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Tust du im Hause nur, was dich ehrt,
So bist du auch auf der Straße wert.
Wer heimlich hält Herz und Lippen rein,
Wird draußen auch wohlgefällig sein.
Das Gehen auf der Straße, dem Tummelplatze Unzähliger, ist durchaus nicht in das Belieben einzelner gestellt, es unterliegt vielmehr ebensowohl den Gesetzen der feinen Lebensart wie alle anderen Daseinsbetätigungen gebildeter Menschen.
Wer mit Muße sich ergehen kann und dennoch die Straßenpromenade dem natürlicheren Spaziergang durch die städtischen Anlagen vorzieht, halte sich mehr an den Häusern als im freien Verkehrsraum, um den notwendigen Laufschritt derjenigen nicht zu hemmen, die gezwungen sind, ihre knappe Zeit auszukaufen. Im allgemeinen ist jedoch langsames Gehen ebensowenig zu empfehlen wie eine allzu sehr gesteigerte Gangart, die unnötiges Aufsehen erregen muß; der Schritt sei leicht, nicht schleppend, das Schrittmaß wohlabgewogen in Bewegung, Richtung und Wechselwirkung.
Das Haupt werde frei und mit bescheidenem Selbstbewußtsein getragen; klar und unbefangen darf das Auge umherblicken, »Wolkengucker« sind gefährliche Passanten und entgehen selten der Lächerlichkeit. Unschön ist auch, gesucht bescheiden oder wichtig nachdenklich zu Boden zu starren.
Fixieren, das mit den Blicken »Festnageln« von Personen und Gegenständen muß als durchaus unzulässig bezeichnet werden, ebenso auf der Straße stehen zu bleiben, um sich umzusehen. Ist hiezu dringender Anlaß vorhanden, so trete man an die Häuserlinie zurück, um nicht aufzufallen oder den Verkehr zu stören.
Das eingehende Betrachten der Schaufenster ist nicht fein; besonders geben sich Damen ein Armutszeugnis, wenn sie wie bezaubert vor Schmuck-, Toilette- oder sonstigen Auslagen stehen bleiben und des Staunens und Bewunderns kein Ende finden können. An Buch- und Kunsthandlungen Interesse zu zeigen, ist gestattet, nur ist das Hineindrängen in die Menge der Beschauer keineswegs, am wenigsten jedoch einem jungen Mädchen erlaubt. Man trete dicht an das Schaufenster heran, ist die Gelegenheit dazu gegeben, andernfalls verzichte man auf die erhoffte Augenweide, bis sich bequemere Möglichkeit dazu bietet.
In die Fenster zu blicken, ist nicht statthaft, selbst nicht bei guten Bekannten, Fensterpromenaden gelten mit Recht als Bloßstellung, die scharf zurückgewiesen werden darf; selbst die junge Würde unreifer Backfischchen müßte sich mit feinem Empfinden dagegen auflehnen.
Für junge Mädchen ist überhaupt vornehmlich Bescheidenheit in Blick, Haltung und Gang geboten; das beliebte »Straßensperren«, im »Gänsemarsch« Schreiten; die anderen Passanten in kecker Weise zu mustern und zur Zielscheibe wohlfeilen Witzes und beißender Kritik zu machen, (was leider in Groß- und Kleinstädten auf Straßen und Promenaden nur allzuhäufig beobachtet werden kann) verdient strengste Rüge und darf nicht geduldet werden.
Die Blicke der Herren seien taktvoll, besonders Damen gegenüber, ebenso im Mustern der Schaufenster; wer einen Kneifer trägt, beachte diese Regel in doppeltem Maße. Schüler und ganz junge Herren, die in Urteil, Sprache, Blick und Platzverengung ihr wichtiges Ich gleichfalls oft ungebührlich in den Vordergrund zu drängen belieben, unterstehen demselben Schicklichkeitsgesetze wie oben dargelegt. Was nützte ein »Anstandsbuch«, wenn es nicht ein treuer und wahrer Berater wäre, dem die Pflicht obliegt, alle wilden Schößlinge mit scharfem Schnitt abzutrennen?
Regenschirm und Spazierstock, diese im Grunde friedlichen Waffen, dazu bestimmt, zu schützen und zu stützen, verfehlen ihren Beruf nur allzuoft durch die Gedankenlosigkeit ihrer Träger. Man denke in diesem Falle wie in anderen Fällen immer zuerst an seine Nebenmenschen, die durch unsere Bequemlichkeit Schaden leiden können; das wagrechte Tragen dieser Gegenstände, wodurch die Augen von Kindern und kleineren Personen schwerer Gefahr ausgesetzt sind, andere aber durch Druck oder Stoß mehr oder minder verletzt werden können, ist daher streng zu verwerfen. Damen tragen den nicht gerade im Gebrauche befindlichen Schirm vermittelst Ring oder Band am Handgelenke, Herren hängen den Stock mit der Krücke über den Arm oder halten ihn senkrecht zwischen Arm und Oberkörper gepreßt, die einfachste Vorsicht erheischt dies.
Alles Anstoßen oder sonstige Belästigen erfordert ein sofortiges höfliches Entschuldigungswort. Höflichkeit ist immer der schönste Adelsbrief und die beste Waffe gegen unziemliches Aufbrausen und selbst da wirksam, wo die Entschuldigungspflicht auch an dem anderen oder allein an diesem gewesen wäre.
Der aufgespannte Regenschirm muß gerade gehalten werden, damit er seine abtraufende Nässe weder auf Vorübergehende, noch auf deine Begleiter entlade; beim Vorbeipassieren werde er zur Seite oder hoch gehalten, um ein ungefährdetes Vorbeilassen sich nähernder Personen zu gestatten.
Dem einzeln gehenden Herrn steht es zu, einer Dame oder einem älteren Herrn, der des Schirmes entbehrt, seinen eigenen Schirm oder aber das Geleite mit demselben höflich anzubieten. Dabei ist zu beachten, daß mehr die also »beschirmte« Persönlichkeit als die eigene Person dieses Schutzes genieße, auch muß der Schirm entsprechend hoch gehalten werden, um nicht etwa Haupt oder Hut durch denselben zu belästigen.
Von einem bekannten Herrn darf eine Dame solchen Dienst ohne weiteres annehmen, in dringendem Falle auch von einem Fremden, der schon in der Art und Weise des Anerbietens taktvolle Zurückhaltung offenbart.
Daß bei Besuchen der Regenschirm, naß oder trocken, im Vorsaal abgegeben wird, versteht sich von selbst.
Das Ausweichen auf der Straße ist ein Prüfstein für den Bildungsgrad, es verlangt fast ebensoviel Takt wie das Ausweichen auf dem heiklen Gebiete des Salongespräches.
Als Grundregel kann das Ausweichen nach rechts in der Öffentlichkeit wie im Salon aufgestellt werden, dies allein ermöglicht ein gegenseitig glattes Vorbeikommen. – Tritt der Begegnende irrtümlich nach derselben Seite wie du, so verharre nichtsdestoweniger auf deinem richtig eingenommenem Standpunkt und rasch wird, ohne das störende Hin- und Herweichen, ein ungehindertes Vorüberpassieren ermöglicht werden.
Auf schmalen Gehwegen hat der Herr indes die Häuserseite der begegnenden Dame oder dem älteren Herrn zu überlassen, respektive auf den Fahrweg herauszutreten, um das Ausweichen zu erleichtern. Auch unbekannte oder schlichtgekleidete Damen dürfen um eines Herrn willen niemals genötigt sein, den Gehweg zu verlassen.
Jungen Mädchen oder Frauen ist älteren Personen gegenüber dieselbe Vorsicht geboten; Stand oder Aussehen tun hierbei nichts zur Sache, auch unter schlechtem Gewande kann wahrer Gesinnungsadel wohnen. Auch die Schwachheit, das Gebrechen erfordern schickliche Rücksichtnahme; weder dein innerer Wert noch dein äußeres Ansehen leiden Not unter solch scheinbarer Verschiebung gesellschaftlicher Rechte.
Das Gehen mehrerer Personen in einer Reihe ist auf der Straße noch störender und wohl ebenso unstatthaft als auf belebter Promenade; stets aber hat nicht die einzeln entgegenkommende Person auszuweichen, vielmehr ist dies Sache der vereint Gehenden, indem ein oder mehrere Glieder der geschlossenen Gruppe rücksichtsvoll zurückweichen.
Die Vorsicht gebietet, ungebildeten, herausfordernd ausschreitenden, keckanstarrenden oder trunkenen Menschen rechtzeitig auszuweichen. Ein Zusammenprall wäre mißlich genug, schlimmer aber und völlig aussichtslos eine Zurechtweisung, die zu häßlichem Wortwechsel führen müßte.
Der Gemeinheit gegenüber sind gebildete Menschen immer wehrlos, ganz besonders Damen, die sich auf der Straße unter keinen Umständen in einen Wortwechsel einlassen dürfen, denn – »wer Pech anrührt, der besudelt sich.« Bei wirklichen Beleidigungen oder Angriffen rufe man den nächsten Schutzmann oder den nächstbesten Herrn um Hilfe an, der wahrhaft ritterlich Gesinnte wird sie nicht versagen.
Ob hübsch oder häßlich, jung oder alt, bekannt oder unbekannt, kommt eine Dame in Verlegenheit bei Sturm oder Regen oder Glatteis, entgleitet ihr Schirm oder Paket, vermag sie eine Tür nicht zu öffnen, einen schwierigen Übergang nicht zu gewinnen, so hat sie gerechterweise Anspruch auf das Entgegenkommen selbst jedes fremden, ritterlich gesinnten Herrn.
Das Zusammentreffen bekannter Personen auf der Straße ist schon in Abschnitt 7 b »Vom Grüßen« Seite 66 behandelt, soll jedoch hier in seinen Grundregeln noch einmal erörtert werden.
Erscheint nach vorausgegangenem Gruße Bekannter eine kurze Ansprache geboten, so treten die Betreffenden an die Häuserlinie zurück, um die Passage nicht zu verengen; langes Zusammenstehen, eingehende Besprechungen dürften im allgemeinen auf der Straße nicht zulässig sein.
Der Herr ist nicht berechtigt, eine Dame auf der Straße anzureden. Er darf jedoch nach dem Gruß unmerklich zögern, um eine etwaige Anrede seitens der Dame nicht zu übersehen. Die Höflichkeit erfordert alsdann, daß er bis zur Verabschiedung unbedeckten Hauptes verharrt. – Älteren Herren wird die Dame indes gern durch ein freundliches: »Bitte, bedecken Sie sich!« die natürliche Gegenrücksicht gewähren.
Wer mit einem Freunde oder Bekannten geht, hat stets mitzugrüßen, wenn dieser grüßt; bei ihm Unbekannten kann sein Gruß indes entsprechend leichter, doch niemals gleichgültig sein.
Die höflich angebotene Begleitung eines bekannten Herrn anzunehmen, ist der Dame gestattet; allzudringlich darf dieses Anerbieten jedoch nicht sein, auch ist die Begleitung schicklich einzuschränken und dem Belieben der Dame durchaus anzupassen. Bleibt dieselbe stehen oder erklärt ihr vorläufiges Ziel als erreicht, so hat die Verabschiedung mit achtungsvollstem Gruße zu erfolgen.
Das Anreden einer unbekannten Dame gilt mit Recht als Beleidigung. Ohne Antwort oder irgend ein Zeichen der Aufmerksamkeit setze die also Belästigte ihren Weg fort, betrete, genügt dies nicht, den nächstbesten Laden oder irgend ein Privathaus als scheinbar erreichtes Ziel, und verweile daselbst einige Minuten, um dem Überlästigen zu entgehen.
Genügt auch dies nicht, so muß sie sich durch einen Wagen der unerwünschten Geleitschaft entziehen oder einen Schutzmann heranrufen, vor allem aber in Haltung und Gebaren strengste Abwehr zur Schau tragen.
Die allgemeinen Verkehrsmittel wie Omnibus oder Straßenbahn entbinden selbstredend nicht ganz von der üblichen Höflichkeitsform, beschränken dieselbe indes wesentlich auf ihre Grundzüge. Das Ich tritt zurück; wer keine Vergünstigung erwartet, wird nicht enttäuscht.
Angebracht erscheint ein leichter Gruß beim Betreten und Verlassen des Wagens. Ohne peinliche Auswahl wird der nächstbeste Platz eingenommen.
Fehlt es an Raum, so warte man stehend, ohne irgend ein Zeichen des Mißbehagens, einen freiwerdenden Platz ab.
Gebildete Herren werden ihren Platz der zum Stehen genötigten Dame abtreten, doch entscheidet hier der Herzenstakt; vorgeschrieben ist solche Rücksicht nicht, wird aber mit freundlichem Dank angenommen.
Jeder einzelne hat sich der Fahrordnung zu fügen. Insbesondere vermeide man das Auf- oder Abspringen während der Fahrt; am allerwenigsten jedoch soll dies in der der Fahrtbewegung entgegengesetzten Richtung geschehen.
Im selbstgelenkten Wagen nimmt der Herr den rechtsseitigen Platz ein, sein Gast den linken; befinden sich drei Personen im Kabriolett, so gebührt dem Rosselenker in jedem Fall der Platz in der Mitte.
Bei gemeinsamer Wagenfahrt nimmt die Dame stets den Rücksitz ein, der Herr den Vordersitz ihr gegenüber. Die Einladung, neben der Dame im Fond Platz zu nehmen, wird nur bei genauem Bekanntschaftsgrade ausgesprochen und angenommen.
Auch im Wagen gebührt der rechtsseitige Platz der Dame, unter lauter Damen natürlich der älteren. Ist der rechtsseitige Platz beim Einsteigen der nächstliegende, so steigt der Herr oder die jüngere Dame entweder rasch zuerst ein, um den linksseitigen Platz zu erreichen, oder noch besser, man bewerkstelligt das Einsteigen auf der entgegengesetzten Seite.
Dem Diener liegt es ob, den Schlag zu öffnen; in dessen Ermangelung besorgt diesen Dienst der Herr, oder die jüngere Dame ihrer älteren Begleiterin.
Täglich wiederkehrende regelmäßige Spaziergänge, die aus gesundheitlichen Rücksichten gewöhnlich an bestimmte Stunden gebunden sind, finden am besten draußen in Feld und Wald statt. Beschränken sich dieselben indes auf die Promenade, so ist unauffällige, solide, vornehm-einfache Toilette geboten, sowie die Wahl nur mäßig belebter, doch nicht zu einsamer Wege.
Junge Mädchen sollen niemals allein oder nur in jugendlicher Begleitung die Promenade besuchen; am wenigsten aber mit dreistem Kichern und Lachen, überlautem Sprechen und auffallenden Bewegungen sich hervortun oder in Gesellschaft von heranwachsenden Schülern und jungen Herren erscheinen. Man braucht nicht engherzig zu sein, um dies unpassend zu finden; die wachsende Bedeutung der Frau offenbart sich nicht in dem allzufreien Verkehr der Geschlechter. Die naturgemäße Begleiterin des jungen Mädchens ist stets die Mutter oder an ihrer Statt eine ältere Verwandte oder Freundin des Hauses.
Ebensowenig passend wäre es für ein junges Mädchen, ihre Mußestunden mit Buch oder Handarbeit auf der Promenade zu verbringen. Der Mutter, die dabei ihre spielenden Kinder beaufsichtigt, kann dies freilich nicht verargt werden, allein der natürliche Takt verlangt alsdann anspruchslose Toilette.
Bei Promenadekonzerten hat stets der Herr seinen Sitz einer Dame, die zu keinem Platz gelangen kann, höflich zu überlassen, sollte dieselbe ihm auch völlig unbekannt sein. Nur die Begleitung bekannter oder verwandter Damen, die er natürlich nicht verlassen darf, enthebt ihn dieser Verpflichtung.
Einzelne, gewöhnlich nicht allzureichlich vorhandene Ruhebänke dürfen nicht auf Stundendauer von ein und derselben Person oder Gruppe besetzt werden. Auch andere wollen ruhen, die naturgemäße Höflichkeit erfordert also ein schickliches Ausweichen, insbesondere haben jüngere Personen auf Ältere, Schwache, Leidende Rücksicht zu nehmen.
Einem gut bekannten Herrn darf eine Dame auch freundlich den Platz an ihrer Seite anbieten, doch nicht allzudringlich, denn es ist eine Gunst. Der Herr hat dieselbe als solche zu würdigen und anzunehmen, nur eine wirkliche Abhaltung dürfte ihm als Abhaltungsgrund dienen.
Auf der Straße oder Promenade laut zu reden, sich lebhaft zu gebärden oder auffallend umzusehen, ist durchaus unpassend; am wenigsten berede man die Verhältnisse anderer, es wäre dies eine Verletzung des persönlichen Rechtes wie der natürlichen Verschwiegenheit.
Ebenso gehe man rasch und gewandt an Begegnenden oder nahebei Gehenden vorüber, damit es nicht den Anschein gewinne, als behorchte man deren Unterhaltung.
Auf der Straße zu essen, zu gähnen, in nachlässiger Kleidung oder ohne Handschuhe zu gehen, ist unpassend.
In nachlässigem Morgenanzug zeige man sich niemals am Fenster, überhaupt sind Straßenfenster als Aufenthalt tunlichst zu vermeiden. Selbst der Arbeitstisch soll dort seine Stätte nicht finden, am schönsten und traulichsten ist der Arbeitsplatz an einem Gartenfenster.
Bei kurzem Verweilen am Fenster kann man dankend einen gespendeten Gruß entgegennehmen, man sollte darauf jedoch zurücktreten, um den Anschein heimlicher Kritik des Vorübergehenden zu vermeiden.
Beim Ersteigen einer Treppe geht der Herr voran.
In der Straßenbahn einen dargebotenen Platz dankend anzunehmen, versteht sich von selbst. Erwarten darf man solche Artigkeit des Platzüberlassens indes keineswegs, am wenigsten von älteren oder schwachen Personen. Hier gilt gleiches Recht; anspruchsvolles Auftreten oder reichere Kleidung bedingen keinen Unterschied.
Weite, einsame Spaziergänge, so reizvoll sie auch sein mögen, sind tunlichst zu vermeiden, selbst die unerschrockenste Dame sei hierin vorsichtig.
Der beste Schutz gegen Zudringlichkeit ist kühl-abweisende Haltung; dem ernsten Blick braucht das verweisende Wort alsdann kaum zu Hilfe zu kommen.