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5.

Wie das Gerede unter die Leute gekommen war, wußte niemand. Aber an all die dunklen Gerüchte, die um das Ehepaar Brintner kreisten, knüpfte sich nun auch noch dies: Justina Brintner und Konrad Fercher sind ein heimliches Liebespaar! Die Bewerbungen um Marei waren nur ein Deckmantel dafür. Vor den Leuten und auch vor Andres wußten sie es bisher geschickt zu verbergen. Andres erfuhr es zuerst von der Bachwirtin in Ebental, bei der er Stammgast war und die es ihm »wohlmeinend, aus Freundschaft« andeutete. Sie glaubte nicht an die Schuld, die andere Leute ihm insgeheim zur Last legten. Dazu war er ein viel zu »tolpatschiger, indolenter« Mensch, wie sie versicherte. Aber nun wußte man wenigstens auch, warum er so viel trank – selbst in diesen Tagen, wo sein Vater noch auf der Bahre lag. Und Justina, die könnte es schon getan haben – mit Hilfe ihres Geliebten, des Zahlmeisters Fercher ...

Als sie das alles Andres steckte, war er zuerst sprachlos und sah sie eine Weile mit stierem Blick an. Dann lachte er laut auf. Die Bachwirtin wußte nicht recht – war es vor Galle oder weil er es nicht glaubte?

Schließlich ließ er sich, obwohl er bereits gezahlt hatte, von neuem Wein bringen und trank bis Mitternacht.

Schwerfällig torkelte er heim. Er sagte kein Wort von dem Gehörten zu Justina. Er sah sie nur seltsam scheu an, und sie kam ihm ganz verändert vor mit einem Male.

In ihren blanken, schwarzen Augen lauerte es wie heimliche Angst. Und sie machte ihm Vorwürfe, daß er selbst heute nicht daheim geblieben sei, sondern ins Wirtshaus gehen mußte, wo ohnehin die Leute schon auf alles so »spaßig aufpaßten«, was sie täten ...

Sein Blick wurde auf einmal stechend.

»So – warum passen sie denn auf?« fragte er.

Sie wandte sich ab. Ihre große Gestalt zitterte plötzlich.

»Ich weiß nicht ...«, murmelte sie, »sie sind halt schon so ... kannst dir's nicht denken, warum?«

Der Mann schwieg. Der Wein spukte in seinem Kopf und machte ihm das Denken schwer. Mit gläsernem Blick starrte er vor sich hin. Justina aber kniete in der Ecke unter dem Kruzifix nieder und betete – zum ersten Male seit langer Zeit.

Am andern Tag fand die Beerdigung des alten Brintner statt. Fast der ganze Markt beteiligte sich daran. Von auswärts waren Verwandte der Brintnerschen gekommen, und Justina hatte vom frühen Morgen an im Hause zu schaffen mit all den Vorbereitungen.

Den Verwandten fiel zweierlei auf. Erstens, daß die Teilnahme für die Hinterbliebenen des Toten sich auf Toni Maibach, Marei und sie selber beschränkte. Um Andres und Justina kümmerte sich kein Mensch. Niemand sprach sie an oder wollte auch nur in ihrer Nähe stehen. Bei der Einsegnung, am Grab und nachher in der Kirche, wo das Totenamt gehalten wurde – immer standen die beiden allein.

Zweitens bemerkten die Verwandten befremdet, daß Andres und Justina weder eine Träne vergossen noch besondere Trauer zeigten.

Blaß, hochaufgerichtet, mit starren Mienen standen sie da und machten alles mit, als ginge es sie im Grunde nichts an.

Als am offenen Grabe dem Toten von jedem die üblichen drei Schaufeln Erde nachgeworfen werden sollten und Justina ihrem Manne die Schaufel in die Hand gab, geschah etwas Unerwartetes. Er vergaß ganz, damit zu hantieren. Sein Blick flatterte verstört über Justina und die hinter ihr stehenden Hausleute hin. Gerade hinter Justina stand Konrad Fercher neben der weinenden Marei, die an jeder Hand eines der Kinder hielt. Zwischen beiden aber war ein unverhältnismäßig großer Kopf sichtbar, auf dessen leeren Zügen ein schauerliches Grinsen lag.

Wenigstens erschien es Andres schauerlich in diesem Augenblick. Da entsank die Schaufel seiner Hand, und er taumelte, sich gewaltsam Bahn brechend, aus dem Kreise der Leidtragenden hinaus.

Das war etwas Unerhörtes. Die ältesten Leute erinnerten sich nicht, daß je ein Sohn vom offenen Grab des Vaters hinweggegangen wäre, ohne dem Toten diesen letzten Liebesdienst erwiesen zu haben.

Ein Zischeln ging durch die Menge. Die auswärtigen Verwandten wollten Brintner nacheilen in der Meinung, ihm sei plötzlich unwohl geworden. Aber man hielt sie zurück und flüsterte ihnen Dinge ins Ohr, die sie vor Schreck erbleichen ließen.

»Er wird schon wissen, warum er's nicht zuwege brachte!« – »Das Gewissen hat ihn halt doch plötzlich gepackt!« – »Der weiß mehr vom Tode des Alten als wir alle!«

Später, als die Leidtragenden im Wirtshaus die übliche Stärkung einnahmen, wollte niemand neben dem Ehepaar Brintner sitzen. Geflissentlich, mit manchem anzüglichen Blick auf die beiden, die am oberen Tischende saßen, wurden die Verdienste und guten Eigenschaften des Toten besprochen.

Brintner kehrte an diesem Abend nicht heim. Er war aus dem Wirtshaus »Zur blauen Traube«, wo das Totenmahl stattgefunden hatte, direkt nach Ebental ins Bachwirtshaus gegangen.

»Er will halt seine Angst und das Grausen versaufen«, sagten die Leute.

Daheim auf dem Brintnerhof herrschte eine beklommene Stille. Es war Samstag, und die Knechte gingen daher gleichfalls nicht mehr heim, sondern blieben im Wirtshaus. Nur die Viehmägde schafften noch eine Weile, dann setzten sie sich zu den anderen Mägden in die Leutestube und begannen flüsternd zu beraten.

Mit Ausnahme der alten Stina Longin, die schon über zwanzig Jahre auf dem Brintnerhof diente, wollten sie alle morgen früh den Dienst aufkündigen und so bald als möglich fort aus dem »Mordhaus«.

»Mörderhaus müßtest eigentlich sagen, Gesa«, verbesserte die Schweinemagd. »Aus dem Mord würde ich mir ja nicht viel machen. Ich bin nicht abergläubisch, und wenn der alte Herr da als Gespenst umgehen sollte, zu uns in die Ställe möchte er schon nicht kommen. Aber das andere halt! Wenn eins was auf sich haltet, dann kann's da jetzt nimmer bleiben! Die Leute sagen's auch.«

Stina sah sie giftig an und ließ dann den Blick in die Runde gehen über alle fünf Mägde hin.

»Dumme Gänse seid ihr alle und schlecht auch noch dazu! Mit der Sache haben weder der Herr noch die Frau was zu tun, das sage ich euch! Ich schlafe doch neben ihnen oben! Ich hätte doch was merken müssen!«

»Schläfst halt zu gut, Stina! Lärm werden sie schon keinen gemacht haben dabei ...«

»So! Meinst, man schlachtet einen Menschen so ab und hätte nachher Hände und Gewand rein? Anklagen will ich keinen, aber meine Gedanken werde ich mir darüber wohl machen dürfen.«

»Was für Gedanken?« Alle rückten näher zu Stina und bestürmten sie, sich näher auszusprechen. Sie wollte anfangs nicht. Endlich, als sie gar nicht nachließen mit Drängen und Fragen, sagte sie stockend: »Immer muß ich halt an den Halbnarren, den Knotzen-Lippl, denken! Wie der noch gedient hat hier vor zwei Jahren, da hat er immer Streit mit dem alten Herrn gehabt. Und wenn der Alte manchmal Geld gezählt hat, dann ist Lippl immer um ihn herumgeschlichen mit so spaßigem Gesicht und Augen voll Gier – und öfter hab' ich's selber gehört, wie er gebettelt hat: ›Herr Vater, geben Sie mir doch ein paar Tausender!‹ Der Alte hat ihn natürlich ausgelacht. – ›Möcht' wissen, zu was du das Geld brauchst, du Depp!‹ ›Na, daß ich halt reich wär!‹ hat der Knotzen-Lippl mit seinem blöden Lachen geantwortet. ›Nachher täten sie schon alle Respekt vor mir haben!‹«

Die Mägde kicherten. Stina fuhr zögernd fort: »Und das habe ich immer gesagt – so dumm, wie der sich gibt, ist er lang nicht! ...«

Sie starrte versonnen vor sich hin. Aber die Mägde brachen jetzt in Gelächter aus.

»Der Knotzen-Lippl! Einen andern hast du nicht bei der Hand? Der sollte sich so was ausgedacht haben in seinem Wasserkopf? Und wenn schon – den hätte ja der Alte mit'm klein' Finger allein von sich abgewehrt! Nein, nein Stina, wenn du keinen andern weißt –« Stina stand auf und drehte ihnen unwirsch den Rücken.

»Glaubt, was ihr wollt, und tut, was ihr wollt. Um Dienstboten, die ihre Leute in der Not verlassen wegen eines albernen Geklatsches, ist kein Schaden nicht!«

*


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