Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Konspirative Tätigkeit des preußischen Polizeichefs Gruner

Dem rothaarigen und redseligen jungen Mann, der da am 14. April 1812 in Prag eingetroffen war, hätte niemand seine Vergangenheit – die eines Polizeipräsidenten von Berlin und eines Verwaltungschefs der Polizei im ganzen Umfange des preußischen Staatsgebietes! – angesehen, noch weniger aber seine Zukunft: er wird gegen Napoleon, der eben im Begriffe ist, sich den Rest Europas zu unterwerfen, konspirieren.

Weil man das dem Staatsrat Justus Gruner nicht zutraute, durfte er sich hier unter wahrem Namen aufhalten und war bei weitem nicht so sehr Gegenstand polizeilicher Aufmerksamkeit, wie zum Beispiel der ehemalige Staatsminister Freiherr vom Stein, der bereits seit zwei Jahren in Prag wohnte. Als Gruner hierherkam, saß Stein erschüttert und beinahe hoffnungslos in seiner Wohnung im Deymschen Palais, Brenntegasse; Preußen war eben dem französischen System beigetreten, Österreich befand sich auf dem Wege, ein Gleiches zu tun, und Franz II. rüstete sich zur Reise nach Dresden, mit den anderen deutschen Vasallen dem Kaiser Napoleon zu huldigen, Blücher war wegen verspäteter Einstellung der Rüstungen davongejagt worden, Gneisenau hatte gleichzeitig mit Gruner auf französischen Befehl schlichten Abschied erhalten und Scharnhorst mit angeblich dreihundert Offizieren den deutschen Dienst quittiert; die Hoffnung, daß Stein seine konfiszierten Güter wiedererlangen werde, erwies sich als müßig, und so war er entschlossen, die Einladung des Zaren Alexander, des letzten napoleonfeindlichen Monarchen, anzunehmen, Frau und Kinder zu verlassen und nach Rußland zu ziehen.

Auch Gruner steht bereits in Diensten Rußlands, aber das weiß weder der preußische Staatskanzler Hardenberg noch die österreichische Regierung, die ihm sonst kaum Asylrecht gewährt hätte. Nein, Gruner wartet durchaus nicht als Pensionär in seiner Wohnung an der Schloßstiege Nr. 184, sondern arbeitet als Beauftragter seines deutschen Patriotismus und des russischen Polizeiministers Balascheff. Er hat Prag zum Herd der Insurrektion zu machen, von hier aus alle Spionagedienste gegen die französische Armee, alle Handlungen des antifranzösisch gesinnten Teiles der deutschen Nation im Rücken des napoleonischen Heeres, die Auffangung militärischer Depeschen und Orders, Verwirrung der angeordneten Maßregeln, Abschneidung von Zufuhren, die Aussendung von Emissären und Partisanen, Unterstützung der Desertion und des Abganges deutscher Offiziere und Mannschaften zur Bildung einer deutschen Legion unter dem Schutze Rußlands zu organisieren. Dieses Netz eines zukünftigen Freiheitskrieges durfte nur von einem Punkt aus gesponnen werden:

»Prag ist dazu der passende Ort, weil er in einem neutralen Lande, unter gutgesinnter Umgebung liegt, weil ein Teil Deutschlands vom letzten Kriege her ihn schon als das Foyer ähnlicher Unternehmungen kennt, weil er Gegenden, auf welche zunächst gewirkt werden soll, am nächsten gelegen ist, weil man von ihm aus gefahrlos und unbemerkt Verbindungen mit dem preußischen Gouvernement unterhalten und am schnellsten die Resultate nach Rußland gelangen lassen kann . . ., alle Instruktion und Leitung muß von Prag ausgehen.«

Dort sitzt Justus Gruner, der Urheber dieses Planes, als Hauptagent, als Spitze der geheimen Riesenunternehmung. Kaum drei Wochen nach seinem Eintreffen hat er eine Korrespondentenkette durch ganz Deutschland gezogen.

»Bekannt mit den einzelnen, für die gute Sache bestehenden Verbindungen, suche ich mich mit diesen en rapport zu setzen, alle Debris der früheren Insurrektionen zu benützen und jeden Keim zu neuem tätigem Selbstbefreien Deutschlands zu wecken.«

Der frühere Polizeichef organisiert die Verschwörung, Agenten ernennend, Relais, Tricks, Decknamen vorschreibend. Unterirdisch entspringt in Prag die Bewegung, unterirdisch soll sie in Prag münden. Die Weisungen, die Gruner schickt, die Berichte, die er erhält, sind dreifach, vierfach vor Unbefugten geschützt; zwischen den Zeilen eines harmlosen (aber nicht auffallend harmlosen) Briefes steht in unsichtbarer Schrift mit dünner, durch Erwärmen sichtbar werdender Milch, mit sympathetischer Tinte oder mit Zitronensaft die wahre Mitteilung. Sie ist chiffriert: die Seitenzahl des als Schlüssel dienenden Buches wird mit verkehrten Ziffern angegeben. Außerdem sind Decknamen vereinbart: Gruner selbst heißt abwechselnd Müller und Falk, Freiherr vom Stein, der in Prag als »Karl Frücht« gemeldet ist, heißt in den Briefen »Böttcher«, Napoleon wird »Heinze« oder »Schwarz« genannt, König Friedrich Wilhelm ist »Schenck«, und wenn von »Soldin« die Rede ist, ist Prag gemeint.

Verschnörkelt sind die Wege, die nach Prag führen: Palm, der Frankfurter Agent Gruners, sendet seine Berichte an von Dittmar nach Weimar, der sie an einen Vertrauensmann in Asch weiterleitet; aus Hamburg dirigiert Volkart seine Berichte an Rein oder Hoffmann nach Leipzig, von wo sie in Bücherpaketen an die Calvesche Buchhandlung, deren Besitzer Friedrich Tempsky ist, oder an das Widmannsche Sortiment gehen; wenn Tempsky Palmarum zur Messe reist, meldet er selbst an Gruner, was er in Leipzig erfährt, so zum Beispiel die Ernennung des Fürsten Sayn-Wittgenstein zum preußischen Polizeichef, an welche Mitteilung der die Fragen fügt: »Ist dem Sayn-Wittgenstein zu trauen? Ist er nicht eben eine französische Kreatur?« Geschäftliche Beziehungen unterhält Gruner mit dem Bankier Ballabene, mit der Firma Teinel, und – wie der Stadthauptmann Limbeck von Lilienau an den Oberstburggrafen Kolowrat berichtet – auch das Haus Weigel & Co., »welches mit dem hiesigen Großhändler Moritz Zdekauer in bedeutenden Handelsverbindungen ist, steht mit dem Staatsrat Gruner in einem ununterbrochenen Briefwechsel«. Während seines Prager Aufenthaltes erhielt Gruner von der russischen Regierung einmal 5000 Taler, später 1394 Dukaten und schließlich 4000 Dukaten für die Organisierung des Kundschafterdienstes, als Reisegeld für die zur deutschen Legion Rußlands anzuwerbenden Offiziere, für die Tätigkeit der Partisanen und die Einleitung von Aufständen. Unter denen, die in Thüringen eine Revolte hervorrufen sollen, ist auch ein Prager Chemikalien- und Siegellackfabrikant: Herr von Burgsdorff, vormals kurmainzischer Offizier; durch Familienverhältnisse abgehalten, tritt Burgsdorff von dieser Aufgabe zurück.

Die Tätigkeit Gruners blieb der Polizei nicht verborgen, mancher seiner Briefe wurde geöffnet, Österreichs Polizeiminister Hager dringt auf Ausweisung und mehr noch der Prager Oberstburggraf Kolowrat, »da Gruner bei der Tendenz der hierländischen Stimmung, welche noch nicht ganz im Einklang mit dem dermaligen politischen System des österreichischen Staates steht, nur nachteilig wirken würde«. Auch liegt ein Bericht des österreichischen Botschafters in Berlin, Grafen Zichy, vor, Gruner habe in einem Brief an Hardenberg die Stimmung Prags als nichts weniger denn regierungsfreundlich und den Empfang des Kaisers in Prag als äußerst kühl bezeichnet.

Metternich wollte anfangs Gruner in Prag dulden, »um den Gang der Anwerbungen der Tugendbundisten in ihren geheimsten Zweigen erforschen zu können«, und ist später höchstens dazu geneigt, ihn ausweisen zu lassen. Da kommen ihm Denunziationen aus Preußen zu, von Staatsrat von Bülow, der das Ressort der Geheimen Polizei in Berlin versieht, und von dem nachmals berüchtigten Demagogenverfolger Janke, von der ganzen, vollkommen franzosenfreundlichen Bürokratie Berlins; Preußen erbittet von Metternich, »den vormaligen Staats-Rath Gruner zu Prag so schnell wie möglich unschädlich zu machen. Ew. Exzellenz ersuche ich daher ganz gehorsamst, hochgeneigt den Befehl zu erlassen, daß, mit Beobachtung der größten Vorsicht und Verschwiegenheit, der vormalige Staats-Rath Gruner nebst den Personen, welche derselbe bey sich hat, in Verhaft genommen wird, und daß sämmtliche bey Gruner sich vorfindenden Briefschaften, Rechnungen und Kassebestände, welche wahrscheinlich versteckt seyn dürften, in Beschlag genommen werden. Sehr wünschenswert wird es seyn, nach der Verhaftung des Gruner auch die an denselben einlaufenden Briefe in Besitz zu erhalten. Die dieserhalb zu ergreifenden Maßregeln muß ich jedoch bey meiner Unbekanntschaft mit den Local- und Personal-Verhältnissen zu Prag lediglich dem erlauchten Ermessen ganz gehorsamst anheimstellen. Da die Untersuchung gegen Gruner, welcher ohnehin ein hiesiger Landes-Unterthan ist und sich schon in seinen vorigen Verhältnissen als hiesiger Staatsdiener durch seinen Antheil an der Verbindung strafwürdig gemacht hat, wegen der bei dem mir anvertrauten Departement vorhandenen Nachrichten, nur hier vorzugsweise vollständig und mit ganzem Erfolge geführet werden kann, so darf ich noch die ganz gehorsamste Bitte hinzufügen, das Ew. Exzellenz geneigen mögen, nach der Verhaftung des Gruner und seiner Begleiter die Auslieferung derselben und der vorgefundenen Papiere, Rechnungen und Kassebestände hierher, und zwar an den hiesigen Staats-Rath und Polizeipräsidenten Le Coq unter einer vollkommen sicheren Begleitung zu veranlassen. Dem hiesigen Gouvernement wird es eine angenehme Pflicht seyn, dankbar in allen ähnlichen Fällen den Auslieferungs-Requisitionen des K. K. Gouvernements unverzüglich zu genügen und die durch die Auslieferung des Gruner entstehenden Kosten zu erstatten . . . Berlin, den 6ten August 1812. Bülow«.

Die Niederträchtigkeit dieser Verfolgung, die noch dadurch übertroffen wird, daß man den Brief von Berlin aus auch der französischen Regierung im Wortlaut zur Kenntnis bringt, veranlaßt selbst einen Metternich zu dem Urteil, es sei hier viel Persönliches, »wenn nicht von Seite Hardenbergs, so doch von Bülow und Janke mit im Spiele«. Der Kanzler scheut sich, Gruner solchen Feinden auszuliefern.

Verhaften muß er ihn allerdings lassen, dazu sind die Beschuldigungen zu gravierend. Nachts, am 22. August 1812, werden Gruner, sein Kammerdiener Andrae, sein Lakai und sein Kutscher festgenommen. Sein Sekretär Dr. Lange und Andrae werden an Preußen ausgeliefert, die Prager Mitarbeiter Gruners verhört, Burgsdorff erhält einen behördlichen Verweis, Buchhändler Tempsky außerdem die Androhung der Landesverweisung, einen Postbeamten namens Pochmann, der die Korrespondenz des Verschwörers unterstützt hatte, versetzt man, nachdem er eine Arreststrafe abgebüßt, auf einen anderen Dienstposten in Böhmen. Gruner selbst bleibt über zwei Monate im Gewahrsam der Prager Stadthauptmannschaft, auf der Altstadt; am 2. November wird er von Wiener Polizeibeamten abgeholt und in einem Wagen nach Peterwardein geschafft, wo sich die Festungstore hinter ihm schließen. Der Staatsrat Justus von Gruner ist verschwunden, nur ein Festungsgefangener namens »Adolf von Mayer, Particulier« hört nicht auf, sich ein Jahr lang nach tätiger Freiheit zu sehnen . . .

Erst als die Vernichtung der Großen Armee in Rußland die von Gruner geschaffene Organisation zu Taten anspornt, als auch seine Feinde und Verleumder plötzlich antifranzösisch werden, als der Freiheitskrieg entbrennt, weil alle, alle riefen und sogar der König kam (Gruner hatte noch in Prag mit Gneisenau beraten, ob er den König dem Volke als verächtlich, verdächtig oder unterdrückt darstellen solle), und als sich bei Leipzig die Völkerschlacht formiert, wird auch Gruner frei.

 


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