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Sechzehntes Kapitel. Geplänkel

Hinfort fand Trautchen keinen Anlaß mehr, es zu beklagen, daß ihr Mann zuviel Interesse für die sogenannte schöne Schwedin zeigte. Ihr Mißtrauen wurde sanft eingelullt; nicht einmal hinter Tonis aufmerksamer Nettigkeit gegen sie selber suchte sie jetzt noch etwas Verdächtiges. Sie lebte sich schnell in diesen Zustand ein und war geneigt, zu glauben, es sei schon die ganze Zeit her so gewesen. Ja, diese Reise!

Toni befleißigte sich allerdings der größten Vorsicht. Er grüßte Frau Nordlind fremd aus der Ferne und baute gleichsam eine gläserne Mauer von Zurückhaltung um sich auf, wenn er sich durch seine Frau beobachtet wußte. War dieses nicht der Fall, dann freilich vagabundierten seine Augen spornstreichs in die verpönte Gegend; und Frau Annastina mochte ihm selbst zufällig den Rücken zeigen, den Blick von ihm empfand sie immer. Erwiderte sie ihn auch nur flüchtig, und zuckte es dabei um ihre Lippen von leisem Spott, gerade dieses Lächeln hatte für ihn etwas Aufreizendes.

Es kitzelte Toni nicht wenig, ihr seinen Mut zu jedem Abenteuer zu beweisen. Trotzdem ließ er noch mehrere Tage verstreichen, bevor er Trautchen gegenüber wieder die Rede auf seine Arbeitspläne brachte. Dann aber packte er eines Morgens die große Kiste aus und erklärte, er wolle seine Nachmittage nunmehr der Kunst widmen; wohlweislich die Nachmittage, weil ihm bekannt war, daß seine liebe Frau den von daheim gewohnten Schlaf nach Tisch schon bisher über den Segelpartien nur ungern versäumt hatte.

Und richtig: die Sache entwickelte sich ganz nach Wunsch. Trautchen ging mit, um sich zu überzeugen, ob er seiner Feldstaffelei auch einen unverfänglichen Platz gesucht hätte. Und daran konnte sie nichts aussetzen; man sah von hier aus nur auf den Ladurnerischen Badeplatz, und der lag zu dieser Stunde verlassen da. Nach ihrem eignen Strande und auch nach dem Weg, den Frau Nordlind dorthin gehen mußte, war die Aussicht gut versperrt: durch einen hohen, soliden Granitbuckel, der noch ein Stück ins Wasser vorsprang.

So begann denn Trautchen, als sie hatte feststellen können, daß ihr Gemahl sich tüchtig in die Arbeit hineinkniete, zu gähnen und empfahl sich schließlich mit der Verheißung, sie wolle gegen sechs Uhr wiederkommen und ihn holen. Sie mußte sich mit einem zerstreut zustimmenden Gemurmel als Antwort begnügen: Toni war gar so vertieft in sein Gemälde. Doch kaum wußte er sich allein, da ließ er Palette und Pinsel sinken. Ein Seufzer der Erleichterung kam triumphierend aus seiner Brust. Dort vorne nämlich, keine dreißig Schritt von seiner Staffelei, kreuzte den Weg, an dem er stand, ein schmaler Fußpfad, dem Trautchen gar nichts angesehen hatte, obschon er die nächste Verbindung vom Schusterhäuschen nach dem Strande dort hinter den Felsen darstellte. Das mußte man eben wissen und es verstehn, solche klug erforschte Kenntnis für sich zu behalten.

Übrigens ein Glück, daß Frau Annastina sich nicht übereilt hatte. Das heißt: jetzt dürfte sie allmählich erscheinen, fand er. Es wäre, nachdem er so viel List auf diese Sache verwandt hatte, direkt nicht hübsch von ihr, wenn sie ihn einfach sitzen ließe. Doch leider machte es mit der Zeit den Eindruck, als ob sie trotzdem diese Absicht hege.

Betrübt, dann zapplig und endlich wütend wurde Tom. Nach einer kleinen halben Stunde kam es dahin, daß er schon ganz gehorsamst auf alle verführerischen Weiber hustete. Von dort aus lenkte ihn der Weg gar bald in eine milde Rührung über sich selbst und seine vorbildliche Treue gegen die Eine, die jetzt daheim so wohlbehütet schlummerte. Und als er erst aus den Gedanken an Trautchen gekommen war, schwoll gleich sein Herz vor Edelmut. Er wollte noch ein übriges tun und jetzt fleißig schruppen, um ihr eine rechte Freude zu machen. Sie hatte übrigens auch ein so unbestechliches Auge dafür, wieviel er in ihrer Abwesenheit wirklich mit Ernst geschafft hätte.

Seufzend mischte er sich einen Farbton zusammen und begann. Beinah verächtlich setzte er die ersten Pinselhiebe auf die Leinwand. Aber, sieh da: das saß! Und, Herrgott, ob das saß! Verflucht! Scharf ging sein Auge nun zwischen Landschaft und Bild hin und her; er malte mit breiten Strichen und fühlte, daß es gut war, was er malte. Gemächlich pfiff er vor sich hin, die kleine Folge von Tönen, die seine Gattin so gern vernahm, wenn sie daheim im Vorüberhuschen das Ohr gegen die Ateliertür neigte. So frisch war ihm die Arbeit seit Jahren nicht mehr von der Hand gegangen. Er versank mit Behagen ganz tief in sie; und Nebendinge, wie Frauenzimmer und dergleichen, lebten ihm nur noch fern in einer andern Welt. Er zwang das Meer, er schon! Zwang es auf seine Weise!

Plötzlich wurde Toni unter dem Malen von dem Gefühl angerührt, daß er nicht allein sei. Fast geärgert schaute er empor und erblickte die, um derentwillen er eigentlich hier war: Im ersten Moment empfand er ihr Kommen beinah als Störung; gleich darauf aber verbreiterte sich sein Gesicht in einem lustigen Strahlen.

Sakra, Sakra, sah sie wieder famos aus, wie sie da stand, droben auf dem Granitbuckel, als lichte Silhouette gegen den tiefblauen Himmel, in dem rosa Kleid, das der Sonnenschein förmlich glühend machte, noch heißer fast als das rote Haar, dessen Wellen ihr frei über Rücken und Schultern flossen. Eine Erinnerung tanzte kichernd durch Tonis Kopf. Wann war es gleich gewesen, daß einmal schon so ein liebes Ding mit offnem Haar zum ersten Stelldichein bei ihm angeflattert kam? Ach ja!. Damals hatte das freilich im weiteren Verlauf zu einer Ehe geführt. Nun, gegen die Gefahr durfte man sich jetzt wohl gefeit fühlen.

»Gnä' Frau!« rief er und zog den Hut. Eine galante Verneigung lud sie ein, sich von ihrer Höhe herabzulassen zu ihrem demütigsten Bewunderer und Sklaven. Sie antwortete mit einer großen Armbewegung von entzückend eckiger, knabenhaft sportgerechter Grazie. Ganz Weib aber wurde sie wieder, da nun ihre beiden Hände den Rock rafften und sie, die Füße in koketter Vorsicht setzend, langsam über das Gestein bergab schritt. Himmel, sich nach der einmal so ein paar ganz flüchtige Bewegungsstudien notieren dürfen!

»Grüß Gott!« sagte Toni. »Ich hätt' Sie zwar von der andern Seite erwartet.«

»Vom Strande komm' ich«, antwortete sie; plötzlich aber wechselte ihr Ausdruck. »Erwartet?« fragte sie kühl und dehnte das Wort.

»Nein, nein, ich mein' bloß! Daß Sie riskieren, so bald nach Tisch zu baden!«

»Aberglauben! Hat mir noch nie geschadet.« Sie deutete nach der Staffelei: »Ist es erlaubt?«

»Bitte, natürlich! Steckt zwar noch sehr im Anfangsstadium.« Er machte Platz; sie stellte sich auf die rechte Entfernung und musterte die Leinwand. Die erhoffte Kritik jedoch blieb aus; vielmehr sagte sie unvermittelt, mit einem besondern Lächeln:

»Denn Ihre Frau ist ja nicht da.«

Dies war ihm auch vorher gottlob nicht unbekannt gewesen, aber daß sie es aussprach, schien ihm ihr Beisammensein so verwirrend intim zu machen, mischte einen prickelnden Reiz des Verbotenen darein. Ein wenig ungeschickt torkelte ihm die Frage heraus:

»Nein. Warum?«

Sie schoß aus dem Augenwinkel einen schelmischen Blick auf ihn ab.

»Gott, Sie sind doch sicher ein sehr guter Ehemann.«

»Seh' ich so aus?« fragte Toni und bemühte sich, in seine ganze Haltung recht viel vom tollen Kerl zu legen.

»Ihre Frau sieht wenigstens so aus«, bemerkte sie dunkel, aber spürbar boshaft. »Und mich kann sie ja außerdem nicht leiden.«

»Aber, woher denn!« widersprach er heuchlerisch.

»Ach, davon haben Sie noch nichts bemerkt?« gab sie mit offenem Spott zurück. »Sie hat Ihnen ja auch von ihrer Aversion sicher nie ein Sterbenswörtchen gesagt?«

Nun mußte er lachen. Er zuckte kapitulierend die Achseln.

»Gnä' Frau sind halt zu klug.«

»O nein. Und wenn ich vielleicht nicht so besonders dumm bin, so verwende ich das auf andre Dinge. Dies weiß ich aus Erfahrung.«

»Erfahrung?«

»Ja, denken Sie: Frauen mögen mich nicht. Fast keine Frau! Ist das nicht sonderbar?« Sie machte wieder einmal ihr harmlos staunendes Backfischgesicht.

»No, gar so sonderbar!« wendete er mit einem bewundernden Blick ein. Das hatte sie hören wollen; aber es war ihr scheinbar noch nicht deutlich genug. Denn sie fragte:

»Geb' ich den Frauen einen Grund?«

»Sie sind ein Grund!«

»Nein, das versteh' ich nicht.«

»Sie gefallen halt den Männern zu gut.«

»Wie wollen Sie das wissen? Wir kennen uns ja kaum?«

»Vielleicht hat einer von den Schuften es mir verraten.«

»Wer?« fragte sie, ein wenig hastig.

»Das sag' ich net!«

Sie zwang sich, aufzulachen.

»Ach so, ich weiß: der kleine Dicke an Ihrem Tisch, der mich immer so anschmachtet und dabei so fanatisch ißt. Er hat mir übrigens durch seine Frau Gedichte schicken lassen. Wie kommt der Mensch dazu?«

»Tja, mit dem Verkaufen allein wird doch die Auflage net gar«, erklärte Toni freudig grinsend.

»Gwinner, wenn das der einzige ist, der mich liebt!«

»Is er ja gar net!«

»Ach Unsinn! Wer denn noch?«

»Ich selbstverständlich!« erwiderte der starke Mann keck. Und gleichzeitig schien er zu dem Entschluß gekommen zu sein, die Arbeit nunmehr für längere Dauer zu unterbrechen. Er steckte die Pinsel durch das Daumenloch der Palette und legte diese auf den Farbenkasten. Sie lachte hell auf.

»So so? Was Neues für die Sammlung?«

»Sammlung?«

»Ja. Oder glauben Sie, daß Sie der erste sind, der mir das sagt?«

»Oh, gnädige Frau, mir genügt's durchaus, wenn ich der letzte sein darf.«

»Das klingt ja beinah wie ein Heiratsantrag. Und ich dachte immer, Sie wären schon ...«

»Herrgott, ganz richtig. Ich bin ja schon ... Was tut man da? Soll ich mich scheiden lassen?« schlug Toni vor und fühlte im gleichen Augenblick, daß er nicht auf dem rechten Wege war, und daß es der Fortführung dieses Geplänkels kaum gedeihlich sein konnte, wenn er sich gar zu weit auf das Gebiet phantastischer Unwahrscheinlichkeiten vergaloppierte.

»Weil Scheidenlassen ja so einfach ist!« erwiderte sie ernster, als er erwartet hatte; doch fügte sie gleich spöttisch hinzu: »Ich möchte Ihre Frau Gemahlin nicht berauben.«

»Hm, schade« scherzte er, noch immer nicht recht fähig, zu dem passenden, ganz leichten Ton hinüber zu gelangen. »Grade wie Sie hätte ich mir meine zweite Frau nun vorgestellt: so hübsch, so ...«

»Hübsch ist mir zu wenig.«

»Ich mein' ja auch natürlich: schön!« versicherte er eifrig. Ein Schatten von Melancholie kam in ihre Stimme, als sie nun sagte:

»Ach schön! Und glauben Sie, daß das ein Glück ist?«

»Weiß ich's? Ich bin noch niemals schön gewesen.«

»Nun, das will ich doch nicht sagen. Als Mann ...«

»Ach, wiederholen Sie das noch mal, gnä' Frau: das tut so wohl!«

»Nein, ohne Scherz: ich hab' Ihnen nämlich vorhin schon die ganze Zeit zugeseh'n.«

»Zugesehen?«

»Beim Malen. Sie waren sehr vertieft. Und Ihre Bewegungen, wissen Sie ... Sie legen sich mit dem Pinsel aus wie ein Fechter mit dem Degen. Es steckt so eine konzentrierte Kraft darin. Sie müssen stark sein.«

»Passiert«, erwiderte Toni bescheiden. Doch beugte er zugleich den rechten Arm und spannte ihn so heftig, daß sein Kopf rot wurde und die Faust ihm zitterte. Einladend tippte er dann mit dem linken Zeigefinger auf den granitnen Muskel. Wie das ihn wieder an jenen fernen Nachmittag gemahnte! Ganz ebenso wie damals verlief die Sache freilich nicht. Frau Annastina schien bedeutend weniger Forschertrieb zu verspüren als Trautchen einst in jungen Tagen. Sie wich pikiert zwei Schritte hinter sich.

»Ja, ja, ich glaub' es. Ich bezweifle es nicht im geringsten, ja.« Für einen Augenblick hing ihr zu irgendeinem Knopfloch wieder die Herzogin heraus. Toni ließ seinen Männerarm sinken. Zu dumm! Nun war grade alles wieder so schön im Zug gewesen! Um über seine leichte Verlegenheit wegzukommen, rief er:

»Sie haben ja zwar einen Grund, andrer Leute Bewegungen zu bewundern!«

»Wieso, bitte?«

»Sie selbst! Ihr Gang! Das war's doch, was ich auf den ersten Blick ...«

»Seh'n Sie!« stimmte sie ihm lebhaft zu. »Das hör' ich lieber als banale Komplimente von Schönheit und so weiter. Bewegung sagt viel mehr als dieses Äußerliche, Bewegung zeigt ... nun ja ...« Sie brach ab und ließ eine schöne Geste ihrer schönen Hand schweigend von ihrer inneren Schönheit sprechen. Seine Augen ruhten mit so ausdrucksvoller Huldigung auf ihr, daß sie nun ein wenig Befangenheit am Platze fand.

»Seh'n Sie mich nicht so an, Gwinner! Daß ich die Haare offen hab', ist nur ... Es ist mir Wasser unter die Bademütze gekommen.«

Nun hatte er sich zwar gerade weniger mit ihrer Frisur als mit der Feststellung beschäftigt, daß sie durchaus nicht mager war, wie Trautchen immer sagte, bloß schlank. Doch fing er sich sofort und schwärmte:

»Da bin ich dem Wasser aber dankbar. Denn so ... Und überhaupt! Sie wissen aber auch ... Das raffinierte rosa Kleid! Die roten Frauen meinen immer, es muß Meergrün sein oder so was Grausliches. Soll ich Ihnen übrigens was verraten? Sie werden lachen. Also, stellen Sie sich vor: meine Frau – aber gel, Sie sagen's ihr net wieder? –, die wollte Ihnen Ihren Teint net glauben. Das wär' gepudert! Na, ich mußte mich ja biegen, denn für ein Malerauge ... Und jetzt, wo Sie grad' aus dem Wasser kommen ...«

Unwillkürlich schaute Frau Annastina etwas scheu nach dem seidenen Beutel, den sie am Arm hängen hatte. Dann, nachdem sie ein Weilchen gleichsam zerstreut ins Leere gestarrt hatte, sagte sie in einem Ton, der vermuten ließ, es läge ihr an ihrem Äußern vielleicht doch mehr, als ihr selber klar war:

»Natürlich, und ich schminke mich und färbe mir die Haare und hab' am Ende noch ein Korsett an?«

»Nein«, wehrte er erheitert ab, »das hat net einmal meine Frau behauptet.«

Sie bewies durch eine kurze Bewegung, die sie gleich einer Welle harmonisch von ihrem Nacken bis zu den Knien laufen ließ, wie fesselfrei ihr Leib sich fühle. Ihr tat es wohl, daß nicht einmal jene unglaublich geschnürte Sachkennerin auf den Verdacht gekommen war, sie trüge ein Korsett. Sie trug auch keins; nur einen Gürtel, der höchstens nach unten zu ein wenig weitreichend war für diesen Namen.

Es herrschte ein kurzes Schweigen zwischen den zweien. Toni blickte versunken auf sie, und dabei spürte er das Klopfen seines Herzens so stark, daß er Angst bekam, sie möchte es hören. Darum begann er wieder in einer gewissen Hast zu sprechen:

»Und grade, wie Sie jetzt da stehn, der graue Felsen dahinter, das gab' so ein Freilichtporträt.« Plötzlich aber packte ihn ein Schreck: wenn sie das nun als Aufforderung nähme! Und was Trautchen dann wohl anstellen würde! Schnell fügte er hinzu: »Sie müssen aber doch schon gemalt sein?«

»Ach, und wie oft! Von allen Größen in Berlin! Nur gut niemals.«

Er musterte sie sachlich, mit zugekniffenen Augen.

»Mag sein, daß es net leicht is. Es sind da so Finessen. Aber, man sollte meinen: die Farbe is allein schon so charakteristisch.«

»Ich bitt' Sie, Gwinner! Farbe! Wenn's darauf ankäm'!«

»No, gnä' Frau? Für einen Maler?«

»Nun ja, ich meine ... Wenn einer, war mein Vater doch ein Maler. Und ihm bedeutete die Farbe nicht mehr als Handwerkszeug.«

»Als Brotaufstrich hab' ich sie eigentlich bisher auch noch net verwendet«, entgegnete er schmunzelnd.

»Nein: meinen Porträtisten war die Farbe Selbstzweck.«

»Ach so? Das gibt's! Und sicher: auch Zeichnenkönnen is keine Schande.«

»Nein, nein: es sind eminent gezeichnete Bilder darunter. Und doch!«

Der starke Mann pfiff leise vor sich hin.

»Ja, mit den Damen! Die werden sich aus Porträts nie schön genug.«

»Nein aber, Gwinner!« Sie mußte wirklich lachen. »Und das können Sie von mir glauben! Nein: ein Porträt soll doch den Menschen geben, das Seelische, die innere Bedeutung.«

– Aha: bedeutend möcht' sie aussehn auf den Bildern. Zweite Kulturstufe der weiblichen Eitelkeit! sprach Toni sanft erheitert zu sich selbst. Laut aber entgegnete er: »Sie denken, frei nach Wilhelm Busch: ›Mein Ehrgeiz liegt halt anderswo, denn schön bin ich sowieso‹?«

»Ehrgeiz?« Ein zugleich hoch- und wehmütiges Lächeln zog ihre Mundwinkel abwärts. »Ach nein: ich weiß schon, daß es bequemer ist, so recht von Herzen gewöhnlich zu sein. Nun ja, was soll das! Als junges Mädchen, ja! Mein Vater hat mich oft gemalt. Das waren Bilder! Ich stand ihm ja besonders nahe. Gegen meine Geschwister konnte er streng sein. Aber ich war schon als Kind so anders. Mich hatte er am liebsten immer um sich, selbst bei seiner Arbeit, im Atelier. So wuchs ich ganz in der Welt seiner großen Ideen aus. Ach ja, und er! Von meiner Zukunft, was er da erwartet hat! Lilla prinsessan, wie er mich nannte! Gott ja, wie lange ist das denn her? Und heute! Ich bin nur froh: er hat's nicht mehr erlebt.«

»Ah geh, gnä Frau! Sie sind doch noch so jung!«

»Nein, ich bin alt.«

Er lächelte.

»Jawohl, jetzt denken Sie, ich widerspreche?«

»Schon einunddreißig, Gwinner!« Schau, schau: zwei Jahre unterschlug sie also doch!

»Wahrhaftig eine Greisin!« bemerkte er mit Humor.

»Mir liegt auch nichts daran«, sagte sie resigniert. »Und wenn nur meine Kinder ...«

»Sie haben Kinder?«

»Große schon. Zwei Töchter von zwölf und elf.«

»Donner! Das sieht Ihnen aber keiner an!«

»Ach, Gwinner, sparen Sie sich die Komplimente! Die Kinder will ich so erziehen, daß sie ... Wenn man mich so erzogen hätte, ach ja; vielleicht wär' alles anders gekommen.«

»Ich dachte: Ihr Herr Vater ...?« rief Toni, leicht verwundert.

»Ja, er! Nein aber: meine Mutter, Gwinner! Mag sein, daß sie zu ihm die notwendige Ergänzung bildete; man muß ja schließlich auf der Erde leben. Aber gegen mich! Sie ist, ich kann es selbst nicht andere sagen, eine schreckliche Frau!«

Hierauf nun wußte der starke Mann nicht recht etwas zu entgegnen. Zustimmung wäre ihr wohl so ärgerlich gewesen wie Widerspruch. Auch sie schwieg und schien melancholisch ihrem verpfuschten Dasein nachzusinnen. Da fragte er endlich:

»Und wo sind Ihre Töchter jetzt?«

»Bei meiner Mutter«, erwiderte sie sachlich, zerstreut und in Gedanken. Er hob wohl ein wenig zu schnell den Kopf; denn sie fügte hastig hinzu: »Nur für die erste Zeit und bis ich selbst ... Sie wissen ja vielleicht: ich hab' mich scheiden lassen. Und ich bin eigentlich die ganzen zwei Jahre schon auf Reisen. Aber: genug, kein Wort mehr von den Sachen! Ich weiß auch nicht, wie ich dazu komme, gerade Ihnen ... Denn sonst ..., wirklich, nichts liegt mir ferner. Ich sprech' gewiß nicht gern von mir.«

»Dann tun Sie's also ungern?« konnte sich Toni nicht enthalten, lausbübisch lächelnd zu bemerken.

»Ja, Gwinner, verspotten Sie mich nur! Es geschieht mir recht.«

»Ah, nix von Spott, gnä' Frau! Das is halt meine Art. Bloß dumme Angewohnheit!«

»Ich weiß, daß es nicht schlimm gemeint ist. Sie sind als Mensch genau so wie in Ihren Bildern.«

»Auweh! Talentlos?«

»Nun, Gwinner, sein Sie nicht kokett!«

»O nein, das wäre Ihnen gegenüber unlautrer Wettbewerb«, gab er ihr mit einer kleinen Verbeugung heraus. Sie machte plötzlich wieder ihre großen, ernsten, naiven Augen.

»Mich finden Sie kokett?!«

»A wo, ka Spur! Gnädige Frau haben das doch net nötig!«

»Sehn Sie, das war nun nett gesagt. Solche Komplimente – à la bonne heure

»Recht dicke?« erkundigte er sich harmlos.

»Pfui, Sie sind ungezogen! Aber das ist es ja, was auch bei Ihren Bildern ... Sich lustig machen über alles! Und bloß von seiner Wärme nichts verraten!«

»Tja, deutsches Gemüt wird zur Zeit net gekauft. Mir gehn halt mit der Mode.«

»Oh, tun Sie doch nicht so! Sie finden es nur männlicher, Ihre Gefühle zu verstecken.«

»Gefühle verstecken?« Er schlug erstaunt die Hände ineinander. »Hab' ich Ihnen meine Liebe noch net pfeilgrad' genug erklärt?«

»Oh, es genügte. So grade heraus, daß es nicht mehr war als ein Witz.«

»Wie soll ich Ihnen beweisen ...? Soll ich da auf der Stelle vor Ihnen niederknien?«

»Ich dachte, Sie gehen mit der Mode? Fußfälle sind nämlich unmodern. Aber, wenn Sie durchaus wollen, bitte! Aufheben werde ich Sie nicht.«

»So schön und doch so grausam!«

»Nicht wahr? Sie einfach so verschmachten zu lassen in Ihrer großen, großen Leidenschaft!«

»Sie werden schon sehn, wie ich verschmachte!«

»O ja; ach, tun Sie's! Ich stelle mir das entsetzlich spannend vor, wenn es nur nicht zu lange dauert. Und sonst ist ja auf Koster leider wenig los.«

»So? Die Kurkapelle soll Ihnen mein Tod aus Liebesgram ersetzen?«

»Hm, Ihre falschen Töne können wirklich dran erinnern.«

»Weil sie in Ihnen halt kein Echo wecken.«

»Nein, ich bedaure, Gwinner, diese Töne nicht.«

»Es is einmal mein Unglück, Ihnen zu mißfallen.«

»Wieso denn? Sie gefallen mir sehr gut.«

»Na, also!«

»Was: also?«

»Dann geben Sie sich bloß noch das kleine bissel Mühe!«

»Ach, Gwinner, wenn es damit getan ist, dann geben Sie sich doch die Mühe und konzentrieren Sie Ihre Leidenschaft zum Beispiel auf Ihre Frau! Der macht es sicher Freude.«

»Ah!« grunzte er ernüchtert und verdrossen. Das durfte sie wohl seine Sorge sein lassen! Und außerdem hatte sie ihn damit an etwas anderes erinnert. Seine Hand begann verstohlen nach der Westentasche zu fingern.

»Nun, Gwinner«, rief sie lachend, »nicht gleich so ein Gesicht! Ich sag' doch: Sie gefallen mir! Und wenn Ihnen mit meiner bescheidnen Freundschaft gedient ist.«

»Freundschaft!« warf er verächtlich und zugleich geistesabwesend hin. Er zeigte ihr beinah den Rücken.

»Sie müssen das nicht für so wenig halten«, entgegnete sie. »Ich bin im allgemeinen gar nicht verschwenderisch damit und wüßte manchen, der das als Auszeichnung ... Ja, aber?« so unterbrach er sich. »Was machen Sie denn da? Verzweiflung, die nach der Uhr sieht? Das ist wenigstens originell.«

»Ach nein ... Ach nix ...«, stammelte er verlegen. Ein Lächeln des Verständnisses erhellte ihr Gesicht.

»Erwarten Sie hier jemand?«

»Wer? Ich? Nein. Allerdings, ich ... Meine Frau.«

»Und ist es schon so weit?«

»N–ja, sie ... Ja. Das heißt ... Sie wollte ...«

»Dann geh' ich, Gwinner.«

»Was? Schon?« klagte er heuchlerisch.

»Nein, nein, es ist schon besser. Und wenn wir beide auch das reinste Gewissen haben; ob uns das jeder ohne weiteres glaubt?« Sie streifte ihn mit einem Blick, so voll von übermütiger Schelmerei, daß er auf einmal wieder ganz heiß und glücklich wurde. »Und schließlich«, fuhr sie fort, »hat doch auch das Geheimnis einen Reiz, selbst das Geheimnis, daß es kein Geheimnis gibt.«

»Ja, leider Gottes!« klagte er. Sie nickte ihm spitzbübisch lächelnd zu und streckte ihm die Hand entgegen: »Adieu denn, Gwinner!«

»Hach ja, so schön es war, so kurz!« rief er und preßte seine Lippen sehr fest auf ihre schmalen Finger.

»Halt! Loslassen!« rief sie. »Sie essen mich ja auf!«

»Ich bin halt ein Gourmand«, antwortete er flott, hob aber den Kopf und gab ihre Hand frei.

»Nun, wenn Sie gar so folgsam sind ...« Sie hielt den Blick ein Weilchen zaudernd gesenkt. Dann hob sie ihn schnell, sah ihm unbefangen in die Augen und fragte gleichsam nebenhinaus und sachlich: »Arbeiten Sie morgen wieder hier?«

»Punkt drei Uhr bin ich da! Sie werden kommen?«

Da wendete sie sich, bereits im Gehen, noch einmal um und zeigte in Haltung und Gesicht ein Schwanken, das, wenn es nicht kokett war, doch eine täuschend gute Imitation davon darstellte.

»Ich weiß nicht, ob ich soll.«

»Sie sollen! Bestimmt! Wenn Sie mir nicht versprechen ...!«

»Nein, bleiben Sie! Denn sonst ...« Mit einem trillernden Lachen lief sie den kleinen Pfad entlang. Doch ehe sie um den nächsten Felsen bog, reckte sie noch einmal den Arm zum Gruß empor, in einer entzückenden Bewegung wieder, und herübergeflogen kam ein Helles: »Ich weiß noch nicht. Vielleicht.«

Toni warf ihr, hingerissen, eine Kußhand nach, freilich erst, als sie es nicht mehr sah. Daß sie morgen kommen würde, darüber fühlte er sich ganz beruhigt. Er hatte ein Rendezvous! Mit dieser Frau! Er war halt ein verfluchter Schwerenöter! Jetzt aber an die Arbeit! Denn Trautchen ärgern zu wollen, lag ihm fern. Doch hatte er kaum die Palette am Daumen und dir Pinsel in den Händen, da versank er wieder in angenehme Träumereien. Er hätte juchzen mögen, so heiß und taumelig stieg's ihm zu Kopf, so jung, so einfach alles niederreißend jung fühlte er sich auf einmal wieder.

Erst ein bekannter Schritt, der hinter ihm herkam, riß ihn auf die Erde zurück. Mit wilder Eile begann er sich einen Farbenton zu mischen und sah dann, daß er ein hundsgemeines kaltes Giftgrün zusammenmanschte, bei dessen Anblick wohl eine Ratte vor Schreck hätte krepieren können.

»Nun, Vati?« sagte Trautchen. Er fuhr herum.

»Du bist es?« stammelte er mit etwas verstörten Augen.

»Nu, nu«, beruhigte sie ihn. »Du hast mich gar nicht kommen hören?«

»Nein, denk dir! Nein, ich habe ...«

»Du warst so in der Arbeit«, sagte sie befriedigt und trat vor sein Bild. »Ah! Ja!« Sie nickte lebhaft.

»Ja, ich hab' ...«, erwiderte er; doch plötzlich prallte er zurück und rief, mit einem halben Lachen auf die Leinwand deutend: »Nein aber, is das net verrückt? Wie schnell hier die Beleuchtung wechselt! Vor 'ner Minute ... Und jetzt! Nein, schau, is das net sonderbar?«

»Nu ja, jetzt gegen Abend!« sagte Trautchen sachverständig. »Und es ist wirklich Zeit. Du warst so fleißig. Man muß es auch nicht übertreiben, Vati!«

Halb komisch und halb rührend fand er sie in ihrer edeln Arglosigkeit, die ihm zugleich den letzten Stein vom Herzen nahm. Und plötzlich entluden sich die in ihm angestauten Gefühle wahrhaftig doch in einem gellenden Juhu, das lustig von den Felsen widerhallte. Sie aber verschränkte ihre Hände andächtig auf den Magen und war mit ihm zufrieden und – mit sich.

Denn hat nicht jede Frau den Mann, den sie verdient!


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