Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Zwei Edelleute

Nur vierundzwanzig Lebensjahre lagen hinter Herrn François de Bassompierre, als er nach Prag kam. Seine bisherigen Lebensschicksale – so genau er sich auch jeder Kleinigkeit und jedes Datums bis in sein spätes Alter entsann und so ausführlich er auch alles in der Bastille niederschrieb – füllen kaum hundert Seiten seiner dickleibigen Memoirenbände.

Am 22. Januar 1604 rollte ihn die Postkutsche durch das Stadttor. Er kam von der Front. Hatte in Ungarn mit solcher Bravour gegen die Türken gefochten, daß General Christian Hermann Freiherr von Rußwurm ihn, den Sohn seines Todfeindes, zum Freund erkoren und nun in Prag erwartete; im Hause »Zum Schlüssel« auf dem Kleinseitner Ring, bei dem Historiographen Kocin, hatte er für Bassompierre Quartier machen lassen. Schon am nächsten Tag fuhr Rußwurm zeitig bei seinem jungen Kriegskameraden vor, ihn in die Hofburg zu bringen und im Wladislawschen Saal, in dem sich das Treiben eines Luxusbasars mit dem Korso der höfischen Welt vereinigte, den Räten Kaiser Rudolfs vorzustellen. Dann nahm ihn Rußwurm zu einem Diner beim Burggrafen von Karlstein, Herrn Johann von Vřesovic, mit, dessen Namen Bassompierre bei Niederschrift seiner Memoiren in »Perchtoris« oder wortspielend in »Prechesessoins« französiert.

Rußwurm, der alte Frauenjäger, hatte die burggräfliche Einladung angenommen, weil er Anna Sybilla nachstellte, der jüngsten von den vier Töchtern des Herrn von Vřesovic. Darüber, daß er den jungen Bassompierre mitbringen dürfe, war er sich klar; Bassompierre hatte ja während des Türkenkrieges mit einem Sohn des Burggrafen, mit Wolf Vřesovic, Freundschaft geschlossen.

Und wirklich muß der schlanke lothringische Edelmann, der schon für Frankreich gegen Savoyen und für Österreich gegen die Muselmanen gekämpft hatte, wohl empfangen worden sein. Vřesovic saß mit seinen sechs Kindern beim Diner. Der ältere seiner beiden Söhne war Großfalconiere des Kaisers; der jüngere, der im Vorjahre an Bassompierres Seite unter dem Befehl Rußwurms bei Ofen und Gran gekämpft hatte, bewarb sich eben um das Kommando eines Kavallerieregimentes und war daher eifrig bemüht, sich Gunst und Schutz des Generals Rußwurm zu sichern. Die älteste Tochter war Gräfin Millesimo, die zweite war mit dem Obersten Karl Kollowitz (mit dessen Bruder Siegfried Kollowitz ein Jahr vorher Bassompierre in Wien »brouderchaffte« getrunken hatte) vermählt, die dritte hieß Anna Esther, zählte achtzehn Jahre und war bereits Witwe; vor sechs Monaten war ihr Gatte, ein Edelmann namens Brichind, nach kaum einjähriger Ehe gestorben; auf die jüngste, das Kind Anna Sybilla, hat der Herr General es abgesehen.

Aber nur einer, der Anna Esther, rühmt Bassompierre ausgezeichnete Schönheit nach, und da es nach dem Essen zum Tanze kommt, vergafft er sich vollends in des Burggrafen drittes Töchterlein. Auch die blutjunge Witwe findet den Edelmann nicht übel. Einen Augenblick lang ist sie mit ihm allein im Zimmer, er offenbart ihr in leidenschaftlichen Ausdrücken seine Gefühle, und sie antwortet, indem sie ihm die Erlaubnis gibt, ihr zu schreiben, und die Plätze verrät, wo er ihr begegnen könnte.

Aufs höchste verliebt, verläßt er das Gastmahl, aber das hindert ihn nicht, sich am selben Abend noch in ein Liebesabenteuer mit schimpflichem Ausgang einzulassen. Allerdings trägt die Hauptschuld der wüste General Rußwurm.

Da er von der Tafel Vřesovic' fährt, erzählt er seinem jungen Freund von einer Vereinbarung, die er mit einem Wirt auf der Neustadt getroffen habe; sie werde zweihundert Dukaten kosten, aber eine gute Unterhaltung verbürgen. Dreihundert Schritte vom Haus entfernt lassen sie ihre Kalesche halten und treten mit einem böhmischen Pagen, der ihnen als Dolmetsch dienen soll, in die Wohnstube ein, darin der Wirt und dessen zwei jungfräuliche, sittsam mit Handarbeiten beschäftigte Töchter sitzen und nicht wenig erstaunen, zwei Fremde so ungeniert hereinkommen zu sehen.

Als es sich die Herren aber recht gemütlich machen wollen und Rußwurm auf seine Vereinbarung pocht, springt der Alte entsetzt auf, behauptet, daß er niemals dergleichen zugesagt habe, reißt das Fenster auf und schreit nach Leibeskräften: »Mörder! Mörder!«

Nun spielt sich eine brutale Szene ab, die Bassompierre in unverblümten Worten schildert, wenn er auch beteuert, mit innerem Widerstreben teilgenommen zu haben. Abwechselnd setzen beide dem Wirt den Dolch an die Kehle, abwechselnd versuchen sie die Mädchen zu umarmen . . . Aber die Nachbarschaft hat sich auf die Hilferufe des Bürgers hin zusammengerottet, man hört die Menge herankommen, General und Kapitän müssen loslassen.

Rußwurm (zum Wirt): »Wenn Sie nicht dafür sorgen, daß wir der Menge entkommen, so töte ich Sie!«

Um der Drohung mehr Nachdruck zu geben, drücken Rußwurm und Bassompierre die Spitzen ihrer Dolchmesser unter dem breiten Mantel des Bürgers, also für die Menge unsichtbar, an dessen Rippen. Derart verlassen die drei, scheinbar in bester Eintracht, das umlagerte Haus, und der eingeschüchterte Mann in der Mitte erklärt der Menge unausgesetzt, daß nur ein Mißverständnis vorliege. Schließlich lassen die beiden Abenteurer den Alten los und wollen ihre Schritte beschleunigen, aber kaum fühlt er sich frei, als er von neuem aus Leibeskräften schreit: »Morterioh! Mörder! Mörder!«

Die Menge beginnt daraufhin, den Fremden nachzurennen und sie mit einem Hagel von Steinen zu überschütten.

»Bruder, jetzt darf jeder nur an sich denken«, ruft der fliehende Marschall, »laufe! Wenn du hinfällst – ich werde dich nicht aufheben!«

Sie laufen, während die Steine auf sie niederprasseln. Rußwurm wird von einem wuchtigen Steinwurf in die Niere getroffen. Bassompierre hebt ihn auf, stützt ihn und hilft ihm, sich zwanzig Schritte weiterzuschleppen. Dort steht die Karosse, sie werfen sich hinein, der Kutscher schlägt wütend auf die Pferde los, jagt der Altstadt zu. Jetzt sind die beiden Kavaliere in Sicherheit . . . »den Klauen von mehr als vierhundert Personen entronnen«, bemerkt Bassompierre, in der Bastille an dieses Abenteuer zurückdenkend, das er mehr als drei Jahrzehnte vorher erlebt.

Die nächsten der Prager Tage Bassompierres sind ausgefüllt von Zusammenkünften mit Anna Esther, vom Ballspiel mit Adam von Waldstein (der Kaiser schaut dem Spiel aus seinem Fenster zu), von einer in spanischer Sprache geführten Audienz beim Herrscher und von Interventionen und Audienzen zugunsten seines Vetters, des Rheingrafen, der den Baron von Siray getötet hatte. Rudolf II. läßt durch den Grafen Fürstenberg dem jungen Bassompierre den Antrag stellen, als Obrist in kaiserlichen Diensten zu verbleiben. Bassompierre erklärt sich dazu bereit, da in Frankreich Frieden herrscht, vor allem aber, um in der Nähe seiner angebeteten Anna Esther bleiben zu können.

Sie und ihre von Rußwurm umschwärmte Schwester haben zugesagt, den Fasching in Prag zu verbringen. Dieses Versprechen kann nicht eingehalten werden: der alte Burggraf erkrankt und, was hilft's, die Burgfräulein müssen bei ihm in Karlstein bleiben.

Trotzdem verläuft der Karneval voll übermütiger Fröhlichkeit, voll Festlichkeit, Maskenaufzügen, Duellaffären, Hochzeitsmählern, Balletten, Kartenspiel mit Gewinsten und Verlusten von zweitausend bis dreitausend Talern. Bei einer solchen Quinolapartie geraten Adam Gallus Popel von Lobkowitz und Graf Wenzel Kinsky in Streit; am nächsten Tage schlagen sie sich, und Popel Lobkowitz wird am Fuß verwundet.

An seinem Krankenbett kommt es zu einer drolligen Affäre: der Großprior der Malteser, Theobald Matthäus von Lobkowitz (derselbe, der einige Jahre später im letzten Augenblick dem Schicksal entrinnt, aus der Prager Landstube gestürzt zu werden), preist in einem Gespräch den heiligen Johannes höher als St. Markus, während der anwesende Gesandte von Venedig den venezianischen Schutzpatron über alle anderen Heiligen stellt. Er läßt sich sogar dazu hinreißen, dem Johanniter gegenüber den heiligen Johannes zu beschimpfen. Das gibt zu einem regelrechten Ehrenhandel wegen zweier Apostel Anlaß, was bei Hof nicht wenig belacht wird.

Ernster und empörender in seinen Folgen ist ein Zusammenstoß auf dem Altstädter Ring zwischen acht anmaßenden Aristokraten und zweihundert Mann der Polizeiwache. Der Kaiserliche Oberststallmeister Ulrich Desiderius Pruskovsky heiratet nach kurzer Witwerschaft zum zweitenmal. Vier Tage währen die Hochzeitsfeierlichkeiten, und im Verlauf eines Maskenballes kommen Rußwurm, Bassompierre, Adam Waldstein d. J., genannt »Longo«, Wenzel Kinsky, Hermann Czernin von Chudenitz, je ein Graf Harrach, Wolff von Mansfeld und Schömberg auf die Idee, in ihren Kostümen maskiert einen Ritt durch die Stadt zu unternehmen. Sie reiten paarweise, voran Rußwurm und Bassompierre.

»Als wir am Rathause der Altstadt vorbeikamen, traten einige Wachleute auf uns zu und sagten in slawischer Sprache zu Rußwurm und mir, daß der Kaiser Maskenzüge in der Stadt verboten habe. Darauf gaben wir keine andere Antwort, als daß wir das Slawische nicht verstünden, und ritten weiter. Aber bevor wir zurückkehrten, begannen sie alle Zufahrtsstraßen zum Rathausplatz mit Ketten abzusperren, mit Ausnahme jener, in die wir einritten. Als wir sie passiert hatten, spannten sie auch hier vor uns und hinter uns je eine Kette. Sie ergriffen die Pferde des Grafen Mansfeld und des Schömberg und führten unsere beiden Freunde ins Gefängnis. Dann nahmen sie auch von Harrach, von Charmin (Czernin), von Waldstein und von Kinsky fest, welche, unwillig unter diesem Schimpfe leidend, keine Schwerter hatten, ihn zu verhindern. Rußwurm bemächtigte sich seines Degens und ich des meinen, die unsere Lakaien getragen hatten, und ohne sie aus der Scheide zu ziehen, achteten wir nur darauf, daß man den Zaum unserer Pferde nicht erfasse. Als ein Sergeant dies bei meinem Pferde versuchte, versetzte ihm Rußwurm mit seinem in der Scheide steckenden Degen einen solchen Hieb über die Hand, daß die Scheide sprang und der Mann ziemlich stark an der Hand verwundet wurde.

Nunmehr warfen sich mehr als zweihundert Mann der Stadtwache gegen uns, und wir zogen blank, um sie aufzuhalten. Aber bei jedem Ausfall, den wir machten, führten sie große Stöße mit dem Schafte ihrer Hellebarden gegen unsere Beine und Arme. Dies dauerte einige Zeit, als ein Stadtrichter aus dem Rathaus heraustrat, seinen Stock, den man ›Regimentsstock‹ nennt, erhob, worauf alle Schutzleute ihre Hellebarden auf die Erde setzten, ebenso senkte Rußwurm, den Gebrauch kennend, sein Schwert und rief mir zu, schnell das gleiche zu tun. Ich gehorchte, sonst wäre ich als Rebell gegen den Kaiser erklärt und gestraft worden.

Dann bat mich Rußwurm zu antworten, wenn der Stadtrichter etwas fragen sollte, damit man ihn nicht erkenne. Der Richter fragte mich, wer ich sei, und als ich ihm dies offen sagte, richtete er an mich die Frage, wer mein Gefährte sei; darauf erklärte ich ihm, daß dies Marschall Rußwurm sei. Als er dies hörte, begann er große Entschuldigungen zu stammeln. Aber der Rußwurm, der zuerst sehr ärgerlich darüber gewesen war, daß ich ihn verraten hatte, erkannte nun, daß ich nichts Besseres hätte tun können; er demaskierte sich wütend, bedrohte den Richter und die Wache, indem er erklärte, daß er sich beim Kaiser und beim Kanzler beschweren werde. Sie bemühten sich, so sehr sie es vermochten, ihn zu versöhnen, aber er war – ebenso wie ich – viel zu sehr geschlagen worden, um sich mit Worten zufriedenzustellen . . . Man gab uns unsere sechs Genossen wieder. Dann kehrten wir, als ob nichts geschehen wäre, zu den Hochzeitsfeierlichkeiten zurück. Am nächsten Tage suchte Rußwurm den Kanzler des Königreiches, Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz auf, zu welchem er sehr anmaßend sprach. Der Kanzler ließ, um uns Genugtuung zu geben, mehr als hundertfünfzig Leute der Wache in Arrest setzen; ihre Frauen kamen täglich vor die Tür meiner Wohnung, um Begnadigung zu erbitten, und ich unterstützte diese Gesuche bei Rußwurm sehr warm. Aber er war unerbittlich und ließ sie im Gefängnis vierzehn Tage während der strengen Winterkälte verbleiben, so daß zwei von ihnen starben. Endlich erwirkte ich mit großer Bemühung ihre Befreiung . . .«

Und als der Fasching zu Ende ist, ist er doch noch nicht zu Ende. Während nämlich in Prag bereits der Gregorianische Kalender in Geltung steht, bedient sich die hussitisch gesinnte Bevölkerung auf dem flachen Lande noch immer des alten Julianischen Kalendariums. Da kommt es denn den tollen Gästen sehr gelegen, daß der Herr Burggraf von Karlstein sie einlädt, die zehn Tage des ländlichen Nachfaschings auf der Burg zu verbringen. Am Aschermittwoch streuen sich daher die Herren Rußwurm, Bassompierre, Kolowrat und Slawata keine Asche aufs Haupt, sondern setzen sich in eine Karosse, um in das Schloß der Juwelen zu fahren. Denn nicht nur Rußwurm und Bassompierre haben ihre Auserwählten unter den burggräflichen Töchtern, sondern auch Herr von Kolowrat liebt seit langem die Gräfin Millesimo, und Slawata – der vierzehn Jahre später durch einen Sturz aus dem Fenster und dessen dreißigjährige Folgen berühmt werden soll – ist mit der Gemahlin des Obristen Kollowitz verbandelt.

Das Quartett ahnt gar nicht, wie sehr diese amouröse Wallfahrt nach der Burg Karlstein den Intentionen ihres Erbauers zuwiderläuft. Hatte sich doch Karl IV. die Feste als Sanktuarium gedacht und strenge verboten, daß jemals irdische Liebe das Heiligtum entweihe: »Nec in turri Castri Carlsteiniensis, in quo Capella dominicae passionis cum alique muliere, etiam uxore legitima dormire seu jacere liceat.«Sinngemäß: Nicht erlaubt ist, in den Räumen der den Leiden des Herrn geweihten Burg Karlstein mit einer Frau, sei es auch die angetraute Ehefrau, zu schlafen. Aber seither sind zwei und ein halbes Jahrhundert vergangen, und vieles hat sich gründlich geändert. Bassompierre konnte das strikte Verbot nicht kennen, und von einer achtzehnjährigen hübschen Witwe darf man die Einhaltung einer so drakonischen lateinischen Formel nicht verlangen!

In Karlstein ist große Gesellschaft, darunter über zwanzig schöne Damen, wie Bassompierre bemerkt. Die vier Neuankömmlinge werden herzlich begrüßt, besonders aber jeder von seiner Herzensdame. Zehn Tage verbleiben sie hier. »Ich war außerordentlich verliebt«, schreibt der alte Gesandte in verzückter Erinnerung nieder, »und ich kann sagen, daß ich niemals in meinem Leben zehn angenehmere Tage und elf Nächte besser ausgenützt hätte; es war ein ununterbrochenes Fest, man war fortwährend am gedeckten Tisch, beim Tanzen oder bei einer anderen, noch schöneren Beschäftigung.«

Die Witwe Anna Esther verspricht am Ende dieses verlängerten Karnevals ihrem Freunde François de Bassompierre felsenfest, recht bald in der Residenz zu sein. Ihr Vater erkrankt jedoch von neuem, und sie kann ihr Wort nicht halten. Zum Glück wissen liebende Frauen immer Rat; sie läßt ihren Geliebten in einer Verkleidung nach Karlstein kommen, und der verbringt hier in einer verborgenen Kammer fünf Tage und sechs Nächte.

Dann reist er beglückt nach Prag zurück, um vom Kaiser Urlaub nach Frankreich zu nehmen, und um nach – Karlstein fahren zu können, wo er offiziell vom Burggrafen von Vřesovic und dessen Familie Abschied zu nehmen hat. In der festen Hoffnung, nach beendeter Ausrüstung seines Regiments an den Hof Rudolfs zurückzukehren, Anna Esther also bald wiederzusehen, verabschiedet er sich von ihr.

Seine Dienerschaft in Prag zurücklassend, fährt er über Pilsen, Regensburg, München, Straßburg und Zabern in seine Heimat Harrouel. Dorthin bringt man eben aus Ostende seinen tödlich verwundeten Bruder Jean. Er hatte sich mit Heinrich IV. wegen des Bassompierrischen Erbteils überworfen, war in spanische Dienste getreten und nun bei der Eroberung von Porcespic so schwer verletzt worden, daß er fünf Tage nach seiner Heimkunft stirbt. König Heinrich, der vermutet, Franz von Bassompierre rüste sich feldmäßig aus, um gleichfalls bei Philipp III. Heeresdienste zu tun, grollt ihm deshalb. Aber bald klärt sich das Mißverständnis, der König von Frankreich führt selbst die Versöhnung mit Bassompierre herbei, verspricht ihm volle Befriedigung der Familienansprüche und fordert ihn auf, wieder in seine Armee einzutreten. Bassompierre kann nicht ablehnen.

Er entsendet einen Edelmann als Kurier zu Rußwurm, dieser möge vor Rudolf II. die Bitte um Enthebung von der übertragenen Mission begründen. In Gnaden wird sie gewährt, und der Ritter schickt nun das zur Ausrüstung des Regiments erhaltene Geld vollständig an die kaiserliche Kasse zurück, obwohl er schon einige Auslagen gehabt.

Überreich bleibt er zeitlebens an Frauenbegegnungen aller Art. Aber niemals mehr kreuzt die Gestalt der Anna Esther von Vřesovic des Herrn von Bassompierres Lebensweg, der sich über viele fremde Wege wölbt.

Der Kumpan dieser Abenteuer, der Marschall Rußwurm, endet ein Jahr nach Bassompierres Abreise elendiglich:

»Es hat ein Kriegsgericht, ob eines Totschlags,
Verübt im herben Fall der Selbstverteid'gung,
Zum Henkerschwert verurteilt Hermann Rußwurm,
Den treuesten Diener Eurer Majestät,
Den Helden in der Türken heißen Schlachten . . .«

Rußwurm hat nämlich den milanesischen Grafen Francesco Barbiano di Belgiojoso nächtlicherweile auf der Prager Kleinseite getötet. Ob dies wirklich nur ein Akt der Notwehr war, wie Grillparzer solcherart im »Bruderzwist« singt, läßt sich heute nicht mehr erweisen. Alle erhaltenen Angaben stützen sich auf den drei Jahre nach Rußwurms Tod gegen den kaiserlichen Kammerdiener Philipp Lang geführten Prozeß, eine wüste Komödie, deren Zweck es war, dem einen bestechlichen Günstling alle Sünden des bestechlichen Hofes und der bestechlichen Beamten aufzubürden, den Lakai für jede Laune des gekrönten Sonderlings verantwortlich zu machen und Lang nach seinem Sturze als einen Teufel in Menschengestalt und beinahe als den einzigen Verderber Österreichs hinzustellen.

Das Schicksal Rußwurms, der Habsburg gerettet hat und von Habsburg getötet ward, wie viele andere allzumächtig werdende Staatsmänner und Marschälle, wird nachher gleichfalls dem Kammerdiener in die Schuhe geschoben; Lang habe behauptet, Rußwurm stelle dem Leben Rudolfs II. nach und stehe mit den Türken im Bunde. Alle diese Beschuldigungen sind erst lange nach dem Tode des Marschalls und nach dem Sturze Langs zu Protokoll genommen worden, als sich der Oberst Johannes Philipp Rußwurm um seines Bruders Hinterlassenschaft bemühte.

Was den von Rußwurm verübten Totschlag anlangt, so läßt er sich nach den Akten rekonstruieren: Ihnen zufolge soll Graf Francesco Barbiano di Belgiojoso von den Mailänder Kriminalbehörden wegen Entführung einer Rechtsgelehrtengattin verfolgt und auf seinen Kopf ein Preis von zwölftausend Gulden gesetzt worden sein; in dem Steckbrief hieß es angeblich, selbst ein Verbrecher könne sich diesen Lohn und gleichzeitig die Befreiung von allen Strafen verdienen, wenn er den Grafen tot oder lebendig herbeischaffe. Daraufhin habe nun ein anderer Mailänder, namens Giacomo Furlani, gleichfalls wegen irgendeiner Straftat verfolgt, seinen Plan gebaut, den Tod des Grafen herbeizuführen, um belohnt und straffrei nach Hause zurückkehren zu können. Der Graf lebte in Prag unter dem Schutze seines Bruders, des Generals Giovanni Belgiojoso, Kommandanten der kaiserlichen Truppen in Oberungarn und Siebenbürgen. Der Einfluß eines so mächtigen Mannes konnte nur mit Hilfe eines noch mächtigeren aufgehoben werden. Und noch ein Mächtigerer weilte damals in Prag: der erste kaiserliche Feldmarschall und Türkenbesieger Christian Hermann von Rußwurm. Allerdings machten sich gegen Rußwurm bereits höfische Intrigen geltend, aber Furlani wußte diese für seine Zwecke auszunützen. Er ließ dem Feldmarschall mitteilen, daß der Urheber aller gegen ihn gerichteten Verleumdungen Graf Francesco Barbiano di Belgiojoso sei, der Rußwurm stürzen und dadurch seinen Bruder zum Oberkommandierenden der kaiserlichen Armee machen wolle.

Eines Abends, es war der 29. Juli 1605, als Francesco in der Welschen Gasse auf der Kleinseite der Dame seines Herzens Fensterpromenade machte, begab sich Furlani in das Palais des Generals Herberstein, wo er den Feldmarschall Rußwurm bei einem Gastmahl wußte, und meldete diesem, Belgiojoso lauere ihm auf, wolle ihn überfallen. Rußwurm sandte seine Leute unter der Führung Furlanis voraus, schnallte Waffen um und ging ihnen allein nach. Francesco di Belgiojoso war bereits mit dem Gesinde in einen Raufhandel geraten, als Rußwurm ankam und sich nun auf der Straße ein Zweikampf zwischen den Edelleuten entspann, von denen jeder in dem anderen einen Attentäter vermutete. Der Feldmarschall wurde durch drei gefährliche Stiche verwundet, er taumelte und hätte unfehlbar den Todesstoß empfangen, wenn nicht der Urheber des Zusammenstoßes, Furlani, aus seinem Terzerol drei Schüsse gegen Belgiojoso abgefeuert hätte, die diesen in den Hinterkopf trafen. Tot sank der italienische Graf zu Boden.

Kaiser Rudolf mag vielleicht geneigt gewesen sein, diesen Vorfall zu vertuschen, wie er ja seinen verdienten Feldmarschall schon wiederholt geschont hatte. Aber die welsche Hofpartei, vor allem General Giovanni di Belgiojoso, bestürmten den Kaiser, den durch Rußwurms Meuchelmörder Gefallenen zu rächen. Daß der General durch Bezahlung von zwanzigtausend Talern die Mitwirkung des allmächtigen Kammerdieners Lang für sich gewann (den ein Jahr vorher Rußwurm nach der Ermordung Dentices mit einer goldenen Kette bestochen), ist durchaus möglich.

Rußwurm verbarg seine an der blutigen Szene beteiligten Diener auf dem Schloß des Grafen Kinsky und erklärte, er habe sich bloß eines Überfalls zu wehren geglaubt. Obwohl er für seine Abberufung vom Gastmahl und die ihm erstattete Mitteilung eines gegen ihn geplanten Attentats Zeugen erbrachte und obwohl er Wunden zeigte, die beweisen sollten, daß er keinen Meuchelmord begangen haben könne, wurde er in das Verlies des Altstädter Rathauses gebracht.

Auf die Nachricht von Rußwurms Verhaftung eilte sein Bruder, Oberst Johann Philipp Rußwurm, nach Prag, mehrere Kurfürsten und ein Gesandter des Herzogs von Bayern wollten sich beim Kaiser für den Festgenommenen verwenden, aber Lang – so wurde wenigstens nach seinem Sturze angegeben – vereitelte jede Audienz, enthielt alle Gnadengesuche dem Kaiser vor und ließ dem Obersten Johann Philipp Rußwurm einen kaiserlichen Bescheid zukommen, mit dem dieser aus Prag verwiesen wurde. Furlani wurde auf der Flucht aus Prag in Brandeis verhaftet, schuldig gesprochen und gevierteilt.

Niemand durfte in die Kerkerzelle des Feldmarschalls, ihn zu besuchen, kein Freund, kein Anwalt. Eine große Bedeutung spielt in dem Hinterlassenschaftsprozeß die Behauptung, dem Häftling sei kein Schreibzeug bewilligt gewesen – man will damit erklären, warum er ein mündliches und kein schriftliches Testament gemacht habe. Zur Beantwortung einer dickleibigen, in lateinischer Sprache abgefaßten Anklageschrift – sie ist, wie alle Prozeßakten des hingerichteten Feldmarschalls, verschwunden – wurden ihm nur wenige Tage Zeit gelassen, die kaum ausgereicht hätten, sie zu übersetzen.

Wie später in dem Prozeß gegen den Kammerdiener Lang behauptet wurde, hatte dieser mit den Gegnern Rußwurms ununterbrochen Besprechungen geführt und durch die Vorspiegelung, der Feldmarschall habe konspiriert und eigenmächtig mit den Türken verhandelt, den Kaiser veranlaßt, das Todesurteil gegen den Generalissimus zu unterschreiben.

Eine Bittschrift an Rudolf II., die Rußwurms Freunde abgefaßt, soll Lang dem Überbringer im Vorsaal zum Arbeitskabinett abgenommen und zum Schein in das Gemach hineingetragen haben, aber gleich mit der Antwort zurückgekehrt sein: »Es ist Ihrer Majestät Befehl, mit der Urteilsvollstreckung fortzufahren!«

Am 27. November wurde dem Gefangenen in Gegenwart der Richter, des Beichtvaters, einiger Jesuiten, zweier MinoritenFranziskanermönche., des Bürgermeisters von Prag und zweier Räte das Todesurteil verkündigt.

Rußwurm seufzte tief auf und erklärte, er sei am Tode Belgiojosos unschuldig. Für seine treuen Dienste und sein so oft für den Kaiser vergossenes Blut habe er von Seiner Majestät anderen Dank erwartet. Auf die Mitteilung, daß er nicht wie andere arme Sünder auf dem offenen Platze, sondern vor wenigen Zuschauern im Vorhof des Altstädter Rathauses enthauptet werden würde, erwiderte er: »Wenn ich schon einmal unter der Hand des Henkers fallen muß, dann ist es gleichgültig, ob es öffentlich oder geheim geschieht.« Von dieser Stunde an bis zum Tage der Hinrichtung nahm Rußwurm keine Nahrung mehr zu sich. Er fastete und betete.

Am 29. November 1605, um sechs Uhr früh, erscheint der Scharfrichter Wenzel Mydlař im Rathaus. Rußwurm wird in den Saal geführt, wo vier Diener mit brennenden Fackeln warten und auf dem Fußboden ein schwarzer Teppich mit einem samtenen Polster gelegt ist. Der Marschall trägt das Gewand der Franziskanermönche. Teppich und Polster läßt er wegnehmen; er wolle auf bloßer Erde sterben. Dann verlangt er nochmals, daß die Hinrichtung öffentlich vorgenommen werde, er habe sich seines Todes nicht zu schämen. Da ihm geantwortet wird, dies laufe dem Urteil zuwider, wünscht er, man möge ihm das Urteil noch einmal vorlesen. Der Kanzellarius entschuldigt sich, er habe es nicht mitgenommen. Mit den Worten: »Ich sehe, daß es nicht anders sein wird«, kniet Rußwurm nieder, betet eine Viertelstunde, sein Haupt auf das am Boden liegende Kruzifix gepreßt, und bittet alle Anwesenden, unter denen sich auch ein junger Obrist mit Namen Albrecht von Waldstein befindet, um Verzeihung, wenn er sie gekränkt habe. (Schwerlich denkt der Obrist, daß auch er einst durch Undank der Habsburger, höfischen Neid und Konflikt mit den Welschen ein im Grunde gleiches Schicksal erleiden werde!)

Kniend ersucht Rußwurm den Scharfrichter, erst dann zuzuhauen, wenn er das drittemal die Namen »Jesus und Maria« ausgerufen habe. Nach dem drittenmal sagt er: »Jetzt!« und streckt den Hals von sich, so weit er vermag. Des Henkers Schwert fährt durch den Hals »mit einem solchen Ton, als ob man etwas pfeifen hörte, worauf der entseelte Körper des Feldmarschalls Christian Hermann von Rußwurm so auf das Kruzifix sank, wie er vorher darauf betend gelegen war.«

Sein Haupt näht man wieder an den Rumpf, legt die Leiche in einen schlechten, offenen Holzsarg und setzt sie auf einer Bahre unter dem Rathauseingang der Schaulust des Volkes aus. Am anderen Tag, spätabends, wird der Leichnam in die Neustadt geführt und in der Kirche »Unserer Lieben Frau zum Schnee« bestattet, wo das Grab des gefeierten Feldherrn heute unauffindbar ist.

 


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