Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der hingerichtete Stifter eines Denkmals

Eine Spur vergaß die Kirche zu beseitigen, als sie einst einen Ketzer restlos von Gottes Erdboden zu vertilgen glaubte, indem sie seinen Körper verbrannte und die Asche in alle Winde streute. Nicht einmal seinen Namen, unter dem ihm viele Christen anhingen, vermerkte man im Hinrichtungsprotokoll. Er sollte ausgelöscht sein. Und doch vergaß die heilige Inquisition eine Spur zu beseitigen.

Er, Jakopos Olympidarios Paläologos, hat das Monument, das im Oberstock des Prager Carolinums in die Korridorwand eingelassen ist, zu Ehren des Magisters Matthäus Collinus von Choteřina errichtet. Das rotmarmorne Relief des Lehrers hat im Lauf der Jahrhunderte die Nase eingebüßt; unbeschädigt aber blieben Homers Werke, die er aufgeschlagen in der Hand hält, Anfang der Odyssee und Ende der Ilias. Buchstaben auf den Lorbeerbäumen ergeben die Widmung: »Dies, Collinus, setzt dir für deine Verdienste der durch seine Verbannung geadelte Jakobus Paläologus. – Du, der du mich aufnahmst nach meinen unglücklichen Fahrten, empfange die dankbaren Zeichen meiner Freundschaft.« Eine griechische Inschrift besagt:

»Gott sei dem Anfang und dem Ende. – Dem Matthäus Collinus von Choteřina aus Kauřim, dem gastlichen Manne, einem Freunde der Hellenen und Lehrer der griechischen Sprache, setzte diesen Denkstein Jakopos Olympidarios Paläologos, ein Vertriebener, der, in Chios geboren, unschuldig vor Gericht gestellt, überall verfolgt und nur in Böhmen aufgenommen wurde, wo er noch unter vielen Unbilden lebt, im Jahre 1568.«

Jakopos Paläologos war seiner Angabe nach ein Abkömmling des gefallenen letzten Griechenkaisers, dessen Familie nach dem Sturz Konstantinopels1453 Fall des Byzantinischen Reiches. auf der Insel Chios Obdach fand. Aber die in Smyrna herrschenden Türken forderten von den Griechen die Auslieferung der Paläologen, weswegen diese sich zur abermaligen Flucht genötigt sahen. Der Vater des Jakopos mußte in Rom der griechischen Religion abschwören und seine beiden Söhne in den Dominikanerorden eintreten lassen. Während der ältere die höchsten Stufen der katholischen Hierarchie erklomm und schließlich vatikanischer Kardinal wurde, entsprang Jakopos aus dem Bereich der Klostermauern, um für die Vereinigung der evangelischen und der griechischen Kirche einzutreten, der Propagierung wissenschaftlicher und freiheitlicher Ideale sein Leben zu weihen.

In Prag, wohin er sich über die österreichischen Erblande wandte, wirkte sein Eintreffen auf die Sodalitas literaria, eine Gelehrtenrepublik von streng humanistischer Prägung, wie die Erfüllung eines Wunsches, den man nie zu wünschen gewagt. Aus dem Land der Griechen kam der Gast, aus dem Land der Griechen, das man wahrhaftig mit der Seele suchte, und dem Kaiserhaus von Byzanz war er entsprossen, und über seiner Wiege hatte die Sonne von Chios gelächelt, die Sonne Homers! Scheint nicht die Hasenburg auf dem Smichow im Abenddämmer der Feste des Priamos zu gleichen?

Am 4. Juni 1566 starb der Führer der Prager Hellenophilen, der Magister Matthäus Collinus von Choteřina, und Paläolog, durch Heirat mit einer Altstädter Patriziertochter zu Bürgerrecht und großem Vermögen gekommen, wollte im Magno Collegio Carolino Pragensi eine Gedenktafel für ihn errichten. Der Senat der Universität lehnte dieses Angebot ab, weil sich die von Rom aus gegen Paläolog eingeleiteten Verfolgungen fühlbar machten.

Brus von Müglitz, erster Erzbischof von Prag seit hundertvierzig Jahren, seit der Hussitenzeit, war gleich nach seiner Ernennung zum Konzil nach Trient gefahren und hatte von dort aus beim Erzherzog Ferdinand, dem Bruder Kaiser Maximilians II., den Paläolog weidlich verketzert. Aber kein Wort steht in des Erzbischofs fulminanter Anklage von irgendwelchen Verfehlungen Paläologs gegen weltliche Gesetze, kein Wort davon, daß er seinen Namen mit Unrecht trage oder sich die Abstammung aus kaiserlichem Hause nur anmaße, ein Vorwurf, der auf den habsburgischen Adressaten entscheidend gewirkt hätte. Diese Lügen waren nur gut für das profane Volk, sie traten erst später auf den Plan und machten sich noch nach Jahrhunderten geltend. Wie ungeheuer die zeitgenössische Katholität vor den Lehren »des Mönchen« Paläolog zitterte, beweist vor allem dieser Geheimbericht vom großen, welthistorischen Konzil:

». . . und soll Eure Fürstliche Durchlaucht gnädigst als gewiß glauben, daß desselben Mönchen eigenen Handschriften vorhanden sind, darinnen er alle Ketzerei, die in der gedruckten Exkommunikationsbulle gemeldet sind, selbst bekannt hat. Dazu ist noch vorhanden ein ganzer Haufen Zeugnisse gegen ihn, und zwar nicht von schlechten Leuten; so sind allhier mehr denn hundert Personen, gelehrte Leute, Bischöfe und Theologen, denen ich glauben müßte, auch wenn mein Hals in Gefahr stünde, welche ihm allesamt unrecht geben und sagen, er gehe nur darauf aus, mehr Leute in Verdacht und sich selbst in Vergessenheit zu bringen. Er sei aber so halsstarrig, daß ihm weder zu helfen noch zu raten sei; so haben ihm der General des Prediger-Ordens und zwei Herren Kardinäle bei Seiner Päpstlichen Heiligkeit Gnade und Barmherzigkeit erlangt, er aber will in seinem Hochmut keine annehmen, sondern schreiet nach Gerechtigkeit und will doch der Gerechtigkeit seines Gefallens weder Ziel noch Maß setzen; nachdem er anderer Leute Unglimpf sucht, hat er seine Sache nur ärger gemacht, so daß man ihm heftiger nachtrachtet . . .«

Diese aufschlußreiche Denunziation, der alsbald auf dem Trientiner Konzil von der Hand des Bischofs Drascovich eine zweite folgte, übte keine bleibende Wirkung aus. Zuviel Freunde besaß Paläolog in Prag, ihr Einfluß reichte an den Wiener Hof, und als gar ein kaiserlicher Schutzbrief für ihn an den Prager Erzbischof ergangen war, brauchte er sich keinen Besorgnissen hinzugeben.

Gegen die Abweisung seiner Denkmalstiftung erhob er bei der Statthalterschaft Protest. Nunmehr erschien eine Deputation des Senats vor dem Oberstlandrichter Böhmens und deutete an, Paläolog werde keineswegs bloß wegen seiner Klosterflucht verfolgt, er habe sich auch gegen die weltlichen Gesetze vergangen; »Paläologos« sei gar nicht sein richtiger Name, sondern »Pietro Mascellara (Massilare)«.

Trotz dieser Verdächtigungen verfügte die Statthalterei, dem Paläolog sei bei der Aufstellung des Monumentes für Magister Collinus von Seiten des Senats kein Hindernis in den Weg zu legen. Der kurz darauf unternommene Versuch der Kurie, durch einen römischen Sendling den agitierenden Expriester verhaften und in die Höhlen der Inquisition verschleppen zu lassen, mißglückte.

Roms Rache mußte auf ihre Stunde warten. Sie kam. In seinem Hause »Zu den vier Kelchen« bewirtete der Grieche Freigeister und gewährte auch einem aus dem Agneskloster geflüchteten Mönch gastliches Obdach. Die Kirche beschuldigte selbstverständlich den Entwichenen des Verbrechens, klösterliches Eigentum mitgenommen zu haben (die Kutte?), und so erschien der Altstädter Vizerichter bei Paläolog, um die Auslieferung des Mönchs zu verlangen. Der aber war bereits über alle Berge.

Nunmehr erhob die Klerisei gegen Paläolog die Anklage, er habe einem Kuttenflüchtling und Dieb dazu verholfen, aus der Stadt zu entkommen, und durch eine verbrecherische Tat erlösche der kaiserliche Schutzbrief. Der Vizerichter wurde beauftragt, den unbequemen Ausländer dingfest zu machen. Am 30. März 1571 wurde sein Haus umstellt, die Büttel drangen ein, fanden Paläolog angeblich in einer Eisentruhe, die er von innen versperrt hatte, und überführten ihn zunächst in das Stadtgefängnis Spinka, von wo er nach Monatsfrist in das Staatsgefängnis Podiebrad gebracht wurde.

Während der Eingekerkerte keiner Verleumdung entgegentreten konnte, fütterte man die Öffentlichkeit mit Schauergeschichten über sein Vorleben, so daß selbst seine Freunde die Lust verloren, sich für ihn einzusetzen. Noch rettete ihn das kaiserliche Wort vor der Verschleppung nach Rom, er kam mit der Ausweisung davon.

Unstet irrte er in Siebenbürgen, Polen und Mähren umher, wirkend gegen die Trinitatier und gegen die Papisten, für die Unitarier und für den Humanismus. In Ungarisch-Brod ergriffen ihn zu Weihnachten 1581 die Reisigen des Olmützer Bischofs und schafften ihn in die Haft des Klosterneuburger Stiftes.

Jetzt hilft nichts mehr dem Paläologen. Rudolph II. ist kein Maximilian; Rudolph II., in spanischen Klöstern erzogen, hat nicht mehr die Nachwirkungen der Konstanzer Ketzerverbrennung erlebt und läßt es zu, daß das ausgebrochene Wild des Papstes in dessen Revier zurückgetrieben werde.

Zu Rom, in einer Zelle der Propaganda fideKirchliche Institution zur Verbreitung des Katholizismus., leistet Paläolog zwei Jahre lang allen Überredungskünsten, allen Drohungen und allen Martern und allen Lockungen heroischen Widerstand, lehnt es ab, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren, die ihm als heidnisch geltende Lehre von drei Gottheiten anzuerkennen, und so wird er als »hartnäckiger Ketzer« zum Feuertod verurteilt.

Am 19. Februar 1583 führt man ihn mit zwei MaranenWährend der Judenverfolgungen im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert getaufte, aber insgeheim ihrer Religion treugebliebene Juden. und einem abtrünnigen Karmeliter auf das Campo di fiore zum Scheiterhaufen. An einem der portugiesischen Juden, der verstockt bleibt, und an dem Karmeliter wird die Strafe vollzogen. Der andere Marane bekehrt sich im Anblick des hungrigen Holzstoßes, wird daher gnadenhalber erdrosselt und erst als Leiche den Flammen übergeben.

Paläolog hatte sich unterwegs den Überredungskünsten des Kardinals d'Este und anderer hoher Geistlicher widersetzt, aber schließlich fügte er sich ihrem Drängen, den Wunsch nach Begnadigung zu äußern. So bringt man ihn in ein benachbartes Haus, wo der päpstliche Bescheid abgewartet wird. Der lautet: »Paläolog soll vom Scheiterhaufen herab mit lauter Stimme seine Lästerungen abschwören, ein Notar möge über den Wortlaut dieses Widerrufs ein Protokoll aufnehmen, und Paläolog habe eine eigenhändige Botschaft an alle seine Anhänger in Deutschland zu richten, worin er seine Lehre als irrig erkläre. Hernach werde er wieder ins Gefängnis zurückgeführt werden.«

Aber mit der Bußfertigkeit des Abtrünnigen ist es nicht weit her, er denkt gar nicht daran, diese Bedingungen anzunehmen, und hält seine ketzerischen Ansichten mit einer »eloquenza incredibile« (unglaublichen Beredsamkeit) gegenüber den Kardinälen aufrecht, die zu ihm kommen, um seine Seele zu heilen, seinen Körper zu retten.

Schon eine Woche nach dem abgesagten Autodafé ist die Mehrheit der zu einer eigenen Kongregation zusammengetretenen Kirchenfürsten dafür, es neuerlich anzuberaumen, aber der Papst schiebt seine Entscheidung auf.

Erst nach flehentlichen Bekehrungsversuchen, die abermals zwei Jahre währen, wird Paläolog zum Feuertode verdammt. Kardinal Paleotto, Erzbischof von Bologna, bittet für den Verurteilten, seinen Bruder. Und Papst Gregor XIII., der kaum drei Wochen später sterben wird, »begnadigt« den Unglücklichen dazu, vor seiner Verbrennung enthauptet zu werden.

Am 22. März 1585 wird Jakopos Olympidarios Paläologos vor der Kirche des Ordens, aus dem er etwa dreißig Jahre zuvor desertierte, von der heiligen Inquisition dem weltlichen Henker übergeben, der ihm den Kopf vom Leibe trennt; daß Paläologos sich bei dieser Gelegenheit (unter dem Beistand eines Klerikers Baronius) reuig zum Katholizismus bekehrt haben soll – eine Behauptung, die bei allen kirchlich veranlaßten Hinrichtungen wiederkehrt –, kann in diesem Fall am allerwenigsten stimmen, da ihn ja solche Bekehrung sofort gerettet hätte. Den Leichnam wirft man den Flammen zum Fraß vor, die Asche des verreckten Ketzers verstreut man nach allen Seiten; in den Protokollen führt man den Hingerichteten als »Pietro di Mascellara alias Paleologo« an, auf daß nichts von dem verruchten Gottesleugner auf Erden übrigbleibe. Die Exemplare seiner Schriften sind mit lückenloser Gründlichkeit vernichtet worden: nicht einmal ihre Titel kennt man mehr.

Aber eine Spur vergaß man zu beseitigen: im Prager Carolinum ein Denkmal, das er seinem Freunde und so auch sich selbst gesetzt.

 


 << zurück weiter >>