Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23.

»Das also drückt dich so nieder«, sagte Toni Maibach zwei Tage später an einem Sonntagnachmittag, als sie beide allein in der Wohnstube saßen und Bastl ihr, durch eine Frage veranlaßt, zum Teil sein Herz ausgeschüttet hatte. »Daß sie verurteilt sind und ein Verdacht, den du gehegt, sich als falsch erwies? Nur das, Bastl?«

»Nur? Ist dies denn nicht genug? Begreifst du nicht, daß damit so gut wie alles zu Ende ist?«

Plötzlich fragte sie beinahe rauh: »Und du? Willst du nun zurück nach Losendorf?«

Bastl erschrak. Die Frage hatte er sich bisher noch kaum ernstlich vorgelegt. »Jetzt – fort? Wo wir mitten in der Ernte sind?« stammelte er.

»Nun, das wäre doch just kein zwingender Grund. Bin ich nicht da? Jetzt, wo Marei wieder gesund ist, könnte sie doch die Kinder wieder ganz übernehmen. Und ich, ich habe ja wirklich nichts zu tun. Warum soll ich nicht weiter regieren auf dem Brintnerhof? Du warst ja auch wenig genug daheim die letzte Zeit!«

»Warum sagst du dies so vorwurfsvoll, Toni? Habe ich dir nicht soeben erklärt, daß ich hinter dem vermeintlichen Mörder her war – leider vergeblich?«

»Bah – in der ›Sonne‹! Ganz Kalkreut gibt deinen häufigen Besuchen in der ›Sonne‹ eine besondere Auslegung. Aber mir ist's einerlei, ob du dich in die Kellnerin vergafft hast oder – Sonnenwirt werden willst.«

»Toni!«

Sie überhörte absichtlich den halb entrüsteten, halb verblüfften Ton.

Da klang seine Stimme leise an ihr Ohr: »Willst du mich denn forthaben, Toni?«

»Ich?« fuhr sie auf und starrte ihn erschrocken an.

»Wieso?«

»Weil du so sprichst! Denn im Ernst kannst du doch nicht denken, daß ich irgend etwas anderes in der ›Sonne‹ suchte, als dem Ziel näher zu kommen, das ich – das wir uns beide gestellt haben?«

Er nahm ihre Hand und versuchte ihr in die nun wieder gesenkten Augen zu blicken.

»Wenn jetzt die Zeit wäre, von Liebe zu sprechen, Toni, dann würde ich dir sagen: Du bist blind, wenn du heute noch nicht weißt, daß ich Liebe nie mehr anderswo suchen könnte als auf dem Brintnerhof.«

Sie brach plötzlich in leidenschaftliches Weinen aus. Bastl strich ihr über das dunkle Haar.

»War es das, Toni, was dich mir so fremd begegnen ließ in den letzten Wochen? Wirklich nur meine Besuche in der ›Sonne‹?«

»Ja«, schluchzte sie, »weil ich's nicht ertragen konnte, dich dort – gerade dort zu wissen! Wo mir schon so viel Herzeleid aus der ›Sonne‹ gekommen ist ...«

»Dir ... Toni?« unterbrach Bastl sie befremdet, verstummte aber gleich darauf, denn ihr Blick hatte ihm verraten, was er so lange schon gern gewußt hätte: Der war es! Der Geschäftsleiter aus der ›Sonne‹, den sie geliebt und der sein Spiel mit ihr getrieben ...

Den hast du lieb gehabt? Den? fragte es in stummem Erstaunen aus seinem Blick. Toni schüttelte hastig den Kopf.

»Nein, nein. Was hab' ich denn damals überhaupt von Liebe gewußt! Er war's, der mich suchte und mir immer von seiner Liebe sprach. Und dann dachte ich, es wäre doch gut, wenn man nur irgendwo hingehörte auf der Welt ... Aber jetzt, jetzt denke ich ganz anders. Jetzt gehöre ich ja ordentlich zum Brintnerhof und habe meine Arbeit hier. Jetzt fühle ich mich nicht mehr verlassen wie früher.«

»Das sollst du auch nie mehr!« sagte Bastl tief aufatmend, und der warme Schein in seinen Augen, der sie früher immer beglückt hatte, zuckte wieder darin auf. »So Gott will, werden auch für uns wieder frohere Tage kommen, wo wir an eigenes Glück denken dürfen. Bis dahin, Toni, habe Geduld und ... schicke mich nicht fort aus deiner Nähe. Laß uns als gute Kameraden hier unsere Pflicht weiter tun, solange es nötig ist.«

»Du gehst also nicht nach Losendorf zurück?«

»Nein. Wenigstens nicht für immer. Dort können sie mich entbehren, aber hier ist ein Herr nötig, der das Eigentum der unschuldig Verurteilten zusammenhält. Dir als Frau würden die Leute vielleicht nicht auf die Dauer gehorchen.«

Toni war im Innern selig. Er blieb, und sie fühlte es genau: Er blieb nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern auch um ihretwillen!

Am selben Abend brachte Stina, die im Ort eine Freundin besucht hatte, allerlei Neuigkeiten mit.

In der »Sonne« soll es einen großen Skandal gegeben haben. Die hübsche Rosa war eines Verweises wegen keck gegen Frau Kreibig gewesen und hatte dafür von ihr die Kündigung erhalten. Da legte sich Valentin ins Mittel, erklärte, Rosa werde bleiben, weil er es wolle, er sei der Herr. Bei der nun folgenden Szene zwischen den drei Personen kam es heraus, daß Rosa gewisse Rechte hatte, auf die Hilfe des Herrn Geschäftsleiters zu rechnen, und dies schlug dem Faß den Boden aus.

Frau Kreibig bestand nun entrüstet darauf, daß Rosa sofort ihr Bündel schnüre, und sollte auch dem Bruder die Tür gewiesen haben.

Das Ende vom Liede war, daß die Kellnerin zwar die »Sonne« Knall und Fall verlassen mußte, der Geschäftsleiter aber blieb, Frau Berta mit verweintem Gesicht herumschlich und vorläufig ihre Gäste selbst bedienen mußte.

Beim Abendessen fehlte Marei. Bastl suchte sie im ganzen Haus vergeblich und erfuhr schließlich von Stina, daß sie gleich nach Tisch fortgegangen war – wie übrigens immer in den letzten Tagen.

Da kam es ihm erst zum Bewußtsein, worauf er bisher, immer mit anderen Dingen beschäftigt, kaum geachtet hatte, daß Marei in der letzten Zeit eine andere geworden war. Sie, die sonst nie unter Menschen wollte und sich nur wohl fühlte daheim neben den Kindern, die kaum jemand in Kalkreut kannte und die den Müßiggang früher haßte, verschwand jetzt oft für halbe Tage vom Brintnerhof, Arbeit und Kinder anderen überlassend.

»Wir müssen ein Auge auf Marei haben«, sagte Bastl bekümmert zu Toni, als sie nach dem Abendessen wieder allein waren. »Es scheint, daß ihre Krankheit doch noch nicht vorüber ist. Fällt dir ihr sonderbares Wesen nicht auch auf?«

»Schon lange! Ich fürchte, ihr Verstand ist getrübt, seit sie damals, als der Gerichtshof mit den Angeklagten hier war, Fercher wiedersah. Stina hat mir erzählt, daß sie sich damals im Garten an ihn herangedrängt hat und mit ihm sprach. Stina sah es vom Fenster aus.«

»Armes Ding! Ich begreife nicht, wo sie sein kann? Es ist schon Nacht –« er hielt lauschend inne, denn draußen war die Flurtür gegangen, und jemand näherte sich dem Wohnzimmer.

Es war der Knecht Egid Lufner. Sein Gesicht sah seltsam erregt aus.

»Herr«, sagte er, »ich soll Ihnen eine Botschaft von Marei bringen.«

»Sie wissen, wo sie ist? Sie haben sie gesehen?

»Ja. Und meiner Treu, es war seltsam. Ich war gerade auf dem Heimweg vom Wirtshaus, da packt jemand plötzlich meinen Arm und zischelt mir ins Ohr: ›Lufner, der Mann dort vorn, sehen Sie ihn gut an – kann er das gewesen sein? Sie sind ihm ja damals begegnet – dem Mörder – in der Nacht, als man den Großvater umbrachte!‹ Ich war anfangs ganz verwirrt. Hab's auch gar nicht gemerkt, daß es unsere Marei war, die zu mir redet. Erst später, als wir an eine Laterne kamen, habe ich sie erkannt ...«

»Marei! Unsere Marei?« rief Toni ungläubig.

Aber Bastl, von seltsamer Spannung ergriffen, drängte: »Und der Mann, Lufner? Haben Sie ihn denn sehen können?«

»Ja, Herr. Marei zog mich ja voll Hast hinter ihm her, denn er ging sehr rasch, als triebe Ärger oder Unruhe ihn vorwärts. Und er war es, Herr! Soweit man einen Menschen in der Dunkelheit nur der Gestalt nach erkennen kann, war er es. Derselbe, den ich in der Mordnacht gesehen habe. Wie damals trug er einen langen, dunklen Wettermantel und den weichen Filzhut tief in die Stirn gedrückt. Mir lief's ordentlich kalt über den Rücken, als ich ihn so vor mir sah ...«

»Aber, wer ist es?« stammelte Bastl erregt. »Sie sind ihm doch vorgeeilt – haben ihm ins Gesicht geschaut –«.

»Das wollte ich. Aber die Marei ließ es nicht zu. Wie eine Klette hängt sie sich plötzlich an meinen Arm, als ich sagte, ich möchte doch wissen, wer's ist. ›Nicht, nicht‹, flüsterte sie, ›um keinen Preis – es würde ihn stutzig machen. Und – ich weiß ja, wer es ist!‹«

»Sie weiß es, Marei?«

»Es muß wohl so sein, denn sie sagt's. Sie hat mich dann gezwungen, umzukehren, und befahl mir, nach Hause zu gehen und keinem Menschen außer Ihnen zu verraten, was geschehen ist.«

»Was soll das alles nur bedeuten?« murmelte Bastl endlich.

»Vor allem dies, daß Marei offenbar, geradeso wie du, heimlich nach dem Mörder fahndet!«

»Und sie hat mehr Glück dabei! Sie hat ihn – gesehen! Aber wie fand sie seine Spur? Wer kann es sein? Und was tut sie so spät abends noch in der ›Sonne‹?«

»Das sind Fragen, die nur Marei selbst uns beantworten kann. Warten wir, bis sie heimkommt. Hoffentlich entspringt ihr Tun nicht nur einer fixen Idee.«

*


 << zurück weiter >>