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13.

Marei schlug die Augen auf in dem Augenblick, als Dr. Heimdacher, von Bastl gefolgt, ihre Stube betrat.

Fremde Augen, die angstvoll um sich starrten, ohne jemand zu erkennen, und sich gleich wieder schlossen. Die eben noch bleichen Wangen überzogen sich mit fliegender Röte, und über die Lippen kam unverständliches Gemurmel.

Der alte Arzt machte ein bedenkliches Gesicht, als er, in einer Hand die Uhr, in der anderen Mareis Handgelenk, den Puls zählte.

Draußen sagte er dann zu Bastl: »Schlimme Geschichte, fürchte ich! Man wird sich auf längeres Kranksein der Kleinen einrichten müssen.«

»Jesus, es wird doch nicht gefährlich sein, Herr Doktor?«

»Abwarten!«

»Und ich bin schuld daran!«

»Sie hätte es auf jeden Fall erfahren müssen. Übrigens nützen solche Erwägungen nichts mehr. Ist eben ein zartes Dingelchen, die Kleine ...«

Er starrte eine Weile in die Luft und fuhr dann fort: »Ja, so muß es sein. Ich habe da ein altes Weib im Ort, das ich mir zur Krankenpflege ausgebildet habe. Hiefinger heißt sie. Die schicke ich Ihnen. Dazu Eis und was sonst fürs erste notwendig ist. Im Haus sieht Stina nach dem Rechten. In der Wirtschaft Sie. Bleiben noch die Kinder ... für die muß jemand her – aber halt – hm, ist denn nicht die Toni Maibach wieder da? Ich meine, ich hätte sie vorhin am Fenster unten gesehen.«

»Ja. Aber sie kam nur, um ihre Sachen zu packen. Sie übersiedelt ganz nach Oberndorf und will heute fort.«

»Gibt's nicht. Soll wieder auspacken. Hat zwar keinen rechten Schick zu Kindern, aber ist immer noch besser als eine Fremde.«

»Ich fürchte, Toni wird nicht bleiben wollen.«

»Unsinn! Muß eben. Man wird ihr das begreiflich machen, verstanden? Man weiß jetzt Bescheid und wird's schon zwingen! Gott befohlen! Abends sehe ich wieder nach.«

Bastl blickte dem sich Entfernenden bekümmert nach. Ihm kam der kleine beleibte Doktor, über dessen Wunderlichkeiten und Äußeres man in Kalkreut viel spottete, gar nicht lächerlich vor.

Mitten in all dem Jammer, den es niederregnete auf den Brintnerhof, dachte er, doch ein gescheiter Mensch, der das Herz am rechten Fleck hat!

Dann pochte er an Toni Maibachs Tür.

Sie saß inmitten von Koffern und Kisten, war reisefertig angekleidet und blickte verwundert auf, als der Bruder ihrer Schwägerin bei ihr eintrat.

Sie kannten sich kaum, obwohl sie zueinander du sagten seit Justinas Hochzeit, wo er Brautführer und sie Kranzeljungfer gewesen waren.

Toni hatte bald darauf Maibach kennengelernt und nach Krems geheiratet. Später, als sie als Witwe wieder auf dem Brintnerhof lebte, bekam er sie kaum zu Gesicht, wenn er hier und da auf der Durchreise Justina für einen Tag besuchte.

Ihre abgesonderte Lebensweise und die verschlossene Miene, mit der sie jede Annäherung von sich abwies, erfüllten ihn immer mit Scheu. Er liebte offene, gerade und entschlossene Menschen, mit denen man warm werden konnte, und bei denen man wußte, wie man daran war.

Toni sah in ihm nur den Bruder Justinas, die ihr unsympathisch war, und den Mareis, deren sonniges, verträumtes Wesen dem ihren fremd geblieben war.

Nun stand er da vor ihr und mutete ihr zu, wieder auszupacken, dazubleiben und die Kinder zu betreuen, weil seine Schwester krank geworden war.

Sie wußte nicht, sollte sie lachen über seine Naivität oder zornig auffahren? Ihre Miene wurde noch abweisender, als sie in diesen letzten Tagen schon gewesen war.

Und doch – er bat so eindringlich und sah sie so treuherzig an.

Es war lange her, daß einer sie um etwas gebeten hatte oder gerade von ihr Hilfe in der Not erwartete.

Dann aber richtete sie sich entschlossen auf.

»Nein, Bastl, das geht nicht. Du weißt nicht, um was du mich bittest. Hier bleiben – wo die Leute mit Fingern nach uns weisen, wo eins sich nicht einmal mehr traut, in die Kirche zu gehen, aus Angst vor all dem Getuschel und all den Blicken.«

»Muß ich das nicht auch ertragen? Und schau, Toni – mußt du gerade dann in die Kirche gehen, wenn die ärgsten Tratschmäuler auf dich lauern?«

»Willst mir das Beten auch noch nehmen?« fragte sie dumpf. »Beten ist das einzige, was einem bleibt in all dem Unglück! Andern Trost gibt es nicht auf dieser unbarmherzigen Welt!«

Er setzte sich dicht neben sie.

»Schau, Toni«, sagte er warm, »so mußt nicht reden! Gegen das Beten bin ich gewiß nicht. So ein richtiges Beten gibt schon Trost und richtet auf. Unser Herr Pfarrer in Losendorf sagt, beten allein tut's nicht, man muß auch arbeiten und gute Werke tun, sonst fehlt dem Leben die richtige Freude. Wenn eins seine Pflicht tut und andern hilft, wo es kann, das gibt auch Trost im Unglück! Jetzt ist's einmal so am Brintnerhof, daß jeder seinen Mann stehen muß. In Oberndorf brauchen sie dich nicht. Ich aber brauche dich hier wie einen Bissen Brot auf dem Brintnerhof.«

»Was geht mich der Brintnerhof noch an!«

Bastl sah sie vorwurfsvoll an. Dann fuhr er ruhig fort: »Er ist deines Bruders Eigentum, und seine Kinder leben darauf. Schau, Toni, diese armen Hascherl brauchen dich jetzt – dich und mich – denn sie sind so gut deines Bruders Kinder, wie sie die Kinder meiner Schwester sind. Dem Andres zuliebe –«

»Rede mir nicht von Andres«, unterbrach sie ihn heftig. »Er hat uns in die Schande gebracht und ... und mich kostet das mein Lebensglück!«

Er sah sie einen Augenblick lang betroffen an. Davon hatte er nichts geahnt, daß der »arme Spatz« wieder ein Nest hatte bauen wollen und das Unglück auch hier nun zerstörend eingriff.

»Hältst du Andres denn für schuldig?« fragte er endlich beklommen.

»Ob schuldig oder nicht – andere halten ihn dafür und ... lassen's mich büßen. Mir aber verleidet's das Hiersein gründlich, das wirst du jetzt wohl begreifen!«

»Nein!« brauste er auf. »Wegen so einem Haderlumpen! Denn das ist kein braver Mann gewesen, Toni, wegen dem ginge ich erst recht nicht fort an deiner Stelle! Oder –« er sah ihr mitleidig ins Gesicht, »hast du ihn so liebgehabt, Toni, daß es dich hart ankommt, ihm zu begegnen?«

Sie fuhr empor, und Haß und Verachtung loderten in ihren dunklen Augen.

»Lieb? Ich habe überhaupt noch nie einen Mann liebgehabt. Aber geachtet habe ich ihn, wie früher meinen verstorbenen Mann, und an seine Rechtschaffenheit geglaubt! Jetzt –« – ihr Gesicht verzerrte sich, und ihre beiden Hände umkrampften den Fenstergriff – »jetzt bitte ich Gott auf den Knien, daß er ihn straft, hart und grausam straft, den Elenden!«

Bastl sah sie entsetzt an. Dann schüttelte er traurig den Kopf.

»Um so etwas betest du? Dann war's freilich keine Liebe. Und ist kein gutes Beten, Toni! Aber ich glaub's dir nicht einmal. Aus dir spricht jetzt nur der Zorn, und den sollst du gar nicht zu Wort kommen lassen, Toni! Er verdient's ja nicht, daß du dich ärgerst. Einer, der dich verläßt im Unglück, an dem hast du nichts verloren, und dem brauchst du noch weniger aus dem Weg zu gehen. Schau, Toni, noch ist es ja gar nicht bewiesen, wer den Mord begangen hat, und Doktor Heimdacher sagt's auch: Es kann alles anders kommen, als die Leute glauben.«

»Was sagt der Doktor?« fragte Toni ruhiger.

»Daß wir in der Stille selbst suchen sollen nach dem wahren Täter«, sagte er leise. »Und ich will's. Aber dazu muß ich zu Hause freie Hand haben, Haus und Kinder unter ordentlicher Aufsicht wissen. Die Marei hätte mir das abgenommen. Jetzt mußt du's tun!«

»Du glaubst, nach allen, was man sich jetzt in Kalkreut erzählt, sie könnten doch unschuldig sein?«

»Felsenfest glaube ich's, solange sie es nicht selbst eingestehen.«

»Was willst du denn tun?«

»Das weiß ich noch nicht. Aber eines weiß ich: Dein Fortgehen nach dem Begräbnis hat viel dazu beigetragen, den Verdacht gegen Andres zu verstärken. Das mußt du wieder gutmachen. Dein Platz ist hier. In einer Familie müssen alle zusammenstehen, wenn ein Unglück kommt. Bis jetzt, Toni hast du nur immer an dich gedacht. Von jetzt an denke auch an andere!«

Sie sah ihn halb verwundert, halb ärgerlich an. Nie hatte ein Mensch so mit ihr gesprochen. Nie hatte ihr aus einer Stimme so viel Entschlossenheit, so viel Überzeugung und Mut entgegengeklungen.

Wieder trat Bastl zu ihr und ergriff ihre Hand, während er fortfuhr: »Schau, Toni, die zwei, die jetzt in Angst um ihr Schicksal bangen, haben nur uns beide, die ihnen helfen und ihre Interessen wahren können. Kommen sie wieder, dann sollen sie alles in guter Hut und Ordnung finden, wie sie's verlassen haben. Kommen sie nicht wieder ... dann haben wir unsere Pflicht getan für die armen Kinder! Und das sollst du dir auch klarmachen: Selbst wenn Andres und Justina es getan haben – wir beide haben doch keinen Teil daran, und uns darf kein rechtschaffener Mensch die Achtung versagen deshalb! Und gelt, jetzt siehst du's ein? Der Doktor sagt ja auch, du wärest so eine gute Seele ...«

»Aber du, Bastl, sag's nur grad heraus, du hast es ihm nicht geglaubt?«

»Freilich hab ich's ihm geglaubt! Wenn ich dich für so kaltherzig gehalten hätte, wie du dich gibst – meinst, ich hätte mich überhaupt hineingetraut zu dir mit meiner Bitte?«

»Bist ein guter Mensch, Bastl!« murmelte sie.

Verlegen drehte er seinen Hut in der Hand herum.

Sie standen eine Weile stumm und voneinander abgewendet. Bis Toni ihm plötzlich die Hand hinstreckte.

»Du hast mein Wort – ich bleibe! Und schick' mir nur gleich die Kinder. Ich werde es wohl treffen mit ihnen, wenngleich ich nie mit Kindern zu tun gehabt habe. Und, Bastl, ich danke dir auch.«

»Aber geh! Für was denn?«

Verwirrt sah Toni ihm noch nach, als die Tür schon lange hinter ihm zugefallen war. Dann raffte sie sich zusammen und begann hastig ihre Sachen wieder auszupacken.

*


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