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6.

Rückwärts in der kleinen Bohnenlaube des Brintnerschen Hausgartens saßen zwei Menschen in ernstem Gespräch.

Marei hatte eben die Kinder zu Bett gebracht, als sie aus dem Garten herauf einen leisen bekannten Pfiff hörte.

Der Konrad!

Wie ein angenehmer Schreck war's mitten in all dem Jammer, der sie seit Tagen umfangen hielt, ihr durch die Brust gefahren.

Hastig betete sie mit den Kindern noch das Nachtgebet, machte ihnen Kreuzlein auf die Stirn und drückte jedem einen Kuß auf das schlaftrunkene Gesicht.

»So – aber jetzt gleich einschlafen, gelt?«

»Gehst fort? Bleibst nicht bei uns da, Marei-Tant'?« murmelte Gretchen verschlafen.

»Nur einen Augenblick muß ich fort, in den Garten hinunter ... schauen, ob die Veilchen denn noch immer nicht aufblühen wollen, weißt! Aber brauchst dich nicht fürchten, Greti-Katzi – ist ja das Schutzenglein bei euch«, lautete die etwas verwirrte Antwort. Dann huschte Marei hinaus.

In all den Tagen hatten sie sich nur von weitem gesehen, und manchmal war es Marei sogar vorgekommen, als wiche Konrad Fercher ihr geradezu aus.

Von dem wüsten Gerede, das den Brintnerhof gespenstig umschlich, wußte sie sowenig wie von dem Verdacht, der Schwester und Schwager immer enger umkreiste.

Ängstlich bemüht, daß nur die Kinder so wenig wie möglich von dem Schrecklichen merkten, das im Hause geschehen, hatte sie sich förmlich mit ihnen verkrochen vor den Leuten.

Und all das Dunkle, Gewitterschwüle, das sie aus den Mienen der Leute las und im Hause mehr fühlte als begriff, schien ihr durch das Geschehene erklärlich genug.

Wie hätten Justina und Andres jetzt nicht verstört aussehen sollen, wenn sie angesichts des traurigen Endes, das der arme, alte Mann gefunden hatte, an all die unfreundlichen Worte denken mußten, die sie ihm oft gegeben?

Nur eines beunruhigte sie ernstlich: daß Konrad keinen Versuch machte, sich ihr zu nähern. Damals, am Vorabend des Mordes, hatten sie einander nur flüchtig gesprochen, als sie um Wasser zum Hausbrunnen ging.

Er war gerade von der Arbeit gekommen, und als er sie erblickte, war ein heller Schein über sein Gesicht geglitten. Rasch war er dann zu ihr getreten.

»Marei – ist's wahr? Hast du mich wirklich lieb?«

Vor Schreck wäre ihr beinahe die Kanne entfallen. Antwort brachte sie keine heraus. Aber ihre Augen mußten doch wohl geantwortet haben, denn er murmelte plötzlich weich:

»Ich danke dir, Marei! Gehofft habe ich's kaum – du warst immer so scheu zu mir. Aber jetzt – heute habe ich mit deiner Schwester geredet, weißt du das schon?«

»Nein ...«

»Ich sag dir's morgen. Heute muß ich noch einmal fort. Dann sitzt dort drüben auch der Schuster ... ich mag nicht, daß die alte Klatschbase zuerst es merkt. Aber morgen abend im Garten, gelt? Ich pfeife dir. Gelt, ich darf?«

»Ja ...«

Dann war er gegangen. Und am nächsten Abend – wie war's da grausig gewesen! Ganz verstört saß sie bei der armen Toni und weinte ... Da war keine Zeit, an Liebe zu denken. Schreck und Entsetzen lagen über dem Brintnerhof.

Aber nun hatte er sie gerufen ...!

Marei erschrak ein wenig, als sie im klaren, kühlen Licht des Mondes Konrad erblickte.

Er schien ihr fremd. So bleich! So ernst!

Und ernst sah er ihr auch in die Augen, als er, ihre Hände nehmend, sagte: »Marei – zum Schöntun ist's jetzt nicht die Zeit, das fühlst du selber, gelt? Aber wie's auch kommen mag – das eine muß ich dich fragen: Kann ich mich verlassen darauf, daß du mir gut bleibst?«

Sie starrte ihn bestürzt an. Seine Worte waren seltsam. Ganz anders, als sie erwartet hatte.

»Wie's auch – kommen mag? Ja, was soll denn noch kommen?« stammelte sie, von unbestimmter Angst erfüllt.

Er atmete schwer und blickte an ihr vorüber.

»Man weiß halt nicht ...«

»Konrad! ... Was ist dir? Du verhehlst mir etwas? Was?«

Statt aller Antwort riß er sie an die Brust, stürmisch, wie sie nie gedacht hätte, daß er so sein könnte.

»Ich habe dich lieb, Marei! Daran halte fest! Das denk' und sonst nichts ... nichts ...! und sag' mir, ob auch du mich lieb hast und an mir festhalten willst?«

»Ja – ja – immer! Immer!« stammelte sie.

Seine Lippen preßten sich auf die ihren, seine Arme umklammerten ihre schmalen Schultern, als wollten sie sie zermalmen. Aber sie fühlte keinen Schmerz, nur – Glück.

Plötzlich ließ er sie los, und wieder verdüsterte unheimlicher Ernst sein Gesicht.

»Marei – wirst du an dein Versprechen wohl denken, auch wenn ...«

Sie wartete vergebens auf den Schluß. Er schien sich mitten im Sprechen anders besonnen zu haben, sah stumm auf sie nieder und streichelte ihr blondes Haar.

Marei schmiegte sich in steigender Bangigkeit an ihn. »Wenn? – Warum sprichst du nicht weiter, Konrad? Was hast du sagen wollen?«

»Nichts, Marei, nichts ... und eins noch, Marei: Halte dich fern von den Leuten! Sie sind gar böse ...«

»Die Hausleute?«

»Die – und alle!«

Aufhorchend hob er den Kopf und lauschte in die Nacht hinein. Drüben überm Gartenzaun, wo die Bäume schwarze Schlagschatten warfen, war's ihm, als hätte sich was geregt.

Und je länger er hinsah, desto sicherer schien ihm, daß dort ein Mensch sich vorsichtig weiterbewegte, der Gartenpforte zu, und als sähe er, trotz der tiefen Dunkelheit, wie zuweilen etwas Metallisches an ihm auffunkelte ...

Ein Schauer rann ihm durch die Glieder. Marei spürte es. Ängstlich schaute sie zu ihm auf.

»Konrad? Was ist? Siehst du wen?«

»Nein. Aber ...« er schob sie sanft von sich und fuhr entschlossen fort, »wir wollen jetzt auseinandergehen. Es ist Schlafenszeit, mein lieber Schatz!«

»Gute Nacht!«

Kleinlaut schlich Marei die Treppe hinauf. So kurz nur war er geblieben! Ausgeredet? O Gott – ihr schien, dazu hätte die ganze Nacht kaum hingereicht, um all das auszureden, was sie im Herzen für ihn fühlte!

Und so seltsam war er gewesen! Wie in beständiger Furcht vor etwas. Immer hatte sie das Gefühl gehabt, es drücke ihn etwas, und er wolle ihr's sagen, und brächte es doch nicht über die Lippen ...


Andres Brintner kam erst gegen Morgen heim. Schwerfällig torkelte er den Bachweg entlang. Er war nicht berauscht. Nur die Glieder waren ihm steif vom langen Sitzen und der Kopf wie leer von lauter Denken.

Die Bachwirtin hatte ihm wieder so viel vorgetuschelt. Da war ihm die Lust zum Trinken vergangen, er hatte den Kopf in beide Hände gestützt und nachgedacht. Und als die Sperrstunde kam, ging er fort aus Ebental und setzte sich unterwegs am Wegrand nieder, um weiter nachzudenken.

Dann auf einmal machte er sich wieder auf den Weg und ging heimwärts. Es war ihm klargeworden, daß er allein doch nicht zurechtkam mit seinen Gedanken.

»Ich muß reden mit ihr! Jetzt gleich muß ich mit ihr reden«, sagte er sich im stillen vor.

Aber als er, am Ende des Bachweges angelangt, eben die Straße, die hinter seinem Hof hinführte, überqueren wollte, um die Gartenpforte zu erreichen, stand plötzlich wie aus der Erde gewachsen der Gendarm Widall vor ihm.

Und obwohl das Licht des neuen Tages erst als graue Dämmerung über der Gegend lag, sah Brintner doch sofort, daß die Miene des Gendarmen, mit dem er sonst oft freundschaftlich im Bachwirtshaus beim Bier gesessen hatte, kalt und fremd war.

»Widall – du? Was machst denn jetzt um diese Zeit da hinter meinem Hof?« stotterte er verwirrt.

Der Gendarm schien das »Du« nicht gehört zu haben.

»Wir haben Sie hier erwartet, Brintner. Geben Sie sich gutwillig und ohne Aufsehen. Im Namen des Gesetzes erkläre ich Sie für verhaftet.«

Ein leiser Pfiff, und ein zweiter Gendarm erschien um die Ecke des Gartenzaunes.

Brintner stand mit hängenden Armen und stierem Blick. Keinen Laut gab er von sich, als die beiden ihn in die Mitte nahmen und den Feldweg entlang fortführten.

Erst als sie knapp vor des Bürgermeisters Hof links abschwenkten, gegen den Ort, und auf den Gemeindearrest zuhielten, der dort in einem der letzten Häuser untergebracht war, stammelte er plötzlich wie erwachend:

»Mich verhaften? Mich? Ja, warum denn?«

Herr Widall zuckte die Achseln.

»Wenn Sie das nicht selbst wissen, Herr Brintner, wird's Ihnen der Bezirksrichter wohl ins Gedächtnis rufen!«

Im Brintnerhof hatte noch niemand eine Ahnung von dem Geschehenen. Justina war wie gewöhnlich um fünf Uhr aufgestanden, obwohl sie seit einigen Tagen nicht mehr in den Stall hinabging zum Milchabmessen. Fröstelnd saß sie in ihrem Zimmer. Sie hatte wenig geschlafen in der Nacht, wie jetzt meist, und dachte bitter an ihren Mann, der sie in diesen Tagen ganz im Stich ließ.

»Von der Leiche weg ins Wirtshaus und die ganze Nacht wegbleiben«, murmelte sie, »was werden die Leute wieder reden darüber! Er bringt uns noch alle ins Unglück ...«

Da steckte Stina schreckensbleich den Kopf zur Tür herein.

»Frau – der Postenführer ist unten und der Herr Adjunkt mit seinem Schreiber ... ob Ihr schon auf seid? Wollen –«

Justina schnellte empor und stand kerzengerade da.

»Was wollen sie?«

»Ich glaub' – Hausdurchsuchung halten!« schluchzte die Magd. »Und unser Herr, sagt der Gendarm Widall –«

Ehe Justina, deren Gesicht fahle Blässe überzogen hatte und deren Blick verstört am Munde der Magd hing, noch eine Frage tun konnte, wurde die Wohnzimmertür nebenan geöffnet, und der Postenführer Weiblin trat ein.

Mit scharfen Augen musterte er die beiden Frauen durch die offenstehende Verbindungstür.

»Zum Kuckuck, was schwatzen Sie denn da mit der Frau, anstatt sie einfach herunterzuholen?« rief er Stina zu und trat dann zu Justina.

»Frau Brintner, Sie sollen sogleich in die Leutestube hinabkommen. Der Herr Adjunkt Schricker will mit Ihnen reden.«

»Ist – ist mein Mann schon daheim?« fragte Justina leise.

»Nein. Er wurde heute früh, als er im Begriff stand, sein Anwesen zu betreten, verhaftet. Warum – werden Sie sich wahrscheinlich denken können.«

Er beobachtete sie gespannt bei diesen Worten. Ihr Verhalten in dieser Minute war von größter Wichtigkeit in bezug auf eventuell weitere Beschlüsse.

Aber Justina hielt seinen forschenden Blick ruhig aus. Nur ein bitteres Lächeln zuckte um ihren Mund.

»Ja – ich kann mir's denken! Man müßte ja blind und taub sein, um nicht zu merken, was uns die Leute einbrocken möchten. Aber mein Mann ist unschuldig, dafür gebe ich mein Leben hin, wenn's sein muß! Und es gibt noch eine Gerechtigkeit – auf die vertraue ich!«

Ihre ruhige Gelassenheit und die Bereitwilligkeit, mit der sie sofort ihr Haus der Durchsuchung zur Verfügung stellte, fiel auch dem Herrn Adjunkt auf.

»Suchen Sie nur überall, in jedem Schrank und jedem Winkel«, sagte sie, Schricker den großen Schlüsselbund überreichend, den sie am Schürzenbund trug. »Mein Mann ist unschuldig, und wir haben nichts zu verbergen. Es kann mir nur lieb sein, wenn die Leute dies erfahren.«

Dann setzte sie sich in einen Winkel der Leutestube und überließ es dem Adjunkt, die Hausdurchsuchung zu leiten.

Im Hof standen Knechte und Mägde aufgeregt flüsternd beisammen.

Justinas sicheres Auftreten war auch nicht ohne Wirkung geblieben.

Die Mägde, die gestern abend am erbittertsten gegen sie gesprochen hatten, waren jetzt am ehesten dafür, daß die geplante Kündigung unterbleibe.

»Es schaut doch her, als wenn sie unschuldig wäre«, meinte Gesa.

Die Knechte waren fürs Abwarten.

»Wenn die Kommission etwas Verdächtiges findet, dann nehmen sie sie ja sogleich mit, und dann gehen wir auch! Finden sie nichts, so warten wir halt noch ...«

Es schien, als ob wirklich nichts gefunden worden wäre. Denn anstatt Justina mitzunehmen, empfahl sich der Postenführer Weiblin, als er ihr den Schlüsselbund zurückbrachte, sogar ganz höflich von ihr, wobei sein Gesicht merklich an Strenge verloren hatte.

Justina stand noch einen Augenblick wie verloren in der Leutestube, dann eilte sie die Treppe hinauf und schloß sich in ihr Zimmer ein.

Jetzt war ihre ruhige Gelassenheit plötzlich geschwunden. Verstört auf einen Stuhl sinkend, schlug sie die Hände vor das Antlitz, während trockenes Schluchzen ihre Brust hob und senkte.

Lange saß sie so. Dann wankte sie zum Tisch und schrieb einen langen Brief an ihren Bruder.

Eben hatte sie die Adresse: Sebastian Schwaigreiter, Wirtschaftsbesitzer in Losendorf, Steiermark, vollendet, als es stürmisch an die Tür klopfte.

»Justina – um Gottes willen, mach' auf – laß mich ein!« rief Marei von draußen.

Justina öffnete. Verstört warf sich das Mädchen an ihre Brust.

»Justina, ist das wahr?« stammelte sie.

Die Schwester nickte.

»Der Andres? Der Andres?!!! O Gott ...«

»Närrin!« unterbrach sie Justina rauh. »Was schreist du? Eingesperrt ist doch noch nicht bewiesen! Daß es so kommen wird, habe ich schon seit zwei Tagen gewußt. Aber der Andres ist unschuldig. Jetzt sei so gut und mach kein Aufsehen! Sie würden ja gleich wieder denken im Haus, daß –«

»Aber ...«

»Kein Aber! Du mußt dich zusammennehmen, daß keiner dir was anmerkt, das verlange ich von dir! Kümmere dich überhaupt um nichts, du! Schau mir gut auf die Kinder ... alles andere geht dich nichts an. Und da ist ein Brief an den Bastl. Den trage jetzt gleich auf die Post und wirf ihn selbst in den Kasten, hörst? Denn ich traue niemand mehr.«

Sie reichte ihr den Brief und stand eine Weile wie überlegend. Dann fuhr sie fort:

»Was ich noch sagen wollte: Ich habe den Bastl gebeten, herzukommen. Und du – wenn's zum ärgsten kommen sollt, dann bitt' ich ihn, daß er dableibt und die Wirtschaft führt, bis ... bis ...«

Mit weit aufgerissenen Augen umklammerte Marei ihren Arm.

»Justina – um Tausendgotteswillen – was soll denn das alles bedeuten? Ich verstehe ja nichts ...! Zum ärgsten? Was meinst du damit?«

Justina schob sie ungeduldig von sich.

»Frag' nicht so viel! Tu, was ich dir gesagt habe und kümmere dich um nichts anderes! Ich lebe ja auch noch ... und so Gott will, wird alles gut werden. Jetzt geh, Marei!«

Taumelnd schlich Marei hinaus.

*


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