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Verurteilt

»Jeder, der mein Kästchen anrührt, stirbt!«

Ich lese den Satz zweimal und muß lächeln.

Kinderei!

Und ich will an das denken, was ich las, aber ich komme nicht dazu. Vom Waldrand her tönt die Trompete, ich muß mich beeilen, das Regiment naht. Rasch tu ich das Tagebuch wieder ins Kästchen und will es versperren. Ich drehe den Draht hin und her. Umsonst! Es läßt sich nicht mehr schließen, ich hab das Schloß verdorben – was tun?

Sie werden gleich da sein, die Jungen. Ich verstecke das offene Kästchen im Schlafsack und verlasse das Zelt. Es blieb mir nichts anderes übrig. Jetzt kommt das Regiment daher.

In der vierten Reihe marschiert der Z.

Du hast also ein Mädel und das nennt sich Eva. Und du weißt es, daß deine Liebe stiehlt. Aber du schwörst trotzdem, sie immer zu beschützen.

Ich muß wieder lächeln. Kinderei, elende Kinderei!

Jetzt hält das Regiment und tritt ab.

Jetzt kenne ich deine innersten Geheimnisse, denke ich, aber plötzlich kann ich nicht mehr lächeln. Denn ich sehe den Staatsanwalt. Er blättert in seinen Akten. Die Anklage lautet auf Diebstahl und Begünstigung. Nicht nur Eva, auch Adam hat sich zu verantworten. Man müßte den Z sofort verhaften.

Ich will es dem Feldwebel sagen und die Gendarmerie verständigen. Oder soll ich zuerst allein mit dem Z reden?

Nun steht er drüben bei den Kochtöpfen und erkundigt sich, was er zum Essen bekommen wird. Er wird von der Schule fliegen, und das Mädel kommt zurück in die Besserungsanstalt.

Beide werden eingesperrt.

Adieu Zukunft, lieber Z!

Es sind schon größere Herren über die Liebe gestolpert, über die Liebe, die auch naturnotwendig ist und also ebenfalls gottgewollt. Und ich höre wieder den Pfaffen: »Das Schrecklichste auf der Welt ist Gott.« Und ich höre einen wüsten Lärm, Geschrei und Gepolter. Alles stürzt zu einem Zelt.

Es ist das Zelt mit dem Kästchen. Der Z und der N raufen, man kann sie kaum trennen.

Der N ist rot, er blutet aus dem Mund.

Der Z ist weiß.

»Der N hat sein Kästchen erbrochen!« ruft mir der Feldwebel zu.

»Nein!« schreit der N. »Ich habs nicht getan, ich nicht!«

»Wer denn sonst?!« schreit der Z. »Sagen Sies selber, Herr Lehrer, wer könnt es denn sonst schon getan haben?!«

»Lüge, Lüge!«

»Er hat es erbrochen und sonst niemand! Er hats mir ja schon angedroht, daß er es mir zertrümmern wird!«

»Aber ich habs nicht getan!«

»Ruhe!« brüllt plötzlich der Feldwebel.

Es ist still.

Der Z läßt den N nicht aus den Augen.

Jeder, der sein Kästchen anrührt, stirbt, geht es mir plötzlich durch den Sinn.

Unwillkürlich blick ich empor.

Aber der Himmel ist sanft.

Ich fühle, der Z könnte den N umbringen.

Auch der N scheint es zu spüren. Er wendet sich kleinlaut an mich.

»Herr Lehrer, ich möcht in einem anderen Zelt schlafen. «

»Gut.«

»Ich habs wirklich nicht gelesen, sein Tagebuch. Helfen Sie mir, Herr Lehrer!«

»Ich werde dir helfen.« Jetzt sieht mich der Z an. Du kannst nicht helfen, liegt in seinem Blick.

Ich weiß, ich habe den N verurteilt.

Aber ich wollt es doch nur wissen, ob der Z mit den Räubern ging, und ich wollt ihn doch nicht leichtfertig in einen Verdacht bringen, drum hab ich das Kästchen erbrochen.

Warum sag ichs nur nicht, daß ich es bin, der das Tagebuch las?

Nein, nicht jetzt! Nicht hier vor allen! Aber ich werde es sagen. Sicher! Nur nicht vor allen, ich schäme mich! Allein werd ichs ihm sagen. Von Mann zu Mann! Und ich will auch mit dem Mädel reden, heut nacht, wenn er sie trifft. Ich werde ihr sagen, sie soll sich nur ja nimmer blicken lassen, und diesem dummen Z werde ich ordentlich seinen Kopf waschen – dabei solls dann bleiben! Schluß!

Wie ein Raubvogel zieht die Schuld ihre Kreise. Sie packt uns rasch.

Aber ich werde den N freisprechen.

Er hat ja auch nichts getan.

Und ich werde den Z begnadigen. Und auch das Mädel. Ich lasse mich nicht unschuldig verurteilen! Ja, Gott ist schrecklich, aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Mit meinem freien Willen.

Einen dicken Strich.

Ich werde uns alle retten.

Und wie ich so überlege, fühle ich, daß mich wer anstarrt.

Es ist der T.

Zwei helle runde Augen schauen mich an. Ohne Schimmer, ohne Glanz.

Der Fisch! durchzuckt es mich.

Er sieht mich noch immer an, genau wie damals beim Begräbnis des kleinen W.

Er lächelt leise, überlegen, spöttisch.

Weiß er, daß ich es bin, der das Kästchen erbrach?


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