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9. Besuchsempfang.

Lächle entgegen dem lieben Gast,
Lade ihn freundlich zu kurzer Rast,
Doch auch der Gast, der dir nicht willkommen,
Werde voll Artigkeit aufgenommen.

a) Das Empfangen der Besuche.

Zur Besuchszeit, namentlich bei ausgedehntem geselligem Verkehr, muß sowohl das Empfangszimmer als die eigene Toilette in tadellosem Zustande sein. Darum haben auch Besucher sich an die festgesetzten oder im Berufsfalle vorgemerkten Empfangsstunden zu halten, ein Verfrühen müßte für beide Teile peinlich sein.

Arbeiten, die der Hausfrau wohl zur Ehre gereichen, aber doch ins Empfangszimmer nicht passen, wie Strümpfe stopfen u. dergl., müssen zu dieser Zeit weggelegt werden. Eine kleine Häkel- oder Stickarbeit, die rasch niedergelegt werden kann, eignet sich hier am besten.

Das Annehmen oder Ablehnen des zugedachten Besuches muß schon an der Glastüre geschehen, der Dienstbote muß also hinsichtlich desselben zuvor unterrichtet sein; dann liegt nichts Verletzendes in der Ablehnung, die eine dringende Notwendigkeit sein kann. Wird indes der Besuch angemeldet und der Bescheid erst daraufhin erteilt, so kann im Ablehnungsfalle der Besucher leicht an eine verletzende Absicht glauben, die vielleicht gar nicht vorhanden ist.

Dem eintretenden Besuch sieht die Dame des Hauses stehend entgegen, nicht etwa in bequemer Stellung auf dem Sofa oder im Lehnstuhl. Lieben Bekannten oder bevorzugten Personen tritt sie bis zur Türe entgegen. Darauf folgt die mehr oder minder förmliche Begrüßung, der Austausch der ersten, dem gegenseitigen Befinden geltenden Höflichkeitsfragen; dann erst wird Platz angeboten und angenommen.

Die Hausfrau hat den Sofaplatz inne, ihr zur Rechten die besuchende Dame. Dem Herrn gebührt der Platz der Hausfrau gegenüber; er bedient sich eines Stuhles.

Zwei besuchenden Damen, deren Alter und Rang es gebietet, ist das Sofa einzuräumen. Ein liebes junges Mädchen, das allein Besuch macht, kann auf das Sofa genötigt werden, nur muß es, falls ältere Damen eintreten, diesen Vorzugsplatz sofort aufgeben. Ist es zu verwirrt, so genügt ein leises Zeichen, um dem scheinbaren Mangel an Takt wirksam abzuhelfen.

Überhaupt ist es der feine Takt und die Anmut der Hausfrau, die dem Gaste das Kommen leicht, das Scheiden schwer machen.

b) Die Vorstellung bei Besuchen.

Der Hausfrau oder dem Hausherrn steht es zu, einander fernstehende Personen, die bei ihr oder ihm zusammentreffen, gegenseitig vorzustellen. Es ist dies eine Pflicht, die nicht erst erbeten oder erinnert sein muß.

Als Vorstellungsregel gilt, daß der Name des jüngeren oder weniger Hochstehenden zuerst genannt wird. Demzufolge wird ein Herr der Dame vorgestellt, ein Fräulein der verheirateten Frau, eine junge Dame der älteren usw.

Bei sehr jungen oder im Rang zurückstehenden Personen erfolgt die Vorstellung einseitig, d. h. sie allein werden genannt; etwa: »Gestatten Sie, Herr Oberst, mein Sohn Egon«, oder »Wollen mir Herr Rat erlauben, den Herrn Freiwilligen Martin Roderichs vorzustellen?«

Unter gesellschaftlich Gleichstehenden wird der um Vorstellung Ersuchende dem Betreffenden zugeführt und unter leichter Handbewegung mit Namen vorgestellt. Es lautet dann etwa: »Darf ich mir gestatten, liebe Freundin, dir Frau M. vorzustellen?« oder »Darf ich mir erlauben, die Damen sind wohl nicht bekannt?« Darauf werden beide Namen nach den zuvor angegebenen Regeln genannt.

Meist wird auch nur der eine, dann der andere Name genannt, da man ohne weiteres annehmen darf, daß eine Vorstellung erwartet wird.

Nach erfolgter Vorstellung haben sich die Vorgestellten höflich zu verneigen, zuweilen wechseln sie auch einige Worte, doch macht dann die Dame, der Vorgesetzte oder Ältere den Anfang. Ein frostiges, steifes Verneigen, dem keine mündliche Annäherung folgt, trägt nicht dazu bei, die Unterhaltung zu beleben.

Pflicht der Wirte ist es, einen einzelnen, in unbekannte Gesellschaft eintretenden Gast den bereits Versammelten vorzustellen. Danach werden die Namen der Anwesenden genannt, hin und wieder vielleicht mit einem leisen Hinweis auf Liebhaberei oder Beruf, der geselligen Anschluß vermittelt, denn es ist nicht leicht, unter lauter Fremden selbst das zu finden, dessen man bedarf.

c) Die Kunst angenehmer Unterhaltung.

Kurze, einfache, besonders aber bloße Formbesuche erheischen keinerlei Aufwartung, schon die kurz vor die Tischzeit gerückte Besuchsstunde verbietet dies.

Dafür muß die Art des Empfanges die Freude ausdrücken, durch einen Besuch beehrt zu sein. Was uns selbst bedrückt, das unterdrücken wir, sobald ein Besuch sich blicken läßt; es ist eine lohnende Selbstbeschränkung, um anderer willen sich selbst zu vergessen. Sonnenschein strahle dein Gruß schon aus, auf daß deinem Gaste wohl werde in deiner Gesellschaft.

Was dem Besucher peinlich oder schmerzlich sein könnte, werde in der Unterhaltung sorgfältig vermieden; sie bewege sich lieber in ausgetretenem Geleise, als daß sie den lieben Nächsten und seine persönlichen Verhältnisse heranziehe.

Beim Eintreffen eines zweiten Besuches soll in der Begrüßung weises Maß gehalten werden; bekannter darf sie nach gegebenen Verhältnissen wohl ausfallen, doch nicht herzlicher, so daß der Zuerstgekommene sich zurückgesetzt fühlen könnte. Die Unterhaltung bewege sich auf neutralem, den Gästen bekanntem oder doch übersehbarem Gebiete.

d) Verabschiedung von Besuchen.

Da die Dame des Hauses über die Dauer eines Besuches nicht die Uhr zu Rate ziehen darf, so ist es Pflicht des Besuchers, das erlaubte Besuchsmaß nicht zu überschreiten. Die Verabschiedung muß also durch ihn eingeleitet werden und geschieht durch zeitiges Aufstehen von seinem Stuhle.

Die Hausfrau äußert daraufhin höfliches Bedauern über den frühen Aufbruch, nötigt auch wohl zu längerem Verweilen, doch ist dies als bloße Formsache zu betrachten und in gewählten Worten abzulehnen. Unter nahen Bekannten wird dieses Nötigen dringender sein und kann angenommen werden, aber nur, wenn nicht andere Gäste dadurch benachteiligt werden.

Damen werden bis zur Zimmer- oder bis zur Vorsaaltüre geleitet; sind noch weitere Besuche da, nur bis zur ersteren. Die weitere Begleitung und Hilfe beim Umlegen ihres Mantels usw. übernimmt das Haustöchterlein; dem Sohne steht es außerdem zu, die abgehende Dame bis zur Treppe oder bis zu ihrem Wagen zu geleiten und den Kutschenschlag für sie zu öffnen. Dies alles kann auch durch die Dienstboten besorgt werden, doch müssen sie wohl eingelernt sein, besonders dürfen sie die Glastüre nicht rasch, geräuschvoll und unvermittelt hinter dem Abgehenden schließen.

Von Herren kann sich die Dame des Hauses, auf ihrem Platze stehend, verabschieden, Höherstehenden und Vorgesetzten des Gatten wird sie bis zum Vorsaal das Geleite geben.

Bei sonstigem einfachem Herrenbesuch übernimmt der Hausherr oder der Sohn des Hauses die Begleitung.

e) Allgemeines über den Besuchempfang.

Kinder und Dienstboten haben im Empfangszimmer nichts zu tun, es sei denn, daß letztere neuen Besuch anmelden.

Notwendige Rügen müssen bis zu gelegener Zeit vertagt werden, sie gehören nicht vor das Forum der Öffentlichkeit.

Jeden höflichen Gast empfange liebenswürdig, jeden lieben mit Wärme.

Haushaltssorgen oder hörbaren Küchenlärm laß nicht an dich heran; selbst die gestörte Mahlzeit darf dein Gast nicht entgelten. Allerdings soll auch er sich aller schicklichen Rücksicht befleißigen.

Deinen Gästen sei dein Heim Schutz und Hort, d. h. sie dürfen in deinen vier Wänden keinerlei Kränkung ausgesetzt sein.

Nicht das Kleid macht den werten Gast, sondern sein Charakter; in schlichter Hülle wohnt oft ein großer Geist.

Nur die Vorstellung vermittelt; d. h. selbst längst vom Sehen bekannte Personen dürfen erst nach stattgefundener Vorstellung tatsächlich in deinen Gesichtskreis treten.

Persönliche Feinde oder unsympathische Personen behandle an drittem Orte mit kühler Höflichkeit. Immer ist vornehme Ruhe bessere Abwehr als das scharfe Kriegsbeil in gezückter Faust.


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