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16.

Sie erreichten den Abendzug und langten gegen Mitternacht wohlbehalten auf dem Brintnerhof an.

Da die Knechte schon schliefen, wies Bastl dem Lufner eine Kammer im Herrenhaus an.

Aber schon bei Tagesanbruch weckte er ihn leise.

»Möchten Sie nicht mit mir kommen und mir gleich jetzt die Stelle am Bachweg zeigen, Lufner? Später, wenn die Dienstboten erst wach sind, fällt es vielleicht auf. Und ich möchte nicht, daß wieder von neuem Gerede entsteht darüber.«

So machten sie sich denn auf den Weg, während im Hause noch alles schlief. Es war kein weiter Gang. Gleich am Beginn des Bachwegs blieb Lufner stehen.

»Hier war es. Ich habe es mir an der Birke gemerkt. Dicht neben ihr ist er hinunter.«

Bastl sah über den Rasenhang hinab auf das schier undurchdringlich erscheinende Gebüsch in der Senkung. War es nicht töricht, daß er jetzt nach mehr als drei Monaten noch irgendeine Spur von dem Unbekannten hier suchen wollte?

Aber es war die einzige Hoffnung, die ihm geblieben war, und etwas in ihm klammerte sich zäh daran.

Eben weil das Gestrüpp undurchdringlich schien, hatte seitdem gewiß kein Mensch versucht, hineinzukommen. Ebendarum auch konnte jener verdächtige Mensch, der sich darin verbarg, vielleicht nicht spurlos wieder herausgekommen sein.

In der Hast, sich zu verbergen, konnte ihm irgendein Gegenstand entfallen sein, der in der Dunkelheit nicht gesucht werden konnte. Und wäre er noch so klein und unbedeutend – jetzt würde er vielleicht drei Menschenleben retten können.

Bastl schickte Lufner zurück. Dann drückte er den Hut fest auf den Kopf, knöpfte den Rock zu und begann in das Gestrüpp einzudringen. Anfangs ging es schwer. Brombeer- und Klematisgerank bildeten mit den Erlenbüschen eine förmliche Mauer.

Hier war eine Bresche, die nur jetzt im Sommer durch Laub von außen verdeckt war. Sie war schmal, aber ein Mann konnte sich durchzwängen.

Plötzlich fuhr er zusammen, als habe ihm jemand einen Stoß gegeben.

Zwischen den starren dornigen Zweigen eines Weißdornbusches hatte sein Auge etwas Glänzendes entdeckt, auf das gerade ein Sonnenstrahl fiel.

Es war ein großer, flacher, schwarzer Hornknopf, der durch ein daranhängendes Stück Zeug von den stachligen Dornen festgehalten wurde und in halber Mannshöhe hing.

Ein Knopf, wie man ihn an Wetterkragen oder Mänteln trug, das Zeug war schwarzgrauer Loden.

Beides mußte mit Gewalt aus dem übrigen Stoff herausgerissen worden sein, wahrscheinlich in dem Augenblick, als der Besitzer sich hier ins Freie zwängte.

Ja, er war also hier hinaus! Und es war der Unbekannte, dessen Spuren er suchte, denn jeder andere, der weniger Eile gehabt oder bei Tag hier durchgedrungen wäre, hätte es bemerken müssen und den Knopf mitgenommen, um den Schaden später reparieren zu können.

Mit zitternden Fingern brach Bastl den ganzen Zweig ab, um den Knopf in seiner Lage nicht zu verändern. Dann verließ er das Gebüsch und kehrte auf einem Umweg zum Brintnerhof zurück.

Er sagte vorerst keinem Menschen etwas von seiner Entdeckung, denn er hatte eine Heidenangst, es könnte unter die Leute kommen und der Schuldige vorzeitig gewarnt werden.

Aber noch am selben Tage fuhr er nach Wien, um dem Verteidiger Justinas die Sache vorzutragen.

Für ihn stand es nun felsenfest, daß Brintners und Fercher vollkommen unschuldig seien und der wahre Täter noch in Freiheit war.

Der Advokat, Doktor Meyfeder, dem Bastl all dies nun erzählte, zuckte die Achseln und meinte, auf den Knopf weisend: »Damit können wir gar nichts anfangen, solange Sie uns nicht auch den Mann bezeichnen können, aus dessen Rock der Knopf stammt! Und dann müßte man erst noch sehen, ob auch andere Verdachtsmomente gegen ihn sprechen.«

Kleinlaut fuhr Bastl nach Kalkreut zurück. Und immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem Baumeister March zurück.

Am Abend saß er in der »Sonne« und ließ sich vom Geschäftsführer über den Aufschwung des Hotels berichten, den dieses unter Valentin Foreggers Leitung genommen habe. Es war Foreggers Lieblingsthema.

Aber Bastl hörte nur darum so geduldig zu, weil er mit seinem Kommen einen ganz anderen Zweck verfolgte. Und endlich gelang es ihm denn auch durch allerlei geschickte Wendungen, die Rede auf Baumeister March zu bringen.

Der Mann habe ihm gefallen, aber er scheine doch auch ein wenig sonderbar – so verschlossen – oder nervös? Ob der Geschäftsleiter ihn näher kenne? Ob er vielleicht in Kalkreut sei?

Schon bei den ersten Worten merkte Bastl, daß Foregger dem Baumeister durchaus nicht so wohlgesinnt war, wie es damals, als er ihn mit Bastl bekannt machte, den Anschein hatte.

Valentins Ton hatte etwas Wegwerfendes, als er von ihm sprach.

»Erstens ist er in meinen Augen gar kein richtiger Baumeister, denn ihm fehlt die Architekturenprüfung, wenn ich auch zugebe, daß er ein findiger Kopf ist und gute Einfälle hat. Es heißt, daß er eigentlich Maler werden wollte, ihm aber die Mittel dazu fehlten. Zweitens ist er ein verschlossener Mensch, der sich gerade gegen mich gar nicht aufrichtig erwiesen hat, obwohl ich ihm zu mancher Arbeit verholfen habe.«

»Wieso handelte er unaufrichtig gegen Sie?«

Valentin antwortete nicht gleich und blickte unschlüssig vor sich hin. Dann sagte er zögernd:

»Das kann ich Ihnen nicht so erklären. Es hing mit dem alten Herrn Brintner zusammen. Ich war es, der die beiden bekannt machte, aber bald danach merkte ich, daß beide etwas vor mir geheimhielten. March, der immer voll großer Pläne war, mußte Brintner irgendein Geschäft vorgeschlagen haben, auf das dieser anfangs nicht eingehen wollte. Stundenlang redete March oft auf den Alten ein, und immer schüttelte dieser zuletzt den Kopf.

Einmal hörte ich ihn sagen: ›Es wäre halt doch ein zu großes Risiko.‹ Ein andermal sprachen sie von der Kreuzhöhe unter dem Nadelstein. Das ist das Land von unserem Grundbesitz, und so hatte ich doch ein Recht, zu fragen, was sie darüber gesprochen hätten. Da sahen sie einander verschmitzt lächelnd an und logen, sie hätten bloß von der schönen Aussicht dort oben gesprochen. Dann auf einmal schien der Alte Marchs Vorschläge angenommen zu haben. Die letzten Wochen vor seinem Tode saßen sie oft beisammen und rechneten und flüsterten und lächelten zufrieden, als stimme die Rechnung wider Erwarten gut. Jedesmal aber, wenn ich dazu kam, verstummten sie wie auf Kommando. Das ärgerte mich sehr. Und jetzt noch, wo Brintner doch schon tot ist, kann ich von March nicht herausbekommen, was sie eigentlich hatten miteinander!

Sie müssen ja neulich selbst gemerkt haben, wie er mir fortwährend auswich und schließlich fast davonlief.«

»Ja. Es kam mir recht sonderbar vor. Gerade, als ob es ihm peinlich wäre, über Brintner zu sprechen.«

»Nun also? Ist das ehrlich? Wo er mich früher stets seinen besten Freund hier nannte! Und ich muß sagen, mir läßt das Ding keine Ruhe! Ich habe gewisse Vermutungen in bezug auf Marchs Pläne. Warum ist er so zugeknöpft? Vielleicht würde ich so gerne darauf eingehen wie Brintner und – mit mehr Berechtigung!«

Beide Männer schwiegen. Dann setzte Valentin noch wie beiläufig hinzu: »Vielleicht finden Sie einmal Gelegenheit, Herr Schwaigreiter, mit ihm darüber zu reden und ihm das anzudeuten.«

»Das soll geschehen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Ist March übrigens vermögend?«

»I wo! Ein armer Schlucker ist er, der von der Hand in den Mund lebt. Er heiratete ein blutarmes Mädchen und hat sechs Kinder. So sammelt man sich bei allem Fleiß und aller Tüchtigkeit keine Reichtümer.«

»Er lebt in der Wiener Neustadt, nicht wahr?«

»Ja. Ich habe ihn einmal besucht dort. Ein Jammer, sage ich Ihnen. Zimmer und Küche, sonst nichts – für acht Personen!

Die sechs kleinen Kinder wie die Orgelpfeifen – das älteste ist, glaube ich, kaum acht Jahre alt. Kein Wunder, daß der Mann, wenn er den Jammer daheim sieht, fortwährend auf der Hetzjagd ist nach irgendeinem Geschäft, das ihn ein bißchen herausreißt.«

Bastl strich nachdenklich seinen Schnurrbart. Dann warf er scheinbar gleichgültig hin: »Da wird ihn Brintners Tod freilich hart getroffen haben – wenn er im Begriff stand, ein Geschäft mit ihm zu machen. War er damals gerade hier in Kalkreut?«

»Ja, er baute gerade unsern neuen Schweinestall am Meierhof draußen. Freilich war er außer sich. Den ersten Tag war überhaupt nicht zu reden mit ihm, da lief er ganz verstört herum, und als ich ihn ein paarmal ansprechen wollte, sah er mich ordentlich unheimlich an und ging fort, ohne zu antworten.«

Er hatte leise gesprochen. Jetzt fuhr er sich über die Stirn. Bastl, der bestürzt auf ihn sah, begegnete einem unruhigen Blick, der dem seinen auswich, und erschrak.

Der denkt jetzt dasselbe wie ich! Der hat auch Verdacht auf March, fuhr es durch seinen Kopf.

Beklommen erhob er sich, zahlte und verließ das »Hotel zur Sonne«.

*


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