Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Eine Frau, die auf Hugo Schenk wartet

»Aber«, wandte jemand aus der Gesellschaft ein, die über kriminelle Begebenheiten plauderte, »wenn es wahr ist, daß die Verbrecher selbst dumm sind, wieso kommt es dann, daß so viele Verbrechen gelingen?«

»Weil ihre Opfer noch dümmer sind.«

»Das stimmt«, nickte Frau H . . . r, »Sie kennen doch mein Stubenmädchen?«

»Die alte Klara?«

»Ja, die alte Klara. Sechzig Jahre war sie im vorigen Monat. Die hat mir neulich ihren Liebeskummer gebeichtet: in ihrer Jugend hat sie in Hannover als Kindermädchen gedient bei einer Wiener Dame, die mit ihrer Familie zum Sommeraufenthalt nach Vöslau fuhr. Dort hat die Klara einen Mann kennengelernt und sich mit ihm verlobt. Nach Hannover zurückgekehrt, beschaffte sie sich ihre Papiere und behob ihre Ersparnisse, um zur Hochzeit nach Wien zu reisen. Ihr Bräutigam drängte schon. Er hatte sich als Ingenieur bezeichnet, aber angedeutet, er sei in Wirklichkeit ein Fürst Wipolinski . . .«

»Winipolski, nicht?« unterbrach ich.

»Ja, Winipolski, ganz recht. Sie kennen den Namen? Wer ist dieser Fürst Winipolski?«

»Bitte, erzählen Sie weiter.«

»Wenn Sie den Namen kennen, ist die Sache vielleicht doch nicht so unwahrscheinlich, wie sie mir vorkam. Mir schien es unglaubhaft, daß der russische Zar ihn von Mördern verfolgen lasse – aber wenn Sie den Namen kennen, wird vielleicht doch etwas daran sein.« Frau H . . . r war durch meine Zwischenfrage eingeschüchtert. »Ich war fest davon überzeugt, daß die Klara damals einem Heiratsschwindler in die Hände geraten sei . . .«

»Wie war das?«

»Also, sie schrieb ihm nach Wien, postlagernd, daß sie ankomme. Nun, er war nicht an der Bahn. Sie ging in ein Hotel, ›Zur Spinne‹, glaube ich, weil er erwähnt hatte, sie würden dort wohnen. Auf dem Postamt fragte sie, ob ihre Briefe schon behoben seien – sie waren noch da. Da dachte Klara, ihr Verlobter sei entweder krank oder verreist. Ein paar Tage blieb sie im Hotel, dann fuhr sie nach Hannover zurück. Sie wartete auf eine Nachricht, sie wartet eigentlich noch immer, daß ihr Fürst zurückkommen und sie zur Fürstin machen wird, wie er ihr oft geschrieben.«

»Könnte ich die Briefe sehen?«

»Ich glaube nicht, daß die Klara sie aus der Hand geben wird. Sie hat sie in einer Schatulle aufbewahrt, mitsamt dem Verlobungsring und verwelkten Blumen.«

»Sagen Sie ihr zum Beispiel, daß Sie einen Graphologen kennen, der aus der Handschrift feststellen kann, ob der Schreiber noch lebt, ob er wiederkommen wird, oder so etwas. Sie erhält diese Briefe unversehrt zurück.«

»Ich werde es versuchen. Aber erzählen Sie, was Sie daran so interessiert.«

»Erst, nachdem ich die Briefe gesehen habe!«

*

Klara hat zwar abgelehnt, ihre Schätze herzuleihen oder auch nur zu zeigen, aber Frau H . . . r konnte den dringenden Bitten eines leidenschaftlichen Berichterstatters nicht widerstehen, ihn für Sonntag nachmittags zum Tee einzuladen; Klara hatte Ausgang.

Es sind sechs Billetts aus der Zeit vom 25. Juli bis Ende Dezember 1883. Ein oder zwei Gespräche, zwei Rosen, ein Ring mit weißem Saphir, fünf kleine Briefe und eine Postkarte genügten, daß Fräulein Klara vierzig Jahre lang in Glaube, Liebe und Hoffnung des Verlobten harrte und heute noch seiner harrt. Er brauchte wirklich nicht mehr zu tun, und er hätte auch zu eifrigerer Korrespondenz wenig Zeit gehabt, die sechs Monate waren mit gründlicher Arbeit ausgefüllt.

Der Absender, der sich mit »Hermann Siegel, Ingenieur« unterzeichnet und darunter seine Briefadresse: »H. K. S., Westbahn Wien, poste restante« angibt, ist, wie ich sofort wußte, als der Name »Fürst Winipolski« fiel, kein anderer als der Dienstbotenmörder Hugo Schenk. Und in jener Zeit, in der ihn das junge hannoveranische Kindermädchen kennen und lieben lernte, übte er eine Tätigkeit aus, wie sie die Kriminalgeschichte bestialischer kaum kennt. Aus den alten Zeitungsberichten über den Prozeß ist auf den Tag festzustellen, wann er mit Klara angebandelt, genauer wohl, als sie selbst es weiß, und wir vermöchten ihr auch zu erzählen, was der vornehme Herr mit den zurückhaltenden Manieren während ihrer Verlobungszeit getrieben.

Weshalb war er in Vöslau? Kurz vorher war Schenk mit dem Dienstmädchen Josefine Timal nach Weißkirchen gefahren und, von ihr und seinem erprobten Mordkomplizen Karl Schlossareck begleitet, nach Zernodin gegangen. Die drei ließen sich im Walde in der Nähe des »Gevatterlochs« nieder; Schenk gab dem Mädchen Wein zu trinken, der mit Chloraldehyd gemischt war. Schlossareck ging abseits, um einen großen Stein heranzuwälzen. Die beiden Männer knebelten das Mädchen und schleppten es zum Gevatterloch. Nachdem sie die Schmuckstücke und das Sparkassenbuch der Timal an sich genommen hatten, banden sie ihr den Stein um den Leib und stürzten sie die Böschung hinab in das Wasser des Gevatterlochs. »Die Augen, mit denen sie uns angesehen hat«, sagte Schlossareck, sonst bloß gedanken-, willen- und gefühlloser Mordgehilfe Schenks, zu seinem Meister, »die Augen werde ich, meiner Seel, nie vergessen.«

Diese Tat fällt bereits in jene Periode des Schenkschen Schaffens, in der er sich zur Erkenntnis durchgerungen hatte, bei Verbrechen müsse tabula rasa gemacht werden, jedes Opfer nicht bloß beraubt, sondern auch getötet, und alle Leute, die einen Anhaltspunkt zur Aufhellung der Tat geben könnten, ebenfalls. Eine solche Persönlichkeit war in diesem Falle die Tante der ermordeten Josefine Timal, Fräulein Katharina Timal in Budweis. Sie aus der Welt zu schaffen, schien aus zwei Gründen ratsam: erstens hatte Katharina Timal sich um ihre Nichte eifrig gekümmert, weshalb die Gefahr bestand, daß sie nach deren Verbleib forschen könnte, zweitens hatte sie Geld.

Schenk beschloß, sie »im Namen ihrer Nichte« einzuladen, zu dieser auf ihr Landgut bei Pöchlarn zu übersiedeln. Da er die Adresse Katharinas nicht wußte, fuhr er nach Vöslau, um die Schwester der Josefine nach der Adresse von Tante Katharina zu fragen.

Das war schnell erledigt, und es blieb ihm noch Zeit, ein junges hannoveranisches Kindermädchen auf der Straße anzusprechen, ihr ewige Liebe und Treue zu schwören, sie um Herz und Hand zu bitten, das Jawort zu erhalten, ihr sein Lebensgeheimnis zu enthüllen, daß er der Fürst Winipolski sei und wegen polnischer Propaganda vom Zaren verfolgt, die Höhe ihrer Ersparnisse zu erkunden, den Termin der Hochzeit in Wien zu besprechen und ihr strengstes Stillschweigen aufzutragen – ohne daß diese Überfülle von Erklärungen und Verpflichtungen dem jungen Mädchen aus den achtziger Jahren damals oder im Laufe der nächsten vier Jahrzehnte irgendwie auffiel.

Ob er ihr schon das erstemal die Rosen und das Ringlein mit dem weißen Saphir (welchem seiner Opfer mag er es abgenommen haben?) geschenkt oder ob er noch ein zweites Mal in Vöslau zu Besuch war, wissen wir nicht.

In den Akten steht bloß, daß des verlobten Herrn ehelich angetrautes Weib, die ahnungslose Frau Wanda, aus Prag, wo Schenk sie untergebracht hatte, verzweifelt nach Wien reiste, um ihn wiederzugewinnen; Wanda kehrte unverrichteterdinge zurück und fand schließlich in Saaz im Hause eines Hopfenhändlers eine Anstellung als Gouvernante. Außerdem kam Katharina Timal aus Budweis, der vermeintlichen Einladung ihrer jungverheirateten Nichte Folge leistend, in Wien an. Ihr neuer Neffe, Hermann Siegel, erwartete sie und fuhr mit ihr am 21. Juli nach Krumm-Nußbaum. Nachts gingen sie gegen das »Gut« zu, als Schlossareck mit Karl Schenk, dem Bruder Hugos, am Donauufer an sie herantraten: »Brauchen Sie einen Fährmann?« Hugo bejahte – das verabredete Zeichen –, und im selben Augenblick fielen Karl Schenk von vorne, Schlossareck von hinten über die Timal her, um sie zu erwürgen. Da sie sich verzweifelt wehrte, schnitt Hugo Schenk ihr mit einem Schlachtmesser Hals und Kehle durch. Dann nahmen die Mordkumpane der Sterbenden Schmuck und ein auf zwölfhundert Gulden sechzig Kreuzer lautendes Sparkassenbuch ab, banden ihr einen Stein um den Leib und warfen sie ins Wasser. Tags darauf behob Hugo Schenk in Wien die Spareinlage und machte mit Emilie Höchstmann, einem wohlhabenden Bürgermädchen, das er seit langem mit seinen Nachstellungen verfolgte, eine Landpartie nach Melk; dort gestalteten sich die Beziehungen endlich nach seinem Wunsch.

Am selben Tag putzte sich unsere Klara in Vöslau schön heraus; sie erwartete ihren Geliebten. Er kam nicht, sondern schrieb – unmittelbar nach der Ermordung der Katharina Timal – folgenden Brief an das Mädchen:

»Wien, 25. Juli 1883

Verehrtes Fräulein!

Ich bestätige den Empfang Ihres w. Schreibens vom 22. und muß nur bedauern, daß ich Sonntag nicht zurecht kommen konnte, da ich Ihr Schreiben viel zu spät erhielt.

Es hätte auch meinem Herzenswunsch entsprochen, mit Ihnen den Sonntag auf dem Lande zu verbringen, doch kam Ihr Brief erst gestern an. Heute ist es leider zu spät, denn ich nehme an, daß Sie in den nächsten Tagen nach H. verreisen werden. Ich hätte Sie dann gerne in Wien erwartet, aber ich reise heute abends nach Ungarn, um Holz einzukaufen, was mich ein bis zwei Wochen aufhalten wird.

Reisen Sie glücklich, verehrtes Fräulein, ich hoffe bestimmt, daß Sie in Ihrer Heimat die Versprechungen nicht vergessen werden, die wir uns gegenseitig gegeben haben, und an denen ich mit ganzem Herzen festhalte.

Mit innigen Grüßen zeichne ich mich

Siegel,       
Ingenieur.«

Der Brief ist, wie alle, auf weißem Bogen, mit ausgeschriebener Hand Und in flüssigem Stil geschrieben; Schenk war der Sohn eines Kreisgerichtsrates in Teschen, hatte gute Schulbildung genossen und war, trotzdem er erst vierunddreißig Jahre zählte, ein ziemlich weitgereister Mann. Sein nächstes Schreiben an Klara ist schon nach Hannover gerichtet, nach einer neuerlichen Bluttat, die er diesmal allein begangen hatte. Am 5. August 1883 war er mit dem bildhübschen Stubenmädchen Therese Ketterl nach Lilienfeld gefahren und hatte sie in eine einsame Gebirgsschlucht, die »Sternleiter«, geführt, wo er sie erschoß. Bei Gericht gab er allerdings an, er habe seiner Begleiterin gezeigt, daß sein Revolver ungeladen sei; später habe er unauffällig eine Patrone eingeschoben und sie veranlaßt, den Revolver – »spaßhalber« – gegen ihren Kopf abzudrücken. Den Leichnam beraubte Hugo Schenk vollständig, zog ihm sogar Kleider und Wäsche aus und versenkte ihn in den Fluß. Drei Tage darauf schreibt er an Klara nach Hannover:

»Wien, 8. August 1883

Verehrtes Fräulein!

Anzeige Ihnen, daß ich von meiner Geschäftsreise zurückgekehrt bin, habe viele Aufregungen hinter mir, doch glaube ich alles gut erledigt zu haben, so daß unsere Zukunft jetzt heller erscheint. Ich fand Ihre beiden l. Briefe und können Sie sich denken, wie ich mich freute.

Ich vertraue Ihnen vollkommen, wie Sie auch mir vertrauen können. Das Leben hat viele ernste Momente, doch mit Mut und Geduld kann man alles überwinden. Auch Haß und Mißgunst können nichts ausrichten gegen die Einigkeit zweier treuer Herzen.

Ich würde Ihnen raten, alle notwendigen Papiere sich von Ihren w. Eltern schicken zu lassen, und auch alles andere bereit zu halten. Sie werden von mir sehr bald erfahren, was ich für uns beide beschlossen habe, und glaube ich, daß dann unser Glück vollkommen sein wird.

Seien Sie vielmals und aufrichtig innig gegrüßt

von Ihrem              
Hermann S.«

Der Brief, mit dem er sich ein neues Opfer sichert, ist um so bemerkenswerter, als die letzte Beute – diesmal muß er sie weder mit seinem Bruder noch mit Schlossareck teilen – so beträchtlich ist, daß er sich wahrlich eine Zeitlang Ruhe gönnen könnte; hat er doch die Depots der Ketterl in der Höhe von 813 Gulden und 364 Gulden 58 Kreuzer behoben, für die Wertpapiere in der Wechselstube »Merkur« 1400 Gulden bekommen und dem Leichnam außerdem ziemlich teuren Schmuck geraubt.

Mit Emilie Höchstmann, die der Mädchenmörder wirklich zu lieben scheint, fährt er nun nach Stein – nicht ohne vorher der zum nächsten Opfer ausersehenen Klara obige Sentenzen mitzuteilen, daß das Leben viele ernste Momente habe, Mut und Geduld alles überwinden können und dergleichen. Dem Schwager der Höchstmann richtet er vom Gelde der toten Ketterl einen Blumenladen in Stettin ein und verbringt den Rest der Flitterwochen in Wien, wo bereits Plakate das Verschwinden der Ketterl anzeigen und den Verdacht eines Raubmordes aussprechen.

Vielleicht denkt er nunmehr daran, einige Zeit zu pausieren, jedoch Klara bombardiert ihn mit Liebesbriefen, sie drängt sich zu ihrem Glück. Er antwortet nicht. Als sie ihm anzeigt, daß sie am 1. September nach Wien abreisen wolle, winkt er ab. Postkarte genügt:

»Wien, 25. August 1883

Verehrtes Frl.!

Ein Telegramm zwingt mich, auf einige Zeit zu verreisen, und muß Sie daher bitten, Ihre Abreise zu verschieben, bis ich Ihnen meine Rückkunft anzeige, welches hoffentlich recht bald der Fall sein wird.

Mit vielen Grüßen zeichne ich mich

Hermann S.«

Hermann S. arbeitet an neuen Dingen. Die Zofe Josefine Eder braucht er gar nicht zu ermorden; sie ist so sehr sein willenloses Instrument, daß sie ihm ohne äußere Nötigung ihre Ersparnisse ausliefert und ihre Herrin, die Baronin Malfatti, bestiehlt, um den Schmuck ihrem Bräutigam zu bringen. Außerdem hat Schenk das Stubenmädchen Rosa Ferenczy aufs Korn genommen, die ein Vermögen von achthundert Gulden hat. Aber sie hat ihr Sparkassenbuch verloren, und die Amortisation muß durchgeführt werden, bevor Schenk darangehen kann, sie umzubringen. Inzwischen verlangt Schlossareck, dessen Anteile immer gering gewesen sind und der von der Ketterl überhaupt nichts gehabt hat, aus Geldmangel die Ausführung neuer Taten. Da schreibt Schenk an mehrere seiner Reservebräute – das Gericht stellte später fest, daß er deren acht besaß – und knüpft die gelockerten Beziehungen fester. Unsere Klara bekommt diesen Brief:

»Wien, am 12. Oktober 1883

Verehrtes Fräulein Klara,

mitteile Ihnen voller Freude, daß ich gesund zurückgekehrt bin und daß Ihre Briefe vorgefunden habe. Ich bin sehr schmerzlich überrascht, weil Sie an meiner Treue verzagt sind, ich bin ein Mann von Wort und was ich mir vornehme, führe ich durch, auch wenn sich noch so unermeßliche Schwierigkeiten gegen mich türmen.

Seien Sie versichert, daß auch ich der schönen Stunden in V. mich gerne erinnere und nichts sehnlicher wünsche, wie unsere endliche Vereinigung.

Schreiben Sie mir, wann Sie nach hier kommen können, damit ich, mit Berufsgeschäften und ‑sorgen überhäuft, alles einrichten kann.

Nehmen Sie nochmals die Versicherung meiner vollsten Liebe und Ergebenheit entgegen von Ihrem

Hermann S., Ingenieur,      
Westbahn Wien, postrestante.«

Ein Überfall, den die beiden Schenks und Schlossareck auf einen Postboten zwischen Pöchlarn und Artstetten unternehmen wollen, schlägt fehl; ein Einbruch, um die Familie des Postmeisters zu ermorden, stellt sich als undurchführbar heraus, die Rosa Ferenczy ist noch nicht reif zum Raubmord, da sich die Amortisation des Einlagebuches verzögert, und Klara, die am 1. September Hannover verlassen wollte, schreibt anscheinend, auf die Postkarte hin bleibe sie noch, und zwar habe sie sich ihrer Herrschaft gegenüber verpflichten müssen, noch mindestens ein Vierteljahr im Dienst zu bleiben, sonst wäre sie nicht von neuem angestellt worden. Die Antwort ihres Bräutigams lautet:

»Wien, 2. November 1883

Verehrtes Fräulein Klara, bestätige Ihnen Ihre beiden Briefe vom 18. und 26. Oktober und bin sehr traurig, daß Sie sich auf so lange Zeit verpflichtet haben. Ich habe unsere Vereinigung, die ich so sehr ersehne, für diese Tage erwartet, und bin sehr traurig, daß ich bis Neujahr warten muß. Schreiben Sie mir, wann Sie eintreffen, da ich Sie sehnsüchtig am Bahnhof erwarten werde.

In meinem Leben ist unerwartet eine sehr günstige Wendung eingetreten, ich gebe Ihnen die bestimmte Versicherung, daß sich unsere Zukunft sehr günstig gestalten wird.

Vergessen Sie nicht, die Papiere mitzubringen, und alles andere, damit nichts verzögert, ich habe hier bereits alle Vorbereitungen getroffen.

Mit der Hoffnung auf endliches baldiges Wiedersehen, empfiehlt sich Ihnen Ihr Sie liebender

H. S.,    
Ingenieur.«

Westbahn postlagernd.

Der letzte Brief, den Schenk an seine Braut schreibt und in dem er ihr – vielleicht wirklich – aufrichtigen Herzens ein glückliches Weihnachtsfest wünscht, »weil es doch das letzte ist . . .«, trifft auch alle Anordnungen wegen der Ankunft.

»Wien, am 10. Dezember 1883

Verehrtes Fräulein Klara, wie ich aus Ihrem letzten 1. Briefe vom 1. d. M. sehe, haben Sie alles so erledigt, wie ich es nicht besser wünschen kann. Betreffs Ihrer Befürchtung kann ich Sie vollkommen beruhigen, ich bin ein freiheitlicher Mann und habe keine Vorurteile.

Bewahren Sie mir nur Ihre w. Zuneigung und Vertrauen und seien Sie versichert, daß ich Gleiches mit Gleichem vergelten und meine Zärtlichkeit niemals erkalten wird. Ich wünsche Ihnen aus aufrichtigstem Herzen ein glücklichstes Weihnachtsfest, weil es doch das letzte ist, das Sie in ledigem Stande verbringen.

Abreisen Sie also am 1. n. M., nehmen Sie alles mit, und schreiben Sie mir noch die Stunde Ihrer Ankunft. Ich werde auf dem Perron warten, wenn ich in Wien bin. Sonst gehen Sie ins Hotel ›Zur gold. Spinne‹ auf der Landstraße, wo ich ein Zimmer reservieren werde. Es kann nämlich sein, daß mich eine wichtige unaufschiebbare Angelegenheit zu einer kurzen Reise zwingt (Geschäftlich.).

Nehmen Sie die Versicherung meiner vollsten Ehrenhaftigkeit, mit der ich mich zeichne

Siegel,   
Ingenieur.

Bitte, antworten Sie mir noch umgehend.

H. K. S.                    
Westbahn Wien, postrestante.«

Zwischen Lipp' und Kelchesrand . . . Eine Woche nach Absendung des Briefes trifft endlich die Zuschrift der Sparkasse an Rosa Ferenczy ein, daß die Amortisation durchgeführt wurde und der Behebung des Betrages nichts im Wege stehe. Nun wird in der Nähe von Preßburg am rechten Donauufer die Mordstätte ausfindig gemacht und an Ort und Stelle alles besprochen. Am 28. Dezember reist Schenk mit der Ferenczy nach Preßburg, Schlossareck und Karl Schenk, die Hugo als seine Freunde vorstellt, fahren mit. Nachdem sie gegessen haben, begeben sich alle auf den ausgesuchten Platz. Dort schlägt Schlossareck mit einer Hacke, die er in einem Sack bei sich trug, das Mädchen nieder, dann nimmt Hugo Schenk das Beil und vollendet das Werk, indem er ihr die Schädeldecke zertrümmert. Die Leiche wird durchsucht, Ohrgehänge und Perlenarmband abgenommen (es sind Geschenke Schenks, durch Josefine Eder der Baronin Malfatti gestohlen) und vor allem das Sparkassenbuch. Man wirft die Tote, steinbeschwert, in die Donau.

Schenk wird vorsichtig. Die Amortisation des Einlagebuches könnte in Verbindung mit dem Verschwinden der Ferenczy und der Auszahlung des Gesamtbetrages Verdacht erregen; auch kennen ihn die Dienstgeber des verschwundenen Mädchens. Tagsüber hält er sich in der Wohnung seines Bruders oder Schlossarecks auf. Er denkt nicht daran, die Briefe Klaras abzuholen, geschweige denn die Braut zu erwarten.

Klara kommt an, und da ihr Bräutigam nicht am Bahnhof ist, geht sie ins Hotel »Zur goldenen Spinne«. Kein Zimmer reserviert, ihr Bräutigam unbekannt. Sie bleibt. Auf dem Bahnhofspostamt erfährt sie, daß ihre letzten Briefe nicht behoben sind. Vielleicht hat er ihr nach Hannover geschrieben. Sie fährt nach Hannover zurück. Auch hier nichts. Nun, vielleicht hat er keine Zeit. Ihr Vertrauen ist nicht erschüttert.

Schenk wird entdeckt und festgenommen. Man macht ihm schon im März vor dem Senat des Ausnahmegerichtes den Prozeß. Am 22. April 1884 baumelt er neben Schlossareck als einer der bestialischsten Mörder am Galgen.

Klara aber wartet noch immer auf ihn. Briefe, Rosen und Ring sind ihr Heiligtum. Und die Erinnerung an ihren Fürsten, der so vornehm und zurückhaltend war, wie keiner der Männer, denen sie je begegnet. Sie wartet auf ihn seit zweiundvierzig Jahren und ist überzeugt, er wird wiederkehren und sie heiraten.

 


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