Franz von Kobell
Wildanger
Franz von Kobell

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Das Reh.

Wenn man Form und Bau unseres heimischen Haarwilds beachtet, so ist der Rehbock (cervus capreolus) nach dem Hirsch gewiß das schönste Jagdthier. Man darf aber deßhalb, will man nicht gegen die Waidmannssprache verfehlen, keineswegs sagen ein »schöner« Rehbock, wie man vom Hirsch nie sagen darf ein schöner und ein großer Hirsch. Es ist das ebenso ausgemacht, als daß der Reiher keine Füße hat, sondern Ständer, während dagegen der Habicht keine Ständer hat, sondern Füße und der Falke weder Ständer noch Füße, sondern Hände. Mag mancher drüber lächeln, es ist so und ein Waidmannsohr wird von solchem »schön« beleidigt, wie das Ohr eines Musikers von einem falschen Ton.Bekanntlich war es im vorigen Jahrhundert Brauch (auch bei fürstlichen Lustjagden). daß sich derjenige, welcher in der Waidmannssprache fehlte, dem sog. Pfundgeben unterwerfen mußte, indem er auf einen Hirsch oder Stück Wild gelegt wurde und von dem Jagdherrn oder obersten Jäger mit dem Hirschfänger drei Schläge auf den Hintern bekam, wobei der Executor rief: »das ist für fürstlich gnädige Herrschaft! das ist für Ritter, Reiter und Knecht! das ist das edle Jägerrecht!« Dabei mußten die Jäger die Waidmesser entblößt halten und wurde das Waldgeschrei erhoben. Fürstlichen Personen gab der Fürst die Pfunde. Damen ließ man das Wild mit der Hand berühren und sie erhielten auf diese drei leichte Schläge, wenn der Jagdherr die Sache gelinde nahm. Will man einen Rehbock waidmännisch loben, so muß man ihn einen guten oder starken Bock nennen und im Falle besonderer Auszeichnung einen »Capital-Bock.«

Vor Zeiten muß es weit stärkere Rehböcke gegeben haben als gegenwärtig, denn alle größeren Geweihsammlungen liefern die Beweise davon, ja es hat sogar den Schein, als habe eine besondere Art von Rehen existirt, die nun ausgestorben oder ausgetilgt ist. Jeder Jagdfreund kennt die 1½–2 Schuh hohen vielsprossigen Geweihe jener Böcke, die sich besonders von den noch heute vorkommenden dadurch unterscheiden, daß die Rosen verhältnißmäßig klein und oft über halbfingerbreit von einander abstehend sind, während sie an dem Gehörn starker Böcke unserer Tage meistens einander berühren oder nur bei geringen Böcken ein ähnlicher Abstand der Rosen bemerkbar ist. Es kommen in manchen Gegenden auch Hirsche vor, die so schlecht aufsetzen, daß das Gehörn jener Urböcke ihrem Geweih fast gleichkommt. Auch ist gegenwärtig ein Achterbock schon eine Seltenheit, an jenen Stangen zählt man aber oft 12, 14 und mehr Enden. Die in ihrer Art einzige Geweihsammlung des Grafen Arco-Zinneberg in München enthält gegen 200 Stück solcher Rehgeweihe (in Bayern Gewichte, Gewichteln genannt), welche alle ziemlich denselben Bau zeigen und nur an einigen sind die Rosen groß und nahestehend.

Ich habe bei vielfacher Erkundigung niemals einen bestimmten Fall ausfindig machen können, daß in unserer Zeit ein Bock mit solchem Geweih geschossen worden wäre und aus älterer Zeit kenne ich nur zwei Angaben darüber.

Es findet sich nämlich im Schlosse Harmeding in Oberbayern ein dergleichen Geweih und darunter das v. Barth'sche Wappen mit der Jahrzahl 1586; ferner fand sich beim Abnehmen eines solchen Geweihs aus der Arco'schen Sammlung von dem geschnitzten Kopf, auf den es aufgesetzt war, unter der Schale ein Zettel mit der Angabe »Geschossen zu Mariakirchen im Rotthal, Patrimonialgericht Baron Pfetten, 1749 vom Jäger Rehbock.« Der Name Rehbock kommt bei unsern Jägern öfter vor.

Wildungen beschreibt dergleichen Geweihe aus der Sammlung des Fürsten Witgenstein-Berlenburg, welche aus Ungarn herstammen sollen und sehr alt sind. Auch er ist der Meinung, daß sie einer eigenen nun ausgestorbenen Rehgattung angehört haben, während Einige behaupten, daß sie noch in Ungarn vorkomme. Die Vignette am Schluß zeigt das Geweih eines solchen Urbocks neben einem aus unserer Zeit; dazu eine Abnormität.

Das Geweih von 43 Enden, welches von einem bei Bamberg erlegten Rehbock, der von Ridinger abgebildet worden ist, scheint ungeachtet der vielen Enden nicht jener Art des Riesenrehs zugehörig. Es besteht aus mehreren verwachsenen Stangen. Die alte Unterschrift der Abbildung sagt:

Im Stift Bambergk sprich ich ist wahr
Des Rehbocks Gestalt also im Jahr
Siebenzig sieben der weniger Zahl
Mit sammt andern gefangen zmahl.
Christoph von Krailsheim den ich meldt
Zu Walsdorff die erlegt im Feldt
Den 7ten Novembris ist es geschehn
Welches viel vom Adel han angesehn
Von seinem Gehörn fürwahr ich meldt
Drei und Vierzig Endt daran waren gezehlt,
Derhalben ein Wundergewächs der Welt.Landau spricht von einem Rehbock, welcher kaum ein anderer als der hier beschriebene ist, es heißt aber, daß 1577 zu Walldorf bei Meiningen ein Rehbock mit einem Gehörn von 34 (statt 43) Enden erlegt und dieses auf dem dortigen Schloß der v. Krailsheim aufbewahrt worden sey. Ein Walsdorf mit einem v. Krailsheim'schen Schlosse besteht übrigens im Bamberg'schen und liegt an der Aurach.

Wie ausgezeichnete Hirschgeweihe in besonderen Ehren gehalten wurden, so geschah es auch mit dergleichen Rehegeweihen. Als Beweis dient unter andern ein Brief eines Hans Georg Hertrich von Edelstadt aus Idstein, welchen er im J. 1586 an den Landgrafen Ludwig IV. von Hessen nach Marburg schrieb:Landau a. a. O.

»E. F. G. kann oder mag ich mit höchlich bekümmertem und betrübtem Gemüth unterthänigst nicht verhalten, daß so fröhlich und guter Ding bei E. F. G. gewesen, ich nunmehr viel tausendmal mehr bekümmerter und trauriger bin, denn mir zweifelt nicht, E. F. G. werden selbst gesehen und vernommen haben, wie höchlich ich mich wegen der 2 Rehegewichte, so E. F. G. mir zu ewiger Gedächtniß geschenkt, erfreuet, derselben ich auch meinen Hals tapfer daran gesetzt und wie mich dünkt weidlich genug gesoffen; darauf dann E. F. G. die Rehegewicht gnädigst liefern lassen (diese waren also der Preis eines gewaltigen Trunks). Wie ich aber dieselbigen einem Boten zugestellt, daß er sie nach Gleiberg tragen solle, hat sich derselbe ehrlos vergessene Lecker und Bub über meinen Befehl voll Weins gesoffen und die beiden Rehegewicht entweder in der Stube stehen oder sich nehmen lassen; darüber ich auch so hart ergrimmt und erzürnt gewesen, daß wo ich seiner armen Weib und Kinder nicht verschont, ich mich leichtlich an dem Lecker hätte vergessen mögen &c.« Er bittet nun den Landgrafen eine Untersuchung anstellen und den Dieb bestrafen zu lassen und versichert, daß er lieber 50 Thaler verloren habe, aber es gehe gemeinlich dem Sprichwort nach »wann unser Herrgott ei'm etwas beschert, so ist dol sant Petter und mißgönnt es ei'm.«

Ein guter Sechserbock ist gegenüber dem Jäger seines Lebens fast zu keiner Zeit sicher und auf alle Weise gefährdet, durch die Birsch, auf dem Anstand und im Treiben. Dazu kommt noch Ende Juli und im August, daß er auf's Blatten (wobei der Ruf eines Schmalrehs durch ein Blatt oder ein eigenthümliches Instrument nachgeahmt wird) springt und so in den schönsten Momenten aufwallender Liebeslust von dem erbarmungslosen Blei getroffen wird.Durch die genauen Untersuchungen des berühmten Physiologen Bischoff ist nun der vieljährige Streit über ächte und falsche Brunft des Rehs dahin entschieden, daß in der Blattzeit die ächte Brunft stattfinde und die Tragezeit der Gais 40 Wochen sey. Wenn ihm die Zeit, wo er das Gehörn abwirft, einigen Vortheil des Durchkommens gewährt, da ihn dann mancher ungeübte Schütze für eine Gais (RickeNach Landau sagte man im 15. Jahrhundert für Rehgais auch Rehziege, Rezege. Daraus soll Ricke entstanden seyn.) hält, so ist wieder der eintretende Winter sein Feind und wird mancher vom Harsch (hart gefrorner Schnee, der dünne Krusten bildet) beim Durchtreten an den Läufen verwundet, eine Beute der verfolgenden Füchse, wenn er durch mangelnde Aesung gelitten hat und kraftlos geworden ist.

Wäre sich der Rehbock aller dieser ihn bedrohenden Calamitäten recht eigentlich bewußt, er würde nimmer so muthwillig in die Büsche stoßen oder frisch schallend mit dem Lauf stampfen, wenn er Verdächtiges zu bemerken glaubt, oder am hellen Tag die Gais über die freie Wiese jagen und kämpfend seines Gleichen verfolgen.

Diese Kampflust ist mitunter sehr groß. Ich traf einmal bei einem Birschgang zwei kämpfende Böcke, die sich über einen kleinen Graben immer hinüber und herüber stießen. Ich nahm den stärkeren auf's Korn und er stürzte im Schnall vor seinem Gegner nieder. Dessenungeachtet rannte dieser nicht weg, sondern setzte sich nach einem Sprung sogleich wieder in die Kampfstellung und betrachtete noch einmal drohend den verendenden, ehe er flüchtig ging; auch schoß ich einmal einen Bock, der offenbar gescheucht aus dem Holz auf eine Wiese rannte und während ich mich zum Aufbrechen desselben anschickte, kam ein zweiter, der verfolgende Bock aus dem Holze, welches nicht hundert Schritte entfernt war und obwohl er mich sehen mußte, näherte er sich doch und kehrte erst um, als ich nach der Doppelbüchse langte.

Ohne Veranlassung solcher Kampflust oder Eifersucht ist aber der Rehbock sehr scheu und wenn er etwas Verdächtiges bemerkt oder der Wind nicht ganz gut ist, so bleibt er zwar manchmal schallend stehen oder schreitet mit eigenthümlich hochaufgezogenen Läufen schallend weiter, aber sucht doch bald das Dickicht, während die Gais viel neugieriger und kecker sich zeigt. Hat man z. B. einen Baum zur Deckung gewonnen und sie bemerkt einen ein wenig, so zieht sie mit den Läufen stampfend und schallend (schmählend) näher heran mit vorgestrecktem Halse spähend, was denn hinter dem Baum sey; man kann sie so, indem man um den Baum herumgeht und nur zuweilen etwas hervorschaut, dieselbe Runde machen lassen. Leider wird sie mit dieser Neugierde und Sorglosigkeit oft genug die Beute des Wildschützen.

Einen guten Rehbock beim Treiben zu schießen, wenn er in voller Flucht vor den Hunden kommt und namentlich gegen das Ende des Triebes so recht im drunter und drüber des Jagdlärms, ist ein lustiges Ding, ihn aber auf der Birsche zu erlegen bietet ungleich mehr waidmännisches Vergnügen. Es genießt aber nur der ein solches vollkommen, welcher nicht am Gängelbande eines Jagdgehilfen seine Wege macht, sondern allein geht, das Wild sich sucht, erlegt und nach Hause trägt. Die Begleitung hat natürlich ihre Vortheile, wo man des Reviers nicht kundig, aber wie mancherlei Störungen bringt sie mit sich, will man der flüsternden Phantasie lauschen, will man der Spannung sich hingeben, welche solche Gänge mit sich bringen. Trifft noch das Unglück, daß man einen ungeschickten oder schelmischen Gesellen an der Seite hat, dann ist's gar aus mit der ganzen Birscherei. Da stolpert ein solches Individuum im geltenden Augenblick mit bleiernem Fuße über ein Gewirr von dürrem Astwerk und murmelt noch einen Fluch hinterdrein, den jeder Rehbock hören muß, wenn er nicht taub ist, da hetzt er den Schützen zu eiligem Schießen und macht das Herz noch ärger schlagen, als es ohnedem schon der Fall ist, oder er mahnt vom Schießen ab, um näher zu kommen, wo es ohne Geräusch nicht mehr möglich ist u. s. w.

Ein Schelm winkt wohl gar hinter dem anbirschenden Schützen dem hergaffenden Bock mit dem Hut einen schönen Gruß zu, den dieser schnell genug versteht und in's Holz rennt. Dann großes Erstaunen von beiden Seiten, warum der Bock ausgerissen »hat leicht der Wind umgeschlagen, der verdammte Wind wechselt alle Augenblick, es muß schlechtes Wetter geben.« Oder man bemerkt beim Weitergehen auf tausend Schritt ein altes Weib im Feld, welches zur Frühmesse wandelt. Da muß dieses schuld gewesen seyn und man verwünscht das Weib. Der Jäger kennt sie, ist schon die rechte Hexe, hat nie einer Glück, dem sie begegnet. Statt der Birsche wird nun von den alten Weibern gesprochen, wie es zu fürchten sey, wenn sie einem Glück wünschen, wie der und der immer umgekehrt und nach Hause ging, wenn ihm ein altes Weib in den Weg kam, und was zu thun sey, um den Zauber unschädlich zu machen, daß dazu die Hexe auf der Büchse oder Flinte einige Schritte reiten müsse, wie auf einem Steckenpferd und dergleichen.Zur Beruhigung ängstlicher Gemüther für solchen Fall kann ich anführen, daß ich auf das Waidmanns Heil freundlicher Frauen, die gerade keine heurigen Hasen mehr waren, doch einmal einen Hirsch von 12 Enden und ein anderesmal einen von 14 Enden geschossen habe.

Wie anders aber ist es, wenn man allein auszieht beim Grauen des Tages, da noch im Westen die Sterne funkeln, und den schwarzen Waldsäumen zueilt über bethaute Wiesen und Felder, dann leise durch's Vorholz schleichend herumspäht und so die ersten Strahlen der Sonne begrüßt und mit dem wehenden Hauche des Morgens frische Gedanken einathmet, welche das Gemüth klären und zu muthiger Lust erheben. Alles ringsum so still und regungslos, alles noch vom Zauber des Schlummers gebannt, nur im Osten zieht es langsam herauf mit heller und heller werdendem Scheine. Durch die Nebelschleier, die dicht am Boden gebreitet, ziehen die Rehe nun wie Schatten gegen das Holz, da und dort verweilend in den blumigen Gräsern; ein Fuchs begegnet wohl auch auf seiner Birsche dem Waidmann und verschwindet mit einem lautlosen Sprung im Dickicht, ein Hase, stets kümmerlichen und besorgten Ansehens, äst seine Kräutlein im Feld.

Nun vorsichtig und wohlgedeckt vorwärts und das »eile mit Weile« dabei nicht vergessen, und achte auf den Wind und auf das Wild und geh' und steh' zur rechten Zeit. Auch der Anstand am Abend hat mannigfache Genüsse, und gerne bleibt man bis zur einbrechenden Nacht sitzen, wenn man einmal dem eigenthümlichen Leben der Natur, welches dann beginnt, seine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Ein seltsames Geknister und Geflüster geht um die alten Bäume und bewegt sich in den dürren Aesten und rauscht durch's gefallene Laub; das Käuzlein läßt seinen schrillen Ruf hören und kreist leisen Flugs um den lauschenden Jäger. Der Himmel mag wissen, was sich da alles regt und kriecht und schleicht, es liegt aber in dem verstohlenen, sich gleichsam verbergen wollenden Treiben etwas Unheimliches, und ist als wollte die mit der Nacht wandelnde Furcht gerne auch am Waidmann anklopfen und ihm das Herz bewältigen. Dazu dann der aufgehende Mond und die langen Schatten vom Wald her, die erwachende Erinnerung an manches Abenteuer solcher Stunden, an Sagen und Märchen, das Alles zusammen und man ist nicht mehr allein in der wilden Einsamkeit, und es ist nicht langweilig wie Mancher meint.

Bei solchem Waidwerk ist ein guter Hund der freundlichste und nützlichste Begleiter. Wie er theilt kein Diener die Freuden und Aufregungen seines Herrn, und manche Birsche gelingt nur durch ihn, sey es, daß er nach dem Wild windend dessen Stand verräth, wo man gar nicht dran dächte, oder daß er in hohem Grase die rothen Tropfen findet, die der Waidmann nach dem Schusse so gerne sieht. Und muß der Hund gelöst werden, und es geht die Jagd in die verwachsenen Gründe, und man hört, wie er Standlaut gibt, wie zieht man nach in freudiger Eile, wie lobt man den lieben Daxl, wenn der erlegende Schuß gefallen! Einen guten Hund bei solcher Jagd zu beobachten ist ein um so größerer Genuß, als man sich bewußt ist, daß kein Falsch an ihm, daß keine Nebenabsicht und keinerlei Affektation seine Bewegungen lenkt, wie das an menschlichen Wesen, und wären sie auch die rauhen Söhne des Waldes, oft genug vorkommt. Dabei sind die Hunde individuell sehr verschieden, wenn auch von gleichen Talenten, und hat der eine diese, der andere jene Eigenthümlichkeit. So gibt es Schweißhunde, welche gerne Bögen schlagen und doch immer wieder auf die Fährte kommen, während sie andere Schritt für Schritt verfolgen, und gibt einige, welche man frei suchen lassen muß, die dann auf den Jäger warten, wenn sie Schweiß haben, als wollten sie ihm denselben zeigen, oder auch nach einiger Zeit mit einer Miene zurückkehren, aus welcher deutlich zu lesen: »thut mir leid, ist nicht getroffen.« Was die Nase eines solchen Hundes anbelangt, so hatte ich Gelegenheit, einen merkwürdigen Fall zu beobachten. Der Forstwart Sagenbacher in Tegernsee besaß einen Hund (von einer guten Race des Baron von Gemmingen in Stuttgart), welcher eine Kugel, die auf etwa hundert Schritte in den Boden oder nieder in einen Baum geschossen wurde, zu finden wußte. Der Forstwart war auf diese Eigenschaft des Hundes aufmerksam geworden, als er nach einem Rehbock, der in einem Schlag an einem Berghang äste, geschossen hatte. Der Bock sprang weg, und beim Suchen auf den Anschuß bemerkte der Jäger, daß sich sein Hund mit eifrigem Zerwühlen eines morschen Baumstocks beschäftigte. Da von Haaren und Schweiß nichts zu finden war, untersuchte er den Stock und fand drinn seine Kugel. So machte es der Hund auch, wenn Sagenbacher, von der Jagd heimkehrend, seine Büchse auf die in der Nähe des Hauses angebrachte Scheibe abschoß. Der Hund sprang jedesmal an der Scheibe hinauf, als wollte er die Kugel haben. Diese Geschichte klang mir so wunderlich, daß ich selbst einen Versuch mit dem Hund anstellte. Etwa hundert Schritte von der Scheibe, wo er öfters gesucht hatte, war ein Grashang und daran ein Büschel weißer Blumen. Ich ließ dem Hund die Augen zuhalten und schoß in die Blumen. Dann wurde er freigelassen. Sogleich sprang er nach der Scheibe, schnopperte da ein wenig herum, verließ sie aber schnell wieder und schlug nun Bögen, und zwar in ziemlichem Lauf, bis er in die Nahe der Blumen kam. Da fing er an langsamer zu suchen, kam immer näher dran und wühlte nun eifrig in die Erde, wo die Kugel steckte.

Von der Intelligenz und dem Gehorsam guter Jagdhunde kann man sich bei uns im Gebirg oft überzeugen, denn viele Jäger legen ihren RucksackDer Rucksack ist ein Sack, meistens von grünem Zwilch, mit einem Zug versehen, um ihn auseinanderzulassen und zusammenziehen zu können. Er faßt leicht einen Rehbock und wird auf dem Rücken mittelst zweier Armbänder, Gurten oder Riemen, getragen. Wer diesen Sack einmal kennen gelernt hat, der zieht ihn gewiß allen andern Jagdtaschen, Ranzen u. dergl. vor. Dem Bergjäger ist er unentbehrlich und dient ihm in so mannigfacher Weise, daß, ließe sich sein Erfinder ausmitteln und lebte er noch, die Jägerei ihm zu einer Ehrenbelohnung verpflichtet wäre. weg und bedeuten dem Hund, dabei liegen zu bleiben, wenn sie sich auf ein gesehenes Stück anbirschen wollen. Der Hund bleibt, auch bei einem Schuß des Jägers, ruhig liegen, bis er geholt wird, und empfängt dann den Herrn mit tausend Freudenbezeugungen. Wenn daher der Altmeister Goethe in seinen Epigrammen aus Venedig (Nr. 73) sagt:

»Wundern kann es mich nicht, daß Menschen die Hunde so lieben,
Denn ein erbärmlicher Schuft ist, wie der Mensch, so der Hund.«

so mag man sich an diesen Versen ein warnendes Beispiel nehmen, zu welchen Verirrungen auch ein großes Genie kommen kann, wenn es eben gar kein Jäger ist. Die alten Gallier waren darin gerechter und poetischer, denn sie schmückten beim Dianenfest ihre Jagdhunde mit Blumen, und ein Sprüchlein von 1582 hat auch eine gewisse Geltung, wenn es sagt:

»Vnder alln Thiere am liebsten hat
Der Hund den Menschen wirt nicht mat.
Wie Weib jetzt lieb, bald wiedr schabab,
Darvbr mich offt verwundert hab.«

Die Rehjagd in Bayern muß in älteren Zeiten nur unbedeutend gewesen seyn, wie aus dem Jagdregister des Herzogs Wilhelm IV. von 1545 und noch mehr aus dem des Herzogs Albrecht V. erhellt, welcher in 25 Jahren nur 100 Rehe erlegte.Die Rechnungen des Klosters Tegernsee von 1568–1580 in 13 Jahren führen nur 48 Rehe an, zweihundert Jahre später aber in gleicher Zahl von Jahren 575 Rehe. Von 1674–1691 wurden jährlich im Durchschnitt nur 37 Rehe in den Münchner Hofzöhrgaden geliefert.

Aehnlich war es in Hessen. Vor hundert Jahren aber war bei uns der Rehstand schon der Art, daß jährlich gegen 200 Rehe in's Münchner Zwirchgewölb geliefert wurden.

Um München war der Rehstand in mehreren Revieren, Alach, Grünwald, Schleißheim &c. vor dem Jahre 1848 ein ausgezeichneter und auf den Jagden, welche König Maximilian I. und König Ludwig bei Sendling hielten, wurden mehrmals 100 bis 136 Rehe und gleichzeitig gegen 400 bis 1000 Hasen erlegt.

Im Lochheimer-Schlag (Sendlinger Revier) wurden um 1845 in freier Jagd in einem Bogen 135 Rehe, darunter über 100 Böcke, geschossen.

Ein sehr guter Rehstand war ferner in Unterbrunn und besonders in Eberfing bei Weilheim, wo auch Karl Theodor manchmal ein »Klopfet« hielt. Man wird kaum anderwärts etwas dieser Art aufzuweisen haben, denn es war 1843 nicht besonders schwer, im Mai oder Juni dort an einem Tage auf der Birsch 6–8 gute Sechserböcke zu schießen, und der General Baron von Zweibrücken gewann einmal die Wette, in 8 Tagen auf der Birsch 36 Böcke zu erlegen. Ebenso war das zwischen Weilheim und dem Ammersee gelegene Reisdinger-Moos reich an Rehen und man konnte den ganzen Tag hindurch birschen, denn das Moos war theilweise ganz frei und die Rehe immer zu sehen und eine Menge kleiner Heustädel machten das Anbirschen möglich. Da war Waidwerkslust, denn es gab nebenher Auerhähne und Spielhähne, also zuerst auf diese, dann heim und sich stärken mit erklecklichem Frühstück, und dann auf die Birsche in's Moos hinaus. Gegenwärtig ist kaum mehr ein Reh dort zu finden, das Jahr 1848 hat sie vertilgt, wie auch die zu Germering, Pframering, Anzing &c.

Von 1841–1845 incl. sind in's Münchner Zwirchgewölb 6243 Rehe und 551 Kitze geliefert worden, also über 6mal mehr als vor ungefähr hundert Jahren.

Die Rehe gehen im Gebirg ziemlich hoch hinauf und im Mittelgebirg ist es keine Seltenheit, daß beim Treiben auf Gemsen auf einem der höher gelegenen Wechsel ein Gemsbock und ein Rehbock geschossen wird, wie im Tegernsee'schen, in Bayrischzell, Hohenschwangau &c. öfters (mir selbst) geschehen und noch geschieht. Der Rehstand dort hat zwar durch die unsinnige Bauernwirthschaft von 1848 auch sehr gelitten, und waren selbst die Jäger an manchen Orten genöthigt, Alles niederzuschießen, um dem Treiben ein Ende zu machen, gegenwärtig aber hat es sich damit wieder in erfreulicher Weise gehoben und in manchen Revieren des Allgäus, um Ettal, Kohlgrub, Partenkirchen und Hohenschwangau ist ein guter Rehstand. Ebenso um Rosenheim und Berchtesgaden.

Im Reichswald bei Nürnberg werden auf 90,000 Tagwerk nachhaltig jährlich 200 Böcke und 20 Galtgaisen geschossen, und auch in der Umgegend von Würzburg, im Guttenberger- und Gramschazer-Wald, im Steigerwald, Frankenwald, Fichtelgebirg und vorzüglich in der Pfalz ist guter Rehstand.

Bei München werden im Grünwalder Park Rehe gehegt.

Der Churfürst Karl Albrecht ging öfters auf's Rehblatten, ebenso Maximilian III. Auch der regierende König und die Prinzen pflegen zuweilen dieser Jagd.

Weiße Rehe gab es in der Gegend von Banz noch 1846; ein weißer Rehbock wurde auch 1849 im Forstamt Pressath erlegt und im vorigen Jahrhundert ein solcher in Hohenschwangau (1783) mit großer Arbeit lebendig gefangen. Es wurden dazu von München drei Tücherwagen hingeschickt und der Meisterjäger Moosmüller nebst mehreren andern Jägern abgeordnet. Der gefangene Bock wurde nach Nymphenburg gebracht. Dergleichen weiße Rehe sind Kakerlaken, die Lichter (Augen) sind immer roth.

Auch schwarze Rehe sind vormals in der Gegend von Weissenburg und Pappenheim vorgekommen, und Schecken auf dem Revier Schwand bei Schwabach, sie hatten weiße Blässen, weiße Unterläufe und Schaalen. Nach Landau finden sich schwarze Rehe auch im Schaumburger-Wald in Hessen und gab es zu Anfang dieses Jahrhunderts bleifarbene in den Erbach'schen Forsten.

Winkell führt mehrere dergleichen seltenfarbige Varietäten aus dem Anhalt-Dessau'schen an und beobachtete, daß eine gewöhnliche rothe Gais wiederholt weiße Kitze gesetzt habe. Daß Gaisen Geweihe aufsetzen, kommt auch zuweilen vor, und wurde bei uns eine solche mit bebastetem Gabelgeweih im Jahre 1833 im Revier Hofolding (Forstamt München) geschossen.

ScheitlinThierseelenkunde II. 140. erwähnt des höchst seltenen Falles eines Rehbastards, von einem Rehbock und einem Schaf abstammend. Er hatte Aehnlichkeit mit dem Reh. Der gelehrte Thierpsychologe macht dazu die seltsame Bemerkung: »daß die Natur solche Geschöpfe wie nur zur Probe hervorbringe, um zu sehen, was werden könne (denn sie ist nicht allwissend), die Probe dann aber, wenn sie sie gesehen, umkommen mache, ist bekannt genug.« Danach muß die Natur entweder sehr ungeschickt im Probiren seyn, denn bis jetzt sind Bastarde, die sich fortpflanzen, nicht bekannt, oder es ist ihr unrichtigerweise eine Tendenz zugeschrieben, die sie nicht haben kann. Wir halten unmaßgeblichst dafür, daß letzteres der Fall sey.


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