Egon Erwin Kisch
Prager Pitaval
Egon Erwin Kisch

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Der verkaufte Librettist der Verkauften Braut

Karl Sabina. Wie ein Stern ging sein Name in der tschechischen Literatur des Vormärz auf, als Dichter pries man ihn und als Publizisten, sein Buch »In der Wüste« war der Tschechen erster naturalistischer und sozialer Roman, für Smetana schrieb er »Die Brandenburger in Böhmen«, den ersten heimischen Operntext, und das musikalische Nationalheiligtum, »Die verkaufte Braut«, verdankt ihm das Libretto.

Am 10. Mai 1849 wird Karl Sabina als Direktor des revolutionären Komitees von den Häschern des k. k. Nachmärz festgenommen, drei Jahre in Untersuchungshaft gehalten, dann zum Tode durch den Strang verurteilt, aber zu achtzehnjähriger Kerkerstrafe begnadigt. Am achten Jahrestage seiner Verhaftung, 10. Mai 1857, verläßt er, von neuem amnestiert, die Festung Olmütz.

Er kehrt mit seinen letzten Zellengenossen, Doktor Sladkowsky und Doktor Zimmer, nach Prag zurück und entfaltet eine derart rege Tätigkeit als Schriftsteller, Journalist und Redner, daß seine Arbeiten durch Flüchtigkeit in literarischer Hinsicht viel an Wert verlieren. Aber er ist wirksam, ist Vorkämpfer, Märtyrer, ist populär.

. . . ist populär. Bis er eines Tages aus den Reihen der Nation gestoßen wird. Es hat sich ergeben, daß Karl Sabina Polizeispitzel ist, der Polizei Berichte geliefert habe. Er wird des Nationalverrats schuldig gesprochen, und ein geheimes Tribunal, dem er sich unterwirft, verweist ihn des Landes.

Nun prasselt in der Presse ein Trommelfeuer von Beschuldigungen gegen Sabina nieder, an aller Erfolglosigkeit der nationalen Bestrebungen sei bloß er schuld, er habe in den Deklarationsmeetings am heftigsten gegen Österreich gesprochen und hernach die anderen Redner denunziert, habe den Vinzenz Kerber zu dem Petardenattentat gegen die Polizeidirektion aufgereizt und nach der Tat verhaften lassen, habe in seinen Vorträgen den Arbeitern blutrünstige Lehren gegeben, um die Auflösung ihrer Vereine und die Festnahme ihrer Funktionäre herbeizuführen und dafür den Judaslohn einzustreichen.

Sabina schreibt seine Verteidigungsschrift. Wie ein Tobsüchtiger schlägt er darin um sich, beinahe jedes zweite Wort ist eine Beschimpfung. Schurken, Lügner, Schufte, nie war ich ein Polizeispitzel, nie ein Verräter! Leidenschaft, Schmerz und Wut stöhnen aus jedem Satz seiner Broschüre »Verteidigung gegen Lügner und Verleumder«. Und dann gesteht er, was seine Schuld ist:

»Den Händen der Wucherer im verzweifelten Momente mich zu entreißen, die Ideale, welche ich seit Jahren verfolgte, welche mich in schweren Kerker und an den Rand des Galgens geführt haben, nicht fahrenzulassen, mit Wort und Feder an meinem Ziele weiterzuarbeiten, ohne es nötig zu haben, den Erniedrigungen des Schriftstellerstandes den damaligen herabgekommenen Verlagszuständen gegenüber ausgesetzt zu sein, und ohne der Nation zu schaden, meine literarischen Ziele weiterzuverfolgen – dieser Gedanke umschloß mich wie ein Phantom und führte mich zu jener Schuld, die sich nun, nach elf Jahren, so grausam an mir rächt, so daß wegen dieser einen Schuld Hunderte von Verbrechen des Verrates mir zugeschrieben wurden, deren ich mich nie schuldig machte. Ein Brief aus dem Jahre 1861 ward Zeuge meiner Verirrung und reichte hin, daß jetzt alles Unglück des Vaterlandes, alle Verfolgung der Tschechen mir zur Last gelegt wurde, indes gleich darauf durch wunderbaren Umschwung des Schicksals die öffentlichen Zustände sich besser gestalteten und ich wieder, die rechte Bahn betretend, von meinem guten Dämon getrieben, der Sache des Vaterlandes mit jenem Eifer und jener vielseitigen Tätigkeit diente, die von böswilligen und kurzsichtigen Lügnern und Verleumdern als schädlich ausgelegt und ich von diesen Fanatikern der Rache für einen zweiten Milota von Dedic erklärt wurde.«

Nun schildert er die Verhandlung vor dem geheimen Gericht: »Jenes Schreiben vom Jahre 1861 geriet patriotischen Männern in die Hände, deren einer mich eines Abends zu sieh berief, und als ich eintrat, fand ich mich im Kreise der Richter. Ich erkannte dies gleich bei der ersten Ansprache und befleckte mich nicht durch Lüge, sondern sagte offen und ehrlich aus: ›Ja, diesen Brief habe ich geschrieben.‹ Alle anderen Andeutungen wies ich jedoch entschieden von mir, denn alles andere ist Lüge. Sie stellten mir die Alternative, entweder binnen acht Tagen das Vaterland zu verlassen oder der Veröffentlichung dieser Sache gewärtig sein zu müssen. Einer von ihnen äußerte: ›Sie können sich ja zu Ihrer Tochter nach Rußland begeben. Niemand wird Ihre Abreise auffallend finden, da es allgemein bekannt ist, daß Sie nach Ihrer Krankheit einer Luftveränderung bedürfen. Nach einiger Zeit wird es Ihnen wieder möglich werden, zurückzukehren und in der Literatur weiterzuarbeiten.‹ Ich wählte die Auswanderung vorzüglich deshalb, weil ich wußte, wie eine Veröffentlichung jener Angelegenheit von meinen Feinden ausgebeutet werden würde, wie sie sie durch Lügen ins Unendliche ausdehnen und aus einer Schuld deren Hunderte herausschlagen würden. Acht Tage darauf sandten sie mir einhundert Gulden auf die weite, vielleicht jahrelange Fahrt in die fremde Welt.«

Die Teilnehmer der Verhandlung konnten nicht verhindern, daß Sabinas Verrat ruchbar wurde.

»Ich begab mich«, berichtet Sabina, »nach Dresden, aber schon am dritten Tage las ich den ganzen Vorfall in deutschen Blättern, und von da an begannen die journalistischen Verfolgungen, Lügen und Verleumdungen, nicht endend und selbst von neuem sich auffrischend bis zum heutigen Tage. Das mir gegebene Versprechen wurde nicht gehalten, und ich kann offen sagen, daß die Verbrechen der Lüge, Verleumdung und des Täuschens der ganzen Nation jene meine Schuld weit überragen und daß ich unter jenen Verbrechern keinen kenne, der seine sündhafte Verirrung durch ein so glühendes Wirken für die nationale Sache je zu ersetzen sich bestreben würde, wie mich hierzu mein Gefühl und mein Gewissen trieben.«

Diese Verteidigungsschrift, mit der Sabina die auf ihn niedersausenden Spießruten abzuwehren versuchte, blieb auf die Zeitgenossen ohne Wirkung. Am 9. Dezember 1872 starb er im Elend. Nur einige Arbeiter, die ihm treu geblieben waren, folgten dem Sarg; auf dem Theaterzettel der Smetana-Oper steht auch weiterhin bloß: »Text von K. S.«.

Mehrere Schriftsteller setzten sich mit der Person Sabinas psychologisch auseinander, aber anscheinend vermochte sich niemand vorzustellen, daß man der Polizei belanglose, in jeder Zeitung enthaltene Mitteilungen als Geheimnachrichten anhängen könne. Nur Halek zieht diese Möglichkeit in Betracht: »Hätten wir eine Zeile von dem, was Sabina seinen Brotgebern angezeigt hat, so wüßten wir für immer, mit wem wir es zu tun hatten.« Und Prof. J. Machal sagt ähnlich: »Es ist fraglich, ob Sabina durch seine Angeberei unseren Interessen geschadet hat. Dies wurde nicht erwiesen. Das Geheimnis Sabinas liegt im geheimen Polizeiarchiv.«

Es ist auch dort nicht mehr. Angeblich sind die Polizeiakten Sabinas verbrannt.

*

Als Professor Skedl, damit betraut, den politischen Nachlaß des Ministerpräsidenten Taaffe herauszugeben, sich um Auskunft über einige lokale Ereignisse und Persönlichkeiten Prags jener Ära an mich wandte, benützte ich die Gelegenheit, in den Taaffeschen Papieren nach einem von Sabina herrührenden oder auf Sabina bezüglichen Dokument zu suchen.

Es fand sich eines, ein Bericht des Prager Polizeidirektors Sedlaczek, der den Regierungschef über politische Angelegenheiten direkt zu informieren pflegte:

»Vertraulichen (verläßlichen) Mitteilungen zufolge, soll Dor. Sladkowsky in Wien gewesen, dort einer Verhandlung über die Wahlreform und Wahlordnung zugezogen worden und erst gestern abends mit dem Eilzuge nach Prag zurückgekehrt sein.

Soviel der Confident bisher in Erfahrung bringen konnte, dürfte die Reise des Sladkowsky nach Wien vor etwa zwei Tagen in sehr geheimer Weise und nur mit Vorwissen des Dor. Julius Grégr erfolgt sei(n). Sladkowsky ließ sich vor zwei bis drei Tagen bei dem jung-czechischen Klub in Mozny's Restauration als unpäßlich anmelden und kam gestern gegen 11 Uhr nachts wol ganz hungrig in diese Restauration, aber auch ›siegesbewußt‹, denn er teilte dem Literaten Karl Sabina und dem Dor. Kucera im Vertrauen mit, daß man bezüglich des Ausgleiches auf dem besten Wege sei. Der Confident glaubt in Folge der Mittheilungen des Dor. Sladkowsky voraussetzen zu können, daß der Letztere von Jemandem nach Wien berufen wurde, und daß bei den Verhandlungen auch Seine Exzellenz der Herr Minister Dor. Giskra beteiligt war.

Sladkowsky soll von dem Herrn Minister sogenannte ›Ausgleichs-Cigarren‹ bekommen und selbe mit den dankenden Worten ›als solche nehme ich sie nach Prag mit‹, angenommen haben. Drei Stück davon brachte er angeblich dem Sabina mit.

Prag, am 1. Dezember 1869.

Sedlaczek.«

Welch echt österreichischer Akt! Der Prager Polizeidirektor teilt darin dem Chef der Regierung nach Wien mit, daß die Regierung den Jungtschechenführer nach Wien eingeladen habe und dieser wirklich in Wien war! Das Kabinett läßt sich von einem Spitzel melden, daß ein Mitglied des Kabinetts an der Ausgleichsverhandlung teilgenommen hat!

Originale Kenntnis des Prager Polizeidirektors, die er eilends eigenhändig nach Wien berichtet, ist nur, daß Sladkowsky »wol ganz hungrig« in die Restauration gekommen ist. Ja, aber in welche Restauration? müßte sich der Ministerpräsident fragen, wenn nicht der Polizeidirektor ausdrücklich bemerkt hätte, daß es Moznys Restauration war. Und der österreichische Ministerpräsident muß erst aus Prag erfahren, daß sein Minister des Innern dem Prager Gast Zigarren geschenkt hat! Und daß drei von obbemeldeten Zigarren der Sladkowsky dem Sabina mitgebracht hat. Nein, »angeblich mitgebracht« hat; so salviert sich der Polizeidirektor bei dieser staatswichtigen Mitteilung, mit der er seinen immediaten Geheimbericht schließt.

Aber es fiel natürlich dem Hofrat Sedlaczek gar nicht ein, zu glauben, daß er seinem höchsten Vorgesetzten etwas Neues melde oder der unter Anführungszeichen gesetzten »siegesbewußten« Stimmung eine Bedeutung zukomme. Er will nur seine Informiertheit und seine Fixigkeit beweisen und schreibt deshalb alle Bagatellen hin, die er weiß, sogar seinen Konfidenten eindeutig verratend: es ist Sabina, der den Bericht erstattet hat.

Er lügt also, wenn er in seiner Verteidigungsschrift gegen die Lügner glauben machen will, daß er nur im Jahre 1861 der Polizei den Spitzel gemacht, aber »gleich darauf«, als »sich durch wunderbaren Umschwung des Schicksals die öffentlichen Umstände besser gestalteten«, wieder »die rechte Bahn« betreten habe. Das Schriftstück beweist, daß er noch 1869, also wahrscheinlich bis zu seiner Entlarvung, in Diensten der Polizei stand. In welcher Weise er verwendet wurde, ist nach seiner stilistischen Eignung und politischen Stellung klar: er hatte Mitteilungen aus dem Gebiete der großen Politik zu liefern, Darstellungen der politischen Situation, ungedruckte Leitartikel, von der Art jener anonymen Spitzelberichte, die nach dem Umsturz aus den Wiener Archiven an die Öffentlichkeit kamen und denen von der tschechischen Presse zugestanden wurde, daß sie der Regierung die Ansichten und Wünsche des Volkes richtig zum Ausdruck gebracht hatten.

So konnte er sich dem Helden seiner »Verkauften Braut« vergleichen, der nur zum Schein und nur zum Schaden seines Gegners seine Ehre verkauft. Wenn er nicht mehr getan hat, als Berichte von der Art des obigen geliefert – und das müssen wir glauben, solange uns kein belastendes Schriftstück vorgelegt wird –, so können wir ihm für seine Person gewiß den guten Glauben zubilligen, »daß ich weder der Sache der Nation noch irgendwelchen Personen geschadet, noch jemanden ins Unglück gestürzt habe«.

Das ändert aber nichts an dem objektiven Urteil über einen Menschen, der sich als Spitzel der Reaktion mit der Polizei einläßt.

 


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