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24.

Tonis Befürchtung schien gerechtfertigt. Wer Mareis flackernden Blick, ihre bleichen Züge ansah, der konnte wohl zu der Annahme kommen, es mit einem verwirrten Geist zu tun zu haben. Dazu kam ihre völlige Verschlossenheit allen Fragen Bastls und Tonis gegenüber.

Ja, sie glaube, dem Mörder auf der Spur zu sein. Sie wisse, wer der Mann ist, den sie Lufner zeigte, aber sie werde es um keinen Preis verraten, ehe sie nicht volle Beweise für seine Schuld besitze und sicher sei, daß er sich der Gerechtigkeit nicht mehr zu entziehen vermöge. Ihre ganze Kraft verwende sie seit einer Woche auf diese Aufgabe, und nichts werde sie hindern, sie zu Ende zu führen.

Das war alles, was man aus ihr herausbekommen konnte. Und doch machte ihr entschlossenes Wesen neben aller Verstörtheit einen so tiefen Eindruck auf Bastl, daß er sich nicht nur entschloß, Marei vorläufig freie Hand zu lassen, sondern ihr auch seine Entdeckung in bezug auf den gefundenen Knopf mitteilte.

»Hier ist er«, sagte er, die Schachtel mit dem Zweig, an dem sich der Knopf befand, in ihre Hände legend. »Wenn du den Mann kennst, wird es dir vielleicht auch gelingen, festzustellen, ob er einen Mantel besitzt, an dem ein Knopf samt einem Stück Zeug fehlt.«

Mareis Augen leuchteten auf, als sie das Schächtelchen in Empfang nahm.

»Ich danke dir, Bastl! Ich danke dir! Ja, ich werde es herausbringen. Ich glaube, der liebe Gott selbst hilft mir, indem er dich diesen Fund machen ließ!«

Schon im Begriff, die Stube zu verlassen, wandte sie sich noch einmal um.

»Ich habe Frau Kreibig heute versprochen, ihr auszuhelfen, bis sie eine neue Kellnerin gefunden hat«, sagte sie obenhin. »Morgen früh trete ich meinen neuen Posten in der ›Sonne‹ an.«

»Du – als Kellnerin?« Bastl starrte sie in grenzenloser Verblüffung an. Des Himmels Einsturz hätte ihn kaum mehr überrascht als die Vorstellung, daß die schüchterne Marei sich als Kellnerin verdingt habe.

»Seit wann kennst du denn Frau Kreibig überhaupt?«

»Ich war einmal mit Frau Glöckl dort zu Gast. Auch heute nachmittag, als es Verdruß mit der bisherigen Kellnerin gab«, lautete die ruhige Antwort. »Frau Kreibig war ratlos und dauerte mich. Da ging ich abends noch einmal hin und bot ihr meine Hilfe an. Wir probierten es gleich, und es ging ganz gut.«

»Aber ...«

»Bitte, laßt mich doch! Es paßt mir gut, und – es muß sein!«

Da ergab sich Bastl achselzuckend. Im stillen dachte er: Wahrscheinlich verkehrt derjenige, den sie beobachten will, in der »Sonne«. Hoffentlich begeht sie nicht denselben Irrtum wie ich und hat March im Verdacht!

Die Marei vom Brintnerhof Aushilfskellnerin in der »Sonne«! Wie ein Lauffeuer ging die Kunde am nächsten Morgen durch Kalkreut.

So schlimm steht es mit dem Geld auf dem Brintnerhof, daß das arme, junge Ding sich um Verdienst umschauen muß? meinten die einen. Ja, ja, die Verteidiger halt, die werden schon ein hübsches Stück Geld verlangen!

Unsinn, meinten die anderen, die tut das doch nur, weil sie seit ihrer Krankheit nicht mehr ganz beisammen ist. Die Dienstleute vom Brintnerhof erzählen es schon seit ein paar Tagen herum: Das Unglück hat sie überschnappen lassen.

Baumeister March, der beide Versionen vernommen hatte, als er mittags vom Bau in die »Sonne« zurückkehrte, betrachtete das feine, blonde Ding, das ihm heute mit befangenem Blick seine Suppe brachte, halb mitleidig, halb neugierig.

Fast zur selben Zeit trat oben Valentin Foregger mit finsterer Miene in Frau Kreibigs Privatkontor.

Sie war ihm seit dem Verdruß mit Rosa geflissentlich ausgewichen, hatte ihn im Laufe des Vormittags bei unvermeidlichen Begegnungen ganz als Luft behandelt und, als er vor Tisch eine Unterredung begehrte, ihn kurz abgefertigt: »Ich habe keine Zeit.«

Was ihn aber am meisten erbitterte war, daß sie dem Hausknecht Auftrag gegeben hatte, fortan die einlaufende Post ihr direkt zuzustellen und sich mit allen Anfragen nur an sie zu wenden. Damit war Valentins Stellung eigentlich aufgehoben. Auch jetzt nahm Frau Berta keine Notiz von ihres Bruders Eintritt in das Zimmer und schrieb ruhig weiter.

Erst als er in ziemlich scharfem Tone fragte: »Nun, hast du jetzt vielleicht Zeit für mich?« legte sie die Feder hin und sagte ruhig: »Wenn du darauf bestehst! Obwohl ich denke, wir hätten einander nichts mehr zu sagen, nachdem du mir so begegnet bist gestern!«

»Nun, du hast dich ja revanchiert und mir die Tür gewiesen!« gab er gereizt zurück.

»Weil mir kein anderer Ausweg blieb! Die ganzen letzten Monate hindurch habe ich es ja schon gefühlt, Valentin: So kann es unmöglich weitergehen zwischen uns! Du maßt dir eine Sprache gegen mich an und eine Stellung in meinem Hause –«

»Oho – ist die ›Sonne‹ nicht etwa so gut mein Vaterhaus wie deines? Bin ich nicht dein Bruder? Hast du nicht selbst oft nach dem Tode deines Mannes erklärt, schon der Leute wegen sei eine männliche Hand im Geschäft notwendig, und wir beide wollen einträchtig zusammen hier wirtschaften, bis an unser Lebensende? Ich weiß wirklich nicht, was du eigentlich willst, Berta! Als Bruder habe ich doch die gleichen Rechte wie du –«

»Nein, die hast du nicht! Vergiß nicht, daß du einst selbst leichtsinnig dein Erbteil hier aufgabst und unsern Vater zwangst, dir dein Erbteil in bar auszuzahlen, was ihm damals schwer genug fiel.«

»Was sollte ich mit dem armseligen Bauernwirtshaus machen? Mein Sinn stand eben höher!«

»Ich weiß! Du wolltest mit deinem Gelde drüben in Amerika ein großartiges Hotel errichten. Aber es ist dir nicht geglückt. Du hast nur dein Erbe vertan und bist arm wie eine Kirchenmaus wiedergekommen, während sich hier in Kalkreut die Verhältnisse gewaltig geändert haben und das Geld meines Mannes auch der ›Sonne‹ zu erneutem Wohlstand verhalf.«

»Trotzdem blieb die ›Sonne‹ unter deinem Mann ein bescheidener Landgasthof. Zum Hotel wurde es erst nach seinem Tode – durch meine Hilfe! Ich hoffte, nun würde wieder alles gut werden wie früher zwischen uns und nun ... nun ...! Er war es ja, der dich mir entfremdete und sich hier ins warme Nest setzen sollte ...«

»Du irrst, Valentin«, unterbrach ihn Berta, »Brintner hat uns weder entfremdet, noch habe ich mich geändert seit seinem Tode. Nur du bist ein anderer geworden seitdem, und daraus allein entspringt unsere Entzweiung. Du behandelst mich wie ein unmündiges Kind hier im Hause und gebärdest dich wie der Herr, dem alles gehört und alles erlaubt ist. Der Vorfall mit Rosa hat alles bewiesen.«

»Du nimmst es zu tragisch! Man entläßt ein Mädchen doch nicht gleich wegen eines kecken Wortes und spielt nicht die Sittenrichterin eines Scherzes wegen! Mehr waren doch meine Beziehungen zu ihr nicht!«

»Rosa gebärdete sich anders! Übrigens sind solche Scherze auch armen Mädchen gegenüber nicht anständig.«

»Gut. Wir wollen nicht weiter streiten über die Sache. Rosa ist fort, und ich will nachgeben, da du darauf bestehst. Du sollst nicht mehr zu klagen haben über mich, Berta. Nimmst du mich unter dieser Bedingung wieder auf als Geschäftsleiter der ›Sonne‹?«

»Ja«, antwortete Frau Berta zögernd und blickte einigermaßen verwundert in sein gänzlich verändertes Gesicht, als hätten nicht vor fünf Minuten noch Zorn, Herrschsucht und heimliche Erbitterung um die Wette darin sich gespiegelt. »Wenn du es ehrlich meinst mit mir ...«

»Wie sollte ich nicht? Dein Vorteil ist im Grunde auch der meine, und darum wäre es doch töricht, wenn wir in Zwietracht leben würden!«

Kühler, als sie vielleicht wollte, kamen die Worte von ihren Lippen: »So bleibt also alles beim alten zwischen uns, und ich hoffe, du vergißt nie mehr, was du mir soeben versprochen hast.«

»Gewiß nicht, Berta. Nur eine Bitte hätte ich an dich: Schicke das Mädchen, das du an Rosas Statt aufgenommen hast, wieder fort!«

»Marei? Warum? Sie bot sich mir gefällig an in der Stunde arger Verlegenheit und macht, wie ich gestern sah, ihre Sache sehr gut. Was hast du gegen sie?« fragte Berta erstaunt.

»Sie ist die Schwester einer Verurteilten!«

»Marei hat mit der Schuld ihrer Schwester doch gar nichts zu tun! Gerade darum müßte ich mich schämen, sie jetzt zu entlassen. Es wäre unchristlich.«

»Du willst sie also behalten?«

»Wenigstens so lange, bis ich einen passenden Ersatz gefunden habe.«

Valentin preßte die Lippen zusammen und starrte finster zu Boden.

»Wünschst du sonst noch etwas?« fragte Berta.

»Nein. Das heißt – die Korrespondenz bekomme ich ja wohl nun wieder zur Erledigung!«

»Ja. Hier ist sie.«

Als er gegangen war, setzte sich die Frau ans Fenster und stützte den Kopf nachdenklich in die Hand.

Sie konnte sich nicht freuen über die Aussöhnung mit Valentin. Wenn er jetzt auch nachgab – an einen dauernden Frieden glaubte sie nicht mehr. Gewiß, er konnte sich sehr gut beherrschen. Dann fiel ihr wieder seine Bitte in bezug auf Marei ein, und sie schüttelte verwundert den Kopf.

Was er gegen das arme Ding hatte? Warum sollte denn die auf einmal fort?

*


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