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2.

In dem sonnigen Garten hinter dem Brintnerhof, wo die Aprilsonne sich alle Mühe gab, die ersten grünen Spitzchen aus der Erde zu locken, spielten die beiden Kinder des jungen Brintner. Michael, ein vierjähriger bildhübscher Knabe, und das blonde Gretchen.

Marei, die Schwester Justinas, die seit der Eltern Tod auf dem Brintnerhof lebte, behütete sie.

In nichts glich die kaum Siebzehnjährige der energischen, dunkelhaarigen Schwester. An Marei war alles weich und zart. Jetzt doppelt, seit sie einem begegnet war, der ihr Herz geweckt hatte. An ihn, den stattlichen Konrad Fercher, der seit kurzem bei seiner verheirateten Schwester, der Schneiderin Glöckl, im Nebenhaus des Brintnerhofes wohnte, dachte sie auch jetzt, während die Kinder zu ihren Füßen in der feuchtwarmen Erde wühlten.

Fercher war drüben in der Ebentaler Kunstmühle angestellt, wie sein Schwager Glöckl auch. Er hatte seinen guten Verdienst und konnte jeden Tag heiraten, wenn er wollte. Aber – wollte er? Wenn er mit Marei allein war, sagten seine Augen: Ja. Aber wenn es dann wieder Streit im Haus gab und Justinas scharfe Stimme in allen Ecken widerhallte, dann furchte sich seine Stirn, und seine Stimme wurde kühler, seine Miene nachdenklich.

Marei fühlte deutlich, daß er dann daran dachte, wie schrecklich ihm solch eine Frau wäre, und daß sie doch leider Justinas Schwester war ... und daß er fürchtete, sie könnte als Frau werden wie sie! ... Wenn Justina doch nicht alles gar so scharf nehmen würde! Immer tadeln, immer nörgeln – es war kein Wunder, daß der Großvater dann auch so wurde mit ihr und ein Wort das andere gab! Und er war doch im Grunde ein braver, guter Mensch, der alte Herr! Freilich, zum Niemand im Haus läßt sich keiner machen, der vorher als Herr im ganzen Markt respektiert worden war ...

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen durch eine Bewegung der Kinder zu ihren Füßen.

»Der Großvater! Der Großvater!« hatte Gretchen gerufen und trippelte schon quer über ein Gartenbeet auf ihn zu. Sie war sein Liebling, und das kleine blonde Mädchen hatte niemand im Haus so lieb wie den alten Mann, der schöne Geschichten wußte und immer irgendwo einen Zuckerstengel bereit hatte für sein »Greti-Katzi«.

Auch der Bub folgte eilig. Der Großvater hatte den »Ausgehhut« auf. Vielleicht nahm er ihn mit …

Aber der alte Brintner hatte heute kein Auge für seine Enkelkinder. Selbst sein »Greti-Katzi« wies er ab, als es sich an ihn schmiegen wollte. Er ging gar nicht gegen Ebental zu.

Der Weg, den er eingeschlagen, führte nur zu Bürgermeister Greinbachers Haus.

Brintner wollte in der Tat dorthin. In der Nacht hatte er sich alles zurechtgelegt. Es ging nicht mehr so weiter. Ob nun aus seiner geplanten Heirat mit Berta Kreibig etwas wurde oder nicht – unter einem Dach mit der Schwiegertochter blieb er keinesfalls länger. Mochte sie die zwei Stuben samt Küche vermieten und ihm für sein Recht daran eine Entschädigung zahlen. Wohnen konnte er anderswo friedlicher, und zu leben hatte er ja.

Die Kinder? Auch an denen war ihm die Freude vergällt durch sie. Gar nicht ansehen hätte er sie heute mögen – weil es Justinas Kinder waren ...

Erregt setzte er das alles dem Bürgermeister auseinander.

»Du mußt es durchsetzen, Greinbacher! Ich mag mich mit dem Weibsbild gar nicht mehr einlassen in Reden und mit dem Andres auch nicht. Vergriffen hat er sich gestern nacht an mir!«

Der Bürgermeister suchte ihn zu beruhigen. »Zeit lassen, Brintner, Zeit lassen! Wird sich schon alles geben. Vorderhand seid ihr alle aufgeregt. Laß ein paar Tage verstreichen, dann rede ich mit ihr.«

Vom Bürgermeister ging Brintner ins »Hotel zur Sonne«.

Dort traf er im Flur mit seiner Tochter Toni zusammen, die gerade mit dem Geschäftsleiter sprach.

Sie errötete, als sie der Vater fragte, was sie denn hier tue.

»Nach Maria-Zell will ich wallfahrten, Vater, da hat mich der Herr Foregger gebeten, eine Botschaft mitzunehmen an seinen Vater, der dort eine Gastwirtschaft hat.«

»So, so. Na schön. Dann richte sie halt aus. Und bete fleißig dort, Toni – für uns alle! Hast ja Zeit dazu!«

Zwischen Ernst und leisem Spott war's gesagt. Denn er wußte es so gut wie der ganze Markt: Seit Tonis Mann, der Gendarmerieführer, nach kaum einjähriger Ehe im Dienst von einem Betrunkenen erstochen worden war, hatte sich die junge Witwe aufs Frommsein verlegt ... aber auf kein gutes Frommsein. Sie ging nirgends hin als in die Kirche, betete stundenlang und hatte ihr Zimmer wie eine kleine Kapelle eingerichtet. Aber ihr Herz war hart und unduldsam dabei. Sie kümmerte sich weder um ihren Vater noch um die Kinder ihres Bruders, und wenn sie über andere sprach, geschah es in liebloser Weise.

Justina behauptete boshaft: »Sie erbetet sich nur einen zweiten Mann! Das ist ihr ganzer Zweck dabei.«

Sollte sie den etwa jetzt gefunden haben in dem strebsamen Geschäftsleiter des Sonnen-Hotels?

Brintners scharfe Augen musterten die beiden in plötzlich erwachter Neugierde. Aber aus Tonis gesenktem Blick war sowenig etwas zu entnehmen wie aus den verschlossenen Zügen Valentin Foreggers.

Da ging er weiter.

Der Geschäftsleiter aber überhörte den Gruß Tonis, mit dem sie sich jetzt eilig davonmachte. Noch finsterer als gestern starrte er Brintner nach.

Was fiel dem ein, heute schon am Vormittag zu kommen, und noch dazu feierlich in Schwarz?

Im Speisesaal saßen die Gäste. In der Küche wurde für den Mittagstisch gerüstet. Es war die Stunde, wo Frau Berta immer am meisten zu tun hatte und eigentlich überall zugleich sein sollte.

Bin neugierig, was er jetzt anfängt, so allem ohne sie, dachte Valentin und sah durch einen Türspalt in den Speisesaal.

Aber Michael Brintner war nicht darin zu entdecken. Valentin ging nach der Küche. Die Köchin begann gerade die Suppe zu richten. Frau Berta fehlte.

»Wo ist die Frau?« fragte er. Die Köchin zuckte die Achseln. Rosa, die Kellnerin, aber antwortete, verschmitzt lächelnd: »In ihrem Privatkontor. Sie hat – Besuch bekommen!«

Valentin wurde blaß. Dann schlenderte er durch den Flur. Unter der Haustür blieb er lange stehen und blickte, in Gedanken versunken, zum Frühlingshimmel auf. So vertieft war er, daß er die Grüße der Ein- und Ausgehenden gar nicht bemerkte und unerwidert ließ.

Im Brintnerhof stand inzwischen Frau Justina plaudernd neben der Schneiderin Glöckl.

Sie sprachen von einem neuen Kleid, das Frau Glöckl Justina machen sollte, von dem Streit in der Nacht und von dem Ärger, den man halt immer wieder mit dem rechthaberischen alten Mann habe.

Justina, die sich in letzter Zeit besonders freundlich an Emilie Glöckl angeschlossen hatte, schüttete, einmal im Zuge, ihr ganzes Herz aus.

»Keine frohe Stunde kann eins haben, solange der Alte lebt«, sagte sie. »Sie werden schon sehen, Frau Glöckl, das nimmt auch noch einmal kein gutes Ende zwischen dem und uns! Mein Mann hat's auch gesagt.«

Die Glöckl wollte ablenken, sie begann über die Enge ihrer Wohnung zu klagen, die sich, seit ihr Bruder bei ihr wohne, immer unangenehmer fühlbar mache.

»Ein Zimmer und eine Kammer – was ist denn das für drei Personen, wo ich tagsüber die Stube für die Nähmaschine brauche und die Kammer für Kundinnen zur Anprobe? Mein Mann und Konrad brummen jeden Tag, daß sie ihr Mittagessen in der stockdunklen Küche einnehmen müssen.

»Na ja«, meinte Justina, »zu klein ist die Wohnung ja für Sie, das sehe ich ein! Wenn der Vater nicht wäre – da könnten wir Ihnen dann seine Wohnung geben. Da hätten Sie schön Platz in den zwei großen Zimmern, und die Küche ist auch groß und licht. Haben Sie nur noch ein wenig Geduld, Frau Glöckl, lange wird er's ja doch nicht mehr machen, der Alte!«

»Was fällt Ihnen ein, Frau Brintner! Der denkt nicht ans Sterben! Der hat ganz andere Gedanken!« sagte in diesem Augenblick eine lachende Stimme hinter Justina.

Es war die Gemeindesekretärin Schlazer, die, von einem Ausgange heimkehrend, die letzten Worte gehört hatte und nun mit wichtiger Miene zu den Frauen trat. Eifrig fuhr sie fort:

»Sie wissen's wohl noch gar nicht! Die Kreibig von der ›Sonne‹ will er heiraten! Gerade hat's mir der Schuster Lakner erzählt, dem's die Kellnerin heute früh brühwarm gesagt hat. Denn die Kellnerin hat es gestern abend mit eigenen Ohren gehört, wie er Frau Kreibig den Antrag machte!«

Justina stand wie vom Donner gerührt.

»Das will er uns antun?« stammelte sie dann bleich vor Zorn. »Das auch noch? Daß er sein Geld, auf das doch die Kinder und Enkelkinder ein Recht haben, einer Fremden hinträgt?«

Sie wollte zu ihrem Mann stürzen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, aber der war nicht zu Haus.

Da rief sie der Schwester zu, sie möge den Kindern und Dienstleuten ihr Essen geben, und ging durch den Garten fort. Nur allein sein! Nur frische Luft! Ihr war, als müsse sie ersticken vor Ärger. Und immer war der Gedanke in ihr: Dazu darf's nicht kommen! Das muß irgendwie verhindert werden.

Gedankenverloren schritt sie den Fußpfad hin, der längs eines klaren, eilig hinschießenden Bächleins gegen Ebental zu führte.

Bis dorthin, wo die Bäume zu Ende waren und man über freies Ackerland hinweg die rauchenden Schlote der Dampfmühle sah, ging sie und wieder zurück. Immer hin und her längs des Wassers, wie eine zornige Löwin.

Auf halbem Wege lag seitwärts im Erlengebüsch die Hütte des Tagelöhners Steiner. Tür und Fenster waren verschlossen, denn Steiner und sein Weib gingen täglich frühmorgens zur Arbeit.

Neben der Hütte, auf einem von Buschwerk umstandenen Hügel, lag der Knotzen-Lipp im Sonnenschein und schaute neugierig nach der auf dem Fußpfad auf und ab wandernden Frau.

Zwar »arbeitete« er seit vier Wochen auch in der Kunstmühle beim Säckeverladen. Aber er nahm es nicht so genau mit dem neuen Dienst.

Wenn es schön war wie heute, blieb er lieber daheim. Da gab es immer einen Nebenverdienst, der seinen Mann besser nährte: Schlingen legen, Fallen stellen usw. Außerdem hatte er sich gestern abend ausgiebig satt gegessen und in der Nacht wenig geschlafen vor Ärger über die Brintnersche Sippschaft.

Zu denken hatte er auch mancherlei. Sie hielten ihn alle für dumm ... na, er wollte es ihnen schon zeigen!

Er beobachtete die Brintnerin gespannt.

Was sie nur da auf und ab ging? Wartete sie vielleicht auf jemand?

Er hob sich etwas empor und starrte zur Mühle hinüber. Aha! Da kam wirklich einer! Der junge Fercher war's, der neue Zahlmeister ...

Justina hatte ihn jetzt auch bemerkt. Unschlüssig blieb sie stehen. Dann, wie von einem plötzlichen Einfall gepackt, ging sie ihm rasch entgegen. Nun wanderten sie zu zweien auf und ab, eifrig und leise miteinander redend.

Der Knotzen-Lipp rieb sich die Tatzen und grinste über das ganze Gesicht.

So so – das war ja eine große Neuigkeit! Die beiden hielten's heimlich miteinander! Und hier auf dem einsamen Bachweg trafen sie sich!

Die auf dem Fußsteig ahnten nichts von der Beobachtung. Nach einer Weile trennten sie sich. Fercher ging dem Brintnerhof zu, wahrscheinlich zum Mittagessen, Justina blieb stehen und blickte ihm nachdenklich nach.

Plötzlich schnellte aus dem tiefer liegenden Gestrüpp über den Wegdamm herauf eine Mißgestalt auf sie zu.

»Jesus Maria – wer –«, erschrocken prallte die Frau zurück.

Der Knotzen-Lipp grinste sie triumphierend an.

»Aha, Brintnerin, gelt, das hast du dir halt nicht gedacht, daß du so in meine Hand kommen könntest?«

»Ich – in deine Hand?« stammelte Justina immer noch erschrocken.

»Ja – wer bist du denn? Was willst du von mir?«

»Kennst du den Lipp nicht, der gestern abend dein Gast war?«

»Mein Gast? Du?«

Es lag so viel Verachtung in ihrem Ton, daß selbst Lipp, der von Kindesbeinen an Spott und Hohn gewöhnt war und sich darum am liebsten wie ein lichtscheues Tier vor aller Welt verkroch, wenn ihn der Hunger nicht unter Menschen trieb, sich wie eine getretene Viper aufrichtete.

»So? Leugnen willst es, daß ich gestern kälbernen Braten und Hausgeselchtes und Rauchwürste bei euch gegessen habe? Eine ganze Schüssel voll! Und wo mir's dein Mann selbst vorsetzte und mich eingeladen hat?«

»Dich?« Justinas Ton wurde immer hohnvoller. »Einen Freund hat er bei sich gehabt, und für den habe ich Essen gerichtet. Wer's war, darum habe ich mich nicht gekümmert. Aber du warst es gewiß nicht, du – Mißgeburt!«

»Brintnerin! ... Brintnerin! ... Spiel nicht mit mir!« keuchte der Bursche, die Hände ballend. »Ich sag's sonst! Alles verrate ich!«

»Was sagst?« Justina stand plötzlich dicht vor dem Burschen und sah ihn mit funkelnden Augen an. »Was verratest?«

»Daß du's heimlich mit dem Zahlmeister hältst! Daß du –«

Er konnte den Satz nicht beenden. Zwei Ohrfeigen rechts und links, ein Stoß vor die Brust, und er kollerte den Damm hinab ins Gestrüpp, das ihn mit dornigen Armen umfing.

Einen Augenblick verging dem Knotzen-Lipp Hören und Sehen vor Wut. Blut floß ihm aus der Nase, seine Augen, die im Hinabkollern mitten in einen Maulwurfshügel gekommen waren, klebten voll Erde, und die Brombeerranken ringsum hatten seine Hände wund gerissen.

Als er sich endlich herausgearbeitet hatte und wieder aufblicken konnte, war der Fußweg am Bach oben leer.

*


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