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10.

Tiefe Stille lag über der armseligen Tagelöhnerhütte. Nur der Bach murmelte, eilig durch die Dunkelheit dahinschießend, und aus dem Verschlag tönte das Schnarchen des Knotzen-Lipp.

Die Steinerin, die die Stille in der Stube nicht mehr ausgehalten hatte, war in den Stall zur Ziege geflüchtet. Dort kauerte sie neben dem Tier am Boden und zählte die Minuten, bis ihr Mann zurück sein konnte.

Dabei überlegte sie, ob ihr Verdacht, den sie schon lange dumpf in sich herumgetragen hatte, auch den Tatsachen standhielt.

Aber es stimmte alles. In der Mordnacht war der Knotzen-Lipp nicht daheim gewesen. Als er frühmorgens, gerade als sie an die Arbeit gehen wollten, heimkam, war ihr zum ersten Mal sein scheues, aufgeregtes Wesen aufgefallen. Seine Kleider waren naß, seine Hände voll blutiger Kratzspuren. Befragt, wo er sich denn nachts herumgetrieben habe, antwortete er verlegen, er hätte im Ebentaler Teich heimlich Krebse gefangen, aber sie sollten ihn nicht verraten, er gebe ihr dafür einen Teil seines Fanges.

Wirklich hatte er auch die Taschen voll Krebse und schenkte ihr etwa ein Dutzend davon.

»Aber, wo hast du dich denn so zugerichtet?« hatte sie, auf seine Hände weisend, gefragt.

Da war er dunkelrot geworden und hatte unwirsch geantwortet: »Beim Heimgehen bin ich halt in der Finsternis vom Weg hinunter in die Brombeerstauden gefallen.«

Von diesem Tag an war er nicht mehr zur Arbeit, überhaupt nicht mehr unter die Menschen gegangen und hatte sein wunderliches Treiben begonnen.

Dann fiel der Tagelöhnerin noch etwas ein:

Als die Brintnerschen und der Zahlmeister verhaftet worden waren, hatte Lipp eine ganz auffallende Freude darüber gezeigt. »Gott Lob und Dank! Gott Lob und Dank!« rief er ein übers andere Mal händeklatschend, bis sie ihn entrüstet zur Ruhe verwies.

»Schämen sollst du dich, Lipp, daß du über so etwas Grausiges noch Freude zeigst!«

»Ich freu' mich halt!« antwortete er boshaft grinsend.

»So! Warum freust du dich denn darüber?«

Da glotzte er sie dumm an und murmelte dann tückisch:

»Na, weil unsereins jetzt halt in Ruhe leben kann.«

Damals war der erste Verdacht in ihr aufgetaucht. Aber sie wagte bis heute nicht, ihn auszusprechen. Doch jetzt –

Ein Geräusch draußen ließ sie aufhorchen.

»Lisi?« hatte die Stimme ihres Mannes halblaut gerufen. Sie eilte hinaus.

»Ja – da bin ich. Gottlob, daß du wieder da bist!«

»Und –«

»St! Ist er noch drin?«

»Ja. Er schläft wie ein Sack.«

»Sie sind da, um ihn ...« Er blickte sich um. Da sah die Steinerin erst, daß hinter ihm Gendarmen unter der Führung Herrn Weiblins standen.

Was nun geschah, geschah sehr rasch. Die Hütte wurde umstellt, der Postenführer Weiblin trat in den Verschlag, weckte den Knotzen-Lipp und bemächtigte sich zugleich der Stiefel, die diesem, in Stroh gewickelt, als Kopfkissen gedient hatten.

Anfangs war Lipp gar nicht erschrocken, sondern rieb sich nur verschlafen die Augen und blinzelte Weiblin erstaunt an.

Als er aber seine Stiefel in dessen Hand erblickte, wollte er sich wie ein Tiger darauf stürzen.

»Halt!« sagte Weiblin gelassen und gab den Gendarmen einen Wink, Lipp zu halten.

»Erst will ich sehen, was drin ist!«

Unter dem fortgesetzten Geschrei Lipps wurden die Stiefel untersucht.

Man fand in dem einen Banknoten von hohem Wert.

»So! Was sagt Ihr jetzt dazu, Knotzen-Lipp?«

»Es gehört mir! Alles gehört mir!« kreischte Lipp aufgeregt. »Er hat's wollen ins Wasser werfen, und ich hab's noch gefangen! Es gehört mir! Kein Mensch darf mirs streitig machen!«

»Wer hat das Geld ins Wasser werfen sollen?«

»Einer, den ich nicht erkannt hab'! Mitten in der Nacht ist er dagestanden am Ebentaler Teich –«

»Wann?«

»Na, dazumal halt, wie ich Krebse gefangen hab' dort! Wird vielleicht der Teufel gewesen sein, ich weiß es nicht. Aber das Geld gehört mir! Er hat alles schön auf ein Packerl zusammengemacht gehabt und hat's ins Wasser werfen wollen. Aber im Schilf ist's halt hängengeblieben, da bin ich nach und hab's noch erwischt.«

»Wie soll denn der Mann ausgeschaut haben, der das Paket ins Wasser warf?«

»Das weiß ich nicht. Ich hab' mir 'n nicht weiter angeschaut. Nachher war er schon weg. Aber das Geld gehört mir!«

»Schon gut. Das können Sie dem Untersuchungsrichter erzählen. Jetzt kommen Sie mit uns.«

»Aber das Geld.«

»Nehmen wir mit!«

»Nachher ist's recht! Wohin gehen wir denn?« fragte Lipp neugierig.

Die Angeredeten sahen einander erstaunt an. War das Komödie oder –?

»Eingesperrt wirst! Wirst schon wissen, warum!« sagte der Tagelöhner Steiner empört.

Lipps Augen wanderten in der Stube umher und blieben an dem geleerten Kochtopf am Herde hängen. Es war ein unruhiges Flimmern in ihnen.

»Hungrig bin ich so viel!« sagte er plötzlich. »Erst essen! Erst essen!«

Herr Weiblin hatte inzwischen mit Frau Steiner gesprochen, die ihm hastig ihre Wahrnehmungen aus der letzten Zeit mitteilte.

Jetzt sagte er barsch:

»Vorwärts! Im Arrest wird man Ihnen zu essen geben. Jetzt ist keine Zeit dazu.«

Lipp drängte sich vertraulich an ihn.

»Ist's wahr? Krieg' ich dort zu essen?«

»Na, freilich. Dreimal am Tag auch noch dazu!«

»Fleisch auch?«

»Ja.«

»Hui, da geh' ich schon mit!« schrie Lipp. »Dreimal am Tag essen und gar Fleisch! Dann wohl! Dann wohl!«

Als er in die Zelle geführt wurde, sagte Weiblin zu dem Aufseher:

»Lassen Sie ihm gleich etwas zu essen geben. Er soll seit Wochen kaum etwas Ordentliches in den Magen bekommen haben und könnte nachher beim Verhör vielleicht nicht durchhalten.«

Lipp machte große Augen, als er sich in der Zelle umsah. Ein richtiges Bett mit Decke? Dreimal essen täglich, und alles das umsonst? So gut war es ihm noch nie im Leben ergangen.

Als er eine Stunde später, leidlich gesättigt, vor dem Untersuchungsrichter stand und gefragt wurde, ob er sich schuldig bekenne, den alten Brintner ermordet zu haben, antwortete er sehr nachdrücklich: »Ja, freilich! Wer denn sonst?«

»Haben Sie's allein getan?«

»Natürlich! Ganz allein!«

»Erzählen Sie, wie das zugegangen ist.«

Lipp sah grinsend vor sich hin und kratzte sich hinter den Ohren.

»Da kann ich mich halt nicht mehr erinnern drauf. Umgebracht habe ich ihn halt.«

»Warum denn?«

»Das weiß ich nicht mehr. Grob war er halt mit mir!«

»Wie sind Sie denn zu ihm hineingekommen?«

»Durchs Fenster.«

»Hat er sich gewehrt?«

»Na, freilich.«

»Davon stammen wohl die Kratzwunden an Ihren Händen?«

»Kann schon sein.«

»Und das Geld und die Uhr, die man bei Ihnen fand? Sie haben behauptet, ein Unbekannter hätte sie in den Teich werfen wollen!«

»Ah nein. Das war ja nur so geredet. Aber mir gehört es jetzt.«

Der Untersuchungsrichter wußte nicht recht, was er aus seinem Gefangenen machen sollte. Je mehr er fragte, desto verworrener lauteten die Antworten. Entweder war er doch unschuldig und machte seine Geständnisse in geistiger Verworrenheit und Angst, oder er stellte sich nur blödsinnig und hielt mit der Wahrheit hinter dem Berg. Keinesfalls konnte er nach Doktor Blombergs Ansicht die Tat allein begangen haben. Dazu waren seine Körperkräfte denen des Toten viel zuwenig gewachsen. Freilich, Geld und Uhr sprachen für seine Schuld ...

Er ließ ihn also vorläufig wieder abführen und beschloß, Lipp morgen noch einmal ins Kreuzverhör zu nehmen.

Diesmal wurde Lipp in eine größere Zelle geführt, die er mit drei anderen Gefangenen teilte. Zum ersten Male im Leben wurde er nicht mit Spott, sondern mit gönnerhafter Kameradschaftlichkeit empfangen.

Er war sehr zufrieden mit sich und seiner Lage und rühmte sich sehr bald den Zellengenossen gegenüber seiner Tat.

Dann aber wurde er plötzlich sehr kleinlaut. Die neuen Kameraden nannten ihn einen Narren, daß er dem Untersuchungsrichter gleich alles so schön gestanden habe.

»Um deinen Kopf hast du dich geredet! Jetzt ist dir der Strick schon gewiß! Hättest es ihnen nicht eingestanden, wärest du mit zwanzig Jahren Zuchthaus – schlimmstenfalls lebenslänglich, davongekommen! So aber hast du dich selbst an den Galgen geliefert!«

Dem Knotzen-Lipp lief ein Schauer durch den Leib. Dunkel dämmerte ihm, was er getan.

Um den Kopf geredet! Nein, das hatte er nicht wollen! Verstört hockte er in einem Winkel des Zimmers und glotzte stumpfsinnig vor sich hin, bis ihn der Schließer nachmittags abermals zum Verhör holen kam.

Diesmal wartete Lipp die Fragen des Untersuchungsrichters gar nicht erst ab. Er begann, kaum vorgeführt, sogleich von selbst zu reden.

»Herr Untersuchungsrichter, was ich vormittag geredet habe, war nicht wahr. Ich war dabei, aber umgebracht habe ich den Alten nicht. Das haben die Brintnerschen und der Fercher getan. Die Frau Brintner hat alles angezettelt. Sie war die Rädelsführerin. Mich hat der Fercher hinbestellt, daß ich mithelfen solle. Wie wir aber hingekommen sind, lag der Großvater schon bei der Tür in seinem Blut ...«

»Wie – da war er schon tot?«

»Ah nein, gelebt hat er noch. Da hat die Brintnerin gesagt, ich sollt' ihm den Mund zuhalten. Na, so hab' ich ihm halt die Gurgel zugedrückt.«

»Und die anderen?«

»Die haben alle drei auf ihn losgestochen. Nachher hat der Andres in den Schubladen rumgekramt und mir das Geld gegeben.«

»Wofür?«

»Na, weil ich ihnen halt geholfen hab', wahrscheinlich! Was weiß denn ich? Jetzt gehört's halt mir!«

»Haben Sie einen Haß auf den alten Brintner gehabt? Sie sollen ja einmal kurze Zeit auf dem Brintnerhof gedient haben?«

»Ja, im Sandbruch draußen hab' ich gearbeitet. Aber einen Haß hab' ich nicht gehabt auf den Alten, wiewohl er immer grob auf mich gewesen ist.«

»Warum haben Sie sich denn an der Tat beteiligt?«

»Na, weil sie mir's halt gesagt haben, ich soll's tun.«

»Wer?«

»Na, die Brintnerin und der Fercher.«

»Wann?«

»Das weiß ich nimmer. Zum Fleischessen hat sie mich halt einmal eingeladen. In der Nacht einmal. Da ist geredet worden davon. Nachher hat der Fercher mit mir allein geredet und mich hinbestellt, daß wir durchs Fenster zum Alten hineinsteigen.«

»Wo hat er Ihnen das gesagt?«

»Na, in der Ebentaler Kunstmühle halt, wo wir beide gearbeitet haben.«

»Haben Sie den Zahlmeister schon früher gekannt?«

»Nein. In der Kunstmühle sind wir erst bekannt geworden.«

»Wie war das damals bei jener Unterredung? Was sagte er Ihnen eigentlich?«

»Das weiß ich nimmer.«

»Um wieviel Uhr sind Sie zu dem alten Brintner durchs Fenster eingedrungen?«

»Das weiß ich nicht. Uhr habe ich keine. Finster war's halt schon.«

»Heute früh sagten Sie doch, Sie hätten die Tat allein begangen!«

»Das war nur so gesagt.«

»Warum haben Sie gelogen?«

»Ich habe mir halt zuerst gedacht, sie brauchten nicht alles zu wissen beim Gericht.«

»Und jetzt?«

»Jetzt sage ich die Wahrheit.«

»Knotzen-Lipp, ist das aber auch die Wahrheit?« fragte der Untersuchungsrichter eindringlich. »Bedenken Sie, wie fürchterlich es wäre, wenn sie Unschuldige anklagen und die eigene Schuld auf sie überwälzen wollten.«

»Nein, ich sag' die Wahrheit. Alle vier haben wir's getan, und die Brintnerin hat's angezettelt.«

Dabei blieb Lipp trotz aller Kreuz- und Querfragen des Richters.

Das Geständnis wurde in den Hauptpunkten so klar und bestimmt abgegeben und deckte sich mit dem, was Brintner selbst über seine Frau und Konrad Fercher angegeben hatte, daß es kaum angezweifelt werden konnte. Und doch sträubte sich etwas in dem Untersuchungsrichter dagegen, es jetzt schon unbedingt zu glauben. Außer dem gefundenen Geld und der Uhr wurde es bisher durch keinerlei Tatsachen unterstützt. Diese Dinge aber belasteten nur den Knotzen-Lipp.

»Sie trauen sich, Ihre Anschuldigungen vor den Brintnerschen und Konrad Fercher zu wiederholen?« fragte Doktor Blomberg.

Lipp grinste.

»Versteht sich! Lassen Sie nur rufen alle drei!«

*


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