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Siebzehntes Kapitel. Das Irrlicht

Toni verbrachte die Zeit bis zum nächsten Nachmittage nicht damit, an seinen Knöpfen abzuzählen, ob Anastina ihn liebe, er sagte sich vielmehr: Wenn sie morgen kommt, ist alles gut. Anfangs war er sich sehr sicher, daß sie käme, und bildete sich auf seine Unwiderstehlichkeit nicht wenig ein, je näher aber die Entscheidungsstunde rückte, um so zweifelhafter schien ihm die Sache. Denn die Weiber studiert keiner aus. Als er dann kurz vor drei Uhr seine Feldstaffelei zurechtstellte, sprach er bereits mit Selbstironie sich: Du bist ein Trottel! Sie läßt dich heilig sitzen und lacht sich eins ins Fäustchen. – No ja, und is mir auch ganz wurscht! belog er sich dreist und trotzte so gegen die Erkenntnis dessen an, wie unruhig die Hoffnung in ihm war, wie endlos sich die Minuten dehnen würden, wenn sie ihn etwa lange warten ließe.

Doch diese Qualen blieben ihm erspart: ganz pünktlich erschien Annastina, schritt auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Ihre Augen, die ihm gerade und frei ins Gesicht sahen, fragten: Bist du zufrieden?

Wahrhaftig ja, das war er. Und mehr als das! Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Er fühlte sich als Sieger und dachte, ganz wunderlich gerührt: Wie sie in mich verliebt ist, das arme Ding!

Dieses Bewußtsein stieg dem starken Mann zu Kopf und versetzte ihn in einen Rausch des Übermutes. Heut war von unbeholfnem Wortesuchen nicht mehr die Rede. Die galanten Scherze flogen ihm nur so zu, und er scheute sich auch gar nicht, Annastina in aller Gutmütigkeit ein bißchen zu frozzeln. Sie nahm das nicht im geringsten übel, schon weil sie einen Witz sehr witzig zu parieren wußte. So gab es ein fröhliches Degenkreuzen, ein Kampfspiel, das sie einander näherbrachte, als es wahrscheinlich der Austausch intimster Seelengeheimnisse vermocht hätte.

Im tiefsten Grunde aber fehlte es auch hieran nicht, von ihrer Seite wenigstens. Dazwischen immer wieder ergab es sich ganz ohne Zwang, daß eine leichte Melancholie sie beschattete und ihr, gegen ihren Willen gleichsam, ein paar Worte voll Bitterkeit entriß. Unmerklich fügten sich diese mit scheinbar achtloser Gebärde verstreuten Steinchen für Toni zum Mosaik, zu einem geschlossenen Bilde ihres Lebens, wie sie es sah und gesehen wissen wollte.

Da tauchte zunächst die wikinghafte Gestalt des Vaters auf, in Glanz und Glorie, durch das Vergrößerungsglas kindlicher Liebe betrachtet. Es stand ihr als Tochter gewiß nicht schlecht an, ihn zu verehren; als Maler schätzte der starke Mann den alten Nordlind selber hoch; was ihm ein bißchen komisch schien, war, daß sie auch seine sogenannten großen Ideen gar so ernst und wichtig nahm und in der Tat beinah zu glauben schien, seine Gemälde vor allem hätten den vielberufenen europäischen Krieg bisher noch glücklich hintangehalten.

Dies aber gab sie mit so naiv heiliger Überzeugung von sich, daß Tonis Späße halt davor machten und er all seine Ironie herunterschluckte. Er fühlte: an ihren Vater durfte er nicht rühren, wenn er es mit ihr selber nicht verschütten wollte. Und gerade das Gegenteil lag doch in seiner Absicht. Jedenfalls mußte ihr Verhältnis zu dem alten Herrn besonders innig gewesen sein. Aus allem, was sie sagte, ging hervor, daß er sie verstanden hätte wie sonst niemand, nicht ihre Mutter, nicht die Geschwister, und am wenigsten ihr Mann. Auf diesen fielen, obgleich sie ihn immer nur flüchtig erwähnte, in ihrem Bild so dunkle Schatten, daß es einen wundernehmen konnte, warum sie ihn überhaupt geheiratet hatte.

Die Art, wie sie sich so vor Toni allmählich als unverstandene Frau enthüllte, mußte ihm ja schmeicheln, betonte sie doch häufig, daß solche Offenherzigkeiten ihr sonst ferne lägen. Nach ihrem Vater sei er eigentlich der erste ... Hieß das nicht, daß sie ihn für etwas Besondres hielt, für, nun kurzum: für ihresgleichen? Aber nicht nur als Geistes-, auch als Schicksalsgenossen schien sie ihn sich verwandt zu fühlen. Die etwas mitleidige Anerkennung, mit der sie Trautchen hie und da zum Beispiel eine gute Hausfrau nannte, ließ durchblicken, daß sie ihn, genau wie sich, für einen Menschen hielt, der durch die Ehe einsam geworden wäre. Und dies geschah so diskret, daß Toni sich nicht etwa in der Seele seiner Gattin pflichtgemäß beleidigt zu fühlen brauchte und doch so deutlich, daß er sich in dem stolzen Bewußtsein sonnen durfte, ein unverstandener Mann zu sein, oder richtiger: bis gestern gewesen zu sein.

Denn das Alleinsein war zu Ende, heut wandelte er zweisam auf der Menschheit Höhen, fern unter sich das Wimmeln der Gewöhnlichkeit, Hand in Hand mit dieser Frau, die viel, viel mehr als nur entzückend war, und viel mehr als sein und vornehm. Auch ihre innere Bedeutung hob er nach verliebter Leute Art freigebig ins Phantastische. Ganz schwindlig war ihm vor diesem leichten, trunkenen Glück.

Doch übermannte ihn die Schwüle und wollte die rote Dunkelheit sich auf ihn senken – sie sah es an dem eignen Glanze seiner Augen –, dann verstand sie es, ihm mit graziöser Bewegung eine kleine kalte Dusche ins Gesicht sprühen zu lassen, die nur für den Moment, die Oberfläche kühlte, doch es vermied, die innere Glut zu löschen.

Als er lichterloh in Flammen stand, nahm sie Abschied; es fiel ihr schwer, das merkte er an ihrem Zögern. Und sie versprach, den nächsten Tag auf die Minute am Platz zu sein, wenn er verspräche ... Und er versprach ihr alles, was sie wollte, und war entschlossen, nichts davon zu halten. Morgen, so viel stand fest, setzte er keck zum Sturme an. Er wußte, sie hätte auch nicht mehr die Kraft, es ihm zu wahren. Aber heute freilich mußte er noch so tun. Ganz dreist und ohne Wimperzucken log er. Sein kränkliches Gewissen schien mit all dem andern Plunder, den die Jahre in ihm angesammelt hatten, verbrannt zu sein im großen Feuer.

Es erstand auch nicht etwa als Phönix aus der Asche, da sie dann fort war und er, um Trautchen blind zu machen, sich eifrig auf das Malen warf. Er hatte gar nicht das Gefühl, daß er sein treues Weib betrügen wollte. Was nahm er ihr denn weg? Was sie nicht wußte, tat ihr nicht weh. Und sie würde schon nichts erfahren, dafür war er sich gut!

Daß jede unserer Taten als Same in den Acker der Zeit gesenkt ist und aufgeht, wie er will, weil wir ihm nicht das Wetter machen können, ein Ahnen hiervon klopfte wohl bei ihm an, doch ließ er es nicht ein. Er wollte es nicht wissen. Das Abenteuer, das leichten Schrittes und mit zierlicher Gebärde winkend in sein Leben getreten war, es deuchte ihn unirdisch, ein Mittsommertraum, dem er vielleicht Ewigkeit wünschte, von dem er aber keine Fäden hinüberwerfen konnte zu künftigen Werkeltagen der Gewohnheit. Mitsommertraum! Und wie das wieder stimmte! Johanni stand dicht bevor, die kürzeste Nacht, in der die Feuer brannten, wie Anno dazumal in seinem Heimatsdorf. Waren das denn wirklich schon vierzehn Jahre?

Sonderbar! Erlebte man denn alles zweimal? Wieder ganz das gleiche? Gleich und doch anders! Man war nicht mehr der junge Dachs, der blind und blöd sich führen ließ und dann in dumpfem Staunen am Ziel erwachte und im Garn saß. Herr war man seines Schicksals; reif zum Genuß, hob man den Becher an die Lippen und schlürfte den Trank bewußt als Kenner bis zur Nagelprobe.

Toni sah eine Weile sinnend vor sich hin, nickte dann zuversichtlich und machte sich ernsthaft an sein Bild. Auch heute wieder ging das Malen ihm von der Hand wie in den besten Jugendtagen. Als sich um sechs Uhr Trautchen einfand, konnte die ahnungslose Ehefrau abermals höchst zufrieden mit den Fortschritten seiner Arbeit sein; und seine glänzende Laune schrieb sie nichts anderm zu als dem Gelingen, das seinem Fleiß beschieden gewesen war.

Wie hätte ihr denn auch beifallen sollen, er könnte so heftig strahlen, weil er sich endlich als unverstandener Mann gewürdigt und mithin zum erstenmal verstanden fühlte? Hatte sie ihn doch nach ihrer Meinung schon von jeher recht gut verstanden und bloß geglaubt, ihm eher dadurch schmeicheln zu können, daß sie es ihn nicht gar so merken ließ.

 

Diesmal berührte den starken Mann bis zum nächsten Stelldichein auch nicht der kleinste Zweifel an Annastinas Liebe. Doch als sie dann leibhaftig vor ihm stand, war er ein wenig linkisch und verlegen, beinah, als fürchte er, sie könne ihm anseh'n, wie sieghaft keck sich seine Phantasie dies Wiedersehen ausgemalt hatte. So wußte er nicht recht ein Gespräch zu beginnen, trotzdem der erste Blick ihm zeigte, daß ihr gerade heute viel daran lag, ihm zu gefallen. Trug sie doch das von ihm so laut gelobte rosa Kleid von vorgestern. Auch schien ihr wieder Wasser unter die Bademütze gekommen zu sein, trotzdem sie noch gar nicht am Strande gewesen war. Die roten Haare hingen zum Trocknen aus. Als sie seinem Handkuß sanft ein Ende gemacht hatte, nahm sie auf einem niedrigen Granitblock Platz, schlug die Beine übereinander, verschränkte die Finger vor dem Knie und schaute Toni mit großen Unschuldsaugen ins Gesicht.

»Gwinner, Sie sind doch mein Freund?« fragte sie nach einer Weile.

Er gab keine Antwort. Er war zu sehr in den Anblick ihrer schönbeschuhten Füße und ihrer wohlgeformten Fesseln in den dünnen, opalisierend weißen Seidenstrümpfen vertieft. Sie spürte das sogleich; etwas, das einem Frösteln glich, lief über sie herunter, ihre Hände faßten flüchtig den Rock und deuteten ein Senken seines Saumes an. Doch da der Erfolg dieser Bewegung nur war, daß man jetzt eher noch etwas mehr von ihren Strümpfen sah, erschien es nötig, Tom noch einmal zu wecken:

»Gwinner, hallo, wo weilen Sie? Ich frage ...«

Er fuhr auf.

»Ja, was?«

»Ob Sie mein Freund sind?«

»Das könnten Sie bald wissen!« entgegnete er lächelnd.

»Nun, dann ... Wollen Sie mir einen Dienst tun?«

»Zwei!« erklärte er generös. »Befehlen Sie! Soll ich mich für Sie dort von dem Felsen stürzen?«

»Das dürfte Ihnen ja kaum gut bekommen. Und für das, was ich von Ihnen möchte, brauch' ich Sie schon lebendig.«

»Sehr angenehm! Beruht durchaus auf Gegenseitigkeit.«

»Und Gwinner, Sie versprechen mir ...?«

»Alles! Das heißt natürlich: wenn ich kann.«

»O ja, Sie können. Leicht! Nein, nein: es ist viel leichter für Sie es zu tun, als mir, es Ihnen zu sagen.« Mit einer so nett gespielten Befangenheit lächelte sie dabei gegen ihn hinauf! Ihm wurde schwindlig.

»Nun ja, am besten ginge es vielleicht ...«, sagte sie plötzlich mit einem eigenen Lächeln. »Darf ich Ihnen einmal ein Märchen erzählen?«

»Ein Märchen? Bitte ja, das hör' ich gern. Ich leg' mich dazu hier gemütlich in die Preißelbeeren. Also? Ich bin ganz Ohr.«

»Nun schön: es war einmal ...« Sie unterbrach sich. »Hören Sie, Gwinner, Sie scheinen mir viel eher ganz Auge zu sein. Was interessiert Sie so an meinen Füßen?«

»Nur der Zusammenhang mit Ihnen, gnädige Frau. Ich seh' schon weg. Na, Und? Wollten Sie mir nicht ein Märchen ...?«

»Nicht, wenn Sie ungezogen sind!«

»A wo! Ich platze bald vor Artigkeit.«

Da begann sie verträumten Tones:

»Es war einmal eine kleine Prinzessin, die lebte bei einem alten, weisen Zauberer in einem Schloß aus Glas.«

»Na, sagen Sie doch ruhig: ich!« warf Toni ein.

Wieder lächelte sie ganz leise.

»Ja, es ist diesmal wirklich von mir, daß ich sprechen wollte.«

»A nein?! Ganz ausnahmsweise?« neckte er.

»O bitte, wenn es Ihnen zuviel wird!« gab sie spitzig zurück.

»Woher doch! Ich hatte bloß, hell, wie ich bin, sofort gespannt: das Schloß aus Glas muß doch ein Atelier sein.«

»Nun, Gwinner, also Sie fragten gestern, warum ich eigentlich Erik Baginsky heiratete?«

Danach hatte Toni sie zwar mit keinem Wort gefragt, doch nickte er eifrig.

»Ja, warum?« fuhr sie sinnend fort. »Näher kamen wir uns wohl zuerst in der gemeinsamen Begeisterung für meines Vaters Werk. Und ich gesteh' ganz offen: auch die Lebhaftigkeit, mit der er meines Vaters Geschäfte anging, seine förmlich elektrische Energie ... Ich wurde imponiert von der deutschen Tüchtigkeit, die mir nachher so oft auf die Nerven gefallen ist.«

»Tja, Baginsky«, murmelte der starke Mann respektvoll abwägend. »Stellt schon was vor!«

»Sie meinen, daß er Geld verdient?« entgegnete sie mit lässiger Verachtung. »Vielleicht ... Obgleich er darin wohl auch überschätzt wird. Ich finde: wenn man schon so ist, dann sollte es mehr sein. Aber nicht das ist es, wovon ich sprechen wollte. Der Hauptgrund eigentlich, daß ich ihn nahm ... Ja, Gwinner: ich war trotz meiner Jugend müde, so ohne Hoffnung, kurz, so desillusioniert, durch ein Erlebnis, das ich hatte. Aber das interessiert Sie nicht?«

»Doch, doch, ja, bitte!« sagte er etwas heiser. Sie schaute in den Himmel, als sähe sie durch seine Bläue hindurch in eine dunkle Ferne. Eintönig fielen die Worte von ihren Lippen:

»Ich liebte vorher einen andern, Gwinner. Und wir wären zusammen glücklich geworden. Doch da trat etwas zwischen uns, ein Mißverständnis nur, wie ich es heute sehe. Er war auch Maler. Und wir bekamen Streit um meines Vaters Werk. Jetzt ist es mir klar, daß er eifersüchtig werden mußte darauf, wie ich zu meinem Vater stand. Weil das ihn rasend machte, sprach er so häßlich. Aber damals sah ich nur Künstlerneid und niedrige Gesinnung darin und sagte ihm harte, trennende Worte, und er ging. Jung waren wir beide und trotzig. Jeder wartete. Wie's eben geht: es wurden Wochen. Und dann ... Wir reisten in dem Sommer nach Berlin. Baginsky warb ja um mich mit derselben Intensität, wie er meines Vaters Bilder propagierte. Mir war alles so einerlei geworden. Und mein Vater, dies große Kind in solchen Sachen, sah es gern. Und so wurde ich eine Frau Baginsky, und er, der andere, den ich liebte, ist darüber menschlich und künstlerisch zugrunde gegangen.« Sie verstummte und sah Toni sonderbar forschend an.

»Tja, ja!« seufzte der schwer. Was hätte er auch sagen sollen? Langsam nickte sie vor sich hin. Dann, unvermittelt, fragte sie mit etwas erkünstelt wirkender Sachlichkeit:

»Sie kennen Danielsson schon länger?«

»Danielsson?!« rief der starke Mann. Fast wäre er aufgesprungen. Aber er bezwang sich. Sie neigte still den Kopf.

»Er war es. Hatten Sie sich das nicht schon gedacht?«

Nun glitt es ihm wie Schuppen von den Augen. Ein schönes Rindvieh, kein andrer Ausdruck fiel ihm dafür ein, war er gewesen! Geschieht dir aber recht! so spottete er sich selber aus. Na ja, is schließlich schnuppe! fügte er wegwerfend hinzu. Und für den Moment gelang es ihm wirklich, sich so etwas wie Ruhe vorzulügen.

»Aber?« sagte er laut und hörte sich selber wie in weiter Ferne sprechen. »Sie sagten: menschlich und künstlerisch kaputt gegangen? Sagten Sie net so?«

»Wie lange ist es schon, daß Sie ihn kennen?« fragte sie zurück.

»Ja, hier auf Koster, diesen Sommer ...«

»Dann, Gwinner, können Sie nicht wissen, wie er war.«

»Aber ich meine doch: als Künstler ...?« wendete er ein.

Sie lachte verächtlich auf.

»Die Virtuosenstücke! Der edle Emailton! Leere Routine! Schlager für den Markt! Wenn einer das seit Jahren malt und gar nichts anderes will ... Und sehen Sie ihn selbst an! Diese Haltung! Und der Vollbart! Er war der schönste Mensch in seiner Jugend.«

Der starke Mann zuckte die Achseln.

»Tja, schöner wird man mit den Jahren net.«

»Warum denn nicht? Natürlich: in guter Luft muß man leben! Er hat ja leider alles Gefühl dafür verloren, wenn er ganz ohne Scheu mit diesem Frauenzimmer ...«

»Die Fröken Kajsa«, sagte Toni, »die schaun Sie doch am Ende falsch an.«

»Ich bitt' Sie: ist sie seine bezahlte Mätresse oder nicht?«

»Ja, ja, aber Sie täuschen sich: berechnend ist das Mädel wirklich net.«

Annastina stieß einen höhnischen Lachlaut hervor.

»Sie glauben also: wenn er nicht sehr viel Geld verdiente, dann würde sie ...? Sie männlicher Idealist!«

Er zuckte stumm die Achseln. Bei sich aber dachte er: Und du? Du hättest freilich den Baginsky auch ohne Geld genommen! Nein, er war nicht mehr blind. Die kritische Ader schlug ihm heftig. Sie aber lenkte plötzlich um:

»Mir war Danielsson einmal viel. Und da ich ihn durch einen Zufall in der Verfassung wiedersehe ...«

Ein schöner Zufall! dachte Toni. Wo er im Sommer lebt, weißt du genau aus seinen Kosterbildern.

»Nur wegen seiner Kunst, Gwinner! Nicht, daß Sie glauben ... Sie müssen mich verstehn!«

»Ja, ich versteh' Sie schon«, bemerkte er mit trockener Skepsis.

»Denn irgendwie«, fuhr sie, die Worte sorglich wägend, fort, »empfinde ich so etwas wie Schuld gegen ihn. Sehen Sie: daß ich den andern nicht aus Liebe nahm, das konnte er wohl wissen. Ja, mußte er denn nicht auf den Gedanken kommen, ich nahm ihn, weil er reicher war? Und wenn ich das tat, die er vorher so ansah, wie ... Ist es ein Wunder, daß dabei etwas in ihm entzwei gehen mußte? Und doch so ungerecht! Ich hätte damals den ersten besten, auch einen Bettler von der Straße, genommen. Aus Trotz, aus weiter nichts, bin ich Baginskys Frau geworden. Und Pelle Danielsson soll es endlich wissen!«

»Und dann?« fragte Toni.

»Er soll den Glauben wiederhaben!« rief sie.

»An Sie?«

»Nein, an das Gute! Bei seinen Gaben ...! Ich bin überzeugt, er zieht dann wieder einen ganz neuen Menschen an.«

»Sie meinen, er kriegt mehr Talent davon?« erkundigte sich Toni spöttisch.

»Ach, Gwinner, was nützt das Debattieren! Ich frage Sie auch nicht, ob ich es ihn wissen lassen soll; ich frag' Sie nur, wie man das macht.«

»Macht?« Nun setzte er sich aber auf.

»Ja«, murmelte sie, halb verloren. »Was tut man da? Denn sehn Sie: mit ihm sprechen kann ich nicht. Und schreiben? Wie soll er es denn vor der Person verheimlichen? Und sie, muß sie, bei ihrem Horizont, nicht meinen, ich wollte mich ihm wieder nähern? Ich wollte mich mit ihr in Konkurrenz begeben?«

Es zuckte leis um Tonis Mundwinkel, als er nun fragte:

»Und sind Sie vom Gegenteil denn selber wirklich so ganz fest überzeugt?«

»Was soll das heißen, Gwinner! Sie könnten den Verdacht haben, ich erniedrige mich so weit, einem Manne nachzulaufen?!«

»Hab' ich doch net gesagt.« Er zog die Worte durch die Zähne, verlegen unter ihren blitzenden Augen.

»Daß es so aussehn könnte, ist eben das Gefährliche«, erklärte sie. »Nein, und so schwarz auf weiß ... Ich kann nicht. Zur Diplomatin bin ich mal verloren. Ich kann nicht an ihn schreiben. Und deshalb«, sie warf den Kopf empor, »müssen Sie es tun!«

»Ich?!« Er prallte ordentlich zurück.

»Nicht schreiben, Gwinner. Es ihm sagen, ihm richtig sagen, so wie Sie es wissen; daß er es nicht mißversteht. Sie können es!«

Er zuckte unbeholfen die Achseln und war innerlich recht böse. Nun wußte er ja genau Bescheid! So? Dazu war er gut? Dazu die ganze Komödie! Nobel!

»Ich fürchte, gnädige Frau«, entgegnete er ironisch, »Sie überschätzen mich doch, wenn Sie meinen, ich steckte Sie mit meinen diplomatischen Talenten in den Sack. Umgekehrt wird eher wohl ein Schuh draus.«

»Ach, Gwinner!« Sie lächelte ihm mit einer leisen Wehmut zu, hinter der sich doch ein Quentchen Spitzbüberei verbarg. »Wir beide sind keine Diplomaten. Es ist auch nicht das, woran ich mich bei Ihnen wende.«

»Ja, ja, ich weiß schon, was es ist.«

»An Ihr Gefühl für mich!« sprach sie sanft weiter. »Das kann ich doch spüren: Sie bringen das nicht fertig! Sie liefern mich ihm nicht aus.«

»Und darum is es besser ...« knurrte er wütend. Das fehlte gerade: zum Schaden noch den Spott! Nein, was zu viel war, war zu viel! Sie aber hatte sich von ihrem Sitz erhoben und schritt auf ihn zu. Er starrte ihr entgegen wie, nun, wie dem Schicksal. Und unentrinnbar wie das Schicksal stand sie vor ihm und legte ihre Hand auf seinen bloßen Kopf und strich leise über seine schwarzen Haare.

»Toni Gwinner!« flüsterte sie beschwörend. »Toni Gwinner!«

Er wand sich widerspenstig. Der Wille war in ihm, sie wegzustoßen. Doch aus den weißen, schlanken Fingern drang es in ihn ein gleich einem Strom von fremder Kraft, der seine Kräfte lähmte. Sie fühlte ihn sich untertan werden und nötigte ihn mit sanfter Gewalt, sie anzusehen. Ihre offnen Locken glitten schmeichelnd an seinen Wangen nieder, bauschten sich auf seinen Schultern und schienen ihm eine Schlinge um den Hals zu legen; und ihre roten, roten Lippen, durch die hervor die Zähne blinkten, brannten so nah über seinen Mund, daß er ganz eingehüllt war in ihren Atem, ihre Nüstern blähten sich zitternd, und ihre halbgeschlossenen Augen wurden tief und dunkel. Toni klopfte das Herz, als ob es ihm zum Hals herausspringen wolle; er wußte nichts mehr. »Willst du es tun?« Gehaucht nur klang die Frage. Dies: Du gab ihm den Rest.

»Ja, alles, was du willst!« keuchte er. Und plötzlich warf er sich herum, seine Arme umschlangen ihre Knie, in einem Aufstöhnen preßte sich sein Kopf an ihre Hüfte.

Aus ihren Augen, die jetzt irgendwo im Weiten weilten, brach kurz ein Strahl fast grausamen Triumphes, etwas vom schönen Raubtier kam in die Linie ihres Leibes. Doch als nun ihre Hand aufs neue still und gleichmäßig über seine Haare strich, sprach es wie Angst und Flehen aus diesem zögernden Rhythmus; und eben darum war wieder so viel Kraft darin und Bändigung. Toni kniete versteinert und erstarrt, als müsse der kleinste Ruck den Zauber brechen, mit dem er sie hielt. Er horchte gleichsam, atemlos. Und mählich, wie eine herabgebrannte Kerze ohnmächtig zuckend verlischt, erstarben in ihm Rausch und Hoffnung. Die Wirklichkeit war wieder da. Er ließ die Arme sinken. Schwerfällig erhob er sich dann und stand sehr hölzern da. Sie führte den Handrücken über ihre Stirn, als müsse sie sich wecken, und war sofort ganz wach.

»Ach ja!« seufzte sie. »Ich danke Ihnen so von Herzen, Toni Gwinner! Sie wollen es wirklich für mich tun?«

»Ich hab' es ja versprochen.«

»Nein, aber: mit Freude sollen Sie es tun!«

»Ja, ja, auch das.«

»Für mich! Haben Sie mich denn nicht ein bißchen gern?«

Nur einen dumpfen Laut stieß er hervor.

»Nein!« bat sie. »Sie dürfen nicht traurig sein! Sie tun mir weh damit! Und wenn Sie heute auch ein wenig in mich verliebt zu sein glauben ...«

»Merkt man das so deutlich?« scherzte er trübselig.

»Toni Gwinner, Sie sollen auch nicht meinen, daß ich das nicht zu schätzen wüßte. Ich bin sehr stolz darauf.«

»Das ist mir freilich das Wichtigste.«

»Ach, sehn Sie: auch die Liebe ist nicht das Wichtigste im Leben. Sie haben Ihre Kunst.«

»Ja, weiß schon.«

»Verliebtheit ist Strohfeuer.«

»Hm, tut sich manchmal doch, wie's scheint, trotzdem durch Jahre konservieren«, gab er beziehungsreich zurück.

»Ach? Sie können wirklich glauben, ich sollte für Pelle, für Danielsson ... Nein, Sie sind komisch, Gwinner!«

»Das find' ich selber schon lange.«

»Ach was, dazu ist gar kein Grund! Und jetzt sind wir wieder vergnügt!« Sie legte ihm kameradschaftlich die Hände auf die Schultern und rüttelte ihn ermunternd. »So! So hab' ich Sie gern! Sehn Sie, Sie lachen! Das Sentimentale steht Ihnen nicht. Und nun, was ich noch sagen wollte ...« Damit begann sie, ihm ihre Weisungen für seine Aufgabe bei Danielsson zu geben, ausführlich und überlegt.

Toni hörte ihr in dumpfen Staunen zu. Wenn da nicht diplomatische Talente lagen, wußte er nicht, wo er sonst welche hätte suchen sollen. Er nickte immer wieder, und das eintönige: Ja, ja, mit dem er ihr seine Aufmerksamkeit bezeugte, klang mürrisch, aber fügsam, ohne Widerstand.

»Wann sprechen Sie mit ihm?« fragte sie schließlich. »Noch heute? Ich weiß, Sie machen es schon richtig. Und morgen komm', ich so wie heute, und Sie erzählen mir ...«

»Ja, ja.«

»Nicht dies Gesicht! Sie dürfen wirklich nicht glauben, er, Danielsson ... Ich komm' auch nicht nur deshalb. Und nicht nur morgen. Auch übermorgen. Und alle Tage. Ja! Denn diese Stunden sind mir selbst so lieb geworden. Und manchmal könnte ich beinah meinen, ich müßte mich zur Freundschaft zwingen.«

»So, so? Sogar zur Freundschaft schon?«

»Nein, nein, tun Sie nicht so! Denn Sie verstehen mich ganz gut. Ach ja, und nun auf Wiedersehn und Dank für heute! Daß Sie mir diesen Dienst erweisen, bringt Sie mir so nah!«

»Wird gar so nah net sein!« brummte er melancholisch.

»Sie Dummer! Warten Sie's doch ab!« Ein koketter Blick, in dem mancherlei Verheißungen liegen konnten, streifte ihn. »Jetzt ist es aber höchste Zeit. Denn sonst, wahrhaftig, red' ich noch lauter Unsinn, und Sie werden mir übermütig, Adieu, adieu«! Und silbern lachend, floh sie den Weg entlang, als werde sie von einer Gefahr gehetzt. Am nächsten Felsen hielt sie, wie nun schon üblich, noch einmal an, winkte zurück und rief sehr warm: »Sie guter Freund!« Und – täuschte ihn sein Gesicht? –, nein, im Verschwinden warf sie ihm eine Kußhand zu.

Es riß ihn unwillkürlich, sie zu erwidern. Aber er ballte die Faust und ließ sie drunten. Jawohl! gut, aber dumm! höhnte er. Er könnte sich jetzt wohl auskennen, und trotzdem kroch er ihr immer noch prompt aus jeden Leim. Verliebter Esel, der er war! Saubere Verwandlung, das: von ihrem Amoroso zu ihrem Postillon d'amour. – In dieser Rolle mußt du dich täuschend machen! sprach er zu sich. Ausstopfen lassen solltest du dich so. Daß doch auch noch die Nachwelt dich bewundern kann! Aber die grimmigen Späße sollten ihm nur helfen, sich das Heulen vom Hals zu halten. –

Nach einem Weilchen faßte Toni einen Entschluß und begann, um den sich selber zu beweisen, leise vor sich hinzupfeifen. Er hob das angefangene Bild von der Staffelei und stellte einen frischen Keilrahmen darauf, den er für alle Fälle bei sich hatte. Er mochte, was ihm die Tage vorher so gut gelungen war, in dieser Stimmung nicht verpatzen; und irgend etwas schaffen mußte er, schon Trautchens wegen. Trautchen, die gute Haut, die ahnungslose! Sie sollte auch nichts ahnen!

So machte er denn einfach eine Viertelwendung und malte diese Seite der Aussicht, ohne erst lange zu wählen, gleichgültig anfangs und fast wie im Schlaf. Doch als die Sache im ganzen skizziert war, stutzte er. Quer über seine Leinwand zog sich der Felsbuckel, von dessen Höhe Annastina zuerst in seine engere Welt herabgestiegen war. Dort oben hatte sie gestanden und ihm gewinkt mit dieser wundervollen großen Geste, er sah es noch so deutlich, und es zuckte in seinen Fingern. Unwillkürlich mischte er sich die Farben, die er brauchte, faßte den Pinsel lang und warf in seiner entschlossensten Fechterhaltung das, was sein inneres Auge geparkt hielt, mit wenig Strichen in das Bild. Ausatmend trat er dann zurück. Das war geglückt, wie selten etwas glückt. Ohne ängstliches Haschen nach Ähnlichkeit in Einzelzügen hatte er sie getroffen, daß jeder sie kennen mußte beim ersten Blick an dieser verblüffend treu eingefangenen, nur ihr selber eigenen Bewegung.

Er nickte stolz; doch schon im nächsten Moment begann er nachdenklich an seiner Unterlippe zu nagen. Das Gute dran, das eben war der Teufel! So durfte er Trautchen das Bild nicht zeigen. Das Figürliche hatte zu verschwinden! Und doch, es ging ihm wider die Natur, die schöne Annastina kurzerhand wegzuspachteln und einen langweiligen Himmel drüber hinzuschruppen. Von allem andern abgesehen, war ihm das Ding als Studie wertvoll. Wer sagte ihm denn, daß er es rein aus dem Gedächtnis noch einmal so hinbringen würde? Da kam ihm eine ganz ausgefallene Idee: er griff zum Pinsel und malte das kleine Weiblein zu einer hohen Feuerflamme um. Die menschliche Gestalt verschwand dahinter für jedes Auge, bloß für seines nicht; denn die Bewegung, wie sie von den Füßen durch den Körper bis in die hochgereckte Hand gelaufen war, die blieb. Und was die Farbe betraf: ein paar Tupfer Gelb und Grün und Blau und warmes Rot zwischen das goldige Rosa hineingesetzt, und fertig! Die Landschaft freilich mußte er anders stimmen, damit es wirkte. Er hatte es aber gut im Kopf, wie hier die Töne sich verwandelten im Halblicht der nordischen Sommernacht; es währte nicht lange, und in unbestimmte Dämmerung gekleidet lag der Felsen und das Land davor, und droben von dem Kamme loderte es magisch glühend, mit geisterhaftem Glanz, der keine Lichter warf, zum fahlen Grün des Firmamentes.

Der Künstler prüfte sein Werk und war zufrieden. Und plötzlich schlängelte sich ein Lächeln um seinen Mund. Es fehlte noch etwas daran, wenn es ihm richtig zum ewigen Gedächtnis dienen sollte an diesen Tag, wo er sich so weidlich mit Ruhm bedeckt hatte: er selber fehlte noch darauf! Gedacht, getan: bald war im Vordergrund ein haariger Faun entstanden, der mit törichtem Gesicht nach oben starrte und dessen täppisch wilde Haltung zeigte: gleich würde der blöde Tropf sich in die Flamme stürzen, die doch nur als eine Ausgeburt seiner lebhaften Phantasie erschien. Die mythologische Verkleidung borgte sich der starke Mann einmal aus alter Gewohnheit, und weil er außerdem gewiß war, mit einem Bocksbart und Bocksbeinen nicht so leicht erkannt zu werden. Bloß für sich selber leistete er sich den Scherz, seinen schönen Namen Toni Gwinner wie eine erklärende Legende unter den Kerl zu setzen, als er das Bild zum Schluß signierte. Denn es war fertig, und er würde sicher nichts mehr daran bessern können.

Wie er die Hände sinken ließ, bemerkte er plötzlich, daß seine Stimmung gegen Annastina viel weicher geworden war. Er hatte sich von seinem Schmerz ein wenig losgemalt und sah das alles schon auf Abstand. Und damit ist dem Menschen die schöne Gebärde auch nicht mehr fern. Tonis unglückliche Liebe drapierte sich mit dem Theatermantel der Entsagung. Ja, er wollte mannhaft sein Bestes tun, um Annastina mit ihrem Pelle zu vereinen. Und schlüge die Ehe dann vielleicht nicht gut aus, so würde sie wohl manchmal noch mit Wehmut an ihn denken. Nicht, daß er es ihr wünschte, nein, beileibe! Aber ganz unrecht geschähe ihr das nicht: sie hatte ihn schon bös an der Nase herumgeführt! Aber schließlich: der Danielsson war ihre Jugendliebe. Und hätte er diesen Vorsprung nicht gehabt, wer weiß! Na ja, was half das!

Man mußte sich halt mit dem Bewußtsein trösten, zwei Menschen glücklich zu machen; nein, drei: Trautchen doch auch! Das ist einmal der Lauf der Welt: des einen Freude ist des andern Leid. Und die Rolle der betrübten Lohgerber fiel hier eben ihm und Fröken Kajsa zu. Nun, sie war ja tüchtig und vernünftig und kam wohl drüber weg. Daß sie von einer Nebenbuhlerin wie Annastina glatt ausgestochen wurde, konnte sie nicht wundern. Das ließ sich wirklich eher noch begreifen, als daß er, Toni, diesem Schweden mit seinem gelben Vollbart weichen mußte. Aber auch er ... Ein rechter Kerl stirbt nicht an gebrochenem Herzen! Komisch: nun waren seine Träume immer auf das Erlebnis ausgewesen. Jetzt hatte er sein Erlebnis! Eine verdammt spöttische Bestie schon, das sogenannte Schicksal! Kopf hoch! Auch daraus etwas machen! Und wenn die Sache weiter solche Früchte trug, wie die da vor ihm aus der Staffelei ...

»Nun? Vati?« klang es hinter ihm.

Diesmal hatte er Trautchen wirklich nicht kommen hören, und trotzdem erschrak er nicht ein bißchen; er hatte heute ein so ungeheures gutes Gewissen.

»Was ist denn das?« Sie deutete mit lächelndem Staunen auf die Leinwand. »Und so was malst du hier im hellen Sonnenschein nach der Natur?«

»Kann's ja, so gut wie später, auch gleich übersetzen«, gab er zur Antwort. »Da hat man statt der Studie schon das Bild«.

»Ja, und wie heißt es?« fragte sie, ohne den Blick davon zu wenden.

»Hm, nun: das Irrlicht«, so taufte seine Geistesgegenwart das Werk. Sie klatschte in die Hände.

»Famos! Nein, weißt du, Vati, daß das wirklich gut ist? Und trotz des kleinen Formats, dafür darf Sauerländer zahlen! Wie du die Flamme hingebracht hast: in der Farbe so effektvoll! Und es ist doch wahrhaftig ein Schwung darin, als ob sie winkt und lockt. Und er, der Faun, man sieht ihn schon förmlich rennen. Wie herrlich dumm er glotzt!«

»Net wahr, saudumm!« sagte Toni; doch in seinem Blick lag etwas, als ob er sie verstohlen um Mitgefühl und Tröstung bitten wolle: sie, die gewiß kein Irrlicht war, sondern seine alte, manchmal ein bißchen blakende, doch treue und gemütliche Petroleumlampe. Und nein: sie hatte heute so etwas Rührendes für ihn; vielleicht, weil er sich selber rührend vorkam. Einem Impulse folgend, legte er seinen Arm um ihre Schultern. »Ja, Schnucksibucksi!« murmelte er verloren.

Sie schaute zärtlich zu ihm hinauf, so richtig mit ihm einverstanden. Und hatte sie denn keinen Grund dazu, mit solchem Mann! Er war ihr treu geblieben. Sehr gegen seinen Willen wohl im Grunde, aber, er konnte sich nicht helfen, er fand es schön von sich.


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