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24. Kapitel. Genesung

»Sehen Sie, liebe Thea, wie schön wir Sie hier untergebracht haben. Ich sagte es gleich, Sie müßten einmal einen ganzen Tag in unsern schönen Garten kommen; bei Ihnen oben in der Stube werden Sie nicht kräftiger.« Die Großmutter streichelte bei diesen Worten Theas noch immer schmale Wangen und fuhr fort: »Sie sollten eigentlich Seeluft genießen, das würde Ihre Nerven stärken.« »Der Doktor hat es auch verordnet«, sagte das in einem bequemen Klappstuhl sitzende junge Mädchen, »aber die Mittel fehlen. Meine Krankheit hat schon so viel gekostet; die arme Mutter wird lange darunter zu leiden haben. Wenn Sie mir erlauben, öfters in Ihren Garten zu kommen, hier unter der Akazie ist es so schön mit dem Blick auf den grünen Rasen und auf die herrlichen Rosen. Wie wohl tut es, nach langer Krankheit wieder die schöne, reine Luft einatmen zu können, ich bin so dankbar für alles. Überhaupt, Großmütterchen, nicht wahr, so darf ich Sie nennen, die Krankheit und alles Schwere, das ich durchgemacht habe, hat mir innerlich Segen gebracht, ich fühle etwas von dem Frieden, den die Welt nicht kennt.«

»Das ist recht, mein liebes Kind. Sie haben die Reue empfunden, von der es heißt: Die göttliche Traurigkeit wirket eine Reue zur Seligkeit, die niemand gereut, die Traurigkeit der Welt aber wirket den Tod. Wie viele junge Mädchen gehen zugrunde an sogenannter unglücklicher Liebe, wer aber sein Herz zu Gott wendet, des Seele wird genesen. Nur aufwärts geschaut und dann mit neuen Kräften vorwärts auf dem Pilgergang durch die Welt nach dem Himmel. Sie sind noch jung und können, wenn Sie wieder gesund und kräftig sind, viel leisten.«

»Ja, wenn ich nur wieder kräftiger werde. Ich bin immer so müde und kraftlos. Ich glaube nicht, daß Frau Dr. Ernst, die Tante des Fabrikbesitzers Löhr, mich noch ins Haus nehmen mag.« »Freilich mag sie das. Ich bin gestern bei ihr gewesen. Sie will sich noch einige Wochen allein behelfen, bis Sie sich gründlich erholt haben. Doch jetzt kommt Röschen, was bringt denn die Gutes?« Röschen warf ihren Hut in die Höhe vor lauter Lust und Übermut. »Ja, ich bringe viel Gutes«, sagte sie strahlend. »O wie bin ich glücklich, Thea, um deinetwillen. Du gehst mit deiner Mutter in ein Seebad und kommst mit dicken, runden Wangen heim. Hier ist für alles gesorgt.«

Mit diesen Worten warf sie ihr etwas in den Schoß, das fein und zierlich in Seidenpapier gewickelt war. Überrascht öffnete sie es; ein kleines Ei wurde sichtbar. Sie drehte es hin und her und sah Röschen fragend an. »Es läßt sich öffnen«, sagte diese, »versuch es nur.« Thea sah nun, daß es in der Mitte eine feine Spalte hatte. Sie drehte es auf und fand eine Rolle darin mit den Worten: »Zu einer Badereise nach Sylt oder Norderney.« Thea errötete. »Das ist natürlich von Josepha«, sagte sie gerührt. Röschen umarmte sie. »Wenn du es doch erraten hast, ja! Sie möchte alles für dich tun, um dich wieder gesund und kräftig zu sehen, sie wünscht, daß du jemand von den Deinigen mitnimmst, und daß du es dir so bequem wie möglich einrichtest. Wie freue ich mich mit dir, liebe Thea. Doch nun will ich gehen und nach dem Mittagessen sehen, damit du ein kräftiges Mahl erhältst, und der Tag im Pfarrhause auch etwas zu deiner Stärkung beiträgt.«

Sie eilte davon, Thea sah ihr nach. »Wie gut und lieb sie alle gegen mich sind.« Sie streckte sich in ihrem Stuhl, wie wohl tat ihr die schöne Luft im Garten, das Liegen im Grünen, über sich den blauen Himmel. Die Vöglein zwitscherten in den Zweigen. Die Bienen summten, bunte Schmetterlinge flogen von Blume zu Blume oder setzten sich wohl auch einen Augenblick auf die Lehne ihres Stuhles, um sich dann wieder in die Lüfte zu erheben. Sie schloß ein Weilchen die Augen, wie köstlich war das Gefühl der Genesung, nicht nur von Krankheit des Leibes, nein, auch Genesung von innerem Zerwürfnis, von Unruhe und Qual, von Gewissensbissen und Eifersucht. Es war durch Gottes Gnade alles dahin; sie hatte einen guten Kampf gekämpft und gesiegt. Wie schön war Gottes Welt, wie gern wollte sie nun für ihn und sein Reich arbeiten. Sie wollte dem kleinen mutterlosen Mädchen eine treue Freundin und Leiterin werden, und der alten Dame eine Stütze, wenn sie im Bade die gewünschte Kräftigung erhalten hatte.

Nun kamen Eva, Lieschen und Trude. Sie hüpften in den Kieswegen und bückten sich dann, um Blumen zu pflücken. Jetzt kamen sie auf Thea zu und legten verschämt die Blumen auf ihren Schoß. »Soll ich sie haben, ihr lieben, kleinen Mädchen?« »Ja, weil du krank bist.«

Am Nachmittage versammelte sich die ganze Familie um Thea, sogar der Herr Oberpfarrer setzte sich zu ihr und meinte, sie wollten alle unter den Akazien Kaffeetrinken, wenn es für Thea nicht zu angreifend sei. Diese versicherte, sie habe nach Tisch so herrlich geruht, daß sie sich ganz kräftig fühle. Nun entfaltete sich ein reges Leben. Die drei Mädchen mußten immer wieder zur Ruhe ermahnt werden, sie taten alles mit einem gewissen Ungestüm, aber schließlich hatten sie den Kaffeetisch so zierlich gedeckt, daß nichts daran zu tadeln war.

Der Oberpfarrer fand es so schön unter den grünen Blumen, daß er beschloß, heute der Familie seine Gegenwart ein wenig länger zu schenken. Er ließ sich von Emmi Missionsblätter aus der Studierstube holen und las vor, während Großmutter und die Töchter mit einer Handarbeit beschäftigt waren, Thea aber ruhend in ihrem Klappstuhl saß. Alles atmete Ruhe und Frieden. Die Genesende fühlte, wie wohl ihr dieser Tag tat, und hegte den stillen Wunsch, noch öfter solche Tage verleben zu dürfen.

Da schlug der Hund an.

»Besuch!« riefen Emmi, Nanni und Miezi wie aus einem Munde und warfen ihre Handarbeiten hin. »Bleibt bei eurer Arbeit«, gebot Großmutter, »ihr seht, daß Philipp schon aufgestanden ist.«

Pfarrer Bruger stand schon auf der Veranda. Er hatte einen schönen Rosenstrauß in der Hand, den er Philipp überreichte und ihm etwas zuflüsterte. Dieser ging mit den Blumen ins Haus, während Bruger mit Martin von Wrede, der ihn begleitete, auf die Gruppe im Garten zukam. Alle standen auf und begrüßten den alten Freund herzlich; er konnte merken, daß man ihn nicht vergessen hatte. Röschen, die bei der Begrüßung verlegen errötete, eilte ins Haus, um für den Besuch Tassen zu holen, während Philipp Stühle brachte und Großmutter bat, der Herr Pfarrer möchte zwischen ihr und dem Schwiegersohn Platz nehmen. Sie sprach ihre Freude aus, daß er Martin mitgebracht habe. »Er hat sich wochenlang auf diesen Nachmittag gefreut«, sagte Bruger; »da er so furchtsam und schüchtern ist, habe ich beschlossen, ihn recht viel unter andere Menschen zu bringen.«

»Nun Emmi, dann nehmt ihr euch nur seiner an, aber erst soll er Kaffee trinken.« Das ließen sich die Mädchen nicht zweimal sagen. Sie holten ihn an den Kaffeetisch, er mußte neben der Großmutter auf der andern Seite sitzen, und diese erfreute ihn mit allem möglichen Guten. Sie streichelte von Zeit zu Zeit seine blassen Wangen und meinte, er müsse tüchtig essen, damit er stark und groß würde. Doch schon, nachdem sie es gesagt hatte, bereute sie es, denn des Knaben Gesicht nahm einen wehmütigen Ausdruck an. Nachdem er sich erquickt hatte, nahmen ihn die Mädchen in ihre Mitte und gingen mit ihm davon. Bei dem lustigen Volk verging ihm bald die Schüchternheit; sie zeigten ihm alle Schönheiten des Gartens, dann ging es in den Hof, in die Stallgebäude, alles mußte er sehen und bewundern, unterdes Philipp es vorzog, bei seinem lieben Pastor Bruger zu bleiben und seinen Erzählungen zu lauschen.

Dieser kam bald auf die Familie von Wrede zu sprechen. Das Herz war ihm voll, man merkte es; je mehr er aber herausgab, um so besorgter blickte Röschen zur Großmutter hinüber. Sie hätte so gern das Gespräch auf etwas anderes gelenkt, es ließ sich aber nicht in unauffälliger Weise tun.

»Frau von Wrede ist eine prächtige Frau«, sagte er. »Je mehr ich sie kennenlerne, um so höher schätze ich sie. Mit welcher Geduld und Ergebung trägt sie die Sonderbarkeiten des alten Vaters! Sündlich ist es, wie er die arme Frau behandelt, er ist ein Geizhals erster Klasse. Es ist ihm nur schwer beizukommen, weil er sich nie sehen läßt und keine Besuche annimmt, sonst würde ich Gelegenheit nehmen, ihm sein Unrecht vorzuhalten.«

Die Großmutter beugte sich tiefer auf ihre Arbeit. Röschen, die neben ihr saß, sah, wie ihre Hände leise zitterten. Plötzlich richtete sie sich auf und sagte: »Mein lieber Pfarrer, wenn Sie sich dieses Ihres Gemeindegliedes annehmen möchten, so wäre es sehr dankenswert.«

»Nehmen Sie ein besonderes Interesse an dem Alten?« fragte Bruger lächelnd. »Ich interessiere mich für die Familie und möchte es um Frau von Wredes und ihrer Kinder willen.«

»Wie geht es Fräulein Meta?« fragte der Pfarrer, sich an Röschen wendend. Diese, froh, daß das Gespräch eine andere Wendung nahm, erzählte, daß Meta sehr befriedigt schriebe, und daß sie auch Gelegenheit gehabt habe, von anderer Seite zu hören, daß die Baronin jetzt außerordentlich mit ihr zufrieden sei.

»Es ist auch ein prächtiges Mädchen«, meinte Bruger. »Sie ist ihrer Mutter ähnlich.«

»Röschen«, wandte sich später Thea an diese, als der Besuch sie verlassen hatte und sie beide allein im Garten waren, »Röschen, ich glaube, der Pfarrer Bruger holt sich einmal Meta zu seiner Pfarrfrau, was meinst du?« »Es ist ja möglich«, antwortete Röschen langsam, und ein verräterisches Rot stieg in ihre Wangen. Thea merkte es aber nicht.

Als Röschen am Abend in ihr Zimmer kam, fand sie den Rosenstrauß auf ihrem Tisch. Hatte Philipp ihn auf Veranlassung Brugers dorthin gestellt? Ihr Herz klopfte. Aber er wußte ja, wie sie über ihn dachte. Großmutter hatte es ihm damals deutlich gesagt. Freilich, die Ansichten änderten sich, und wenn sie jetzt gefragt würde?

Doch nein, es war am besten, wenn alles blieb wie es war. Sie wollte in treuer Pflichterfüllung hier ihres Amtes warten und an weiter nichts denken.


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