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VII

In der ersten Zeit gestaltete sich das Leben an Bord ziemlich einförmig. Die Menschenscharen, von denen man bei der Abfahrt einen flüchtigen Eindruck bekommen hatte, waren fast verschwunden, sie steckten in den Stockwerken und Kammern des Dampfers. Einige Passagiere promenierten an Deck auf und ab, wie Tiere in einem Käfig, von jener Unruhe getrieben, die Schiffsreisenden eigentümlich ist.

Auch im Speisesaal war die Gesellschaft wegen des schlechten Wetters sehr zusammengeschmolzen. Auf hoher See im Mittelmeer kann das Wetter so stürmisch sein, daß sogar große Dampfer wie die Arethusa rollen. Hätte man die Schwankungen des Dampfers gemessen, wenn seine Seiten sich ins Meer senkten und wieder zum Himmel hoben, so hätte man wahrscheinlich einen Ausschlag von der Höhe eines vierstöckigen Hauses feststellen können. Eine große Anzahl der Reisenden lag seekrank in den Kabinen, und wen man nicht sah, der zählte ja nicht mit. Der Dampfer machte fast den Eindruck eines verlassenen Schiffes, hauptsächlich des Morgens, wenn man Frühaufsteher war. Auf den weiten Promenadendecks sah man Matrosen in Ölzeug und Gummistiefeln, die die Planken spülten. Die Segeltuchschlangen lagen auf den nassen Teakholzplanken mit den verkitteten Fugen, die sich in langen, kaum merklichen Kurven von einem Ende des Dampfers zum anderen erstreckten und einen Begriff von der riesigen Dimension des Dampfers gaben.

Die Besatzung war von den Passagieren durch eine unsichtbare, aber unüberbrückbare Kluft getrennt. Matrosen, Kellner, Maschinisten und Heizer waren im Dampfer wie in einem System von Löchern verteilt, nur hin und wieder tauchte ein schmutziges Individuum in einer öligen Wolljacke aus der Tiefe zur Oberwelt auf, um einen Ventilator, der auf dem Oberdeck die Luft ansaugte, nach dem Wind zu drehen, und verschwand wieder in der Tiefe.

Man sah diese Leute mit dem weißen Blick, ohne sie zu sehen, und auch sie schienen für die Passagiere, die bis an die Nase eingepackt an Deck lagen, kein Interesse zu haben.

In gewissen Gegenden spürte man einen Geruch von Fleisch und Zwiebeln, vermischt mit dem warmen Dunst der Maschinen – den Atem aller Schiffe und Meere. Er kam aus den Küchenregionen, wo der Stab von männlichen und weiblichen Köchen und Stewards in seinen Spelunken hauste.

In der blauen Luft über dem Dampfer schwebten die Möwen des Mittelländischen Meeres, hier wie anderwärts Bettler am reichen, schwimmenden Füllhorn der Zivilisation. Im übrigen vergaß man fast, daß man sich auf dem Meer befand. Die großen Promenadendecks, auf denen die Passagiere auf und ab spazierten oder in Deckstühlen lagen, waren mit breiten Glasfenstern geschlossen, durch die man Aussicht auf eine Fläche bewegten Wassers hatte, immer dieselbe, und auf den öden Horizont. Man war auf eine lange Pause gefaßt, bevor die nächste Küste auftauchen würde.

Eine kleine unternehmungslustige Gesellschaft, meist ältere Damen, hatte es sich in den Kopf gesetzt, jeden Abend eine bestimmte hochgelegene Stelle auf dem Dampfer zu besteigen, um den Sonnenuntergang, das einzige Naturphänomen, das sie kannten, zu bewundern. Mit glänzenden Augen kamen sie wieder herunter und sagten, er sei wundervoll gewesen.

Der Schiffsarzt, Dr. Dunkirk, hatte viel zu tun. Man sah ihn mit seiner Schiffsmütze in den Kabinen ein und aus gehen, wo er Seekranke und andere Patienten besuchte. Dr. Renault hatte den Kollegen aufs Korn genommen und war nach kurzer Beobachtung zu folgendem Schluß gekommen: Mein guter Cook, du bist Morphinist. Die Gesichtsfarbe des Arztes und etwas Gewisses in dem Weiß seiner Augen hatten es ihm verraten. Als sie gelegentlich ein paar Worte wechselten, ließ Dr. Renault seinen Blick in das Ärmelloch des Arztes schweifen und sah auf seinem Unterarm rote Pünktchen, dicht nebeneinander, wie Kümmel in einem Käse, jene Merkmale, die eine Morphiumspritze zu hinterlassen pflegt. Die Entdeckung berührte Dr. Renault peinlich, und immer, wenn er daran dachte, ging ihm ein Wind durch Nase und Schnurrbart.

Das Mittelländische Meer war kein Erfolg. Es war nicht blauer als andere Meere, jedenfalls nicht in dieser Jahreszeit, und ging recht rauh mit dem Dampfer um. Von den Passagieren war keiner auf die Dauer von dem ewigen Schaukeln entzückt, dafür hatte man nicht bezahlt! Die meisten verloren den Appetit, wenn sie sich auch sonst tapfer hielten. Die allgemeine Unzufriedenheit äußerte sich in Müdigkeit. Die Stimmung an Bord konnte durch eine Dame charakterisiert werden, die in ihrem Deckstuhl in Plaids eingepackt schlief, sogar im Schlaf verdrießlich aussehend, ein Buch mit einer Haarnadel als Lesezeichen auf dem Schoß.

Menschenkinder sind in den meisten Fällen auf die Zukunft eingestellt. So war es auch an Bord der Arethusa.

 

Dr. Renault ließ sich das Schiff von dem freundlichen Meister Franck zeigen, der ihn bereitwillig unter seine Fittiche nahm. Er lieh ihm einen aus einem Stück gearbeiteten Mechanikerkittel, in dem Dr. Renault wie ein Frosch aussah. Nachdem er ihm noch einen baumwollenen Lappen in die Hand gedrückt hatte, enterten sie die steilen Eisenleitern hinab, die von einem Gitterboden zum anderen führten, landeten schließlich unten bei der Maschine und standen plötzlich Aug in Auge mit den mammutschweren Kolben und Kurbelwellen, die mit voller Kraft arbeiteten. Es war ein gewaltiger Tanz von Dreschflegeln in riesigem Format, von Öl glänzend, Tonnen von Metall, und dennoch das Ganze anscheinend gewichtlos. Es war ein Stampfen und Dröhnen, man mußte aus vollem Halse schreien, wollte man sich Gehör verschaffen. Gigantische Röhren kamen in Windungen aus den Kesseln, an den eisernen Wänden waren Uhren und Manometer angebracht, Hitze und Hochdruck überall. Auf dem Boden des Schachtes gingen zwischen Rosten, Gittern und Stangen kleine menschliche Gestalten, mit Baumwolle und Ölkannen in den Händen, die Dr. Renault mitten im Lärm stumm, aber mit wachem Blick zunickten; es waren die Maschinisten. Alles war in Wasserdampf und Öldunst gehüllt, den für Dampfmaschinen charakteristischen Geruch.

Eine Beobachtung fesselte Dr. Renault, ein Rhythmus, der eher durch das Auge als das Ohr zu ihm kam: der Takt der Maschine. Ventile, Federn und Exzenter arbeiteten gegen den Grundtakt der Kolben, in scheinbar falschen Intervallen, wie die Bogenstriche der ersten und zweiten Violine in einem Orchester, die sich nicht zusammenzufügen scheinen und sich dennoch ergänzen. Es sind die Gegensätze in einer Maschine, die sie in Gang halten!

Die Arethusa lief noch mit Compoundmaschinen großen Formats und war deshalb besonders für Gesellschaftsreisen geeignet, im Gegensatz zu den schnellaufenden, qualmenden Motor- und Turbinenschiffen. Bei einer Vergnügungsreise kam es ja nicht darauf an, daß man einen Schnelligkeitsrekord erzielte. Die alte klassische Dampfmaschine ist noch nicht überholt an Grazie und Schönheit; sie arbeitet mit allen Gliedern, man kann ihre Pferdekräfte förmlich sehen.

Dr. Renault ging mit einer Andacht durch den Maschinenraum, als durchschritte er eine Kathedrale. Er war im Kohlenbunker, dann im Heizraum vor den Kesseln, wo fünf, sechs Mann, den Oberkörper entblößt, mit wilden Gesichtern, von denen Öl und Schweiß troffen, mit muschelweißen Augen, Stangen und Schaufeln ansetzten und Feuerhaken schwangen, die drei bis vier Meter lang und einige zwanzig Pfund schwer waren. Mit hervorquellenden Augen in schwarzen Fratzen starrten die Heizer den Besuchern entgegen. Es war jener harte, ausdruckslose Blick, mit dem Arbeiter ihre Vorgesetzten zu betrachten pflegen: Waffenstillstand, nichts anderes.

Eine Kesseltür stand offen, und ein Heizer stieß den Feuerhaken in die Kohlen, die sich zu einem Teig zusammengeballt hatten; mit seinem ganzen Gewicht legte er sich auf die Stange und brach den Kuchen durch, damit das Feuer darunter Luft bekäme. Der rote Feuerschein lag auf dem nackten, schweißigen, rußigen Oberkörper des Mannes. Die Hitze des Feuers sengte die Gesichter in weitem Umkreis. Es sah aus wie ein Kampf zwischen einem Teufel und einem feuerspeienden Drachen, dem der Speer in den Rachen gestoßen wurde. Nachdem der Heizer die Tür wieder zugeschlagen hatte, ließ er die Eisenstange, deren Spitze rotglühend geworden war, mit einem Krach zu Boden fallen – mochten andere auf ihre Füße achtgeben – und wusch sich das Gesicht in einem Eimer Wasser, mit einem Tuch, das so kohlschwarz war wie er selbst.

Dr. Renault nahm die Eisenstange vom Boden auf und wog sie in der Hand; ja, sie war schwer. Darauf zeigte er auf eine Kesseltür, man verstand ihn und öffnete sie. Die Kohlen waren dort ebenso zusammengeballt wie in der Feuerung, die soeben ausgeschlackt worden war. Dr. Renault schwang die Stange, stieß sie in die Kohlen, legte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf und brach den Kuchen durch, bis das Feuer wieder mit klaren Flammen aus dem Rost schlug. Dann ließ er die Eisenstange fallen, griff nach einer Kohlenschaufel, einer kurzen Schaufel mit einem gebogenen Blatt, und schaufelte Kohlen unter den Kessel, warf sie mit einem Schwung durch die Tür, so daß sie weit nach hinten ins Feuer flogen. Die Heizer nickten anerkennend, mit weißen, weit aufgerissenen Augen.

Ein Kessel war außer Betrieb und wurde von Kesselstein gereinigt, das Mannloch stand offen. Dr. Renault stieg die Leiter hinauf, die dagegen lehnte, und blickte durch das Loch hinunter. Unten war eine Wildnis von Röhren, er hörte Hammerschläge aus der Tiefe, und eine Glut wie Feuer schlug ihm aus dem leeren Kessel entgegen. War jemand da unten? War das möglich? Fragend blickte er Meister Franck an, und dieser nickte bestätigend. Da kroch Dr. Renault hinein. Er schob sich seitwärts mit der Schulter hindurch und wand sich drinnen zwischen den glühendheißen Röhren vorwärts. Die Hitze war so groß, daß man sie kaum an den Händen ertragen konnte, wenn man sie zu schnell bewegte; den Kopf mußte man ganz langsam drehen. Am meisten fürchtete Dr. Renault für seine Augen, es war, als würden sie ihm aus dem Kopf gebrannt. Ein paar Sekunden verhielt er sich still, saß rittlings auf den Röhren und drückte die Hand gegen die Augen. Unter sich hörte er ein Klopfen, einen hohlen, trocknen Laut. Vorsichtig öffnete er die Augen einen Spalt breit und sah tief, tief unter sich, wie in einem Brunnen, in einem Dickicht von parallel laufenden Röhren, ein menschliches Gesicht, das mit weißen, blutunterlaufenen Augen auf ihn gerichtet war. Es war der Arbeiter, der Kesselstein abklopfte, rotgekocht im Gesicht, mit verschmutztem Schnurrbart. Nachdem Dr. Renault sich ein wenig gefaßt hatte, kroch er durch die Röhren langsam zu ihm hinunter und gab ihm die Hand. Sie nickten sich zu, sprechen konnten sie nicht. Es war ein älterer Mann mit kurzgeschorenem, grauem Haar und eigenartig schmaler Kopfform. Er holte tief Atem und strich mit dem Knöchel des Zeigefingers den Schnurrbart vom Mund – die Geste des einfachen Mannes, eine Reflexbewegung. Dr. Renault nahm ihm den Hammer aus der Hand und klopfte auf den Kesselstein, der wie eine dicke Glasur auf dem Kessel saß; es war kein Kinderspiel, ihn abzuklopfen. Wie oft mochte der Mann wohl abgelöst werden? Er gab ihm den Hammer zurück und legte ihm brüderlich die Hand auf die Schulter. Sie nickten sich zu, und Dr. Renault kletterte durch die Röhren wieder nach oben und wand sich durch das Mannloch, um eine Erfahrung reicher.

Als er durch die Tür des Heizraumes gehen wollte, hatten die Arbeiter dort ein Hindernis, einen Schubkarren, hingebracht, standen mit gespannter Miene im Hintergrund und grinsten. Meister Franck erklärte lächelnd, daß es sich um einen Scherz handelte, Dr. Renault sollte blechen, aber natürlich brauchte er keine Notiz davon zu nehmen. Dr. Renault verstand, schrieb einen Scheck für eine Kiste Bier und gab ihn den Heizern, die das Hindernis sogleich entfernten und salutierten.

»Dies ist noch gar nichts,« sagte Meister Franck, als sie dem Lärm entronnen waren, »schlimm wird es erst, wenn wir ins Rote Meer und zu den Tropen kommen! Dort schnappen sie nach Luft wie die Fische.«

Sie gingen durch den Tunnel, wo die Schraubenwellen lagen, eine zu jeder Seite; es waren lange, kellerartige Räume, die Wände bestanden aus den querlaufenden Spanten und genieteten Eisenplatten, Eisen, Eisen überall. Durch die Ausstrahlung des Wassers auf der anderen Seite der Platten herrschte hier unten eisige Kälte.

Hin und wieder brannte eine spärliche Glühlampe. Die Schraubenwellen liefen durch die ganze Länge des Tunnels; mannstark, aus solidem Stahl drehten und drehten sie sich um ihre eigene Längsachse. Wenn man sich allein in der Mitte des Tunnels befand und von keiner Seite aus das Ende erblicken konnte, tauchte die geisterhafte Vorstellung einer Weltordnung auf, deren Sinn man nicht erfaßte, von der man nur wußte, daß ein dicker, rotierender Mast quer hindurchlief. Warum er rotierte, woher er kam, wohin er ging, das entzog sich menschlicher Erkenntnis. War es nicht ebenso mit den Himmelskörpern, wußte man mehr vom Zusammenhang des Universums?

Dr. Renault hatte schon früher auf einer Schiffswerft einen großen Dampfer im Bau gesehen: Die große hydraulische Presse, die Nietlöcher in die zentimeterdicken Eisenplatten stanzte; ein Zapfen aus Stahl stieß wie eine Fingerspitze mühelos durch die Eisenplatte, auf der das Nietloch mit Kreide aufgezeichnet war. Stampfen, Brüllen, und schon fiel unten die runde Eisenscheibe heraus, heißgeworden durch die harte Behandlung, die ihr zuteil geworden war. Ruhig rückte die Eisenplatte ein Stück weiter und bald war, mit Stampfen und Brüllen, ein neues Loch gebohrt. Auch im großen Bodenraum war er, wo Modelle zu jeder Platte aus dünnem Holz geschnitten und Nietlöcher aufgezeichnet wurden, so daß die Platten, die zusammengehörten, millimeterscharf zueinander paßten, wenn sie auf dem Stapel zusammengenietet wurden. Auf jeder Seite der Platte arbeitete ein Nieter, der eine schob den Bolzen ein, den er glühend aus einer fahrbaren Schmiede zog und mit einem Niethammer hielt; der andere bediente einen pneumatischen Hammer, der das Ende des Bolzens flachdrückte, so daß er wie ein runder Knopf schloß, bevor er erkaltete. Geräusche wie das Picken eines Spechts in einem Wald aus Eisen ertönten schon von weitem aus Docks und Werften, in denen Scharen von Ameisen in einem Netzwerk von Gerüsten den großen, mennigroten Rumpf zusammensetzten.

Dr. Renault hatte viel über den Dampfer erfahren, nachdem er mit Meister Franck die Runde auf der Arethusa beendet hatte. Oben und unten, vorn und achtern, sogar unten im vordersten Raum waren sie gewesen, wo die Ankerketten aufgerollt lagen, jedes Glied so groß wie der Kringel auf einem Bäckerschild. An einigen Gliedern, die mit dem Anker auf dem Meeresboden gelegen hatten, entdeckte Dr. Renault Krusten von blauem, getrocknetem Lehm mit kleinen Muscheln vom Meeresgrund; schweigend brach er ein Stück davon ab, um es später eingehend zu untersuchen.

Auch über die Mannschaft hatte er bei dem Rundgang manches erfahren, ein Blick durch die offenstehende Tür ihrer Kajüten und Kammern an entlegenen Orten des Dampfers oder in das Logis der Matrosen vorn auf dem Back, hatte ihm vielerlei erzählt: Kahle Wände, Gestank von vertragenen Kleidern, Feuchtigkeit, Wachstuch auf den Tischen, und Fliegen. Es gab Höhlen und Slums an Bord, wo Leute im Sweater, denen diese oder jene Beschäftigung oblag, sich umhertrieben, Männer mit harten Augen. Blicke, nicht offenkundig feindselig, aber unnahbar, hatten ihm zu denken gegeben. Man konnte den Versuch machen, sich ihnen zu nähern, aber sie wünschten keine Gemeinschaft mit dem gutgekleideten Passagier, den sie an ihrer Tür vorbeigehen sahen. Zwischen ihnen und denen da oben gab es keine Versöhnung. Eine alte Kluft, über die keine Brücke führt, gähnt zwischen denen, die arbeiten, und jenen, für die gearbeitet wird.

War es jemals anders gewesen auf einem Schiff, seit Sklaven auf Ruderbänken in römischen Galeeren angekettet saßen? Oder in der Normannenzeit, als freie, bewaffnete Wikinger sicher nicht selbst an den Riemen gesessen hatten! Dazu hatte man Gefangene, eine Tatsache, die so selbstverständlich war, daß man sie nirgends erwähnt findet.

Blickte Dr. Renault zur Kommandobrücke hinauf, so sah er dort zu allen Tageszeiten Kapitän und Steuermann wie Raubvögel über die Persenning spähen, die nur so hoch war, daß man gerade darüber hinwegblicken konnte. Sie patrouillierten auf und ab, auf und ab wie eine Turmwache, und richteten hin und wieder ein großes Doppelfernrohr auf den Horizont. Die betreßten Mützen dort oben garantierten Ordnung und Sicherheit auf dem Schiff. Dr. Renault hatte einmal gehört, daß die nordische Regierungsform, der Parlamentarismus, seinen Ursprung in der Gemeinschaftsordnung auf einem normannischen Schiff haben sollte, ein Gedanke, mit dem man nicht ohne weiteres fertig wurde. Denn wie verhielt es sich in solchem Fall mit denen, die ruderten?

An dem vorderen Mast, in derselben Höhe wie der Mastkorb, war eine Aussichtstonne angebracht. Auch dort hinauf kletterte Dr. Renault mit Meister Franck und betrachtete den Dampfer von oben. Es war eine seltsame Perspektive; der schwere Eisenmast sah nach unten zu wie ein Bleistift aus, und der Rumpf schien viel zu schmal, um die Takelage zu tragen; man bekam den Eindruck, daß das Schiff außer Gleichgewicht sei.

Schließlich war Dr. Renault noch ganz vorn am Steven und blickte an dem langen, steilen Pflugeisen hinab, mit dem der Dampfer tief unten durch die Wogen schnitt. Ein leise schabender Laut drang von unten herauf, ein luftiges Brausen des Meeres, das nach rechts und links in weiße Kragen geteilt wurde, grüne Wassermassen von Schaum marmoriert, der mit einem Geräusch zerstob, als ob Kohlensäure aus einem Champagnerkelch entwiche. Wie einsam ist der Steven eines Schiffes!

Durch alle Eisenteile des Dampfers von vorn bis achtern fühlte man ein Vibrieren, als legte man die Hand auf eine große schnurrende Katze. Tief unten stampften die Maschinen, ein unterirdischer Puls, das Herz einer Welt, die auf kleinem Raum zusammengedrängt war und vorwärts wollte.

Von der runden Reeling hing achtern die lange Leine des Logs im Kielwasser, das rotierende Rad schwamm einen Meter weit draußen. Auf der Reeling lag die Meßuhr, aus der man in regelmäßigen Zwischenräumen den Klang einer zarten Glocke hörte, während einer der Zeiger gleichzeitig eine Einheit vorwärtssprang.

Doppeltes Kielwasser folgte dem Dampfer wie ein Mahlstrom. Die Schrauben wühlten weiße und grüne Wassermengen auf, die man als eine breite Landstraße auf dem Ozean, mit einer Wolke von Möwen darüber, weit, weit hinter sich ließ.

Die Arethusa befand sich auf hoher See, mitten im Mittelländischen Meer, einen Ring von Wasser um sich herum. Die Masten himmelstrebend, die rauchenden Schornsteine ein wenig nach hinten geneigt, steuerte sie auf einer Seite aus dem Ring heraus, auf den Horizont zu, vom Norden zum Orient.


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