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1.

»Nicht möglich. Wegen ein paar Kübel Kohlen fängt deine Schwiegertochter Streit an, Brintner?«

»Wie ich dir sage, Sonnenwirtin! Kohlen wären nicht ausbedungen im Kontrakt, den ich seinerzeit, als ich Haus und Hof dem Andres übergab, aufsetzen ließ. Als ob ich das nicht selbst wüßte! Als ob ich mir nicht jeden Herbst zwei Fuhren hätte einschaffen lassen! Aber, wenn es im April noch kalt ist wie im Jänner und mein Vorrat zu Ende ist, werde ich mir bei dem eigenen Sohn doch ein paar Kübel ausborgen dürfen! Hab's der Magd ohnehin gesagt: Im Herbst gebe ich sie zurück! Aber nein. Bar zahlen hätte ich sie der Frau Schwiegertochter sollen! Und Andres – wie immer – ist gleich auf Justinas Seite. Wie sie sagt: ›Ja, wer weiß denn, ob der Herr Vater im Herbst noch lebt?‹ nickt er gleich: ›Freilich, freilich, wer kann das wissen?‹ Ja, liebe Berta, so springen sie mit mir um daheim und wundern sich dann noch, wenn ich zu dir gehe, um mich ein wenig auszureden und zu erholen!«

»So? Das ärgert sie auch?«

»Und wie! Bei jeder Gelegenheit wirft es mir Justina vor. Ob sich das schicke für einen alten Mann und Großvater und ehemaligen Bürgermeister, jeden Abend im Wirtshaus zu sitzen? Ob es keine Sünde wäre, das Geld so zu vertun? Zuletzt bin ich auch noch Schuld daran, daß der Andres mehr und mehr zum Trinker wird. Ich gäbe ihm ja das Beispiel im Wirtshaussitzen usw.«

Die Wirtin der »Sonne«, eine geschmeidige Vierzigerin, warf sich in die Brust.

»Na, so wegwerfend per ›Wirtshaus‹ brauchte die Brintnerin nicht zu reden. Ihr Mann geht freilich nur ins Bachwirtshaus, das nur für Bauern und Arbeiter gut ist. Aber so ein Wirtshaus ist das ›Hotel zur Sonne‹ schon lange nicht mehr, seit wir die Dependence zugebaut haben und die feinsten Fremden bei uns absteigen! In ein gewöhnliches ›Wirtshaus‹ würde sich so ein Mann wie du, Brintner, ja auch gar nicht setzen!«

»Freilich nicht. Auf meine Reputation habe ich immer etwas gehalten. Das ärgert sie ja auch, daß der Andres mir in dem Punkt so wenig nachschlägt. Übrigens ist's wohl nicht das allein, was sie an meinen Besuchen hier ärgert. Erstens hat sie eben überhaupt immer etwas zu nörgeln an mir, und zweitens ...«

»Bist ein armer Hascher, Brintner«, fiel die Sonnenwirtin hastig ein, »wenn man denkt, was du für ein Mann warst! Der reichste und angesehenste im ganzen Markt! Fünfzehn Jahre Bürgermeister! Und was du alles gemacht hast in Kalkreut! Die Anlagen, das Bad, die Eisenbahnstation, die du für den Markt durchgesetzt hast, den Fremdenzufluß – alles verdanken wir dir. Für jeden armen Schlucker hast du Verdienst herbeigeschafft – und jetzt so drangsaliert werden im eigenen Haus! Eine Schande und ein Jammer ist's!«

Der Mann, den sie beklagte, blickte finster vor sich hin und strich gedankenvoll an seinem grauen Schnurrbart.

»Ja, ja. Ich hätte halt nicht übergeben sollen! Aber was will man machen? Der Andres hat heiraten wollen und sie – nur im eigenen Haus sitzen. So habe ich eben nachgegeben. Ein Glück nur, daß ich mir wenigstens das Bargeld behielt. Wenn das nicht wäre, ich glaube, sie brächten mich lieber heute als morgen um.«

»Brintner!!!«

»Ja – was denn? Meinst du, denen lebe ich nicht schon zu lange?«

»Geh – so schlecht, glaube ich doch nicht, daß sie ist, die Justina!«

»Kannst es schon glauben. Ich spür's jeden Tag! Aber du hast mich vorhin unterbrochen, Sonnenwirtin. Schau –«, er reckte seine kräftige Gestalt empor, und unter den buschigen grauen Brauen blitzten die klugen Augen fast jugendlich. »Was du da geredet hast von meiner Bürgermeisterszeit, das hat mir wohlgetan. Du meinst also doch, daß ich was geleistet habe im Leben?«

»Und viel auch noch! Alles, was du angepackt hast, hat Kopf und Fuß gehabt. Du hast es ordentlich verstanden, Brintner, das wissen wir alle!«

»Dank für die gute Meinung. Aber schau – trotz meiner sechzig Jahre, ich meine, ich bin noch nicht zu alt, um noch ein bissel was vor mich zu bringen – am richtigen Platz – neben dem richtigen Menschen! Und das spüren sie daheim! Darum ärgern sie sich, wenn ich bei dir vorspreche, weil sie's ahnen, daß ich im ›Hotel zur Sonne‹ vielleicht noch mehr suche als meinen Stammplatz und den Wein. Sonnenwirtin – was meinst du dazu? Verstehst du mich?«

Die Sonnenwirtin schwieg und blickte unschlüssig an ihrem schwarzen Kleid hinab, über dem die weiße, zierliche Trägerschürze lag.

Sie hatte diese Frage lange kommen sehen – im stillen sogar erwartet. Und nun zögerte sie doch mit der Antwort. Es war ja alles ganz gut gegangen während der drei Jahre ihrer Witwenschaft, wo sie mit ihrem Bruder Valentin, den sie als Geschäftsführer bei sich angestellt hatte, die Hotelwirtschaft betrieb. Wenigstens war sie ihre eigene Herrin gewesen. Und eigentlich vermißte sie bisher keinen Mann neben sich. Dazu stand ihr ihr erster noch in zu leidigem Angedenken. Neben dessen Trägheit war kein Aufkommen gewesen, und die »Sonne« konnte den Sprung vom einfachen Landgasthof zum »Hotel« erst nach seinem Tode wagen. Freilich – Michael Brintner war ein ganz anderer Mann als der selige Peter Kreibig. Klug, unternehmend und umsichtig wie sie selbst. Aber eben darum würde er wohl auch hier dann den Herrn spielen und den ersten Platz einnehmen wollen …

Während diese Gedanken Frau Berta Kreibigs Hirn kreuzten und die scharfen, klugen Augen des Mannes erwartungsvoll an ihren Zügen hingen, war, von beiden unbemerkt, die Kellnerin Rosa eingetreten.

Ungeduldig sah sie auf die Uhr und dann nach den beiden hinüber, die vertraulich am kleinen Ecktisch saßen und gar nicht daran zu denken schienen, daß es gleich Mitternacht war und eine geplagte Kellnerin doch auch endlich zur Ruh kommen wollte.

Aber freilich, Herr Brintner war ja jetzt immer der letzte Gast, und wenn die Frau ihm selbst Gesellschaft leistete, durfte man nicht stören. Plötzlich horchte Rosa auf. Der ehemalige Bürgermeister hatte wie spielend die Hand der Sonnenwirtin ergriffen und sagte: »Schau, Berta, du solltest nicht so lange überlegen! Wir beide kennen uns doch seit zwanzig Jahren, und daß ich kein unguter Mensch bin, weißt du. Schlechte Zeiten würdest du nicht haben neben mir ...«

Mit großen Augen schlich die Kellnerin wieder hinaus. So stand es um die Frau! Darum kam der alte Brintner jeden Tag und blieb als letzter Gast, bis die Sperrstunde da war? Heiraten wollten sie?

Drin sagte die Sonnenwirtin:

»Daß ich's nicht schlecht bei dir hätte, weiß ich, Brintner. Aber überlegt muß das doch auch gut werden. Jung sind wir beide nicht mehr.«

»Jung genug, Berta! Ich meine, vor uns liegen noch viele Jahre!«

»Dann der Valentin! Er hat sich hineingelebt in den Gedanken, daß wir zwei hier allein fortwirtschaften bis an unser Ende.«

»Das heißt, er hofft wohl, dich dereinst zu beerben, Berta! Ich wette, daß er so kalkuliert! Er ist um zehn Jahre jünger als du ...«

»Möglich, daß er sich das im stillen denkt. Auf keinen Fall wird er einverstanden sein, daß ich wieder heirate.«

»Oho! Hat er dir dreinzureden?«

»Das nicht. Aber er ist doch mein Bruder!«

»Dann soll er's beweisen und seiner Schwester kein Hindernis im Glück sein! Als Geschäftsführer hat er ja ohnehin eine schöne Stellung. Später, wenn du einverstanden bist, daß wir ein feines Alpenhotel auf die Kreuzhöhe unterm Nadelstein hinbauen, kann er als Direktor hinaufkommen.«

»Ein Alpenhotel auf die Kreuzhöhe?« Die Sonnenwirtin hob die Nase, »du – das wäre eine Idee! Aber das – Geld?«

»Habe ich! Habe ich! Mein Bares habe ich ja nicht verteilt unter den Andres und die Toni! Du, schau, ich hab überhaupt noch allerhand so Ideen und Pläne. Wenn ...«

Die Tür des Speisesaals wurde ungestüm geöffnet und ein hagerer, schwarzgekleideter, junger Mensch steckte den Kopf herein.

»Sperrstunde ist's! Gerade hat es Mitternacht geschlagen!« Die Mahnung klang etwas scharf.

»Schon?« Brintner erhob sich. »Na, da heißt's gehen!« Er nahm Abschied von Frau Kreibig. Im Vorübergehen klopfte er dem jungen Mann, der im Türrahmen stehengeblieben war, auf die Schulter. »Schon recht, Herr Geschäftsleiter, daß man auf Ordnung schaut! Aber schau, Valentin, ein bisserl freundlicher könntest du schon reden mit einem alten Mann, der deines seligen Vaters Freund war!«

Der junge »Foregger-Valtl«, wie er im Ort noch immer genannt wurde, trotz seiner neuen Würde, antwortete nicht.

»Also überleg' dir meinen Vorschlag, Sonnenwirtin. Drei Wochen lasse ich dir Zeit, aber zu Floriani, wenn wir Kirchweih feiern, mußt du mir Bescheid geben. So oder so. Und jetzt gute Nacht!«

Der Weg vom Sonnenhotel bis zu dem stattlichen Häuserkomplex des Brintnerhofes, der etwas außerhalb des langgestreckten Ortes lag, war nicht weit.

Eben war die Sichel des Mondes aufgegangen und warf ein ungewisses Licht über die Gebäude. Im Wohnhaus, dessen erstes Stockwerk der junge Brintner mit Justina, deren Schwester Marei und den beiden kleinen Kindern bewohnte, war noch Licht. Zu ebener Erde, wo rechts von der Haustür die zwei Stuben des alten Brintner und links die seiner Tochter Toni lagen, war es finster.

Auch in dem kleinen »alten« Haus, dessen Wohnungen vermietet waren, seit der Bürgermeister seinerzeit das neue Wohnhaus daneben für sich und die Seinen hingebaut hatte, schien bereits alles zur Ruhe gegangen zu sein. Trotzdem war der Alte stehengeblieben und ließ gewohnheitsgemäß den Blick in die Runde gehen, ob auch alles in Ordnung wäre. Dabei entdeckte sein scharfes Auge drüben bei den Stallungen ein verdächtiges Glimmen. Wie der Blitz war er drüben und erhaschte eben noch mit raschem Griff einen Menschen beim Kragen, der sich mit der brennenden Zigarre im Mund vor ihm in die Scheune flüchten wollte.

»Willst du mir das Haus anzünden mit deinem Glimmstengel?« rief Brintner und zerrte den schlotternden Menschen bis in die Mitte des Hofes, wo er ihm die Zigarre aus dem Munde schlug.

Da sah er erst, welche Jammergestalt er in Händen hielt.

An einem unverhältnismäßig kurzen Leib mit dünnen Beinen schlenkerten zwei überlange Arme wie Windmühlenflügel, und auf dem kurzen, dicken Hals saß rund und groß, gleich einem Kürbis, der Kopf.

»Du bist's – der Knotzen-Lipp?« fragte der Alte erstaunt, der in der Mißgestalt einen ehemaligen Knecht des Brintnerhofes erkannte, den man nach kurzer Zeit wegen Unzurechnungsfähigkeit hatte entlassen müssen. »Wie kommst du da her? Und zu der Zigarre?«

Mit blödem Grinsen starrte der Bursche zu ihm auf. Dann sagte er wichtig: »Eingeladen bin ich gewesen beim jungen Herrn hier. Auf Braten – ja! Und die Zigarre hat er mir auch geschenkt – ja! Und jetzt geh ich schlafen ins Heu – ja!«

»Narr! Eingeschlichen hast dich und den Glimmstengel gestohlen! Dich werden sie auf einen Braten einladen! Jetzt mach', daß du weiterkommst, oder –«, drohend erhob er die Hand zum Schlag.

Der Bursche wich aufkreischend zurück bis an das Wohnhaus.

Von dort aus schrie er gellend: »Nicht wahr ist's! Und ich geh nicht. Der Großvater hat überhaupt nichts mehr zu reden da ... ich halt's mit dem Jungen und der –«

Er wurde unsanft unterbrochen durch einen Stoß, der ihn wie ein lästiges Insekt zur Seite schleuderte.

Der junge Brintner war aus dem Hause getreten. »Das Maul haltest auf der Stelle! Deinen Lohn hast bekommen, jetzt geh! Mit Großvater werde ich schon selber fertig.«

Der Alte war inzwischen nähergetreten. Er maß den Sohn mit strengem Blick.

»Was soll das, Andres? Du hast den Knotzen-Lipp wirklich ins Haus geladen und erlaubt –«

»Geht's den Vater vielleicht etwas an, was ich tue?« murrte der Sohn verdrossen.

»Und ob's mich etwas angeht!« fuhr der alte Brintner zornig auf. »Mein Haus hat immer nur saubere Gäste beherbergt! Daß du so tief heruntersteigst, Andres, hätte ich doch nicht gedacht! Einen solchen Menschen einladen und ihm Zigarren schenken ...! Das ist also jetzt deine Gesellschaft – ein Kretin, den sie im ganzen Ort verspotten!? Aber freilich, man merkt dir's ja an, daß du wieder getrunken hast ...«

Plötzlich stand, wie aus der Erde gewachsen, die Schwiegertochter vor ihm.

»So, schön!« sagte sie mit ihrer Stimme, die messerscharf durch die stille Macht klang. »Jetzt mischt sich der Großvater gar schon in das, was in unserem Hause geschieht! Das wird ja immer besser! Das wirst du dir doch nicht gefallen lassen, Andres? Was geht's ihn an, wenn du trinkst? Sitzt er nicht selber die halben Nächte im Wirtshaus? In eine schöne Familie habe ich eingeheiratet, das muß man sagen ...«

Im Nebenhaus öffneten sich mehrere Fenster. Der Gemeindesekretär Schlazer rief ärgerlich herab: »Streitet ihr schon wieder? Geht doch lieber schlafen und laßt anderen Menschen ihre Nachtruhe!«

Aber die unten hörten nichts von seinen Worten. Grimmig starrte der alte Brintner in das Gesicht seiner Schwiegertochter.

»Du kannst ja gehen, wenn es dir nicht gefällt bei uns, Justina!« sagte er zornbebend.

»Oho, da wird wohl noch eher jemand anders gehen!«

»Mein Recht ist verbrieft ...«

»Mein Gott, ewig wird der Großvater auch nicht leben!«

»Ah so – wartest schon auf meinen Tod! Daß ich dir zu lange lebe, weiß ich ohnehin!«

»Na, ich kann's schon erwarten! Aber gefallen lasse ich mir nichts vom Großvater! Und wenn's dem Großvater nicht recht ist, daß der Andres trinkt, dann hätte er ihn halt besser erziehen und ihm kein schlechtes Beispiel geben sollen!«

»So redest auf einmal? Seid ihr wieder einmal einig? Sonst hat niemand so arg gekeift über Andres' Trinken wie du!«

»Das geht Großvater nichts an!«

Andres, der bisher schweigend zugehört hatte, fuhr nun grob dazwischen. »Recht hat sie! Den Vater geht überhaupt nichts mehr an, was im Haus geschieht, wo ich der Herr bin! Und das ewige Einmischen habe ich jetzt satt. Geh der Vater schlafen.«

»Ich werde gehen, wann ich will!«

»Nein, jetzt gleich, denn ich will die Haustür sperren!« Und er drängte den Alten mit Gewalt in den Flur, bis die erbosten Rufe: »Was –? Vergreifen tust dich sogar an mir? Zu Hilfe, er vergreift sich an mir!« plötzlich verstummten und die Haustür zugeschlagen wurde. Nun war wieder Ruhe. Die Fenster im Nebenhaus wurden geschlossen, totenstill lag die Nacht über dem Brintnerhof.

Während oben im ersten Stock die Lichter erloschen, wurde unten in drei Erdgeschoßfenstern, die zur Wohnung des ehemaligen Bürgermeisters gehörten, ein heller Schein sichtbar, der nur gedämpft durch die Vorhänge nach außen drang. Dort wanderte der alte Mann rastlos in seinem Zorn durch seine zwei Stuben.

Aus dem Dunkel eines Schuppendachs kroch jetzt die Gestalt des Knotzen-Lipps und richtete sich auf. Das Grinsen auf dem bleichen Gesicht war verschwunden. Haßvoll streiften die Augen des Burschen über das stattliche Wohnhaus der Brintners hin.

»Wartet nur, ihr da drinn! Alle miteinander sollt ihr noch denken an den Knotzen-Lipp!«

*


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