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IV.
Vor dem Polizeigericht

Cardby saß auf einer Bank in dem Gang, der an den Saal im Polizeigericht von Marylebone stieß, als ein Beamter ihm eine Nachricht brachte.

»Rechtsanwalt Godfrey Olton ist hier, um Ihre Anweisungen entgegenzunehmen.«

Der junge Mann sah ihn gelangweilt an. Nicht die geringste Spur von Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht.

»Kann ich ihn hier sprechen?« fragte er.

»Sie können am Ende des Ganges mit ihm reden.«

»Gut. Sagen Sie ihm, daß ich bereit bin.«

Kurz darauf öffnete sich die Tür am Ende des Korridors, und ein dicker, bleicher Mann kam auf Mick zu. Er trug einen Kragen mit umgebogenen Ecken und eine gestrickte schwarzseidene Krawatte.

»Hier ist Ihr Klient«, sagte der Gefängniswärter und zeigte auf Cardby.

»Kommen Sie zu mir. Ich habe Anweisung, Sie heute morgen vor Gericht zu vertreten. Was wollen Sie zu Ihrer Verteidigung sagen?«

Die beiden standen vier Meter von dem Wärter entfernt und unterhielten sich leise miteinander.

»Wollen Sie mich hereinlegen?« fragte Mick, während er den Rechtsanwalt mit festem Blick betrachtete.

»Selbstverständlich nicht. Wie kommen Sie denn auf einen solchen Gedanken?«

»Regen Sie sich nur nicht auf. Es wäre nicht das erste Mal, daß die Kriminalbeamten jemand durch einen Trick übers Ohr hauen wollten. Ich möchte nur wissen, warum Sie sich hier überhaupt einmischen. Wer hat Sie hergeschickt?«

»Ich kann Ihnen den Namen des Betreffenden nicht nennen.«

»Da müssen Sie schon eine andere Ausrede brauchen. Die Polizei hat mich gestern dazwischengehabt. Ein paar Stunden lang haben sie mich verhört, aber nichts herausgefunden. Die können mir nicht das geringste anhaben. Vielleicht dachten sie, daß ich auf eine solche List hereinfalle? Sagen Sie ihnen nur, daß ich nicht von gestern bin. Die habe ich ja ordentlich zum Laufen gebracht! Und sie werden sich noch umsehen, bis ich mit ihnen fertig bin.«

»Sie haben mich vollkommen mißverstanden«, widersprach Olton. »Ich habe mit der Polizei durchaus nichts zu tun. Ich bin hergekommen, um Sie zu verteidigen.«

»Wer hat Ihnen denn den Auftrag dazu gegeben?«

»Wenn Sie so ängstlich sind, will ich Ihnen zeigen, daß ich den Auftrag tatsächlich bekommen habe. Heute morgen erhielt ich diesen Brief in meinem Büro. Das ist alles, was ich von der Sache weiß.«

Mick schüttelte zweifelnd den Kopf und nahm das Kuvert. Als er den Inhalt herausnahm, verzog er den Mund. Zunächst fand er einen Ausschnitt aus einer bekannten Abendzeitung und las einen packenden Bericht über die Vorgänge, die schließlich zu seiner Verhaftung geführt hatten. Keine Einzelheit war ausgelassen. In der Mitte prangte ein Bild von Chefinspektor Hall. Nachdem der Reporter noch die Fahrkunst des Detektivs Murphy gelobt hatte, schloß er mit einer vorsichtigen Bemerkung: »Morgen wird im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit ein Mann vor dem Polizeigericht in Marylebone erscheinen.«

Cardby las darauf eine kurze maschinengeschriebene Mitteilung, die weder Anrede noch Unterschrift trug:

»Einliegend finden Sie fünf Pfund in Einpfundnoten. Bitte übernehmen Sie die Verteidigung des Mannes, der in dem beigefügten Zeitungsausschnitt erwähnt ist.«

»Wollen Sie mir jetzt glauben?« fragte Olton.

»Hat die Geschichte viel Aufsehen erregt?« erkundigte sich Mick, ohne auf die Frage zu antworten.

»Aber natürlich! Alle Abendzeitungen haben gestern auf der ersten Seite genaue Berichte darüber gebracht, und auch heute morgen sind lange Artikel erschienen.«

»Und Sie wissen ganz bestimmt nicht, wer Ihnen den Brief geschrieben hat?«

»Wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen sagen.«

»Haben Sie derartige Zuschriften auch früher schon bekommen? Werden Sie bloß nicht ärgerlich. Sie würden auch vorsichtig sein, wenn Sie in einer so unangenehmen Lage wären wie ich.«

»Ja. Offengestanden habe ich schon zweimal solche Aufträge erhalten.«

»War es dabei genau so wie diesmal?«

»Nein. In den beiden anderen Fällen wurde mir der Name des Betreffenden mitgeteilt, aber den Ihren habe ich nicht erfahren. Wie heißen Sie denn?«

»Die Polizei bemühte sich gestern stundenlang vergeblich, das herauszubringen.«

»Sie machen die ganze Sache von vornherein für sich recht unangenehm, wenn Sie Ihren Namen nicht nennen wollen. Also, wie heißen Sie?«

»Ich kann Ihnen weiter nichts sagen, als daß mein Freund, der Gefangenenwärter, mir erklärt hat, ich sei Nr. 7. Ich bin angeklagt, ein Auto gestohlen zu haben.«

»Und haben Sie das getan?«

Cardby stützte den Ellbogen auf das Fensterbrett und sah den dicken Rechtsanwalt lächelnd an.

»Nein. Ich habe es mir nur geliehen, weil ich mir eine solche Marke kaufen, zunächst aber einmal ausprobieren wollte, ob der Wagen auch genügend Geschwindigkeit entwickelt. Daß ich Gas gab und davonfuhr, als ich den Polizeiwagen sah, hatte seinen besonderen Grund. Es ärgert mich nämlich, wenn ein Wagen mich auf der Straße überholen will. Im anderen Fall hätte ich den Leuten zugewinkt, daß sie vorbeifahren sollten, und ihnen eine Kußhand zugeworfen.«

»Ach, reden Sie doch keinen Unsinn, sonst brummt man Ihnen eine lange Gefängnisstrafe auf. Haben Sie schon einmal gesessen?«

»Früher hat man mich nie gefaßt.«

»Wenn Sie mir Ihren Namen nennen und mir genug erzählen, daß ich etwas vorbringen kann, werde ich dafür sorgen, daß Sie nicht mehr als drei Monate bekommen. Sie haben wahrscheinlich nur aus jugendlichem Übermut gehandelt. Aber wenn Sie weiterhin so bockig sind, steckt man Sie zwölf Monate ein. Also, seien Sie vernünftig, mein Junge, und sagen Sie mir etwas, was ich zu Ihrer Verteidigung gebrauchen kann.«

»Sie können meinen Namen als Pete Borden angeben. Einen festen Wohnsitz habe ich nicht. Ich hasse es, zu lange an einem Platz zu bleiben. Das ist zu ungesund bei meiner Tätigkeit. Ich habe keine Vorstrafen. Den Wagen habe ich nur zum Scherz genommen. Ich glaube, das ist genug, daß Sie mich gegen Bürgschaft freibekommen.«

»Ich kann keine Wunder tun. Sie müssen sich schon an den Gedanken gewöhnen, daß Sie mit dem Gefängnis Bekanntschaft machen, aber es ist immerhin möglich, daß Sie nur drei Monate bekommen. Wollen Sie in Ihrer eigenen Sache vernommen werden?«

»Nein. Ich will mir nicht alle möglichen Fragen an den Kopf werfen lassen.«

»Können Sie mir irgend etwas mitteilen, damit ich die Zeugen von der Polizei ins Kreuzverhör nehmen kann?«

»Das müssen Sie schon selbst herausfinden. Über die Tatsache ist kaum zu streiten. Die Leute haben mich verfolgt – ich hatte Pech und wurde verhaftet. Das ist die ganze Geschichte.«

»Also gut, Borden. Ich werde dem Wärter jetzt Ihren Namen sagen, damit er ihn auf der Anklageliste einsetzen kann. Sie erklären also, daß Sie nicht schuldig sind, und ich werde mein Bestes für Sie tun. Es liegt Ihnen doch sicher daran, daß der Fall heute entschieden wird?«

»Natürlich. Ich will nicht länger in Untersuchungshaft bleiben. Und sie werden mich auch nicht auf Bürgschaft freilassen, da ich keinen festen Wohnsitz habe. Sehen Sie zu, daß die Geschichte möglichst schnell erledigt wird.«

»Ich möchte Ihnen noch einen Rat geben, bevor ich gehe. Seien Sie vorsichtig in Ihren Äußerungen. Die Zeitungsleute haben sich auf die Sache gestürzt wie Schauspielerinnen auf einen Mann mit hohen Titeln. Solange die Verhandlung dauert, werden sie jede Kleinigkeit berichten, wie Sie sich räuspern und wie Sie husten. Wenn Sie es vermeiden können, lassen Sie sich nicht photographieren, damit Sie nachher nicht allgemein bekannt sind, wenn Sie aus dem Gefängnis entlassen werden. Der ganze Gerichtssaal wimmelt von Reportern, und draußen vor der Tür warten vier bis fünf Photographen.«

»Es ist gut, Olton, ich werde mich schon in acht nehmen. Das habe ich immer getan.«

»Also, ich sehe Sie nachher im Gerichtssaal«, erwiderte der Anwalt und verschwand durch die Tür.

Mick ging zu dem Wärter zurück, setzte sich auf die Bank, schob die Hände in die Taschen und streckte die Beine aus.

»Sie scheinen sich ja nicht viel Sorgen zu machen«, meinte der Beamte.

»Es geht mir großartig. Ich habe es früher noch nicht erlebt, daß ich vor Gericht erscheinen soll. Es mag allerdings sein, daß es nachher nicht so nett ist, wenn man vor dem Richter steht.«

»Das hängt ganz davon ab, wie der Alte bei Laune ist. Wenn er die Gicht hat, sind die Strafen immer sechs Monate höher, als wenn er sich wohl fühlt.«

»Dann will ich nur hoffen, daß es ihm heute so glänzend geht wie einem Mann auf einem Reklamebild für ein Heilmittel.«

»Es geht ihm nicht gut. Ich sah, wie er aus dem Taxi stieg. Und schon in seinen besten Stunden ist er ziemlich ungeduldig. Sie tun mir leid.«

»Ach, es gibt noch schlimmere Dinge auf der Welt. Mein Anwalt wollte meinen Namen angeben. Den hat er wohl Ihrem Kollegen da drinnen genannt?«

»Damit habe ich nichts zu tun.«

»Wissen Sie zufällig, ob der Anwalt tüchtig ist?«

»Ach, schlecht ist er nicht. Er kommt jetzt nicht mehr so oft her wie früher. Wenn er genügend Tatsachen weiß, kann er ganz gute Reden halten.«

Plötzlich öffnete sich die Tür am Ende der Stufen, die in den Saal führten. Die ersten vier Gefangenen waren schnell verhört und abgeurteilt. Mick schauderte, als er die unverfrorene Ruhe sah, mit der die Frauen in den Gerichtssaal traten. Manche waren jung und hübsch, manche alt und heruntergekommen. Gleichgültig nahmen sie ihr Urteil hin und kamen wieder zurück.

»Hier wird ja schnell gearbeitet«, sagte Cardby, als der Gerichtsdiener Nr. 5 aufrief. Er hatte die einzelnen Gefangenen beobachtet, während sie den Gang entlanggingen.

»Das sind alles alte Bekannte«, vertraute ihm der Wärter an. »Sie fühlen sich hier fast ebenso zuhause wie sonstwo.«

Fünf Minuten vergingen. Der ältere Mann, der eben wegen Trunkenheit und liederlichen Lebenswandels zu vierzehn Tagen Zwangsarbeit verurteilt worden war, trat in den Korridor. Zum dreiundzwanzigstenmal wurde er wegen der gleichen Vergehen bestraft. Er winkte dem Wärter zu, als ob er sich noch etwas darauf zugute täte, und schlenderte den Gang entlang nach den Gefängniszellen.

»Nummer sieben!«

Mick Cardby erhob sich und folgte dem Beamten, der ihn näherwinkte. Seine Schultern hingen ein wenig herunter, und er blickte trotzig vor sich hin, als er auf der Anklagebank Platz nahm. Dann schaute er sich im Gerichtssaal um, als ob er sich über seine Umgebung belustigte. Die Bänke der Presse waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Er begegnete auch dem Blick des Chefinspektor Hall, neben dem Detektiv Murphy saß.

Der Richter, ein starker, untersetzter Mann mit rotem Gesicht und kahlem Kopf, saß auf seinem Sessel und schrieb. Der Gerichtssekretär las die Anklage gegen Peter Borden vor, der beschuldigt wurde, am zwanzigsten des Monats um elf Uhr vormittags auf dem Cavendish Place einen Wagen gestohlen zu haben. Während der Verlesung wandte sich der Gefangene um und nickte seinem Anwalt zu, dann sah er wieder zu dem Gerichtssekretär hinüber.

»Bekennen Sie sich schuldig oder unschuldig?«

Die Zeitungsleute zückten die Bleistifte.

»Unschuldig!« sagte Cardby mit Nachdruck.

»In diesem Falle«, erklärte Olton, »erscheine ich hier als Verteidiger für den Angeklagten.« Er schüttelte ohne ersichtlichen Grund den Kopf und setzte sich wieder.

Chefinspektor Hall betrat den Zeugenstand. Wie die meisten Polizeibeamten sprach er die Eidesformel so schnell, daß man den Worten kaum folgen konnte.

»Chefinspektor Ernest Hall von New Scotland Yard«, sagte er, als er die Bibel auf das breite Geländer des Zeugenstandes legte. »Als ich gestern vormittag um elf Uhr mit Sergeant Waller und Detektiv Murphy am Äußeren Ring entlangfuhr, erhielt ich eine Nachricht, worauf ich den Angeklagten verfolgte, der eben auf den Äußeren Ring einbog. Nach einer halbstündigen Verfolgung wurde er im Regents Park verhaftet. Ich warnte ihn wie üblich und beschuldigte ihn, daß er ein Auto gestohlen hatte. Er antwortete: ›Ich bestreite die Beschuldigung und werde mich dagegen verteidigen.‹«

Mißgestimmt ließen die Zeitungsleute die Bleistifte sinken. Die Sache schien recht uninteressant zu werden. In zwei Minuten würde alles vorüber sein.

»Auf Grund dieser Tatsachen beantrage ich, daß dieser Fall auf eine Woche vertagt und der Angeklagte so lange in Untersuchungshaft genommen wird.«

»Wollen Sie dazu etwas bemerken, Mr. Olton?« fragte der Richter.

»Jawohl«, entgegnete der dicke Anwalt und erhob sich mühsam von seinem Sitz. »Ich habe die Anweisung, gegen eine Vertagung Einspruch zu erheben.«

»Aus welchem Grunde?«

»Der Gefangene erscheint zum erstenmal vor einem Polizeigericht, und auf die Anklage erwidert er, daß er nicht die Absicht hatte, den Wagen zu stehlen. Es war nur ein Streich, den er in jugendlichem Übermut beging. Er sieht jetzt natürlich ein, wie töricht er gehandelt hat, und möchte sich bei dem Eigentümer entschuldigen, ebenso der Polizei gegenüber wegen der Mühe, die er den Beamten verursacht hat. Was die Verfolgung anbetrifft, so erklärt er, daß er die Sache aus Wagemut und Tollkühnheit unternommen hat. Niemals hatte er die Absicht, den Besitzer des Wagens zu berauben. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der Unbescholtenheit des Angeklagten glaube ich doch, daß der Fall heute morgen ohne Vertagung erledigt werden kann.«

»Was haben Sie dazu zu sagen?« wandte sich der Richter an den Inspektor.

Hall beugte sich vor, als ob er ihm etwas Vertrauliches mitteilen wollte.

»Die Polizei legt großen Wert darauf, daß heute morgen bei der Verhandlung gewisse Dinge nicht erwähnt werden. Es werden noch weitere Nachforschungen angestellt, und es ist leicht möglich, daß später weitere Anklagen gegen den Gefangenen erhoben werden. Wir sind davon überzeugt, daß dieser Fall nicht kurzerhand abgeurteilt und vor allem nicht durch Stellung einer Bürgschaft erledigt werden kann.«

»Aber der Angeklagte ist doch nicht vorbestraft«, wandte der Richter ein.

Einen Augenblick schwieg Hall und schien zu überlegen, ob er weitere Mitteilungen machen sollte oder nicht. Als er dann sprach, war sein Ton noch leiser und vertraulicher als vorher.

»Das stimmt wohl, aber wir haben allen Grund, in dem Verhafteten einen gefährlichen Charakter zu sehen. Seit Wochen haben wir ihn in Verdacht, und wir halten ihn für einen der tollkühnsten und verwegensten Motorfahrer in England. Ferner soll später von uns dargelegt werden, daß er schon dauernd das Gesetzt übertreten hat, selbst wenn er bis jetzt noch nicht zur Anzeige gebracht oder verurteilt werden konnte. Außerdem wirkt in seinem Fall erschwerend, daß er keinen festen Wohnsitz hat.«

»Was haben Sie darauf zu erwidern, Mr. Olton?«

Der Anwalt drehte sich um und sprach mit seinem Klienten. Mick lehnte sich gegen das Geländer. Offenbar interessierte er sich wenig für den Gang der Verhandlung.

»Sie haben gehört, was der Inspektor eben sagte. Was wollen Sie darauf antworten?«

»Ich bestreite alles, was er vorbringt, und bestehe darauf, daß der Fall sofort abgeurteilt wird.«

»Mein Klient bestreitet die Behauptungen des Polizeibeamten energisch«, versicherte Olton. »Er sagt, daß diese Anschuldigungen vollständig grundlos sind, und daß die Polizei nichts Derartiges beweisen könnte. Ich muß auch gegen die unangenehme Art Einspruch erheben, in welcher der Polizeibeamte meinen Klienten zu verdächtigen sucht. Als Mr. Borden heute vor das Gericht trat, war er auf die Anklage gefaßt, die gegen ihn erhoben wurde. Aber jetzt hört er zum erstenmal, daß man weitere Anschuldigungen gegen ihn vorbringen will. Es scheint fast so, als ob der Gefangene verurteilt werden soll, bevor die Verhandlung durchgeführt worden ist.«

»Wollen Sie damit sagen, daß es meine Gewohnheit ist, ein Urteil zu fällen, bevor die Sache ordnungsgemäß verhandelt wurde?« fragte der Richter eisig.

»Nein, das war durchaus nicht meine Absicht. Ich wollte dadurch nur ausdrücken, daß solche allgemeingehaltenen Aussagen des Inspektors leicht ein sehr schlechtes Licht auf meinen Klienten werfen können. Es sind Behauptungen, die leichtfertig vorgebracht, aber unmöglich bewiesen werden können. Meiner Meinung nach handelt die Polizei in diesem Fall sehr ungerecht.«

»Vielleicht muß ich noch weitere Erklärungen hinzufügen«, unterbrach ihn Inspektor Hall. »Der Gefangene hat sich hartnäckig geweigert, irgendwelche Angaben über sich selbst zu machen, und erst heute morgen hat er seinen Namen genannt. Wir hatten noch keine Zeit, festzustellen, ob dieser Name auch wirklich sein eigener ist. Außerdem haben wir Grund zu der Annahme, daß die Flucht, bei der er gestern verhaftet wurde, nicht seine erste ist. Nur seine außerordentliche Geschicklichkeit und seine Waghalsigkeit haben ihn bei früheren Gelegenheiten der Verhaftung entzogen. Wir wollen später diese anderen Fälle vor Gericht bringen. Aber vielleicht will der Gefangene selbst einige Aussagen machen. Er könnte dann auch gefragt werden, warum er die Verhandlung heute sofort zu Ende geführt wissen will.«

»Wünscht Ihr Klient unter Eid verhört zu werden?« fragte der Richter.

Wieder besprach Olton sich kurz mit Mick.

»Nein. Der Angeklagte zieht es bei der Haltung der Polizei vor, den Zeugenstand nicht zu betreten, bis die Beamten die Verdächtigungen, die sie heute morgen geäußert haben, zurückziehen und sich bei ihm entschuldigen.«

Ein leises Lachen ertönte im Zuschauerraum. Der Richter machte ein düsteres Gesicht.

»Es bleibt mir in diesem Fall nichts anderes übrig«, sagte er, »als dem Antrag der Polizei stattzugeben. Der Angeklagte bleibt weitere sieben Tage in Untersuchungshaft.«

»Nummer acht!« rief der Gerichtsdiener.

Eine halbe Stunde später war Mick Cardby in dem Gefängniswagen auf der Fahrt nach Brixton. Zu gleicher Zeit berichtete Hall dem Vater des jungen Mannes, was sich vor Gericht zugetragen hatte, und Sir Wynnard Salter, der Polizeipräsident, bedankte sich bei dem Richter und gratulierte ihm.

Der Feldzug gegen Maddick hatte begonnen!


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