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19.

Marei saß, von Decken umhüllt und durch Kissen unterstützt, vor der grünumsponnenen Wohnzimmerlaube des Gartens im Abendsonnenschein.

Ein Stück von ihr entfernt spielten die Kinder unter der Aufsicht Stinas, die nebenbei mit Unkrautjäten beschäftigt war.

Sie ahnte nichts davon, daß in Wien über das Schicksal der Angeklagten verhandelt wurde. Übrigens nahm sie auch wenig Anteil an ihrer Umgebung.

»Man könnte schier glauben, ihr Verstand hätte ausgesetzt«, meinte Stina manchmal kopfschüttelnd und besorgt zu Toni, wenn sie beide Marei betrachteten, wie sie bleich und stumm dasaß, mit verlorenem Blick vor sich hinstarrend. »Nicht einmal zu fragen nach der Frau, die doch ihre eigene Schwester ist!«

»Darüber sollen wir froh sein, sagt der Doktor. Er hofft, sie hat während der Krankheit alles vergessen, und je später ihr's einfällt, desto besser, meint er. Denn mit jedem Tag wird sie kräftiger, und die Wahrheit kann ihr nicht mehr so arg schaden.«

Aber Marei hatte nichts vergessen. Während der langen Wochen, da sie sich kraftlos und mühselig ins Leben zurücktastete, standen die furchtbaren Beschuldigungen der Leute gegen die Ihren wie eine unheilschwangere Gewitterwolke über ihr.

Ohne daß es ihr jemand gesagt, fühlte sie: Jeden Augenblick konnte der Blitz niederzucken. Das machte, daß ihre Seele sich zitternd duckte.

Immer grübelte und sann sie. Wie konnte es geschehen, daß auch auf ihn Verdacht fiel?

»Ich hab' dich lieb, Marei, das denke und sonst nichts.«

Und zu denken, daß er nun fort war – für immer vielleicht –, daß sie ihn nie wieder fragen konnte – nein, gar nicht fragen, nur in seine Augen blicken, um darin zu lesen, was sie wissen wollte! Ein einziger Blick nur, und sie würde es wissen, sicherer, als tausend Worte ihr sagen konnten ...

»Marei, ist dir denn gar nicht die Zeit lang, so allein?« fragte plötzlich eine sanfte Stimme mitten in ihre Gedanken hinein. »Schau, magst nicht ein bisserl mit den Kindern reden? Hast's ja früher so gern getan!«

Es war Toni, noch in ihrem Trauerkleid, wie sie eben aus der Stadt zurückgekommen war.

Marei schüttelte den Kopf.

»Mir wird die Zeit nicht lang. Und die Kinder ...«, sie fuhr sich über die Schläfen ..., »weißt, ich bin halt noch so müd immer ... von der Krankheit ...«

Toni, die blaß und gedrückt aussah, setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand.

»Das ist wahr. Aber siehst, Marei, da sollte man jetzt doch etwas tun dagegen. Der Bastl meint, die Luft hier wäre zu weich jetzt für dich. Ist ja lauter Ebene rundum! Da legt sich die Sonne zu viel hinein ... ja, und unten in Steiermark zwischen den Bergen, auf eurem Heimathof, da wäre es jetzt halt besser für dich. Du tätest dich schneller erholen. Und daß du nicht allein wärst dort, könntest die Kinder gleich mitnehmen, sagt der Bastl.«

»Nach – Losendorf soll ich?« Mareis Augen öffneten sich in unbestimmter Unruhe.

»Ja. Und gleich morgen früh, meint der Bastl.«

Marei schwieg. Sie hatte begriffen. Trotz Tonis harmloser Miene und den noch harmloser klingenden Worten wußte sie plötzlich: Sie wollen mich forthaben! Und schon morgen! Warum?

Toni stand auf, um ins Haus zu gehen.

Marei haschte nach ihrer Hand, Erregung im Blick.

»Toni, ihr wollt mich forthaben! Warum denn? Ist wieder was Neues geschehen?«

Es war das erstemal, daß Marei die Sache berührte, von der alle glaubten, sie habe sie vergessen.

»Aber geh, denk' doch nicht daran, Marei! Da ist ja alles noch am selben Fleck ... noch lange nicht, daß die Verhandlung sein kann. Die Herren brauchen Zeit zu so was ...«

Langsam für sich hinnickend, blickte Marei der sich hastig Entfernenden nach.

Wie sie rot geworden ist! Wie sie auf einmal lügen kann! dachte sie. Dann rief sie Stina zu, sie möge die Kinder ins Haus führen, das Geplauder störe sie.

Kaum war Stina mit den Kleinen verschwunden, warf Marei die Decken von sich. Alle Schwäche schien plötzlich von ihr gewichen. Sie hatte nur den einen Gedanken, zu erfahren, was man ihr verheimlichen wollte.

Milly muß es wissen! Und sie wird mir's auch sagen!

Ohne das Haus zu betreten, verließ sie den Garten durch das vordere Pförtchen und schlüpfte ins Parteienhaus.

Frau Milly Glöckl war mit Toni zugleich aus der Stadt von der Verhandlung heimgekommen. Marei fand sie noch im Sonntagsgewand in der dunklen Küche sitzen und bitterlich weinen.

»Milly, warum weinst du denn?« stammelte Marei. »Was ist denn geschehen?«

Nun berichtete Milly ausführlich, wie die Dinge standen.

»... und kein Mensch kennt sich mehr aus!« schloß sie schluchzend. »Ich hätte ja meine Hände für ihn ins Feuer gelegt, daß er unschuldig ist – aber jetzt, wenn man das alles so mit anhört – jetzt weiß ich schon selber nimmer, was ich denken soll!«

»Milly!« schrie Marei auf, und im selben Augenblick ging eine seltsame Wandlung in ihr vor. Sie, die bisher zwischen Konrads Schuld oder Unschuld geschwankt hatte in ihren Gedanken, empfand nun nichts als Empörung über den Zweifel der anderen.

»Milly! Du wirst doch nicht glauben, daß es Konrad wirklich getan hat?«

»Ja, schau«, stammelte die andere scheu, »ich weiß halt nimmer, was ich denken soll. Der Knotzen-Lipp behauptet's so fest! Und wer hätt's denn nachher eigentlich getan? Keiner kennt sich mehr aus ...«

Marei blieb stumm.

Frau Milly jammerte schon wieder. »Und jetzt denke nur – morgen die Schande und das Aufsehen ... von der Aufregung gar nicht zu reden! Da kommen sie alle heraus und wollen sich das Haus ansehen, in dem's geschehen ist! Und die vier Angeklagten bringen sie mit ...«

Marei war nicht mehr schwach, als sie ins Herrenhaus zurückkehrte. Wie eine Stahlfeder, die lange gewaltsam niedergehalten und nun plötzlich aufgeschnellt ist, so spürte sie es in sich.

Sie wußte nun, warum sie hätte fort sollen. Und daß er morgen wiederkam, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber das war ja genug. Sie würde ihn sehen, kein Mensch sollte sie daran hindern – und sein Gesicht, sein Blick, würden ihr alles sagen.

Bastl und Toni, die gedrückt im Wohnzimmer beisammensaßen und von Mareis bevorstehender Abreise sprachen, blickten bestürzt auf, als sie plötzlich vor ihnen stand.

»Wenn du schon gepackt hast, dann packe wieder aus«, wandte sie sich an Toni. »Ich fahre nicht nach Losendorf morgen früh!«

»Marei ...!«

»Gebt euch keine Mühe. Ich will dabei sein, wenn ... sie morgen kommen!«

*


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