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VI.
Maddick stellt einen Mann ein

Mick lag auf dem Bett, als Mrs. Chapman klopfte und meldete, daß der erwartete Herr gekommen sei.

Gleich darauf trat Delaney ein.

»Hallo, Stan!« sagte er und schloß die Tür.

Mick reichte ihm eine Zigarette, und sie ließen sich zusammen auf der Bettkante nieder.

»Nun, was für einen großen Plan haben Sie?« fragte Cardby.

»Ich wollte nur einmal mit Ihnen sprechen. Haben Sie die Abendzeitungen gesehen?«

»Nein, ich habe geschlafen. Steht was Interessantes drin?«

»Lange Artikel über den Ausbruch aus dem Gefängnis. Die Polizei sucht verzweifelt nach diesem Peter Borden. Unter allen Umständen soll der wieder verhaftet werden. Wenn er für sich bleibt, haben sie ihn in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschnappt.«

»Vielleicht denkt er anders darüber.«

»Möglich. Aber der Mann hat einen klaren Verstand und weiß selbst sehr genau, daß er sich ohne Hilfe nicht lange verstecken kann. Es wäre doch wirklich zu schade, wenn sie den wieder nach Brixton zurückbrächten.«

»Ich glaube auch, daß ihm das keine besondere Freude machen würde, Alibi.«

»Was würden Sie denn an seiner Stelle tun?«

»Schwer zu sagen. Vielleicht hat er ein halbes Dutzend guter Verstecke, wohin er sich zurückziehen kann. Dann wäre es sicherlich nicht leicht, ihm von einem zum anderen zu folgen. Am Ende hat er auch etwas vor, das er auf jeden Fall ausführen möchte, bevor er etwas anderes unternimmt. Vielleicht möchte er überhaupt niemand etwas von seinen Absichten erzählen, bevor er die Karten auf den Tisch legt, so daß er weiß, wie er mit ihm daran ist.«

»Sie meinen also, er ist ein Mann, der ein offenes Wort liebt und es nicht leiden kann, wenn man auf den Busch klopft?«

»Ja, nach allem, was ich von ihm gehört habe, muß es so sein.«

»Also gut, Borden, dann wollen wir offen miteinander reden. Ich habe Sie besucht, weil ein gewisser Mann sich für Sie interessiert. Und noch mehr: der Betreffende kann Ihnen besser helfen als irgend jemand in London. Wenn Sie erst einmal unter seinem Schutz stehen, können Sie getrost sein und die anderen auslachen. Unter gewissen Bedingungen ist er bereit, etwas für Sie zu tun.«

»Nun hören Sie aber auf, Alibi. Ich dachte, wir wollten offen miteinander reden. Was soll das Gefasel von einem gewissen Mann? Wenn Sie glauben, das sei ein offenes Wort, dann vergeuden wir nur unsere Zeit. In dem Fall gehen Sie lieber wieder und ich lege mich noch einmal aufs Ohr und nehme ein Auge voll Schlaf.«

»Seien Sie doch nicht so voreilig! Wir müssen beide vorsichtig sein. Mein Boß glaubt, daß er Sie brauchen kann, und er ist bereit, Ihnen zu helfen. Aber vorher möchte er gerne etwas über Sie wissen. Er ist schlau und kauft keine Katze im Sack.«

»Ich habe bis jetzt überhaupt noch nicht gesagt, daß ich mich verkaufe.«

»Es würde sich aber doch für Sie lohnen, wenn Sie mir ein wenig über sich erzählen wollten.«

»Hören Sie, Alibi. Bis jetzt habe ich nur allein gearbeitet. Und glauben Sie mir, ich bin gut dabei gefahren und habe viel Geld zusammengebracht. Warum sollte ich nun plötzlich mich mit jemand zusammentun, wenn ich selbst ein Ding drehen und den Gewinn für mich allein behalten kann? Beantworten Sie mir erst einmal die Frage, bevor wir mit meiner Familiengeschichte beginnen.«

»Nun, das ist leicht, Borden. Sie müssen doch immer alles selbst ausfindig machen?«

»Allerdings. Die Polizei gibt mir keine Tips.«

»Und wenn Sie dann etwas bekommen haben, müssen Sie es auch selbst verkaufen und an den Mann bringen.«

»Ich kenne ein paar verflucht gute Hehler, Alibi.«

»Das glaube ich schon, aber ist es nicht viel leichter für Sie, wenn ein anderer die Gelegenheiten für Sie auskundschaftet, alles vorbereitet, mit einer großen Organisation hinter Ihnen steht, Ihnen die Wagen und zuverlässige Mitarbeiter besorgt, die Beute für Sie verwertet und Ihnen schließlich Ihren Gewinnanteil per Post zuschickt? Ist das nicht viel angenehmer, als wenn Sie allein arbeiten?«

»Dabei gibt es noch verschiedene Wenns und Abers, die ich mir überlegen muß. Zunächst – welchen Anteil bekomme ich?«

»Wie kann ich Ihnen das sagen, wenn ich nicht weiß, was Ihre Spezialität ist?«

»Warten Sie noch einen Augenblick, Alibi. Ihr Boß muß Leute bezahlen, die mir helfen, und andere, die Wagen für mich beschaffen, und wieder andere, die Gelegenheiten ausspionieren. Dazu kommt der Verdienst für den Hehler und ein noch größerer Anteil für ihn selbst. Was bleibt dann noch für mich übrig? Vergessen Sie nicht, daß ich früher niemals mit einem anderen geteilt habe.«

»Sie können dann aber an größere Unternehmungen herangehen als jetzt.«

»Woher wollen Sie wissen, was ich jetzt tue? Ich habe Ihnen doch eben erzählt, daß ich schon mehr als einen großen Fang gemacht habe.«

»Mein Boß gibt sich nicht mit kleinen Dingen ab. Für ihn ist ein Geschäft erst groß, wenn es in die Tausende geht.«

»Das habe ich auch schon gehört. Aber so eine Sache gelingt einem einmal im Leben.«

»Wir machen durchschnittlich jede Woche so etwas.«

»Soviel Geld gibt es ja in ganz England nicht! Wer ist denn eigentlich der Boß, von dem Sie immer reden?«

»Sachte, sachte, Pete. Haben Sie sonst noch Schmerzen?«

»Ja. Bis jetzt habe ich mich immer auf mich selbst verlassen. Ich glaube nicht, daß ich mich daran gewöhnen kann, mit anderen zusammenzuarbeiten.«

»Alle Leute, die der Boß angestellt hat, sind gut.«

»Ist noch keiner von ihnen im Gefängnis gewesen?«

»Möglich, daß der eine oder andere einmal ein paar Jahre gesessen hat.«

»Dann können sie also nicht alle gut sein. Die wirklich Erstklassigen kommen niemals ins Gefängnis.«

»Nun steigen Sie einmal von Ihrem hohen Pferd herunter, Pete. Den Vorschlag, den ich Ihnen mache, würden andere mit Freuden annehmen. Das ist die beste Gelegenheit, die je einem jungen Mann geboten wurde. Ihre Jagd durch London muß dem Boß gefallen haben. Man erlebt es sehr selten, daß ihm jemand plötzlich imponiert.«

»Also gut, dann wollen wir jetzt zu den Tatsachen kommen. Wer ist Ihr Boß?«

»Er ist unter dem Namen Maddick bekannt.«

»Wer ist das nun eigentlich? Ich habe schon von dem Kerl gehört und mich oft gewundert, wer er sein könnte.«

»Hundert andere haben das auch getan, aber es ist nicht gut für die Gesundheit, viel über ihn zu fragen. Ich habe länger als ein Jahr für ihn gearbeitet, und er hat mich stets anständig behandelt, aber ich weiß heute nicht mehr über ihn als am ersten Tag, und ich will auch nicht mehr über ihn wissen. Wir hatten einmal einen, der zu neugierig war.«

»Was ist denn aus dem geworden?«

»Schwer zu sagen«, erwiderte Delaney mit einem harten Lachen. »Aber einige glauben, daß er oberhalb von Teddington in die Themse gefallen ist.«

»Und Sie meinen, ich würde in Maddicks Dienste treten, wenn Sie mir hier erzählen, daß seine Leute in den Fluß fallen?«

»Aber Sie sind doch vernünftig genug, daß Sie nur Ihre Aufträge erledigen, Ihr Geld einkassieren und den Mund halten. Solange Sie nichts sehen und hören, solange Sie blind, taub und stumm sind, können Sie alt und grau werden.«

»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Sie hierherkommen und mich anwerben sollen?«

»Ein paar Minuten nach Ihrem Ausbruch aus dem Gefängnis erhielt ich die Aufforderung, nach Ihnen Ausschau zu halten. Meiner Meinung nach wurde die gleiche Mitteilung an alle seine Leute ausgegeben. Hätte ich Sie nicht gefunden, so wäre sicher ein anderer auf Sie gestoßen.«

»Das sieht ja so aus, als ob Ihr Boß alle Nachrichten bekommt, die er braucht.«

»Das können Sie mir glauben, Pete. Was der nicht weiß, ist nicht der Rede wert. Dem werden Nachrichten gesteckt, daß die Polizei vor Neid grün würde, wenn sie davon erführe.«

»Wie schützt er denn seine Leute?«

»Er arbeitet seine Pläne so gut aus, daß sie eigentlich nie fehlschlagen können. Wer alle Befehle genau befolgt, kommt nicht in Gefahr. Aber wenn es nicht Ihr Fehler ist, daß Sie von der Polizei geschnappt werden, stellt er vor allem die nötige Bürgschaft, daß Sie entlassen werden, und besorgt zu Ihrer Verteidigung die besten Anwälte, die es in England gibt. Ihm kommt es nicht darauf an, ein paar hundert Pfund für einen tüchtigen Anwalt zu bezahlen, wenn die Sache sich gelohnt hat. Auf keinen Fall läßt er Sie in der Patsche sitzen.«

»Das klingt schon interessanter. Was wollen Sie denn von mir wissen?«

»Der Boß will Sie erst einstellen, wenn er genügend über Sie weiß. Geben Sie mir eine Vorstellung davon, was Sie können und was Sie tun, und überlassen Sie mir das Übrige.«

»Aus zwei Gründen wird er mich nicht in den Listen der Polizei finden – bis auf diese letzte Sache. Einmal bin ich vorher nie gefaßt worden, und zweitens habe ich meistens im Ausland gearbeitet. Vor drei Wochen kam ich von der Riviera. In Mentone ist mir eine glänzende Sache gelungen. Dabei habe ich so gute Beute gemacht, daß ich sechs Monate damit auskommen kann. Und ich gebe ziemlich viel Geld aus.«

»Was wollten Sie denn eigentlich mit dem Wagen machen, den Sie gestohlen haben?«

»Das kann ich Ihnen ja jetzt ruhig sagen, da ich die Sache nicht wieder aufgreifen will. Ich wollte bei einer Firma in Camden Town eine Summe abholen. Ich wußte, daß sie ungefähr vierhundert Pfund in der Kasse hatten und daß nur drei Leute in dem Geschäft sind.«

Alibi betrachtete ihn mit erhöhtem Interesse. »Was – das wollten Sie ganz allein machen?«

»Gewiß. Warum auch nicht? Wenn man allein ist, weiß man, daß man sich nicht auf einen Fremden zu verlassen braucht.«

»Mein Gott! Dann ist es allerdings kein Wunder, daß Maddick Sie für sich haben will.«

»Also, nun wollen wir einmal einen Augenblick geschäftlich sprechen, Alibi. Ich bin nicht gewöhnt, blauen Dunst zu reden. Unter folgenden Bedingungen würde ich in Maddicks Dienste treten. Erstens: Kleine Sachen mache ich nicht. Sobald mir einmal eine drittklassige Geschichte angeboten wird, gehe ich meiner Wege. Ich beteilige mich nicht aus Gesundheitsrücksichten – je eher Maddick das klar wird, desto besser ist es. Zweitens: Wenn ich von der Polizei verhaftet werden sollte, muß Maddick mir einen Anwalt stellen, und zwar einen verdammt guten Redner. Drittens: Solange die Polizei nach mir sucht, muß er mich irgendwo sicher verstecken, bis er mich zu irgendeinem Unternehmen braucht. Viertens: Ich nehme von niemandem Aufträge entgegen als von ihm selbst. Damit nehme ich anderen die Möglichkeit, mich zu verpfeifen. Das wäre alles.«

»Sie haben ja Nerven, Pete. Sonst kommt es nicht vor, daß die Leute Maddick ihre Bedingungen diktieren. Er diktiert sie ihnen, und sie nehmen an, was er sagt. Aber ich will sehen, daß Sie anständig behandelt werden. Nun noch eins: Was liegt Ihnen am meisten?«

»Alles – mit Ausnahme von Mord, vorausgesetzt, daß genügend dabei herausschaut. Ich habe nicht die Absicht, Maddicks wegen mit dem Henker bekannt zu werden, auch nicht für das Doppelte all seines Geldes. Alles andere will ich tun, und je größer die Sache ist, desto mehr schätze ich sie. Bis jetzt habe ich verschiedene Erpressungen ausgeführt, mit gefälschten Banknoten gehandelt und ein paar Überfälle gemacht. Auch Urkundenfälschungen habe ich versucht, aber die sind mir nicht recht gelungen. Außerdem habe ich ein paar Geldschränke geknackt. Ich kann auch sonst noch allerlei, wenn die Geschichte Erfolg verspricht.«

»Sie können wirklich allerhand, Pete.«

»Ich habe frühzeitig angefangen, Alibi. Und ich habe auch nicht die Absicht, mich dauernd vor der Polizei zu verstecken. Wenn ich in die mittleren Jahre komme und mehr Fett ansetze, will ich ruhig und sicher leben können und vergessen, auf welche Weise ich mein Geld zusammengebracht habe.«

»Nun weiß ich genug, Pete. Morgen vormittag gegen elf komme ich wieder und sage Ihnen, wie die Dinge stehen. Heute abend bleiben Sie besser zu Hause, denn die Polizei durchsucht ganz London nach Ihnen.«

»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Gute Nacht, und viel Glück. Grüßen Sie den Boß von mir.«


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