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8. Besuchspflichten.

Geselligkeit ist Recht sowohl als Pflicht,
Du kannst sie üben, kannst sie unterlassen,
Doch besser ist es, du ermangelst nicht,
In weisem Maße dich ihr anzupassen.

a) Wo sind Besuche abzustatten?

In tausend Fällen und an hundert Orten! Darum sollte das Besuchspflichtgefühl schon bei heranwachsenden Kindern geweckt und rege erhalten werden, haben solche doch häufig genug Veranlassung, sich für erhaltene Geschenke oder genossene Vergnügungen zu bedanken. Durchaus falsch wäre es, wollte sich die allzu nachsichtige Mutter an Kindesstatt allein und ausschließlich dieser Dankespflicht unterziehen.

Späterhin diktiert das Leben unerbittlich. Der Jüngling kommt in die Welt hinaus und sucht eine Stellung zu erlangen, die vielleicht gar nicht ohne Fürsprache erreichbar ist, oder ohnehin Besuchspflichten auferlegt. Daß darum die fürsprechenden Persönlichkeiten nicht nur einen Bitt-, sondern auch einen Dank-, wohl sogar einen späteren Gelegenheitsbesuch zu erwarten berechtigt sind, ist außer Frage und darf ja nicht vernachlässigt werden.

Seinem Freundes- und Bekanntenkreise stellt sich der Selbständiggewordene in dieser neuen Eigenschaft durch Besuche vor; empfangene Gefälligkeiten oder Freundlichkeiten hat er durch kurzen Besuch zu erwidern.

Versetzung, Beförderung, der Antritt einer neuen Stellung erfordert Besuche bei allen Vorgesetzten und Kollegen. Ist Übersiedelung in eine andere Stadt damit verbunden, so werden auch die Spitzen der Gesellschaft, Geistliche, Professoren usw. mit einem kurzen Antrittsbesuche bedacht.

Nach erhaltener erstmaliger Einladung in eine Familie ist ein Besuch abzustatten, desgleichen nach benutzter Einladung oder wenn die Benützung derselben durch irgendwelches Hindernis unmöglich geworden.

Beim Einzug oder Umzug verabschiedet man sich von angenehmen Hausgenossen durch einen kurzen Besuch und stellt sich den neuen Mitbewohnern ausnahmslos ebenso vor. Vor und nach größeren Reisen werden liebe Bekannte oder Persönlichkeiten, denen wir irgendwie verpflichtet sind oder die uns Anteil beweisen, zwecks Verabschiedung oder Begrüßung besucht. Regelmäßige Geschäftsreisen zählen indessen hier nicht mit.

Soll ein junges Mädchen in Gesellschaft eingeführt werden, so hat es an der Seite der Mutter in deren Bekanntenkreis ihren Besuch zu machen.

Die Besuchspflicht zu ignorieren, geht unter keinen Umständen an.

Besuche sind eine Aufmerksamkeit, die als solche angesehen und geschätzt werden muß, allein sie bilden auch ein wirksames, auf Gegenseitigkeit gegründetes Verkehrsmittel. In Wirkung treten sie für Bitt- und Dankgelegenheiten, beim Glückwünschen und Beileidbezeigen, kurz bei jeder Gelegenheit, die eine gegenseitige An- oder Aussprache erfordert.

Verleihe der notwendigen starren Form die Beseelung eigener Wärme und ungeheuchelten Wohlwollens, so wird die Besuchspflicht keine Last für dich sein.

b) Die passende Besuchszeit.

Zu früher Vormittagsstunde wie zu vorgerückter Abendzeit dürfen Besuche überhaupt nicht gemacht werden; jeder Haushalt muß eine Reihe ungestörter Stunden haben, jedermann wünscht eine gewisse Zeit, die ihm allein gehört.

Zumeist entscheidet der Lebenszuschnitt der zu besuchenden Personen über die Zeitfrage. Auf jeden Fall muß die Tischzeit vermieden werden, in feinen Kreisen also 4 oder 5 Uhr nachmittags oder selbst noch später, in kleinen Städten und einfachen Kreisen von 12 -½2 Uhr. Geladene Gäste sind willkommen, unverhoffte Besucher während des Essens hingegen nicht. Besuche sind daher in ersterem Falle am besten zwischen 1-3 Uhr nachmittags, im letztgenannten Falle hingegen zwischen 11-12 Uhr vormittags abzustatten. Damen können indes ebensowohl auch zwischen 3-5 oder zwischen 5-7 Uhr nachmittags Besuche machen.

Hohe Festtage und Familienfeste gehören ausschließlich der Familie oder dem geschlossenen Freundeskreise, Fernerstehende enthalten sich an solchen Tagen des Vorsprechens. Auch die Rüsttage sind zu respektieren, denn sowohl die Hausfrau wie das Gesinde, dazu auch die festlich instandzusetzenden Räume erheischen diese Rücksicht.

Über den mutmaßlichen Termin eines nur ungenau bekannten Namens- oder Wiegenfestes läßt man besser einige Tage hingehen; so eilig wird ja der beabsichtigte Besuch kaum sein, daß er ein kleines Hinausschieben nicht ertrüge.

c) Besuchstoilette.

Jedes Hinaustreten in die Öffentlichkeit, namentlich in die Gesellschaft, soll auch in der Toilette passend abgestimmt sein.

Wir wollen eine Ehre, eine Aufmerksamkeit erweisen, eine Gunst erbitten oder verdanken, eine Erkundigung einziehen, darum sind wir auch unserem äußeren Menschen dieselbe Beachtung schuldig wie unseren Worten.

Vor allem sei die Wäsche des Herrenanzugs untadelig behandelt, fein und elegant, ohne Übertreibung; Stickereiverzierung gilt als unfein.

Gehrock oder Frack, schwarzes Beinkleid und desgleichen Weste bilden den Grundbestand des Visitenanzuges. Zum Frack bedarf es für die Straße eines Überrockes.

Ergänzt wird der Anzug durch schwarze, in Norddeutschland weiße Krawatte, Zylinder und feine, weichgetönte Handschuhe. An Stelle des Zylinders kann gegebenen Falles auch ein modegerechter dunkler Hut treten; selbstredend jedoch niemals ein Strohhut, dies wäre zu Frack und Überrock der Gipfel der Geschmacklosigkeit.

Damen tragen gediegene Straßentoilette, die vornehm-einfach oder reich gewählt sein kann, doch ohne Prunk, denn sie bringen ihr eigenstes Ich mit, nicht ihren Kleiderschrank.

Trübsinn und üble Laune, Zerstreutheit und Sorgen lasse man daheim unter festem Verschluß; Besuche soll man nur machen, wenn man der eigenen Stimmung und Selbstbeherrschung sicher ist. Es soll immer den Eindruck machen, als seien wir nur um der anderen willen da, unsere eigene Persönlichkeit trete bescheiden zur Seite.

Es ist dies freilich eine schwere Kunst, allein sie sichert uns einen freundlichen Empfang.

d) Persönliche Anmeldung bei Besuchen.

Die erste Form persönlicher Anmeldung ist das Anläuten am Wohnungseingang. Es muß bemerklich, doch nicht unbescheiden ausgeführt werden; zuweilen übertönt Straßen- oder Hausgeräusch ein allzuleises Klingelzeichen.

Dem die Vortüre öffnenden Dienstmädchen oder Diener stellt man zuvörderst höflich die Frage, ob Herr Professor oder Frau Major, gnädige Frau oder gnädiges Fräulein zu sprechen?

Verneinendenfalls folgt dieser Anfrage das Überreichen der Besuchskarte. Zum Zeichen persönlichen Vorsprechens wird der linke Rand oben schmal umgebogen. Der Besuchspflicht ist hiermit Genüge geschehen; der Besucher kann sich entfernen und darf Besuchserwiderung erwarten.

Im bejahenden Falle wird die Visitenkarte ebenfalls abgegeben, behufs Übermittelung an die zu besuchende Persönlichkeit; ist indes der Besucher durch häufigeres Erscheinen dem Dienstboten bereits bekannt, so genügt die Bitte um Anmeldung bei der Herrschaft.

Gilt der Besuch sowohl dem Hausherrn als auch der Hausfrau, so pflegt der Vorsprechende zwei Karten abzugeben, um diese Absicht gleich anzuzeigen. Erwachsenen Söhnen oder Töchtern, die man gleichzeitig zu besuchen wünscht, wird dies durch Hinzufügung je einer weiteren Karte kundgegeben.

e) Unsere Besuchskarten.

Auch auf diesem Gebiete hat sich die allmächtige Mode Herrscherrechte angemaßt; allein wir stehen dennoch über ihr, sofern wir nur nichts Auffälliges wählen, sondern einfachvornehme Karten, die in Größe, Form und Farbe einen Modewechsel wohl auszuhalten vermögen.

Zu empfehlen ist mittlere Größe, die auch einige Zeilen Schrift aufnimmt. Starker Karton in Elfenbeinfarbe oder reinem Weiß ist ebenso fein wie praktisch, d. h. für jede Gelegenheit passend. Glanzkarton ist veraltet, Vignetten, Blumenzweige, Arabesken und dergleichen sind unmodern geworden.

Inmitten der Karte ist der Name angebracht, bei Herren manchmal statt des Vornamens nur der Anfangsbuchstabe desselben oder ersetzt durch den Titel. Zumeist jedoch sind Titel, Beruf oder Auszeichnung, wie Ritter des ... Ordens u. ä. in kleinerer Schrift unter dem Namen verzeichnet. Etwa:

Erich Wegener
Kgl. Universitätsprofessor.

oder:

A. von Försterling
Staatsrat a. D.

Damen schreiben ihren Vornamen voll aus; junge Mädchen kurzgefaßt, wie: Margarete Hamm; indes ältere unverheiratete Damen ihrem Familiennamen die Bezeichnung »Fräulein« voransetzen, also etwa: Fräulein Werner.

Verheiratete Damen lassen dem Familiennamen ihren Mädchennamen folgen, z. B.

Mathilde Holland
geb. Retter.

Oder wie in der Schweiz:

Selinde Plüß-Hüggli

Bei vielgebräuchlichen Familiennamen oder ausgedehntem Familienkreise ist es praktisch, den Vornamen des Gatten zu genauerer Unterscheidung anzuführen. In diesem Falle wird es etwa lauten:

Frau Robert Hochberger

Die Bezeichnung »verwitwet«, ganz ausgeschrieben oder abgekürzt anzubringen, ist nicht mehr üblich. Man läßt dann lieber den Frauentitel dem Namen vorausgehen, als unausgesprochenes Zeichen, daß die Betreffende für sich selbst einzustehen hat.

Bei großem Bekanntenkreise, öffentlicher Wirksamkeit und ausgedehntem Wohnort empfiehlt sich auch für Damen die Angabe von Straße und Hausnummer; diese Notiz wird an der rechten unteren Ecke in kleiner Schrift angebracht.

Dem Geburtsadel gebühren Krone und Wappen, sowie der Geburtstitel, also etwa:



Arno Graf von und zu Hohenheim.



oder:



Konradin Freiherr von Richthofen.



Die Besuchskarten junger Mädchen aus Adelskreisen tragen nur Vor- und Zunamen, weder Krone noch Wappen.

Farbige hochmoderne Karten müssen mit feinem Geschmack in diskreten Tönen und nobler, unauffälliger Ausstattung gewählt werden.

Damen von Beruf oder in öffentlichen Ehrenämtern, oder Damen, die durch ihr freiwilliges Wirken bekannt sind, benötigen der Verwendung von zweierlei Karten. Die einen, die nur den Namen tragen, dienen gesellschaftlichen Zwecken, die anderen, auf denen auch der Beruf und die Wohnungsangabe vermerkt ist, sind im Verkehr mit Fremden oder bei beruflichen Beziehungen zu verwenden.

Im Verfehlungsfalle wird der persönliche einfache Besuch durch das Umbiegen des linken Kartenrandes nach oben zur Kenntnis gebracht, bei einem Beileidsbesuch wird der rechtsseitige Kartenrand nach rückwärts umgebogen. Die Veranlassung persönlichen Vorsprechens darf auch durch Bleistiftzeichen vermerkt werden, und gilt für den Glückwunsch schlechtweg p. f. ( pour féliciter), für Verabschiedung p. p. c. ( pour prendre congé), für Teilnahmebezeigung p. c. ( pour condoler) als völlig ausreichend.

Andere Wünsche oder Absichten werden nicht mehr durch Zeichen kenntlich gemacht, sie erheischen mündliche Besprechung. Ein gleichgültiger Besuch wird im Verfehlungsfalle überhaupt ohne Erwiderung und ausdrückliche Einladung nicht wiederholt. Liegen Gründe vor, die eine Aussprache bedingen, so ist der schriftliche Weg der sicherste, sei es nun, daß man Angabe der Zeit erbittet, zu welcher ein Besuch angenehm, sei es zur beabsichtigten Mitteilung überhaupt. Dieselbe sei alsdann knapp und präzis gefaßt und ermangle nicht des Ausdrucks höflichen Bedauerns, den Betreffenden nicht angetroffen zu haben.

f) Beim Eintritt in den Salon.

Ist die Karte der Herrschaft übergeben und das Dienstmädchen kehrt mit dem Bescheid zurück: »Gnädige Frau bittet, einzutreten,« so legt der besuchende Herr Überrock und Stock oder Schirm ab; ersterer dürfte überhaupt nur dem stützebedürftigen Alter gestattet sein. Den Hut behält er jedoch in der Hand, wenn nicht etwa dem Diener das Entgegennehmen desselben zur Pflicht gemacht ist.

Außer etwa durchnäßten Überkleidern braucht hingegen die Dame nichts abzulegen; nur muß sich alsdann ihre Toilette auch ohne Umhang als vollständig korrekter Straßenanzug erweisen.

Dem Dienstboten, der die Salontüre zu öffnen und wieder zu schließen hat, folgt der Besucher zum Empfangszimmer. Über die Schwelle desselben tretend, muß der erste orientierende Blick die Hausfrau suchen und zugleich die Gruppen etwa schon anwesender Besuchsgäste überschauen, um der Annäherung und Begrüßung die notwendige Sicherheit zu geben.

Mit einer Verbeugung wird die Hausfrau, mit leichtem Neigen der Kreis der Anwesenden begrüßt. Dann folgen, noch stehend, die üblichen Höflichkeitsfragen nach dem Befinden der gnädigen Frau und ihrer Familie; darauf erst wird nach vorangegangener Aufforderung auf dem zunächstbefindlichen Sessel Platz genommen; für Herren kommt das Sofa nicht in Betracht.

Der Hut wird über die Dauer des Besuches in der Hand behalten, oder, wenn zum Ablegen aufgefordert wird, vom Gast neben oder unter den von ihm benützten Sessel gestellt, nicht auf den Tisch.

Der besuchenden Dame wird von der Hausfrau der Sofaplatz zu ihrer Rechten angewiesen. Junge Mädchen nehmen nur auf Sesseln, niemals auf dem Sofa Platz.

Die Hausfrau hat die Pflicht, den eintretenden neuen Besuch etwa unbekannten schon Anwesenden vorzustellen und dadurch eine gemeinsame Unterhaltung einzuleiten.

Ist der später anlangende Besuch ein Herr, so begrüßt ihn die Dame des Hauses, ohne ihren Platz zu verlassen, durch ein Neigen des Hauptes, in gleicher Weise ein junges Mädchen. Herren haben sich indes beim Eintritt einer Dame oder weiterer Besuche stets zu erheben.

g) Die Unterhaltung bei Besuchen.

Die Kunst des Plauderns, die wir schon früher besprochen, ist bei der Besuchsunterhaltung so recht an ihrem Platze.

Plaudern, nicht gründliches Besprechen, dazu reicht die Besuchsdauer ohnehin nicht aus, und außerdem gehört es nicht in einen gemischten Zirkel. Darum halte man sich an Allgemeines, Naheliegendes, nicht an Probleme, die Gedankenarbeit erheischen.

Ein leichtes Gleiten von einem Gesprächsthema zum anderen bringt Abwechslung in die Unterhaltung und kennzeichnet den gewandten Plauderer.

Persönliche Verhältnisse werden in der Regel nicht berührt; kommen sie dennoch zur Sprache, so soll ihnen inniger Anteil entgegengebracht werden. Wer sich selbst am geschicktesten aus den Bahnen gemeinsamer Unterhaltung zu rücken, heikle Unterhaltungsgegenstände zu vermeiden und feine Artigkeiten zu sagen weiß, wird stets gern empfangen werden.

Auch dem Gewandtesten kann es indes geschehen, daß er bei Unkenntnis der Verhältnisse sich gelegentlich einmal verrennt; dann suche er geschickt abzulenken und auf ein anderes Gebiet hinüberzuleiten.

Aufmerksames Zuhören, wenn andere sprechen, das Vermeiden aller irgendwie abfälligen Urteile, die unauffällige, aber dennoch unleugbare Bevorzugung der Hausfrau oder des Herrn, dem der Besuch zugedacht ist, sind Grundbedingungen gebildeter Unterhaltung.

Höherstehenden Personen gegenüber verhalte man sich abwartend, antworte klar, knapp und präzis, gestatte sich selbst jedoch keine Fragen. Aus der gewählten Form der Antwort geht hervor, wes Geistes Kind du bist.

h) Besuchsdauer.

Ein erster Besuch wird knapp abgemacht, denn er ist ein Pflicht-, kein Freundschaftsbesuch, und die Probe gegenseitigen Wohlgefallens muß erst gemacht werden. Auch das höfliche Bedauern der Hausfrau, den Gast so bald aufbrechen zu sehen, darf nicht irre leiten, in den meisten Fällen ist es eine bloße Formsache, wäre es jedoch wirklich ernst gemeint, so hat doch jedenfalls die Bescheidenheit des Besuchers diese Probe zu bestehen. Nach knappem Verlauf von 10 – 15 Minuten darf die Besuchsfrist als abgelaufen betrachtet werden; spätere Besuche, zumal bei wachsenden Wechselbeziehungen, bedürfen solch ängstlicher Beschränkung nicht mehr.

Geschäftsbesuche werden kurz abgemacht und tragen durchweg geschäftlichen Charakter. Abschweifungen vertragen sie nicht, denn – Zeit ist Geld!

Der Besuch bei Höherstehenden regelt sich in seiner Zeitdauer nach ihrem Belieben. Steht derjenige, dem unser Besuch gilt, unvermittelt auf, so ist es ein Zeichen der Entlassung. Ebenso ist eine verabschiedende Bewegung nicht zu übersehen. Tritt eine Gesprächsstockung ein, so darf dieselbe ohne weiteres zur Verabschiedung benützt werden; sie wird gewiß in ihrer richtigen Bedeutung erfaßt sein.

Durch einen vielleicht dieselbe Besuchsstunde benützenden zweiten Besuch darf man sich nicht stören lassen, jedenfalls ist sofortiger Aufbruch nicht statthaft. Man wartet die von der Hausfrau einzuleitende Vorstellung gelassen ab, wechselt noch einige verbindliche Worte auch mit dem Zuletztgekommenen, sofern dieser nicht an Rang und Bedeutung überlegen, und verabschiedet sich alsdann in nicht zu umständlicher Weise, auf daß auch dem zweiten Gast ungestörte Aufmerksamkeit der Hausfrau oder des Hausherrn zuteil werde.

Beim Aufstehen wird der Hut ergriffen, dann folgt die formelle Verneigung vor der Hausfrau; desgleichen in Gesamtheit vor den übrigen Anwesenden. Zur Türe bewege man sich zielbewußt, nicht hastig, linkisch oder unsicher. Bevor man rückwärts über die Schwelle tritt, wird, dem Salon zugewendet, die Verbeugung wiederholt.

Der benützte Stuhl wird nicht zurückgeschoben oder zurechtgestellt; ihn an seinen vorherigen Platz zu verbringen, ist Sache des Dieners.

i) Besuchswiederholung.

Bevor der abgestattete Besuch erwidert worden ist, wird er unter Fernstehenden überhaupt nicht wiederholt; es würde dies als Aufdringlichkeit gedeutet werden. Geschieht die Besuchserwiderung in einem Zeitraum von zwei bis drei Wochen nicht, so ist dies ein Zeichen, daß Verkehr nicht gewünscht wird; doch verdient jeder Besuch einen wenn auch kurzen Gegenbesuch.

Ist ein Besuch unumgänglich notwendig, so daß das erste Vorsprechen im Verfehlungsfalle nicht als abgemachte Pflicht gelten kann, so darf man wohl schriftlich in höflichster Form um Angabe der passenden Zeit, den Besuch abzustatten, ersuchen.

Unter genauer Bekannten wird nicht so ängstlich gerechnet, man sucht und findet sich nach Wohlgefallen und Möglichkeit. Immerhin ist es klug, zu bedenken, daß ein bißchen zu wenig das bessere Mehr bedeutet.

Dem Alter sind, jüngeren Personen gegenüber, keine Besuchspflichten auferlegt. Eine Einladung, irgend eine persönliche Fürsprache oder sonstige Freundlichkeit genügt als Erwiderung erhaltener Besuche; denn immer ist es das Alter, das aus seinem Wissens-, Erfahrungs- oder Wohlwollensschatze mitteilt, der flüchtigen Jugend zu Nutz und Frommen.

k) Krankenbesuche.

Krankenbesuche verlangen vor allem feines Empfinden. Wer nicht mit Kranken umzugehen versteht oder ihnen aufrichtiges Interesse entgegenbringt, der bleibe besser zu Hause.

Wirkliche Krankenbesuche sind nur unter Verwandten, nahen Bekannten oder bei Verlassenen und Bedürftigen üblich. In allen Krankheitsfällen genügt das Nachfragen, für Besuche jedoch wird die Zeit vorgerückter Genesung abgewartet.

Wird ein Krankenbesuch abgelehnt, so ist dies keine Verletzung des guten Tones, sondern das gute Recht der Verwandten und Pfleger des Patienten.

Krankenbesuche sollen kurz, herzlich, erfrischend sein. Der Kranke darf nicht aufgeregt, nicht abgespannt und ermüdet werden. Der Besucher soll die Krankheit nicht zum Hauptthema machen oder andere Krankheitsfälle erzählen und aufbauschen. Den Krankheitsbericht aber höre er teilnehmend und unter freundlichem Zuspruch an, selbst wenn er etwas langatmig ausfällt. Ein Urteil über den Arzt und den Verlauf der Krankheit zu fällen, vermeide man sorgfältig. Alles sei erheiternd, tröstlich, wohltuend; ein bißchen Sonnenschein, der auch in seiner Nachwirkung das Krankenzimmer noch erhellt.

Währt eine Krankheit, ohne sehr schwer zu sein, längere Zeit, so sind häufigere und nicht zu kurze Besuche zu empfehlen. Alle neuen Eindrücke, jeder Atemzug frischer Luft, der in das Krankenzimmer gelangt, sind für den Patienten eine Wohltat, für seine Umgebung eine fühlbare Erleichterung. Wer sich für solchen Liebesdienst eignet, erfüllt eine schöne, dankenswerte Mission.

Die Begrüßung sei liebreich, die Unterhaltung ermutigend. Lautes Sprechen und Lachen verbietet sich von selbst, doch ist es erfreulich, das Angesicht des Kranken durch ein Lächeln erhellt zu sehen. Der Abschied sei kurz, aber herzlich, und voll Wärme. Die Sorge, die du vielleicht von dem Krankenlager mit hinwegnimmst, laß ja nicht merken, so wenig, wie du deine eigenen Sorgen in das Krankenzimmer hineinbringen darfst.

Können wir kleine Handreichungen tun, so geschehe es in gewandter, geräuschloser Weise. Sie müssen jedoch erwünscht, nicht aufgedrängt sein.

Mit eigenen Ratschlägen halte man weise zurück; immer hängt ihnen ein Teilchen Verantwortung an, besonders in Krankheitsfällen.

Bei Eintreffen des Arztes hat sich jeder Besuch diskret zurückzuziehen.

l) Allgemeines über den Besuch.

Willst du gern gesehen sein, so komm nicht zu oft, und verweile nicht zu lang, denn du weißt nicht, ob du so willkommen bist, wie du meinst!

Vielbeschäftigte, hochstehende oder berühmte Personen darf man füglich mit Besuchen verschonen, das Quentchen kostbarer Zeit, das wir ihnen so ersparen, hebt uns mehr in ihrer Achtung, als ein formeller Ergebenheitsbesuch.

Geize nicht mit Artigkeiten, wo sie angebracht sind, doch lasse sie fein und gewählt sein; derbe Schmeicheleien sind für beide Teile ein Armutszeugnis.

Der Verkehr mit Hausgenossen sei höflich und zuvorkommend; Vertrautheit ist zu vermeiden, sie führt selten zu gutem Ende.

Das Auge des Besuchers enthalte sich ebensosehr unziemlichen Ausforschens wie sein Mund. Zwischen aufrichtiger Teilnahme und kalter Neugier gähnt eine weite Kluft.

Sprich nicht ungünstig von anderen; wo du einkehrst, übe weder laute noch leise Kritik.

Vermehre deine Bekanntenzahl nicht wahllos mit neuen Gliedern. Am wenigsten aber vermittele unaufgefordert die nähere Bekanntschaft Dritter, du möchtest am Ende hier wie dort schlechten Dank dafür ernten.

»Wie du mir, so ich dir«, auch bei Besuchen. Desgleichen hinsichtlich der Diskretion, denn wer dich empfängt, der beweist dir Vertrauen.

Kinder sollen an Besuchen nicht teilnehmen, sie langweilen sich und sind alsdann schwer in den nötigen Grenzen zu halten. Es gehört sich auch nicht, daß sie das Gespräch Erwachsener belauschen, und zudem kommt in Betracht, daß nicht jedermann Kinderfreund oder imstande ist, Kinderunruhe zu ertragen.


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