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7.

»Na, was habe ich gesagt? Wer hat jetzt recht – ich oder du? Es ist doch wahr, daß die Brintnerschen den alten Mann ermordet haben!«

Mit diesen Worten trat Frau Kreibig in das Zimmer ihres Bruders, der am Schreibtisch saß.

Rechnungen und Geschäftsbriefe lagen vor ihm auf der Tischplatte ausgebreitet, und er schrieb eilig, denn er war fünf Tage verreist gewesen, um im Süden Weineinkäufe zu machen. Jetzt galt es, daheim die versäumte Arbeit nachzuholen.

Ärgerlich über die Störung, hielt er im Schreiben inne und sagte, ohne den Kopf zu wenden oder die Feder wegzulegen:

»Dummes Gewäsch! Wie kann man derlei nachschwätzen!«

»Warte doch. Es ist keine Albernheit. Heute kannst du es von jedermann in Kalkreut erfahren, daß es wahr ist! Brintner ließ sich gestern abend dem Untersuchungsrichter selbst vorführen. Er sagte, es drückte ihn schon die ganze Zeit her, und nun müsse er es aussprechen: Seine Frau und Konrad Fercher hätten den Vater umgebracht!«

Valentin Foregger warf die Feder hin und fuhr herum.

»Das hätte der Brintner gesagt? Er selbst?«

»Ja. Aber er selbst sei unschuldig und habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Nur jetzt, wo er Zeit zum Nachdenken habe, sei es ihm immer klarer geworden, die beiden müßten es getan haben. Die Frau haßte den Vater immer, weil er ihr im Wege war und sein Geld nicht auch unter die Kinder verteilt habe. Öfter habe sie zu ihm, dem Andres, gesagt: Du wirst sehen, er vermacht noch einmal alles Fremden, und du gehst leer aus! Aber wenn nur du weg wärest, mit dem Großvater würde ich dann schon bald fertig werden.« Weil aber der Sohn nicht zu haben war zu einer Gewalttat, so habe sie sich den Fercher dazu genommen, der ihr Liebhaber sei. Daraufhin, weil Brintner diese Angaben mit voller Bestimmtheit machte, wurden seine Frau und der Zahlmeister Fercher noch gestern abend verhaftet.«

»Und sie? Was sagte sie dazu?« fragte der Geschäftsleiter gespannt.

»Beide wurden noch in der Nacht mit Brintner konfrontiert und sollen ihm anfangs wie erstarrt zugehört haben. Dann riefen sie fast zugleich: »Aber, der ist ja närrisch geworden! Nicht ein Wort ist wahr.«

Valentin nickte. »Das dacht' ich mir! Der Brintner-Andres war ja immer ein heimlicher Säufer. Der weiß vielleicht gar nicht, was er zusammenredet!«

»Wie, das ist dir noch immer nicht Beweis genug? Daß sie nun alle drei in Haft und des Mordes angeklagt sind?«

»Noch ist die Anklage nicht bewiesen!«

Frau Berta starrte ihren Bruder fassungslos an. Dann sagte sie langsam: »Ich begreife dich gar nicht, Valentin. Kein Mensch zweifelt mehr, daß sie schuldig sind. Wie kommst du dazu, für ihre Unschuld einzutreten?«

Er sprang heftig auf und maß die Schwester mit funkelndem Blick.

»Weil du schuld bist, wenn sie heute als solche dastehen vor aller Welt! Kein Mensch hätte die Brintnerschen als Täter bezeichnet, wenn du nicht durch deine unbedachten Worte den Verdacht auf sie gelenkt hättest! Du hast das Wort zuerst unter die Leute geschleudert, und es ist gewachsen und hat Wurzeln geschlagen, wie ich schon damals fürchtete!«

»Und wenn? Hätte es Wurzeln schlagen können, wenn nicht Tatsachen es unterstützt hätten? Volkesstimme – Gottesstimme!«

»Gott hat damit nichts zu tun! Höchstens deine Vorliebe für Brintner!«

»Valentin!«

»Weil's wahr ist!« rief er, erregt auf und ab schreitend, »weil dieser alte Narr dein bißchen Frauenzimmerverstand verwirrt hat und dich jetzt in deinem Ärger, daß aus der Heirat nichts geworden ist, schwarz für weiß ansehen läßt! Aber gib acht, es könnte sich auch rächen an dir, daß du Unschuldige an den Strick liefern willst! Deine ›Volkesstimme‹ kann sich wenden und dich selbst als Verleumderin anklagen. Dann iß nur gefälligst die Suppe aus, die du dir eingebrockt hast. Ich bin nicht zu haben dafür. Mich geht die ganze Geschichte nichts an, das habe ich am ersten Tage erklärt, und daran halte ich fest!«

So heftig war Frau Berta seit dem Tode ihres Gatten nicht abgekanzelt worden. Ganz verdutzt sah sie den Bruder an. Dann blitzte plötzlich etwas wie Verständnis in ihren Augen auf.

»Jetzt weiß ich, warum du dich so ärgerst, Valentin«, sagte sie kleinlaut, »aber das hatte ich ja wirklich ganz vergessen, daß du ein Auge auf Toni Maibach geworfen hast ...!« Er zuckte zusammen.

»Ich?« fuhr er sie dann in einem Gemisch von Hohn und Zorn an. »Wer hat dir denn diesen Klatsch wieder zugetragen? Und nun sei so gut und lasse mich allein. Ich habe zu arbeiten.«

Ohne sich weiter um die Schwester zu kümmern, setzte er sich wieder an den Schreibtisch und nahm die Feder zur Hand.


Im Herrenhaus des Brintnerhofes herrschte Totenstille. Herr Sebastian Schwaigreiter, der gerade zurechtgekommen war, um die Verhaftung seiner Schwester brühwarm von den verstörten Leuten zu erfahren, stand hinten im Wirtschaftshof und verhandelte mit den Dienstboten. Sie hatten im ersten Schreck nun doch alle gekündigt, mit Ausnahme von Stina.

Aber als Schwaigreiter, obwohl selbst im Innersten erschüttert durch alles, was er vernommen hatte, ihnen ruhig zusprach und erklärte, daß er bis zu der sicher bald wieder erfolgenden Entlassung der Herrenleute hierbleiben und die Leitung der Wirtschaft übernehmen wollte, fanden sich doch einige Besonnene, die ihre Kündigung zurücknahmen. Für die anderen, die ihren Lohn sofort ausbezahlt bekamen und sofort gehen mußten, sollten Tagelöhner eingestellt werden.

Es war ein trüber, sonnenloser Tag, schwül und regnerisch. Die Kinder kauerten verschreckt in einem Winkel von Mareis Stube und wagten weder laut zu reden noch zu spielen. Wenn sie auch nicht verstanden, um was es sich handelte, so hatten doch die Ereignisse einen tiefen Eindruck auf sie gemacht.

Nachts aus dem Schlaf aufgeschreckt, mußten sie durch einen Türspalt mit ansehen, wie Gendarmen die Mutter fortführten. Gleichzeitig gab es drüben im Parteienhaus Streit und Geschrei. Sie hörten das Aufbegehren Herrn Glöckls und das Weinen seiner Frau, dem erst die ruhig mahnende Stimme des Zahlmeisters ein Ende machte. Und hier am Fenster stand Marei in flüchtig übergeworfenen Kleidern und starrte mit weitaufgerissenen Augen zitternd und bleich hinab, als sähe sie dort ein unbegreifliches Nachtgespenst sein Wesen treiben.

Erst die Stille, die nun eintrat, und das nun beginnende klägliche Weinen der Kinder weckte sie aus ihrer Erstarrung. Dann kam es noch schlimmer.

Frau Milly Glöckl stand plötzlich im Zimmer neben Marei. Auch sie war nur notdürftig mit Rock und Jacke bekleidet und weinte und schrie immerzu: »So ein Unglück! Nein, so ein Unglück! Aber glaub's nur um Gottes willen nicht, Marei, was sie sagen vom Konrad und deiner Schwester! Es ist ja nicht wahr! Alles erfunden und erlogen! Er hat immer nur dich gern gehabt!«

Anfangs hörte Marei gar nicht hin. Dann fragte sie plötzlich: »Was ist nicht wahr?«

Worauf Frau Milly eifrig und leise zu reden begann, so schnell, daß die angstvoll lauschenden Kinder nichts verstehen konnten.

Auf einmal war sie wieder fort. Marei aber fiel zu Boden.

Eine Weile standen die Kinder starr. Dann stießen sie sie leise an. Sie regte sich nicht. Da schrie Gretchen gellend auf.

»Sie ist tot! Stina, die Marei-Tante ist tot!« Worauf Stina erschrocken herbeieilte, Marei auf ihr Bett trug und den Kindern unwirsch befahl, still zu sein.

So wurde es Tag.

Marei lag nun mit offenen Augen im Bett. Ihr Blick war immerzu auf einen Punkt draußen am trüben Morgenhimmel gerichtet.

Stina kam herein. Sie warf einen beunruhigten Blick auf Marei und sagte: »Willst nicht aufstehen, Marei? Schau, es geht schon bald auf Mittag!«

Ohne die Frage zu beantworten, griff Marei plötzlich angstvoll nach der braunen Hand der Alten. Ihre Augen richteten sich auf die Magd.

»Stina – du warst ja immer um sie – hast du je bemerkt, daß sie und der – Zahlmeister ... die Milly sagt ... nein, die Leute, die Leute ...« stammelte sie tonlos.

Stina strich ihr in unbeholfenem Mitleid das feuchte Blondhaar aus der Stirn.

»Nein, Marei, nie habe ich was bemerkt. Und es war auch nie etwas zwischen ihnen! Glaub's nicht, was sie von ihnen da jetzt aufbringen wollen. Die Leute sind halt schlecht! Sollst gar nicht hören auf das garstige Gerede, Marei!«

Marei antwortete nicht. Aber ihr Atem wurde ruhig, und ihr Gesicht bekam wieder Farbe. Als ob zwischen den trüben Regenwolken draußen auf einmal die Sonne erschienen wäre, so tauchte in dem Dunkel dieses jammervollen Tages eine Erinnerung in ihr auf.

»Ich hab' dich lieb, Marei, daran halte fest! Das denk' und sonst nichts – nichts!« so hatte er vor wenigen Tagen zu ihr gesprochen, schon ahnend vielleicht, daß etwas Böses geschehen könnte.

»Ich hab' dich lieb, das denk' und sonst nichts.«

Ja, daran wollte sie sich nun halten! Mit keiner Wimper mehr zucken, wenn die Flut schmutziger Verdächtigungen an ihrem Ohr vorüberrauschte.

Das andere, daß er irgendwie beteiligt sei an dem Mord – das war ja so albern, daß es ihre Gedanken kaum ernstlich beschäftigen konnte.

*


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