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12.

Sebastian Schwaigreiter war von einem Gang in den Ort zurückgekommen. Gesenkten Kopfes und mit tiefernster Miene betrat er das Haus.

Kopf und Herz waren ihm schwer von dem, was er soeben hatte mitanhören müssen.

Denn wie ein Lauffeuer durcheilte die Kunde von des Knotzen-Lipp Verhaftung und den Beschuldigungen, die er gemacht, den Ort. Überall wurde darüber gesprochen, in jedem Haus, jedem Geschäft, auf der Straße und im Bürgermeisteramt, wo Bastl es zuerst gehört hatte, als er dem Gemeindevorstand anzeigte, daß er vorläufig auf dem Brintnerhof die Führung der Wirtschaft übernommen habe.

Das schlimmste war: Man glaubte auch sofort daran.

Endlich wußte man, wer es getan. Endlich war der Alp, die Tat könnte ungesühnt bleiben, von der Bevölkerung genommen worden.

Die Genugtuung darüber, die Schwaigreiter in jedem Antlitz las, beugte seinen Rücken immer tiefer. Wie ein Todesurteil erschien sie ihm.

Auch hier auf dem Brintnerhof wußte man offenbar schon davon, wie die erregt flüsternden Gruppen am Parteienhaus bewiesen, die so rasch und scheu verstummten, als man seiner ansichtig wurde.

Im Flur trat ihm Marei mit den Kindern entgegen. Sie erschrak, als sie in sein Gesicht blickte.

»Bastl – um Gottes willen – was ist dir? Du – du weißt etwas Neues?« fragte sie und umklammerte in Todesangst seinen Arm.

Er nickte. »Schick die Kinder weg. Dann komm zu mir in die Stube ...«

Behend gebot sie den Kindern, zu Stina zu gehen. Marei, die immer nur an den einen dachte, den ihr das Schicksal entrissen hatte, als sie am glücklichsten zu werden hoffte, fühlte, wie sich ihr das Herz zusammenkrampfte. Stumm trat sie hinter dem Bruder in die Leutestube, die leer war.

Einige Minuten später gellte ein lauter Schrei durch das stille Haus. Stina, die am Herd stand, fuhr entsetzt zusammen.

Herrgott – war denn schon wieder etwas geschehen?

Da stand der junge Schwaigreiter auch schon vor ihr, blaß wie der Tod.

»Die Marei«, stammelte er, »sie liegt drin am Boden und rührt sich nicht ... geh zu ihr, Stina! Ich laufe nach dem Doktor ...«

Und fort war er. Stina flog in die Leutestube. Ja, da lag sie, wie tot ...

Jammernd hob Stina sie auf und schleppte sie mit Hilfe einer Hausmagd in ihr Stübchen hinauf.

Bastl rannte inzwischen die Marktstraße entlang, dem Haus des Arztes zu. Unterwegs hätte er beinahe einen älteren, graubärtigen Herrn überrannt, der gemächlich einherschritt.

»Donnerwetter, ist man denn blind oder verrückt, daß man die Leute so niederrennt?« polterte der alte Herr ärgerlich, seinen verschobenen Hut zurechtrückend.

»Entschuldigen Sie, ich muß zum Arzt. Es ist dringend, und wenn ich Doktor Heimdacher noch zu Hause antreffen will –«

Bastl wollte weiter. Aber er wurde am Rockknopf zurückgehalten.

»Den Heimdacher trifft man nicht mehr zu Hause an, denn er steht hier. Was will man denn?«

»Sie sind es selbst, Herr Doktor?«

»Jawohl! Und wer ist man denn?«

»Schwaigreiter heiße ich und bin der Bruder der Frau Brintner. Und die andere Schwester, die ist ... hingefallen ist sie mir so wie ein Stück Holz!«

»Hm – ja – nur, daß die zarte Marei so was niederwerfen muß – das hat man halt nicht bedacht. Na, werden sehen, hoffentlich nur eine Ohnmacht.«

Nach einer Weile fragte Heimdacher nach einem kurzen, musternden Seitenblick. »Man ist also der Bruder?«

»Ja, Herr Doktor.«

»Und man bleibt hoffentlich jetzt da, bis wieder alles in Ordnung ist?«

»Ja.«

»Recht so! Die kleine Marei braucht eine Stütze, und um die schöne Wirtschaft wäre es auch schade! Was die Leute anbetrifft, so soll man auf ihr Gerede nicht hören. Kopf hoch! Es kann auch anders kommen, als man glaubt!«

Bastl war es, als wäre mitten in dunkler Nacht plötzlich ein Licht aufgeblitzt. Ein Mensch, der nicht unbedingt an das Schlimmste glaubte!

»Herr Doktor ... Sie meinen ... Sie glauben ... es könnte trotz der Behauptungen dieses Knotzen-Lipp noch Hoffnung geben für meine arme Schwester?«

»Hm ... ich glaube immer nur, was mein Verstand mir sagt. Die Leute hier kenne ich alle. Auch die Brintners und den Knotzen-Lipp. Bin nicht umsonst dreißig Jahre lang Arzt in der Gemeinde!«

»Herr Doktor, ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen«, stammelte Bastl bewegt. Aber Heimdacher machte eine abwehrende Geste.

»Hoho, wofür denn? Bin ich der Staatsanwalt oder die Geschworenen? Ich sage nur meine Meinung. Aber die gilt da nichts, und außerdem: Ich kann mich auch irren, verstanden? Wenn ich aber man wäre, so würde ich mich in der Stille selbst ein wenig umtun für die Meinen. Einer muß ja schließlich leben, der es getan hat! Den würde ich mir suchen!«

»Aber wo? Wie? Tausendmal in den letzten Nächten habe ich mir selbst ähnliches gesagt und das Hirn zergrübelt! Aber ich bin fremd hier. Außer bei Justinas Hochzeit bin ich nie in diese Gegend gekommen. Mein Anwesen liegt tief unten im Steierischen ...«

»Ah, man ist auch Wirtschaftsbesitzer? Man sieht übrigens so aus, als hätte man Kopf und Herz auf dem rechten Fleck. Ich habe den Blick dafür! Darum ... und die kleine Marei ist schon lange mein besonderer Liebling. Also ...«

Abermals ein Seitenblick nach der stattlichen Erscheinung Bastls, der Mareis blaue Augen und ihr blondes Kraushaar hatte. Dann beugte sich der alte Doktor plötzlich zu ihm heran und sagte: »Man hat vielleicht zwei Punkte, die man beachten sollte. Erstens die Erforschung aller Beziehungen des alten Brintner aus den letzten Lebensjahren, seine Pläne, Absichten und Bekanntschaften, um festzustellen, ob sich da nicht doch ein Mensch findet, dessen Feindschaft er herausgefordert hat. Zweitens gibt es einen Knecht beim Bürgermeister Greinbacher namens Egid Lufner, der in der Mordnacht eine verdächtige Begegnung in der Nähe des Brintnerhofes gehabt haben will.«

Bastl fuhr überrascht empor.

»Davon habe ich ja noch kein Wort gehört! Freilich – ich hab's auch vermieden, mit den Leuten über die ganze Sache zu reden ...«

»Begreiflich! Aber mit dem Lufner würde ich eine Ausnahme machen. Man kann nicht wissen. Man wird ja sehen. Die hohe Obrigkeit legt allerdings kein Gewicht darauf.«

*


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