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Mordprozeß Z oder N

Vor dem Justizpalast standen dreihundert Menschen. Sie wollten alle hinein, doch das Tor war zu, denn die Einlaßkarten waren bereits seit Wochen vergeben. Meist durch Protektion, aber nun wurde streng kontrolliert.

In den Korridoren kam man kaum durch.

Alle wollten den Z sehen.

Besonders die Damenwelt.

Vernachlässigt und elegant, waren sie geil auf Katastrophen, von denen sie kein Kind bekommen konnten.

Sie lagen mit dem Unglück anderer Leute im Bett und befriedigten sich mit einem künstlichen Mitleid.

Die Pressetribüne war überfüllt.

Als Zeugen wurden unter anderen vorgeladen: die Eltern des N, die Mutter des Z, der Feldwebel, der R, der mit Z und N das Zelt geteilt hatte, die beiden Waldarbeiter, welche die Leiche des Ermordeten gefunden hatten, der Untersuchungsrichter, die Gendarmen, usw. usw.

Und natürlich auch ich.

Und natürlich auch Eva.

Aber die war noch nicht im Saal. Sie sollte erst vorgeführt werden.

Der Staatsanwalt und der Verteidiger blättern in den Akten.

Jetzt sitzt Eva in einer Einzelzelle und wartet, daß sie drankommt.

Der Angeklagte erscheint. Ein Wachmann begleitet ihn.

Er sieht aus wie immer. Nur bleicher ist er geworden, und mit den Augen zwinkert er. Es stört ihn das Licht. Sein Scheitel ist noch in Ordnung.

Er setzt sich auf die Angeklagtenbank, als wärs eine Schulbank.

Alle sehen ihn an.

Er blickt kurz hin und erblickt seine Mutter.

Er starrt sie an – was rührt sich in ihm?

Scheinbar nichts.

Seine Mutter schaut ihn kaum an.

Oder scheint es nur so?

Denn sie ist dicht verschleiert – schwarz und schwarz, kein Gesicht.

Der Feldwebel begrüßt mich und erkundigt sich, ob ich sein Interview gelesen hätte. Ich sage »ja«, und der Bäckermeister N horcht auf meine Stimme hin gehässig auf.

Er könnt mich wahrscheinlich erschlagen.

Mit einer altbackenen Semmel.


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