Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Bombenattentat gegen die Polizei

Um halb zwei Uhr nachts werden die Bewohner der Ferdinandstraße durch eine Detonation geweckt. Fensterscheiben splittern, Sprengstücke fliegen bis in die Wohnungen des dritten Stockwerkes. Keller und Gänge des Polizeidirektionsgebäudes füllen sich mit Pulverdampf.

Man stellt fest: eine alte österreichische sechspfündige Granate ist von der Straße aus durch eine Kelleröffnung in das Innere des Polizeihauses gelegt und mittels Zündschnur in Brand gesteckt worden.

Die Prager Polizei, kurz vorher verstaatlicht, da die Gemeindepolizei Demonstrationen vor dem Deutschen Hause nicht verhindert hat, fühlt sich verhöhnt und bedroht. Vielleicht wollten die Täter sagen: »Seht her, ihr könnt euch ja nicht einmal selber schützen!« Vielleicht aber soll es jetzt mit Bomben gegen alle österreichischen Ämter losgehen. In Prag gärt es ohnedies.

An allen Straßenecken werden Plakate angeschlagen: »Tausend Gulden ö. W. für zweckdienliche Angaben, die zur Ergreifung des Täters . . .« Der k. u. k. Hofrat und Polizeidirektor ist persönlich auf dieser Belohnungszusicherung unterschrieben, Albert Sedlaczek, Ritter von Granthal. Tausend Gulden ö. W. – das ist viel Geld. Sie erhöhen die Explosionswirkung der geplatzten Bombe. Aber sie bewirken auch, daß man schon am nächsten Morgen, am 12. Juni 1869, den Haupttäter festnimmt und bald darauf seine Mitschuldigen.

In dem Zimmer in der Ziegengasse, wo man den einundzwanzig Jahre alten Vinzenz Kerber verhaftet, der ausgelernter Maschinenschlosser ist und jetzt von einer Bibliothekarstelle beim Arbeiterbildungsverein »Oul« lebt, findet man eine Druckerpresse mit Zubehör, galvanoplastische Prägestöcke zur Herstellung von Zehnkreuzer-Stücken, Statuten des Vereines »Jednatelstvi z Blaníka« (»Agentur vom Blanikberg«), deren erster Paragraph sich »die Befreiung Böhmens aus dem Sklavenjoche des österreichischen Deutschtums« zum Ziel steckt, und Manuskripte für eine geheime Zeitung, darunter einen »Absagebrief an Franz Joseph, Kaiser von Österreich«. Auch Exemplare jener Flugblätter und Plakate werden beschlagnahmt, die während der letzten zwei Jahre in Hauseingänge gelegt und in Türspalten gesteckt worden waren, mit solchem oder ähnlichem Text: »Kein Ausgleich! Der Augenblick unserer Befreiung naht, und wer von dem tyrannischen Österreich Gnade erbetteln wollte, würde sich des Verrates an der Nation schuldig machen. Ein Pereat dem Vampir, der an unserem Blute, an unserer Bildung und unserer Freiheit zehrt. Seien wir auf der Hut. J. Z. B.« Auf Zetteln ist der Text eines Liedes von der Schlacht auf dem Weißen Berge gedruckt, das in der Übersetzung lautet:

»Kennst du das Grab?
Wilder Sturm tobt über Prag,
Trauernd stirbt der bange Tag.
Hoch vom Turm die Glocken klingen,
In den Staub die Helden sinken,
Und der Weiße Berg wird rot,
Rot vom Blut, dort wohnt der Tod.

Wer rächt uns wohl?
Jener Donner alter Zeiten,
Jener Geist, in dem wir streiten,
Der uns Jahre sonder Zahl
Dulden ließ die Marterqual,
Schmiedet uns das Schwert der Tat!
Harret aus, der Rächer naht!

Wann kommt die Zeit?
Trüb noch blickt das Aug zur Stunde,
Immer blutet noch die Wunde,
Unsrer Väter Gräber schänden
Mörder noch mit fremden Händen.
Zu den Schwertern! Seid bereit,
Denn es kam die rechte Zeit!«

Mit Kerber werden die anderen Führer der Agentur vom Blanikberg ausgeforscht und dem Strafgericht eingeliefert: der Tapezierergehilfe Ottokar Fiala, genannt Kopřiva, zweiundzwanzig Jahre alt; der Realgymnasiast Franz Kolaci und der Arbeiter Johann Ladislaus Chalupa; der vierundzwanzig Jahre alte Versicherungsbeamte Wilhelm Kerber, ein Bruder des Hauptbelasteten Vinzenz, und der dreiundvierzig Jahre alte Verzehrungssteuereinnehmer Alois Großmann. Mehr als ein halbes Jahr sind sie in Untersuchungshaft. Sie fühlen, daß sie die zustimmende Aufmerksamkeit ihrer Volksgenossen gewonnen haben, sie stoßen Rufe aus: »Sláva der tschechischen Republik! Hoch die Insurgenten! Nieder mit den Deutschen! Tod dem Kaiser!«, und sie singen ein von Wilhelm Kerber verfaßtes Lied: »A tu pražskou policii vyhodíme pumama . . .« (»Und die Prager Polizei werden wir mit Bomben verjagen.«) Sie schreiben in ihren Zellen zuversichtlich gehaltene Kassiber, und die Prager Polizei, ängstlich besorgt, daß die Volksstimmung auf die Richter abfärben und die Verhafteten vor Gericht zu glimpflich davonkommen könnten, beeilt sich, einen dieser Schmuggelbriefe, der aufgefangen worden ist, dem Ministerpräsidenten mit einer das k. k. Strafgericht direkt denunzierenden Einleitung zu übermitteln. »Dieser Brief enthält alles, worüber Fiala bei dem Strafgerichte einvernommen worden ist, und gibt einen eklatanten Beweis darüber, daß die Inhaftierten genau instruiert sind und auch danach beliebig mit der Außenwelt korrespondieren können!«

Vom 29. Januar bis 18. Februar 1870 dauert die Verhandlung gegen die Urheber des Attentats, achtzig Zeugen erscheinen vor der Barre, Gerichtssaal und Straße sind voll von Menschen. Da das Publikum, das voll Begeisterung für die Angeklagten ist, die Belastungszeugen durch Verhöhnung verwirrt, wird in der letzten Woche die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Es stellt sich heraus, daß der Handschuhmacher Wenzel Jedlička, ein Mitglied des Geheimbundes, die Anzeige gegen seine Freunde erstattet hat, um die Belohnung zu verdienen. Die Angeklagten verteidigen sich geschickt, sie schieben alle Schuld auf einen deutschen Schriftsteller Wilhelm Schaffner, der sich am 13. Juli 1869 in der Haft erhängt hat, und auf einen aus Böhmen flüchtigen Kürschner Kornalik. Der wegen Hochverrats verfolgte Leopold Schmid tritt plötzlich in den Verhandlungssaal, um zugunsten der Angeklagten auszusagen, und wird sogleich verhaftet. Der Angeklagte Vinzenz Kerber wird wegen Hochverrats, öffentlicher Gewalttätigkeit und Münzverfälschung zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt, Ottokar Fiala, vulgo Kopřiva, wegen Hochverrats zu sechs Jahren schweren Kerkers, verschärft durch Fasttage, und Wilhelm Kerber wegen Ruhestörung zu sieben Monaten schweren Kerkers.

 


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