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V

Die Arethusa der Innis-Linie war jahrelang als Passagierdampfer, mit Zwischendeck für Auswanderer, nach Übersee gefahren. Als der Zug der Auswanderer aber abnahm, wurde sie als Luxusdampfer für Gesellschaftsreisen eingerichtet, ein Vorgang, der in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht unbekannt ist. Früher wanderte man aus, heutzutage besucht man sich. Die große Auswanderungsgeschichte der Menschheit, die im neunzehnten Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, ist beendet, und der Touristenverkehr zwischen den Weltteilen ist zu einer Art Fährenbetrieb geworden. Die Arethusa machte große überseeische Reisen, und diesmal war sogar eine Reise um die Welt vorgesehen, die mehrere Monate dauern sollte und zu der Passagiere aller Nationen in Europa aufgesammelt wurden; auch Amerikaner befanden sich an Bord, die die Heimreise nach den Staaten auf einem Umweg antreten wollten.

Zuerst sollten die Häfen des Mittelländischen Meeres besucht werden, Italien, Griechenland, die Türkei, Palästina und Ägypten. Darauf ging die Fahrt durch den Suezkanal nach Indien, Japan, China, über die Südseeinseln nach Amerika und von dort nach Europa zurück; es war also eine regelrechte Weltumseglung. Der illustrierte Katalog der Schiffahrtsgesellschaft lockte mit vielen Bildern: Die Bucht von Neapel mit einer Pinie im Vordergrund, den Vesuv im Hintergrund; der Ätna von Taormina aus gesehen; die Akropolis und ein Esel; Jerusalem vom Flugzeug aus photographiert; Pyramiden und den Sphinx, Damen auf Kamelen davor, verschleierte Araberinnen mit Wasserkrügen auf dem Kopf usw., usw. Der buntfarbige Umschlag des Katalogs zeigte eine junge, schlankgliedrige Europäerin im Badekostüm, die sich von dem azurblauen Himmel und dem Strand einer Südseeinsel mit Palmen im Hintergrund abhob. Traum und Wirklichkeit in reizvoller Vermischung.

Alle Teilnehmer der Fahrt gehörten zu der sogenannten oberen Klasse, jedenfalls besaßen sie Geld genug, um sich dort einen Platz zu kaufen, und Zeit genug, sich ein halbes Jahr lang dem Müßiggang hinzugeben.

Auf einem Dampfer mit Passagieren mehrerer Nationen an Bord wird sich ganz von selbst die Gesellschaftsordnung herstellen, die für die Bevölkerung der ganzen Welt maßgebend ist: Das englische Element ist vorherrschend, auf alle Fälle die englische Sprache, auch wenn es kein englischer Dampfer ist. Gruppenweise hörte man verschiedene Sprachen, die Gruppen untereinander aber redeten sich auf englisch an. Englisch gekleidet sind heutzutage ja alle Menschen, alle Gewohnheiten sind angelsächsischen Ursprungs. Insofern waren die Passagiere der Arethusa eine Verkörperung der internationalen Zivilisation der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, alle waren Waffeln vom selben Eisen. Hier oder dort aber steckte vielleicht doch eine Individualität unter der Uniform und brach sich durch Nationalität, Kleidung und Sprache Bahn. Die Zeit würde es lehren.

Viele Passagiere waren ältere Leute, manche sogar sehr alt, zwischen siebzig und achtzig, und dann waren es sicher englische Ehepaare. Engländer reisen, wenn sie alt und wohlhabend geworden sind, ein eigenartiger Geschmack der Nation. Kann man sich nicht mehr rühren, dann soll sich die Welt um einen herum bewegen. Bevor man stirbt, will man Darjeeling noch einmal sehen, wenn man auch hingetragen werden muß. Dieser Typ ist in den Kolonien entstanden.

Solcher Paare gab es mehrere auf dem Dampfer, das älteste war ein uralter General a. D. und seine Frau. Bereits vor der Abfahrt des Dampfers hatten sie sich, unbekümmert um Lärm und Landschaft, auf dem Promenadedeck in Plaids einpacken lassen und lagen dort Seite an Seite wie ein paar Puppen; ihretwegen mochte geschehen, was da wollte! Der alte Militär im Besitz gesunder Pferdezähne, klammerte sich mit ihnen an das Leben, verkörpert durch eine Dunhill-Pfeife. Nicht alles an ihm war alt. Seine Frau sah aus, als sei sie aus Schnee. Solch altes verankertes Ehepaar trifft man auf allen Dampfern, sie bleiben auf der Netzhaut haften. Die Jugend nahm keine Notiz von ihnen, und sie nicht von der Jugend. An Bord gab es einen Schwarm von Jungen, die den Dampfer wohl über kurz oder lang in Besitz nehmen würden.

Ein jedes Alter war vertreten, auch jenes, das man mit einem vagen Begriff das mittlere nennt. Zu dieser Kategorie konnte man, wollte man höflich sein, einen vornehm aussehenden älteren Herrn rechnen, mit ergrautem Schnurrbart, aber frischer Gesichtsfarbe und schlankem Wuchs. Im übrigen unterschied er sich von anderen älteren vornehmen Herren nur durch eine seltsam bleifarbige Reisemütze aus dünnem Stoff, während alle anderen natürlich die übliche Kopfbedeckung aus Tweed, den sogenannten Sixpence, trugen. Durch solche kleine Äußerlichkeiten kann man in den ersten Tagen an Bord gegenseitig aufeinander aufmerksam werden. Übrigens hatte die Arethusa so viele Passagiere, und die Besatzung war so groß, daß noch am Schluß der Reise Gesichter auftauchen konnten, die man noch nie gesehen hatte.

Wer der Herr in mittleren Jahren mit der ungewöhnlichen Kopfbedeckung war, wußte niemand, noch schien er Bekannte an Bord zu haben. Im Speisesaal erschien er im Smoking nach neuestem Schnitt, der dicke, eisengraue Schnurrbart verdeckte die Lippen und füllte den Raum zwischen Nase und Mund ganz aus. Das volle Haar war fast weiß, kurz geschnitten und widerspenstig. Die Anzüge saßen dem alten hageren Herrn wie angegossen, die Stiefel waren handgenäht, das Oberleder aus einem Stück, vorn breit, Offiziersstiefel. Man konnte ihn für einen Militär halten, obgleich der Ausdruck seines Gesichts eigentlich nicht Zugehörigkeit zur Offiziersklasse verriet. Sein Gang war eigentümlich zerstreut, ein wenig schwankend, seinen Augen aber entging nichts, er schien irgend etwas zu beaufsichtigen; ein Detektiv konnte ihn für einen Kollegen halten, bevor er vom Zahlmeister an Bord, der eine Liste über alle Passagiere führte, seine Personalien erfuhr.

Es war Dr. Renault. Nachdem er Europa von Norden nach Süden durchreist hatte, war er auf die Idee gekommen, sich eine Kabine auf der Arethusa zu nehmen, um auf diese von vornherein geordnete Weise eine Rekognoszierungsreise um die Welt zu machen und sich unterwegs zu erholen und Menschenkenntnisse zu sammeln.

Mit Behagen nahm er seine Kabine in Besitz, eine geräumige Zelle, die seinen Bedürfnissen völlig entsprach. Nachdem er seinen Rasierpinsel an die Wand gehängt hatte, packte er seine Bücherkiste aus, die hauptsächlich Werke über Ethnographie, Reisebeschreibungen und eine kleine Auswahl Klassiker enthielt.

Auf den Schreibtisch legte er folgende Dinge, die rein persönlichen Charakter trugen: ein Stück Meteoreisenstein mit geschmolzener Kruste, die an einer Stelle gefeilt war, so daß man die inwendige kristallinische Struktur sehen konnte. Der Stein war mit anderen irgendwo in Finmarken herabgefallen und, nicht ohne Geldopfer, in Dr. Renaults Besitz gelangt. Daneben legte er ein Stück geschliffenen Bernstein, das eine fossile Wanze umschloß. Darauf packte er ein großes schweres Werkzeug aus Flintstein aus, einen coup de poing, aus der frühesten Chelléen-Zeit, den er in Frankreich in Anbetracht dessen, daß das Stück überhaupt unschätzbar war, für einen annehmbaren Preis bekommen hatte. Schließlich stellte er noch eine Statuette auf, eine antike Bronze, ein Unikum, mit der Patina einiger Jahrtausende, die Figur eines blutjungen Weibes mit erhobenen Armen, die ursprünglich einen Handspiegel gehalten hatten. Sie war so teuer gewesen, daß man es gar nicht laut sagen durfte. Wäre Dr. Renault gefragt worden, dann hätte er geantwortet, er habe sie gestohlen. Kleptomane Anwandlungen hatte er ihretwegen jedenfalls gehabt. Als Skulptur betrachtet, war sie wohl die edelste Darstellung eines jungen Weibes, die je von einer Kulturperiode hervorgebracht worden war. Dr. Renault wollte sie immer vor Augen haben, weil sie die einzige Frau verkörperte, die er ganz zu besitzen gewünscht hatte.

Man behauptet, Frauen können sich nicht wohnlich einrichten, ohne einen Altar aufzubauen, sei es auch nur eine Kommode mit symmetrisch aufgestellten Leuchtern und Kaffeetassen. Männer sind um kein Haar besser, nur verlangt ihre Religion nicht ausdrücklich Pendants, die einander gegenüberstehen.

Nachdem Dr. Renault schließlich noch ein kleines Bild an die Wand gehängt hatte, Montgolfiers ersten Ballonaufstieg, ein zartes Aquarell in zeitgenössischem Rahmen, das er in einem Antiquitätengeschäft in Paris aufgestöbert hatte, war er fix und fertig, fühlte sich wie zu Hause und setzte sich in einen Sessel, um in seinen neuerworbenen Büchern zu blättern.

Das Zeichen zum Mittagessen ertönte, feurige Trompetensignale, wie vor einer Schlacht, zuerst ganz in der Nähe, vor den Kabinentüren, dann hinsterbend, indem sie sich auf den langen Gängen entfernten, und bald begannen aus allen Kabinen die Passagiere in Abendtoilette in den Speisesaal zu strömen. Es gab nur eine Klasse an Bord, die Touristenklasse, alle besaßen Zutritt zur ersten Klasse. Gewisse Unterschiede machten sich natürlich je nach den Schiffskartenpreisen oder aus anderen selbstverständlichen Gründen geltend. Die Damen erschienen in großer Toilette, mit entblößten Armen und Schmuck; die Herren trugen ohne Ausnahme Smoking, jene allgemeine und in aller Welt gültige englische Verkleidung.

Unter den Damen war der schlanke, langarmige Typ vorherrschend, die neue Linie. Und die Damen der Gesellschaft kamen den Forderungen der Mode offenbar mit derselben Unerschrockenheit entgegen wie die Damen im Aschenbrödel, die sich Hacke und Zehe amputieren ließen, damit ihnen der Schuh paßte. Die meisten sahen aus, als seien sie vorn und hinten glatt gebügelt. Komisch, daß sich das Charakteristische des Geschlechts durch Abwesenheit äußerte! Im passenden Verhältnis zu dem Luxus, den die Frauen zur Schau trugen, stand der Machteindruck, der von ihren Besitzern im Smoking ausging. Waren die Männer auch gleichgekleidet, so gab es doch Unterschiede, zum Beispiel in der Art, wie sie das Kinn über dem Stehkragen trugen und ihre Damen zu Tisch führten. Einige kamen wie mit ihrer Kuh angezogen, andere umfaßten mit dem Blick eines Tierbändigers das kürzlich eingefangene, noch scheue und flüchtige Wild.

Bei den Klängen der Tafelmusik, gedämpften, bebenden Violintönen, füllte sich das Restaurant wie in einem Kurort oder einem großen mondänen Hotel. Die Gesellschaft verteilte sich an zahlreichen kleinen Tischen, zwischen denen sich ein Stab von Kellnern lautlos auf dicken Teppichen bewegte. Der ganze Raum war wie ein Kaleidoskop von Glühlampen, Prismen und Spiegeln, mit allseits gleicher Perspektive, scheinbar ohne Wände. Man ahnte nicht, ob man sich längs oder quer zur Fahrtrichtung befand. Was speiste man?

 

HORS D'ŒUVRE:
Beluga Malossol Kaviar mit Blini.
Cape Cod Austern in der Schale.
Gemischte kalifornische Früchte.
Salzmandeln. Sellerie.

 

SUPPE:
Geflügelcreme à la Agnes Sorel.
Petite Marmite.
Artischocken Purée Georgette.
Brühe mit Mark.
Kalte Tomaten Essenz Madrilène.

 

FISCHE:
Filet von Zungen, Marquise.
Geröstete spanische Makrele, Sauce Gourmande.
Gebratene Whitebait mit Rosen-Paprika.

 

TAGESGERICHT:
Lammrücken Châtelaine.

 

ENTRÉES:
Ochsen-Filet vom Grill London House.
Taubenkapaun à la Chartreuse.
Schweinskoteletts mit Apfelkompott.
Kalbskassoletts à la King.

 

KALTE SPEISEN:
Filets von Alaska Lachs.
Chaudfroi von Auerhahn auf Ananas.

 

BRATEN:
Amerikanischer Ochsenbraten au Jus.
Long Island Wildente mit Apfelsauce.
Französisches Huhn am Spieß gebraten.

 

VOM GRILL:
Mixed Grill.
Tomaten mit Wiltshire Bacon,
Hammelniere à la Chateaubriand.

 

SALATE:
Florida.
Endivien.
Romain.
Lakmé.

 

GEMÜSE:
Kalifornische Spargel.
Palmenschößlinge, Sauce Hollandaise.
Frische grüne Bohnen.
Frische grüne Erbsen, Country Style.
Glasierte Kastanien.
Maiskolben.
Blumenkohl.
Pommes frites.
Byron.
Ninon.
Gekochte neue Maltakartoffeln.
Maire.

 

DESSERT UND KOMPOTT:
Savarin mit Rumfrüchten.
Gemischtes Kompott.
Fruchtsalat.
Profiteroles
Excelsior.
Tüten mit Schlagsahne und Erdbeeren.
Dosenaprikosen.

 

EIS:
Coupe St. Jacques.
Nougat Parfait.
Friandises.
Eispunsch.
Kardinal.

 

KÄSE:
Nach Wahl.

 

OBST:
Früchte der Jahreszeit.
Nüsse. Rosinen.

 

KAFFEE:
Mokka.

 

 

Während Dr. Renault das Menü las, gingen ihm Gedankenverbindungen naturhistorischer und philosophischer Art durch den Kopf. Der Stör gab Anlaß zu einem hastigen geographisch-zoologischen Überblick über die Ganoiden und die ersten Erdperioden. Ob der Kaviar auch gerecht zwischen den Massen im kommunistischen Rußland verteilt wurde? Seltsam, die Auster, die Steinzeitkost, war heutzutage eine der größten Delikatessen, an der die Spitzen der Gesellschaft den gleichen Geschmack fanden wie rülpsende Feuerländer!

Der Sellerie ist eine hübsche Doldenpflanze mit einem eigenartigen, säuerlichen Aroma, das man bisweilen an Ufern von Bächen und Flüssen riecht. Die Artischocke ist eine Korbblume, im Grunde aber nur eine große Distel. Daß Speisen mit einem polyglotten Kauderwelsch verbunden sind, weiß man ja, daß man aber ausgerechnet Agnes Sorel, Chateaubriand, die Kartäusermönche, einen anonymen Kardinal und einen gewissen King, Byron und Ninon im Kochbuch antrifft, ist doch zum mindesten merkwürdig …

Dr. Renault atmete geräuschvoll durch die Nase, die wie mit Pelzwerk gefüttert war, und durch seinen dichten Schnurrbart ging es wie ein Wind. Wenn der Weise vor schwierigen Problemen steht, putzt er sich ein paarmal die Nase.

Dr. Renault zog es vor, die Probleme sofort einer praktischen Prüfung zu unterziehen. Er aß vom Kaviar, der ein wenig zu salzig war, aber dennoch einen einzigartig rohen und fischigen Geschmack besaß, einen Urgeschmack, als spürte man das erste Leben auf der Zunge. Der Lachs aus Alaska schmeckte ein wenig ölig, die maltesischen Kartoffeln waren zu zeitig ausgegraben und hatten darum einen faden, aber dennoch feinen Erdgeschmack. Der kalifornische Spargel war bitterer als der europäische; der Beifall, den der Spargel findet, hängt mit Erinnerungen im Unterbewußtsein an Strandleben zusammen; der Feinschmecker war einst ein vagabundierender Sammler. Mit gutem Appetit verzehrte Dr. Renault heiße geröstete Hammelnieren, ein Schlachtgericht, das seinen animalischen Ursprung nicht verleugnen konnte. Als Arzt hätte er eigentlich Eingeweide meiden müssen. War aber nicht die Leber erst kürzlich wieder zu Ehren gekommen? Wer weiß, vielleicht war man mit der Zukunft im Bunde, wenn man Nieren aß! Zu den Speisen trank Dr. Renault Ale, das der Kellner vorsichtig an der Innenseite des Glases entlangfließen ließ. Bier weckt Vorstellungen von geschlossenen Räumen, Braustuben mit Feuer unter großen Kesseln, Wein aber lenkt die Gedanken auf den offenen Himmel und Sonnenschein. Mit Stilton-Käse auf kleinen knusprigen Brötchen beschloß Dr. Renault seine Mahlzeit.

Der Kaffee wurde im Rauchsalon eingenommen, in tiefen Ledersesseln. Es bildeten sich Gruppen und Kreise, die man auf der ganzen Fahrt jeden Tag an derselben Stelle antreffen konnte. Die einzelnen Physiognomien konnte ein Beobachter erst nach und nach in sich aufnehmen, ähnlich wie eine Melodie, die man gehört hat, sich erst einprägt, wenn sie wieder auftaucht. Die meisten Menschen sehen sich gegenseitig überhaupt nicht.

Alle diese zufällig zusammengewürfelten Menschen, eine kleine Stadt für sich, waren nun bis auf weiteres in die Gewalt des Schiffes und Meeres gegeben. Würden sie eine Wandlung durchmachen, wie die Passagiere eines anderen Schiffes in einer Märchenwelt von eines Dichters Hand?

Zum Kaffee genoß Dr. Renault eine Zigarette. Eine Innis aber war es nicht.

In allen Städten, die er besucht hatte, bevor er an Bord der Arethusa ging, hatten große, scheinbar ganz neue Schilder seine Aufmerksamkeit erregt, eine Reklame für die beliebte Zigarettenmarke. Innis Zigaretten! Können Tote erwecken! hatte daraufgestanden. Als Dr. Renault es zum erstenmal las, war etwas wie eine vergessene Erinnerung in ihm aufgetaucht, wie aus einem früheren Dasein oder einem Traum, und sein Schnurrbart hatte sich aus irgendeinem ihm unbekannten Grund gesträubt. Gemütsbewegungen pflegten sich bei Dr. Renault durch eine Kräuselung der Oberlippe zu äußern, wodurch der Schnurrbart sich an der einen Seite ein wenig hob; ein Zug, der ihm selbst unbewußt war, den man aber an Menschen beobachten kann, die mehr denken als reden.

Innis – hinter dem Namen verbarg sich ein Mensch, eine Persönlichkeit. Die Dampfschiffahrtsgesellschaft, der die Arethusa gehörte, trug denselben Namen, der Besitzer hieß auch so. Und in verschiedenen Hafenstädten hatte Dr. Renault große weißgestrichene Ölbehälter gesehen, auf denen mit riesigen Buchstaben, die man kilometerweit lesen konnte, ›Innis Oil‹ geschrieben stand. Innis war also nicht allein Tabakskönig und Direktor einer großen Reederei, er besaß auch eigenes Öl in den Häfen, wo seine Schiffe anliefen. Außerdem war allgemein bekannt, daß er einen großen Zeitungskonzern besaß und ein altes Schloß in Südfrankreich bewohnte, das einem Mitglied des Hochadels gehört hatte, falls er nicht mit seinem eigenen Flugzeug unterwegs war, um eine seiner Filialen in und außerhalb Europas zu besuchen. Von dem Mann selbst, Innis, der doch existierte, aber wußte man so gut wie nichts. Zu denen, die sich bei jeder Gelegenheit photographieren ließen, gehörte er nicht; unter den zahlreichen Anekdoten, die über ihn in Umlauf waren, war auch die Geschichte von dem Krieg, den er mit allen Photographen der Welt führte und in dem er offenbar Sieger blieb, denn tatsächlich sah man in keiner Zeitung das Bild des Magnaten, obgleich sein Name weltbekannt war.

Es gibt Menschen, die sich dem Bewußtsein der Öffentlichkeit dadurch einprägen, daß sie ihr Bild immer und überall sehen lassen; andere finden es wahrscheinlich vorteilhafter, die Neugierde durch eine auffallende und exzentrische Zurückgezogenheit zu reizen. Zu diesen schien Innis zu gehören.


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