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17.

Von nun an war Bastl selten auf dem Brintnerhof zu sehen. Fast immer trieb er sich in der Gegend herum, bald da, bald dort mit den Leuten schwatzend oder stundenlang in der »Sonne« sitzend, wo ihm dann der Geschäftsleiter, wenn seine Zeit es irgend erlaubte, Gesellschaft leistete.

Frau Kreibig war jetzt viel seltener unten zu sehen als sonst. Sie sollte sich heftig erkältet haben, lag oft zu Bett und hielt sich auch sonst die meiste Zeit still in ihrem Zimmer oben auf, hieß es.

Die Dienstboten flüsterten sich freilich zu, mit der Erkältung sei es nicht so arg, aber mit dem Bruder habe sich die Frau überworfen, weil er jetzt die ganze Leitung der Wirtschaft an sich gerissen habe und der Schwester kaum mehr ein Recht lasse. Dadurch habe sie alle Freude an der Arbeit verloren, lasse ihn schalten und walten, wie er wolle, und trotze oben.

Auf dem Brintnerhof ging es umgekehrt zu. Da schaltete und waltete jetzt Toni immer unumschränkter, weil Bastl ihr das meiste stillschweigend überließ. Anfangs machte es ihr Freude, denn es gedieh alles prächtig unter ihrer Hand. Die Dienstboten hatten Respekt vor ihr, die Kinder liebten sie. Marei, die körperlich genesen war, aber viel vor sich hinträumte, schien nur aus ihrem Traumzustand zu erwachen, wenn Toni neben ihr saß, und die alte Hiefinger war nun entbehrlich und deshalb entlassen worden.

Nach Ablauf einer Woche wurde Toni plötzlich schweigsam, und ein bitterer Zug grub sich von neuem in ihr Gesicht.

Stina, die Bastl zugetan war, hatte ärgerlich von dem Gerede erzählt, das in Kalkreut über ihn umging. Seine häufigen und langen Besuche auswärts gaben den Anlaß dazu. Einige wollten wissen, er suche in der zwar älteren, aber reichen Besitzerin der »Sonne« eine gute Partie, andere behaupteten, er habe zarte Beziehungen zu der frischen Rosa angeknüpft.

Es kam Toni plötzlich zu Bewußtsein, daß seit einiger Zeit alles anders geworden war. Schweigsam, in sich gekehrt und verschlossen war Bastl jetzt geworden, und obwohl Lufner nun gefunden war, blieb er weniger daheim als früher.

Auf ihre Fragen, ob er aus Lufners Angaben irgendeine neue Spur zu finden hoffe, antwortete er ausweichend und mied überhaupt jedes vertrauliche Gespräch über die Sache.

Sie beobachtete ihn nun scharf, warf gelegentlich ein Wort hin, und sah bald, daß mindestens das eine der Wahrheit entsprach: Bastl war wirklich ein täglicher Gast in dem Hause des Mannes, den sie am tiefsten verachtete.

Da, es war wenige Tage vor Beginn der Schwurgerichtsverhandlung in Wien, kam er einmal zu ungewohnter Stunde heim.

Toni, die im Flur saß und Bohnen für Mittag schnitt, blickte verwundert auf, als er eilig mit kurzem Gruß an ihr vorüberging und bald darauf in seinem Sonntagsgewand wieder erschien.

»Willst fort? Nach – Wien vielleicht?« fragte sie unwillkürlich, von einer Angst ergriffen, es könne etwas Unerwartetes geschehen sein, weil er so tiefernst aussah ...

Bastl blieb stehen.

»Nein, nach Wien nicht«, antwortete er unbestimmt und vermied ihren Blick. »Aber verreisen muß ich. Vielleicht bleibe ich ein paar Tage aus. Ich weiß halt noch nicht, wie lang. Aber mußt nicht reden darüber, Toni. Wenn jemand fragt, sag', ich wäre nach Losendorf gefahren, um wieder einmal daheim nachzusehen. Und ... leb' wohl auch, Toni!«

Sie nickte mit herb geschlossenen Lippen. Die dargebotene Hand schien sie nicht zu sehen.

Zögernd ging Bastl. Zum ersten Male merkte er, daß sie ihm heimlich grollte, und begriff auch, warum. Kein Mensch auf der Welt hatte so viel Recht, Offenheit und Vertrauen von ihm zu erwarten wie sie. Es fiel ihm ja auch schwer genug, gerade ihr gegenüber zu schweigen.

Bastl fuhr in die Wiener Neustadt. Seit Tagen hatte er es schon tun wollen, aber doch nie gewagt, aus Angst, daß der Baumeister March ihn dort just dabei erwischen könnte, wie er vorsichtig Umfrage hielt über ihn.

Dann wäre er gewarnt gewesen oder – falls er unschuldig war – würde er mit Recht Aufklärung verlangt haben, weshalb man ihm nachspüre. Und was hätte Bastl ihm dann antworten können?

So beschloß er, fleißig in Kalkreut Umschau zu halten, bis March wieder einmal hier auftauche, um dann sofort nach Neustadt zu fahren. Dieser Fall war heute eingetreten.

Ein glücklicher Umstand fügte es, daß gerade heute Viehmarkt dort war! Bastl besuchte denselben und tat zum Schein, als wolle er ein paar Ochsen kaufen. Dabei wurde er rasch mit einer Menge Leute bekannt, trank da und dort einen Schoppen und konnte unauffällig überall die Rede auf Baumeister March bringen, mit dem er »auch Geschäfte habe«.

Man zeigte ihm bereitwillig das kleine Häuschen in der äußersten Vorstadt, wo Marchs ihr mehr als bescheidenes Quartier hatten.

Bastl empfand plötzlich den Wunsch, einen Blick in die Häuslichkeit des Baumeisters zu tun.

March war ja in Kalkreut und eine Ausrede bald gefunden. Er wollte der Frau einen falschen Namen angeben und sagen, daß er ihren Mann wegen einer alten Schuldforderung habe mahnen wollen.

Dabei mußte es sich ja gleich zeigen, ob das, was er in den letzten Stunden vernommen, auf Wahrheit beruhe. Übereinstimmend hatten ihm nämlich verschiedene Personen erzählt, daß March, der bis vor kurzem stets in Geldverlegenheit gewesen sei, in den letzten Monaten alle seine Schulden bezahlt habe. Die Leute lebten jetzt überhaupt viel besser als früher. Vermutlich hätten sie eine Erbschaft gemacht. ...

Frau March öffnete Bastl. Sie war eine blasse, schmächtige Frau, deren offener Blick einnehmend wirkte. Sechs Kinder umdrängten sie und lugten neugierig nach dem Besuch.

In der kleinen Wohnung blitzte alles vor Sauberkeit. Frau March bot dem Gast freundlich Platz in der Stube an. Sie bedauerte sehr, daß ihr Mann gerade heute abwesend sei. Er habe nach Kalkreut fahren müssen, eines Baues wegen. Aber der Herr möge keine Sorge haben, die Schuld, von der er spreche, werde gewiß bezahlt werden. Sie wunderte sich, daß ihr Mann dies vergessen habe, denn er habe in der letzten Zeit alle Außenstände beglichen.

»Ja, ich habe gehört, daß er kürzlich eine Erbschaft gemacht haben soll«, murmelte Bastl.

»Eine Erbschaft? Ach nein«, lächelte Frau March halb verwundert, halb wehmütig. »So gut haben wir es nicht. Die uns nahestehen, haben nichts als ihre Liebe und ihren Segen, den sie uns hinterlassen könnten. Alles, was wir besitzen, verdanken wir der Arbeit meines Mannes, der sich für uns aufopfert. Aber er hat vor ein paar Monaten ein hübsches Stück Geld verdient, damit konnten wir uns ein bißchen herausreißen.«

Lange danach, als Bastl nach Kalkreut zurückfuhr, mußte er immer noch mit Scham an seine Rolle als Gläubiger denken, die er der arglosen Frau vorgespielt.

Und doch – wenn er jetzt nüchtern alles überdachte, was er über March in Erfahrung gebracht hatte, so schien ihm sein Verdacht begründet.

Woher hatte March auf einmal das Geld, um seine Schulden zu bezahlen? Seit einem halben Jahre hatte er nirgends eine Arbeit geleistet, die ihm auch nur annähernd so viel eintragen konnte, als seine Schulden betrugen. Darüber hatte sich Bastl unterrichtet.

Die Nacht lag Bastl schlaflos und dachte über die Sache nach. Toni war schon zu Bett gegangen, als er heimkam. Aber auf seinem Nachttischchen lag die Zeugenvorladung zur Schwurgerichtsverhandlung.

Sollte er von seinem Verdacht sprechen übermorgen oder nicht?

Doktor Meyfeder war dagegen. Aber vielleicht war es die einzige Möglichkeit, Andres, Justina und Fercher zu retten.

Dennoch konnte er zu keinem Entschluß kommen. Immer wieder tauchte eine kleine, saubere Wohnstube vor ihm auf mit der blassen, freundlichen Frau March.

Er schauderte zusammen, wenn er an den namenlosen Jammer dachte, den ein einziges Wort aus seinem Munde über das Leben der Frau und ihrer Kinder bringen konnte.

Bastl sah schließlich ein, daß der Kalkreuter Arzt recht hatte.

Im stillen dachten beide: Es ist doch unmöglich, daß drei unbescholtene Menschen allein auf die Aussage eines Kretins verurteilt werden könnten!

*


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