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22.

Aber die Wirkung war anders, als Bastl erwartet hatte. Nur Staunen und Verständnislosigkeit malten sich in Marchs Zügen.

»Welche Nacht meinen Sie? Ich verstehe Sie nicht. Ich bin zum ersten Male im Leben auf dem Brintnerhof!«

»Wirklich? Sie, der Sie so intim mit dem Großvater waren!« höhnte Bastl, den die wiederkehrende Ruhe Marchs erbitterte.

»Dennoch ist es so. Ich habe Herrn Brintner nie hier aufgesucht, sondern traf immer an dritten Orten mit ihm zusammen.«

»Vor den Leuten – das mag sein. Aber einmal waren Sie doch hier! Freilich heimlich! In der Nacht, damals, als er – ermordet wurde!«

»Herr!« March prallte zurück. Bastl aber fuhr, sich überstürzend, fort: »Ah – das erschreckt Sie doch, daß ich es weiß! Jetzt, wo Unschuldige Ihrethalben büßen müssen. Und Sie – Sie« Bastls Stimme klang gedrückt, wie die eines halb Erwürgten –, »Sie, der Mörder, laufen frei herum!«

Jetzt endlich schien March aus der Erstarrung, in die ihn diese Worte versetzt hatten, zu erwachen. Mit einem wilden Sprung warf er sich auf Bastl.

»Nimm das zurück, oder ich weiß nicht mehr, was ich tue! Ich – ein Mörder! Ich! Ich!«

Plötzlich ließ er von Bastl, der sich gegen die Umklammerung wehrte, ab und trat zurück.

»Wie kommen Sie auf die Idee, ich hätte den alten Mann umgebracht?« fragte er, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. »Das kann keine leere Beschuldigung sein, die Ihnen bloß die Erregung der Stunde auf die Lippen legt!«

»Nein. Ich weiß es schon lange und schwieg nur.«

Er verstummte. Erst jetzt kam ihm zum Bewußtsein, daß er übereilt gehandelt hatte. Alle Gründe, die ihn bisher bestimmten, zu schweigen, bestanden ja noch. Nun war vielleicht alles verdorben ...

March betrachtete ihn schweigend. Er hatte jetzt seine volle Ruhe wiedergefunden, aber zugleich lag auf seinem Gesicht ein fester Entschluß.

»Kommen Sie«, sagte er, die nächste Tür – es war die zu Tonis Zimmer – öffnend. »Wir wollen nicht hier auf dem Flur verhandeln, denn unsere Unterredung dürfte wohl etwas länger währen. So« – er drückte Bastl auf einen Stuhl nieder und nahm ihm gegenüber Platz – »nun müssen Sie mir vor allem mitteilen, was Sie veranlaßt, mich für den Mörder Brintners zu halten!«

Bastl begriff, daß es nun, nachdem er sich so weit hatte hinreißen lassen, kein Zurück mehr gab. Aber zugleich kam eine merkwürdige Unruhe über ihn. Je länger er in das Antlitz des Baumeisters blickte, desto haltloser schienen ihm plötzlich seine Verdachtsgründe.

Stockend brachte er sie endlich vor. Als Bastl schwieg, sagte March mit tiefem Ernst, während zugleich ein bitteres Lächeln um seinen Mund zuckte: »Ich begreife nun alles! So zusammengehalten, mußten die Tatsachen zu einer Kette von Verdachtsgründen in Ihren Augen werden.«

»Das Geld ..., wenn Sie mir nur sagen können, woher Sie das Geld nahmen, um Ihre Schulden zu bezahlen!«

»Sie sollen es erfahren und damit das Bekenntnis einer Schuld, die ich leider auf mich geladen habe, wenn auch durch die Ereignisse gedrängt. Man hat Ihnen gesagt, daß ich kurz vor Herrn Brintners Tod in Geschäftsverbindung mit ihm trat?«

»Ja, aber über die Natur dieser Geschäfte wußte Herr Foregger selbst nichts.«

»Das glaube ich! Es ist ja sein größter Kummer, daß er dabei nicht zugezogen wurde und Brintner als künftiger Gatte Frau Kreibigs deren Interessen allein in die Hand nehmen wollte.«

»Frau Kreibig wollte Brintner also wirklich heiraten? Ich dachte, das habe sich als leeres Gerede erwiesen?«

»Nur weil die Geschwister – Frau Kreibig und ihr Bruder – es nachträglich vor Gericht so bestimmt in Abrede stellten, wahrscheinlich um allem Geschwätz zu entgehen. In Wirklichkeit war die Heirat zwischen Brintner und Frau Kreibig eine beschlossene Sache. Ich weiß dies aus dem Munde des Alten selbst und hatte außerdem genug Gelegenheit, zu merken, wie der Hase läuft. Dies war ja auch der Grund, warum ich mich mit meinem Projekt an Brintner direkt wandte. Aber, was ich Ihnen darüber berichte, muß streng unter uns bleiben. Am wenigsten darf Herr Foregger Kenntnis davon bekommen.«

»Sie können sich in allem, was nicht mit dem Mord zusammenhängt, unbedingt auf mein Schweigen verlassen.«

»Gut. Mein Plan bestand darin, auf der Kreuzhöhe ein Alpenhotel in modernem Stil zu erbauen. Wenn ich durch den Bau ein schönes Stück Geld verdiente, so mußte sich die Bewirtschaftung, wenn sie in geeigneter Hand lag, zu einer ergiebigen Einnahmequelle für die Besitzer erweisen. Und der alte Brintner wäre ganz der Mann gewesen, aus der Idee etwas zu machen. Indes wollte er lange nicht darauf eingehen. Erst als er mit Frau Kreibig so weit im reinen war, daß er keinen Korb mehr zu befürchten hatte, erwärmte er sich plötzlich für die Sache, und wir wurden einig!«

»Wann war das?«

»Wenige Tage vor seinem Tode. Er erteilte mir den Auftrag, sofort mit den Vorarbeiten zu beginnen und ihm die Pläne so bald als möglich vorzulegen, damit er sie Frau Kreibig unterbreiten könne. Gleichzeitig händigte er mir, da er meine Mittellosigkeit kannte, einen hohen Vorschuß aus. Ich wollte ihm eine Bestätigung darüber geben, aber er wehrte lächelnd ab: ›Ich halte es mit dem alten Brauch, daß da Wort und Handschlag genügen. Außerdem müßten wir dazu Schreibzeug verlangen, und das würde nur die Aufmerksamkeit von Herrn Foregger erregen, der ohnehin um uns herumspioniert und nichts zu wissen braucht von unseren Plänen.‹ Wir saßen nämlich bei diesen Abmachungen im Extrastübchen der ›Sonne‹«, fügte March hinzu.

Bastl blickte ihn förmlich erleichtert an.

»Und mit diesem Geld bezahlten Sie also Ihre Schulden?«

»Ja. Schon am nächsten Tag. Gleichzeitig begann ich mit dem Entwerfen der Pläne. Ich fühlte mich so glücklich und arbeitsfroh wie seit langem nicht mehr. Da kam der unerwartete Tod Brintners. Wie mir war, als mich die Kunde erreichte, kann ich Ihnen kaum schildern! Ich war wie von Sinnen. Nun fielen alle meine Hoffnungen wieder ins Wasser. Sein Tod löschte unsere Abmachungen aus, meine bisherige Arbeit war umsonst, und was das schlimmste war – das Geld, das ich doch als Anzahlung darauf bekommen hatte, mußte den Erben zurückgegeben werden, wenn ich ein ehrlicher Mann bleiben wollte! Und ich hatte es nicht mehr! Woher es nehmen? Zu einem Wucherer gehen und es leihen? Das hieße, mich in eine viel schlimmere Lage bringen, als ich je zuvor war. Und meine Frau war so glücklich, daß wir endlich ohne Schulden lebten ... Wie ein Narr lief ich in diesen Tagen herum, um einen Ausweg zu finden, und – fand keinen! Immer wieder tauchte der Gedanke in mir auf: Sage nichts, es weiß ja niemand um diese Anzahlung, warte, vielleicht läßt sich dein Plan später doch noch verwirklichen, und dann kannst du den Erben ihr Geld zurückerstatten, ohne dich zu ruinieren. Wenn sie dir dein Schweigen nachträglich noch vergeben! Es war eine schwere Versuchung, Herr Schwaigreiter, und ich bin ihr erlegen! Aber eine ruhige Stunde habe ich seitdem nicht mehr gehabt, das können Sie mir glauben! Und doch tat ich es um meiner Frau willen! Weil ich die Sorgenfalten endlich von ihrer Stirn nehmen, sie endlich wieder frei aufatmen sehen wollte.«

March schwieg und starrte düster vor sich hin. Auch Bastl schwieg. Er sah die Kinderaugen der jungen Frau vor sich und fühlte eine ehrliche Erleichterung in sich, daß alles sich so aufklärte.

Freilich – auch hier am Brintnerhof waren zwei Kinder, und für diese bedeuteten Marchs Erklärungen keine Erlösung ...

Undurchdringlicher als je senkte sich der finstere Verdacht auf ihre Eltern, jetzt, wo die einzige Spur, die man gehabt, sich als falsch erwies.

»Sie brauchen übrigens keine Sorge um das Geld zu haben, das Ihren Verwandten gebührt«, begann March nach einer Pause, sich gewaltsam aufraffend. »Ich habe Ihnen nun meine Schuld bekannt und mich und die Meinen damit in Ihre Hand gegeben.«

»Ich dachte gar nicht an das Geld«, unterbrach ihn Bastl mit einer abwehrenden Bewegung. »Ich weiß, es ist den Kindern meiner Schwester sicher. Ehre und Freiheit der Verurteilten«, fügte er traurig hinzu, »kann es ja leider nicht retten.«

Bastl seufzte tief auf. Dann bot er March in jähem Antrieb die Hand.

»Vergessen Sie mir meinen Verdacht von vorhin, Herr Baumeister, und auch meine gedrückte Stimmung jetzt! Ich freue mich ja, daß Sie unschuldig sind ... und doch ..., es war meine letzte Hoffnung, die einzige Spur, die ich hatte! Wo soll ich den Mörder nun suchen? Wie den armen Menschen helfen, die unschuldig zu so schwerer Kerkerhaft verurteilt wurden?«

»Sie sind also fest überzeugt, daß sie unschuldig sind?« fragte der Baumeister nach einer Pause aufstehend.

»Felsenfest!«

March ging unruhig im Gemach auf und nieder. Ein paarmal war es, als ob er etwas sagen wollte, aber jedesmal preßte er die Lippen wieder fest zusammen und schwieg.

Plötzlich griff er nach seinem Hut.

»Ich muß Sie nun verlassen, Herr Schwaigreiter. Aber ich hoffe, Sie suchen mich zuweilen auf. Ich wohne für die nächste Zeit in meinem alten Standquartier hier, in der ›Sonne‹, Zimmer Nr. 12.«

Beide Männer wechselten einen Händedruck, dann war Bastl allein.

*


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