden die Eltern ihres verantwortungsvollen Amtes nicht müde, nicht müde zudem der fortwährenden Selbstzucht, die Hand in Hand geht mit dem Erziehungswerke am Kinde, so wachsen auch die älteren Geschwister zu Erziehern der jüngeren heran, eben durch das Beispiel, das mehr und dauernder wirkt als alle Lehre.

Unter solchen Gesichtspunkten erst recht kann die Schule das leisten, was man von ihr erwartet, denn sie bedarf dringend der Vor- und Mitarbeit des Elternhauses. Wirkt aber dieses einheitlich in solchem Sinne, dann wird auch die ewig neue Klage über den schädigenden Einfluß der »Schulkameradschaften« zum größten Teile verstummen.

Durchgreifende Jugendrechtsfanatiker brauchen indes nicht zu fürchten, daß eine weichliche Idealjugend ihre Zukunftsträume gefährde. In jedem werdenden Menschen steckt schon ein gutes Teilchen »Ichbewußtsein« und Freiheitsdurst, und gut wird es sein, das allzuüppig wuchernde Geranke beizeiten zu beschneiden, es möchte sonst rasch alle edleren Regungen ersticken.

Die Brausejahre, der Schrecken einsichtsvoller Mütter und ernster Väter, beschränken sich keineswegs auf die Zeitspanne zwischen dem 13. und 16. Lebensjahre, sondern setzen ein, sobald sich das Kind seiner wachsenden Kraft bewußt wird und mit dieser den Begriff wachsender Bedeutung als Persönlichkeit verbindet. Bei eigenwilligen oder geistig vorgeschrittenen Kindern geschieht dies früh genug und offenbart sich je nach Charakteranlage oder Erziehung in tatsächlicher Tyrannei oder geheimer Eitelkeit, die leicht genug über den eigentlichen Beweggrund scheinbar natürlicher Artigkeit hinwegtäuschen kann.

Wer ein köstliches Juwel besitzt, wird es gewiß möglichst kostbar fassen wollen, um sich wahrhaft daran zu erfreuen. Dasselbe gilt vom Kinde; denn, nur in den richtigen Grenzen gehalten, kann die kindliche Kraft und Klugheit auch die richtigen Wege zum erwünschten Ziele einschlagen. Und der kindliche Frohsinn braucht keineswegs verkürzt zu werden, wenn ihm bestimmte Verhaltungsmaßregeln das vermeinte Allerweltsrecht ein bißchen beschneiden.

Kinder und heranwachsende Knaben und Mädchen haben sich in den Wohnräumen wie auch auf Treppe, Hausgang, Vorplatz, in Hof und Garten durchaus artig zu verhalten. Lautes Geschrei, Gelächter, Umherjagen, Türzuschlagen, Treppenreiten darf durchaus nicht geduldet werden, denn immer ist auch das Recht der anderen zu berücksichtigen, die gleichfalls auf ungestörtes Wohnen, auf Ruhe und Behagen Anspruch erheben dürfen.

Kinder sollen Begegnenden auf der Treppe und im Hausgang bescheiden ausweichen, höflich grüßen, artig Auskunft erteilen. Jemand gedankenlos ins Gesicht starren, kann schulpflichtigen Kindern mit Recht verübelt werden. Flüstern, Deuten und Kichern oder gar laute Bemerkungen über vorbeipassierende Personen, wie dies bei Kindern sehr beliebt ist, darf niemals ungerügt bleiben.

Erwachsene und Fremde müssen von Kindern stets als Respektspersonen angesehen werden, selbst das ärmliche Gewand des Bettlers darf die trennende Grenze nicht verwischen. Das gutgeartete Kind wird ihn nicht gering achten, das hochmütig veranlagte darf es nicht, denn »Jung gewohnt, alt getan!«

b) Das Verhalten der Jugend auf der Straße.

Was im Hause gilt und dort geübt wird, gilt selbstredend auch für die Oeffentlichkeit, doch mag es gerechtfertigt sein und im Sinne aller Wohlmeinenden geschehen, noch ganz nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß gerade auf der Straße und im öffentlichen Verkehr heutzutage die Jugend einen viel zu breiten Platz einnimmt.

Man gehe nur einmal eilig, schwerbeladen oder unsicher im täuschenden Dämmerlicht durch die Straßen unserer Groß- und Kleinstädte, und man wird erfahren, wie unsanft man zur Seite gestoßen, überrannt, vom Bürgersteig verdrängt wird, wie spöttisch Schüler und Schülerinnen auch der höheren Klassen die Vorübergehenden mustern, wie sie kichern, laut auflachen, witzeln und Bemerkungen machen, die vom halblauten Flüsterton bis zum direkten An- und Zuruf übergehen. Das sind Mißstände, denen der einzelne machtlos gegenübersteht, denn immer siegt die Mehrzahl, die Unart, die Keckheit. Nur die Erziehung kann hier energisch einsetzen und dem Verkehr vom Menschen zum Menschen die rechte und notwendige Würde zurückgeben. Zugleich ist es aber auch eine notwendige Forderung der Allgemeinheit, daß dies wirklich geschehe!

Das unverblendete Mutterauge sieht scharf, ihm entgeht dergleichen sicher nicht, auch mag eigene Erfahrung den notwendigen Rest ergänzen. Darum ist es eben an der Mutter, vom allerersten Anfang und besonders vom Zeitpunkt der Schulkameradschaften an, alle derartigen Ausschreitungen als grobe Unart unerbittlich zu rügen und Wiederholungen nachdrücklich zu ahnden.

Man beobachte nur einmal das beliebte »Straßensperren«. Arm in Arm, Seite an Seite, mit lachenden Mienen, lebhaftem Gebärdenspiel und lautem Geplauder kommt die liebe Jugend beiderlei Geschlechtes daher. Das ehrwürdige Alter muß behutsam zur Seite weichen. Kurzsichtige, Gebrechliche, Geschäftseilige, sie alle müssen sich bescheiden, wie es eben geht; mögen sie nun Schaden nehmen oder nicht.

Nicht minder gefährlich ist der Verkehr auf der Fahrstraße; auch hier maßt sich die Jugend in selbstbewußtem Hervordrängen Vorrechte an, die ihr durchaus nicht zukommen. Radfahrer, Schlittschuhläufer, Schlittenfahrer, die sogar oftmals ihre Schlitten in langen Zügen zusammenkoppeln, spielende Kinder, die mit Fuß-, Fang- und Schlagbällen, Reifen, Papierdrachen usw. die Vorübergehenden gefährden, beherrschen die Bahn, ohne irgendwelche Rücksicht auf Aeltere, Schwache oder durch Traglasten Beschwerte zu nehmen. Mögen diese nur selbst für ihr Fortkommen sorgen! Ereilt die Vorübergehenden ein unvorhergesehenes Mißgeschick, so müssen sie noch unbarmherzigen Spott und Hohngelächter dazu in den Kauf nehmen. Jugendlust und Freude ist ein liebliches Ding, allein sie darf nicht ausarten; durch Bescheidenheit und Rücksicht für andere muß sie unter allen Umständen in den notwendigen Grenzen gehalten werden.

Ebenso nachdrücklich ist das gedankenlose Umherstreuen von Obstkernen, Obstschalen usw. zu rügen. So unbedeutend dies erscheinen mag, so viel Unglück und schweren Schaden hat es doch schon verschuldet. Selbst von der unfertigen Jugend darf ganz entschieden verlangt werden, daß sie nicht nur an sich selbst, an ihr eigenes Behagen und Ergötzen, sondern auch an andere denkt. Gegen all diese erwähnten Mißstände muß man grundsätzlich einschreiten und ist dies in erster Linie Sache der Eltern und Erzieher. Im Notfalle aber hat jeder also Geschädigte oder Belästigte das Recht, selbst die notwendige Rüge und Verwarnung zu erteilen.

Noch eins – die Verschwiegenheit, d. h. die Schonung in Urteil und Rede ist für die Jugend eine wünschenswerte Eigenschaft! Von der Jugend wird ein selbständiges Urteil weder erwartet, noch erscheint es gerechtfertigt, und doch müssen harmlos ihres Weges Dahingehende nicht selten gerade aus jugendlichem Munde ein solch liebloses, scharfes und unbedachtes Urteil über die Persönlichkeit, die Lebensweise, Gewohnheiten und Verhältnisse von Respekts- oder Privatpersonen mitanhören oder – auch selbst erfahren, gleichviel, ob dadurch der Betreffende lächerlich gemacht oder direkt geschädigt wird. Derartige Gespräche und Urteile taugen überhaupt nicht für die Oeffentlichkeit; Straße und Promenade sind nicht der Ort für solche Aussprache, am wenigsten schicken sie sich aber für die Jugend, sie verraten zum mindesten zügellosen Uebermut und ungerechtfertigte Anmaßung.

Was nützen alle Anstandsregeln ohne Herzenstakt? Was nützt aller äußere Schliff, wenn das Feingefühl mangelt? Jedes Urteil, auch dasjenige über völlig Fremde, sollte vorsichtig und schonend sein; was wir selbst verlangen, das müssen wir auch gewähren!

c) Was die Jugend reden und hören soll.

Das »Parlieren« in irgend einem fremden Idiom, wird als ein so wichtiger Erziehungsteil angesehen und die Kunst der Sprache zumeist darüber vergessen. Wie schön aber, wenn Frage und Antwort nicht nur in reiner, sondern auch in gewählter Sprache Ausdruck finden, wie gewinnend schon für den ersten Eindruck, für die ganze Erscheinung, wenn sich klare, gesunde, reife Gedanken, edle Empfindungen mit dem schönen Gewande wohldurchdachter, richtig abgewogener, maßvoller Ausdrucksweise decken.

Vor allem keine Uebertreibungen, keine Steigerungen, keine falsch angewandten Fremdwörter! Im Interesse der Wahrheit nur das Wort, das dem Inhalt entspricht; keine Entstellung durch überflüssige Bezeichnung oder Tonfärbung. Echte, deutsche, wohlverständliche Wörter anstatt fremder Anleihen; jeder Denkende muß sie finden können, und die Zöglinge unserer guten Schulen erst recht. Es wird ihrer eigenen Gedankenarbeit nur zur Ehre gereichen, wenn sie zu allererst ihre schöne Muttersprache richtig zu behandeln wissen.

Vor allem aber keine Protzenhaftigkeit, keine Gemeinheit und Roheit in Wort und Ton! Nicht nur der äußere Anstand verwahrt sich dagegen, sondern das verletzte sittliche Gefühl.

Lies, – doch nur Gutes, Geist und Herz Bildendes!

Nicht Schauerromane oder Abenteuergeschichten voll Blutdurst und Nervenkitzel, sondern gehaltvolle Bücher, Werke alter und neuer Autoren, die Reines und Edles, sittlich Erhebendes und geistig Förderndes zu bieten wissen.

Außerdem aber höre! Die Kunst des Zuhörens ist ein Stiefkind unserer Zeit, und doch braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, welch günstiges Vorurteil ein richtig aufmerksames, verständnisvolles Zuhören zu erwecken vermag, das hinwiederum häufig genug hinsichtlich des Vorwärtskommens im Berufe greifbare Vorteile zeitigt. Schon der Jugend steht solches Zuhören wohl an, sie bereichert sich dadurch im besten Sinne und vermeidet die Unart voreiligen Unterbrechens. Allein in jeder Altersstufe und bei jeder Gelegenheit wird der aufmerksame Zuhörer, dessen Anteilnahme kurze Fragen und Bemerkungen bekunden mögen, wirklich geschätzt und willkommen sein.


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