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Neuntes Kapitel. Allerhand Überraschungen

Kaltgraues Frühmorgenlicht glotzte durch das Türloch und die großen Öffnungen in dem schadhaften Rindendach, als Trautchen erwachte. Sie war sofort ganz bei sich und setzte sich auf. Ach ja, nun konnte sie nichts mehr dran ändern.

Geräuschlos verließ sie das Lager und stand und sah Toni an. Der schlief unbekümmert und gut; und von der ritterlichen Zartheit des Starken, die sie bezaubert hatte, sprach kaum noch etwas an diesem vierschrötigen Bauernburschen. Er schnarchte mit weit offnem Munde.

Schmerzlich zuckte es über Trautchens Gesicht. Aber bevor sie ins Freie hinaustrat, hob sie die Joppe auf, die ihr als Kopfkissen gedient hatte, und breitete sie, trotzdem sie selbst ein starkes Frösteln empfand, mit Sorgsamkeit über den hemdärmligen Toni. Dann bemerkte sie seinen Hut, der mitten in den schwarzen, seit Jahren erkalteten Kohlen auf dem Herde lag. Das ging ihrer Ordnungsliebe wider den Strich. Sie nahm ihn, schaute ihn mißbilligend an, blies fest darüber hin, putzte ihn sachgemäß ab und hängte ihn auf einen Holznagel neben der Tür. Ein trüber Blick noch streifte den Schläfer, sie seufzte und ging hinaus.

Mein Gott, wie es da aussah: ein Bild der Verwüstung, so recht dazu gemacht, das Echo auf ihre Stimmung zu geben.

Hinunter bis an die Tannen, hinauf bis zum Himmel nichts als zerschmetterte, entrindete, wettergraue Baumstümpfe, teilweise von Mannshöhe und darüber, umwuchert von niedrigem Gestrüpp, durch das tote Wurzeln wie Schlangen krochen, einst ein lustiger Wald, in dem die Vögel jubilierten, heute ein Trümmerfeld. Zerstört und zunichte gemacht durch den Sturm einer Nacht. Einer einzigen Nacht!

Trautchen ging ein paar Schritte und ließ sich müde auf einen glatt abgesägten Wurzelstock nieder. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und weinte herzbrechend. Aber nicht lange dauerte diese Schwäche. Sie riß ihr Tuch aus der Tasche und trocknete sich trotzig die Augen. Nein, nein, nein! Und wenn er aufwachte? Außerdem hatte das Flennen auch keinen Zweck mehr. Vorher sich's überlegen! Jetzt blieb es schon so.

Kalt war's. Sie wickelte ihre bloßen Unterarme in die verbrannte Schürze und beugte ihr Kinn in den spitzen Ausschnitt hinunter, den das Brusttuch freiließ. So saß sie, ohne sich zu rühren, und starrte mit trocknen Augen vor sich hin.

Jawohl, man soll eben seine gute Erziehung nicht vergessen! Recht hatten sie gehabt, die Leute in Crimmitschau.

O dieses München! Und dies Getu, dieser Dichterschwindel von der Liebe, daß es einem jungen Ding, das nichts wußte und nichts kannte, wahrhaftig wirr werden konnte im Hirn! Was hatte sie sich nicht alles geträumt von Poesie und Wonne und Herrlichkeit!

Würde man nur auf seine gute selige Mutter gehört haben! Ja, aber wer glaubt seiner Mutter! Die hatte es ihr oft und oft gesagt. Natürlich heirate man aus Liebe, weil es sich einmal gehöre. Und die Liebe sei selbstverständlich auch eine der Pflichten einer christlichen Gattin. Aber so richtig nett würde es in der Ehe doch erst, wenn dies Anfangsstadium vorbei sei und eine ruhigere Wärme Platz greife. Sehe man dann, daß man einen braven tüchtigen Mann habe, so verzichte man mit Vergnügen, ja, mit einer gewissen Erleichterung, auf alle die Leidenschaft, die sich eben von weitem auch entfernter ausnehme.

Heute bat Trautchen dieser grundgescheiten, erfahrnen Frau alles ab, was sie damals in ihrer dummen, grünen Romantik so bei sich gedacht hatte. Jetzt wußte sie's. Und jetzt war es zu spät! Die Ehe, gegen die war gewiß nichts zu sagen. Aber die hatte sie sich nun selber verscherzt.

Oder konnte sie glauben, daß Toni ...? Nein, nein, so sind die Männer nicht. Auch darüber hatte ihre Mutter manch kräftiges Sprüchlein gewußt. Und gar in München! Und Künstler! O nein, da brauchte sie sich nichts einzubilden.

Jedenfalls: selbst wenn er nun eine Ausnahme wäre, dann müßte er kommen! Sie wollte sich lieber die Zunge abbeißen ...! Daß sie sich auch noch lächerlich machte, da durfte er lange warten! Aber er sollte nicht etwa meinen, jetzt wäre alles in schönster Ordnung, und es ginge so weiter. Adieu, Toni! würde sie ihm in aller Ruhe sagen.

Und dann? – Sie warf den Kopf in den Nacken. Mochte geschehen, was da wollte – klein kriegen ließ sie sich nicht! Ins Wasser gehen um so was, das war nicht ihr Stil. Dazu fühlte sie sich zu gesund. Aufdringlich gesund, hatte Brita Ladurner einmal gesagt. Gut so! Sie konnte es brauchen!

 

Ein vorwitziger Sonnenstrahl traf Tonis Nase. Der schlug die Augen auf und schloß sie gleich wieder. Er wollte noch lange schlafen. Doch plötzlich verzog sich sein friedlich ausdrucksloses Gesicht zu einer Miene des Nachdenkens und der Verwunderung. Er fuhr empor und starrte mit dummen Augen auf das Stroh neben sich. Hatte er das nur geträumt? Aber wie kam er dann daher? Nein, nein, es war schon kein Traum.

Er runzelte seine Stirn und kratzte sich bedenklich hinterm Ohr. Aber er mußte doch sehen ... Vorsichtig kroch er auf den Knien an das Fußende des Lagers und spähte zur Tür hinaus. Richtig, da saß sie! Wie ein Häufchen Unglück. Genau so hatte er sich's vorgestellt. Na, wenn ihm da nicht das Standesamt drohte!

Wenn ihm gestern einmal der Schatten dieses Gedankens flüchtig durch den Kopf gelaufen war, hatte er vergnügt hinter dem verdämmernden hergesehen, als ob das nichts wäre. Gestern war aber nicht heute.

Er wollte gewiß nichts gegen Trautchen sagen. Doch um zu behaupten, daß er nun aus einmal zum Beispiel gar nicht mehr ohne sie leben könnte, hätte er sich selber glatt anlügen müssen. Gewiß war sie nett und lieb. Aber schließlich erinnerte er sich an andere, die auch nett und lieb zu ihm gewesen waren. Und von denen hatte doch nie eine so etwas Grausames wie das Heiraten von ihm verlangt. Weil sie aus Crimmitschau stammte? Das schien ihm kein genügender Grund. Außerdem konnte er nicht das mindeste für diesen, er gab es zu: betrüblichen Umstand.

Mächtig bäumte sich in Toni sein Junggesellentum. Oh, er bewahrte die stolzen Sprüche, mit denen er gerade in bezug auf Trautchen solche Möglichkeiten weit von sich gewiesen hatte, gut im Gedächtnis. Auf das hin jetzt heiraten, da müßte man doch sich und namentlich dem verdammten Theo wie ein Hanswurst vorkommen.

Aber was konnte das nützen! Sich schlafend zu stellen, war wohl kein Ausweg, wenigstens für die Dauer nicht.

Vorwärts! Und bloß die Ohren steif halten!

Er stand auf, zog sein Joppe an, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und stülpte das Hüterl verwegen auf den Hinterkopf.

Plötzlich fiel ihm etwas ein, was sein Herz sehr erleichterte: er brauchte ihr ja nur, möglichst gleich zu Anfang, klarzumachen, wie es mit seinem Reichtum stand. So auf minus fünftausend schätzte er sich immerhin ein, das umgeschriebne Konto bei Calle ganz außer Betracht gelassen.

Juchhe, er konnte ja gar keine Familie ernähren! Ein Lichtstrahl vom Himmel!

Dennoch war es eine gezwungene Flottheit, mit der er jetzt seine Fäuste in die Hosentaschen versenkte und die ihm noch von gestern im Ohr liegende Barkarole vor sich hinpfiff, während er sich im Schlenderschritt zu Trautchen begab. Sie sah sich überhaupt nicht nach ihm um.

»Grüß Gott!« sagte er laut und gab ihr einen leisen Schubs gegen die Schulter.

»Grüß Gott!« antwortete sie abwesend und saß wie eine Bildsäule.

»Gut geschlafen?« erkundigte er sich frech.

»Gar nicht.« Sie meinte jetzt in der Tat, kein Auge zugetan zu haben.

Oh, und er, der unterdessen so süß geschlummert hatte! Eine weichere Regung erwachte in ihm. Er ließ sich neben sie auf den Wurzelstock nieder und legte tröstend den Arm um ihre Schultern.

»Ach bitte nein, Toni!« Sie sagte es ohne Schroffheit, aber ihre Abwehr klang doch so bestimmt, daß er begossen aufstand und einen Schritt zurückwich.

Hilflos schaute er umher und suchte nach Worten. Plötzlich rief er wie erlöst:

»Aber! Was es da Erdbeeren hat! Wart, du kriegst welche!« Und emsig türmte er die Früchte auf ein großes grünes Blatt, mit dem er sich manierlich den Handteller zugedeckt hatte. »Da, Madel, iß!« sagte er dann und servierte ihr seine Beute.

Sie nahm sie dankend entgegen und aß die Beeren gehorsam in ihren leeren Magen herein. Er aber suchte weiter zwischen den Baumstümpfen. Dies hatte so etwas von der Stimmung wilder Urzeiten, wo starke Männer, die sich mit Gewalt und Lebensgefahr ein Weib geraubt hatten, diesem dann im Walde die Nahrung suchten. Toni mußte ernsthaft daran denken.

Freilich bestand hier wohl nicht Lebensgefahr. Aber doch Gefahr für das ganze Leben!

Und dieser Gefahr fühlte er sich im Grund von Sekunde zu Sekunde weniger gewachsen. Gerade, weil sie nichts sagte. Das war so unheimlich.

Trautchen ließ sich auch die zweite Portion Erdbeeren gefaßt überreichen. Dann aber erklärte sie, es wäre jetzt wohl am besten, zu gehen. So machten sie sich denn an den Abstieg.

Toni versuchte des öfteren ein munteres Gespräch in Gang zu bringen. Doch verpufften seine Bemühungen ohne Widerhall ins Leere. Er erklärte Trautchen ausführlich die heimische Landschaft und sagte sich im stillen, bis sie drunten wären, hätte er noch lange Zeit, von seinen trostlosen Vermögensverhältnissen zu erzählen.

Aber bergab läuft es sich verdammt schnell. Als sie schon ziemlich tief unten auf den kurzen Serpentinen neben der Schlucht waren, erspähte sein gutes Auge etwas, was wieder für zwei Minuten Gesprächstoff liefern konnte. »Moment!« rief er und stieg an den Bach hinunter. »Da!« sagte er, als er wieder den Weg betrat, und überreichte ihr eine schöne braunrosa Blüte auf hohem Stil. »Kennst das?«

»Es muß eine Lilazee sein«, antwortete sie.

»Türkenbund«, erklärte er und schritt voran.

Gott im Himmel, sollte sie nun gar noch einen Lilienstengel vor sich hertragen! Sie ließ die Blume fallen, sobald das unauffällig geschehen konnte.

Und siehe, schon hatte man das Versteck seiner sieben Zwetschgen, wie Toni das ausdrückte, erreicht. Hier wusch man sich am Bache Gesicht und Hände. Es befand sich ein Handtuch und sogar ein Stück Seife im Rucksack.

– Herrschaft! dachte nachher im Weitergehen der starke Mann förmlich entrüstet. Wenn sie doch endlich einmal eine Ruh' geben wollte!

Unter eine Ruh' geben verstand er in diesem Fall: etwas sagen. Dann würde er doch gegen einen sichtbaren Feind kämpfen. Aber sie schwieg sich aus.

Als sie zwischen die ersten Häuser des Dorfes kamen, hatte Trautchen endgültig alle Hoffnungen aufgegeben. Das bildete sie sich wenigstens ein.

Dabei aber war sein Gemüt schon einfach unangenehm weichmassiert durch ihr Taktik, die doch gar keine Taktik vorstellen sollte. Die ganze Zeit und immer noch setzte er sich wieder und wieder ein Ziel: den Heustadel da, jene Straßenecke; da wollte er ganz bestimmt anfangen, ihr seine großen Schulden und seine geringen Aussichten zu beichten. Aber er tat es nie.

Und zwar aus Furcht, sobald er den Mund öffne, möchte eine wesentlich andre Mitteilung daraus hervorgehen, nämlich der Satz: – Na, dann sei endlich wieder gut! Ich heirat' dich ja auch, wenn du mich magst!

 

Ein Gasthof breitete sich stattlich von der Straße aus.

»Jetzt trinken mir aber Kaffeeh!« rief der starke Mann, froh des neuen Themas. Und sie war einverstanden.

Wen aber erblickten sie, als sie in den angenehm schattigen Wirtsgarten traten? An einem der Tische saßen Sauerländer und Wacker. Dem Kunsthändler war gestern Calle in den Weg gelaufen. Er wußte also von Tonis Anwesenheit in Oberammergau und war deshalb geblieben. Der Maler hingegen hatte die nächtliche Fahrt mit den angeheiterten Kollegen gescheut.

»Hallo! Da kommen ja gute Bekannte!« rief Sauerländer, »Wollen Sie nicht bei uns Platz nehmen?«

»Gel ja?« sagte der starke Mann zu Trautchen, hütete sich aber wohl, ihre Antwort abzuwarten. Ihm war es nicht unlieb, daß so dem Tête-à-tête vorläufig ein Ziel gesetzt wurde. Sie begrüßten die beiden und setzten sich.

»Tät' mich doch wundern«, bemerkte Toni, »ob net auch noch mein lieber Freund Nordlind irgendwo zum Vorschein kommt.«

»Liegt oben im Bett«, berichtete Wacker, »und wartet, bis Sie ihn auslösen.«

»Soll warten, bis er schwarz wird!« war die rohe Antwort.

»Wie geht's immer, Herr Gwinner?« fragte Sauerländer.

»Zwei Kaffeeh!« befahl der starke Mann dem auserwählt schäbigen Exemplar von einem Oberkellner, das an den Tisch gelatscht kam.

»Belieben komplee?«

»Komplett, jawohl!« Und Toni wendete sich lächelnd an die andern: »Soviel kann ich mir grad' noch leisten!« Jetzt vor Zeugen wuchs ihm auf einmal der Mut, und er warf seinen Dallees ungeniert in die Debatte.

»N–no?« bemerkte Wacker zweifelnd und wollte nach den »Münchener Neuesten Nachrichten« greifen, die zusammengefaltet auf dem Tisch lagen.

»N–no?« sagte ganz unwillkürlich gleichzeitig Trautchen in dem gleichen Ton. Ihr Kummer raste jetzt offenbar weiter in die Tiefe. Dies hier war zu interessant und bot zuviel Spannungsmomente für sie. Ganz so tot, wie sie glaubte, waren die Hoffnungen also doch noch nicht.

Wacker gelangte nicht zu der Zeitung. Denn Sauerländers Hand legte sich mit gespreizten Fingern gleichsam zufällig, aber fest darauf, während er, jede andre Rede abschneidend, mit süßem Lächeln zu Toni sagte:

»Ohlala? Versteh' ich Sie recht, Meister? Kleine Verlegenheit? Aber bitte! Verfügen Sie über meine Kasse!«

Trautchen fühlte sich auf einmal sehr solidarisch mit Tom. Sie machte hastig eine Bewegung, als wolle sie ihn warnend zurückhalten.

Er aber bekam ganz runde, große Augen: Meister wurde er von diesem G'schwollschädel genannt?

»Das sagen S' bloß net zweimal, Herr Hofrat!« lachte er etwas krampfhaft.

»Hofrat sind Sie?« erkundigte sich Wacker.

»Sie werden es aber auch nie!« antwortete der Sauerländer schlagfertig und wendete sich sogleich wieder an Toni: »In allem Ernst: ich kauf' Ihren ›Bel zu Babel‹, wenn Sie mir einen Freundschaftspreis machen, privatim: für meine Frau.«

»Er will ihn ihr übers Bett hängen zum Abgewöhnen«, erläuterte Wacker.

»Ihre faulen Witze!« Der Kunsthändler zuckte die Achseln. Zu schlagenden Erwiderungen fehlte ihm jetzt die Zeit.

Trautchen war der Unterhaltung einen Augenblick nicht gefolgt. Da Sauerländer der Gewohnheit huldigte, seine Worte durch schöne Gesten eindringlich zu machen, lag die Zeitung unbehütet da. Das kluge Mädchen hatte sich diese Gelegenheit zu nutze gemacht und hatte auch schon entdeckt, was es suchte.

»Also!« sagte der Händler zu Toni. » Eccolo! Fackeln wir nicht lange! Schlagen Sie ein! Zweitausend Emm für den ›Bel‹! Hier gleich bar auf den Tisch! Ist das ein Wort?«

Der Mund des starken Mannes öffnete sich zu einer schnellen Antwort. Trautchen aber war noch viel schneller.

»Das gibt es ja gar nicht!« rief sie voll wilder Energie.

»Ja, aber warum?« fragte Toni mit einer vor betretnem Staunen vollkommen blödsinnigen Gesicht und nicht ganz frei von Unwillen.

»Weil ich gerade im Moment das da lese!« erwiderte sie lebhaft. Sie reichte ihm die »Neuesten Nachrichten« und deutete mit dem Finger auf eine Notiz.

Sauerländer hatte eine Bewegung gemacht, als wolle er ihr das Blatt aus der Hand reißen.

»Ach, und wie Sie sich da wundern!« zeterte er höhnisch. »Als ob Sie das gestern nicht auch schon gewußt hätten!«

Die Augen des starken Mannes überflogen die Zeilen. Er wurde bleich.

»Nein!« rang es sich aus seiner Kehle, »Ja, Herrgott!« jubelte er dann heraus. Er fand weiter keine Worte unter dem Ansturm der Gefühle. In ihm war ein unsinniger Taumel. Er hätte jedem Menschen etwas schenken mögen: seine Krawatte, seine Joppe, seine Uhr – wenn es sein mußte: sich selbst!

Der Händler konnte sich nicht zügeln, so wütend war er über diese unanständige Verpatzung eines eigentlich schon abgeschlossenen Geschäftes.

»Mein Fräulein!« sagte er, scharf wie ein Rasiermesser. »Hab ich vielleicht Ihnen was abkaufen wollen? Ich denke: nein! Also? Was mischen Sie sich herein? Was geht das Sie überhaupt an?«

»No, no, no, lieber Sauerländer!« Toni machte seinen Rücken sehr gerade und sah wirklich schon wie eine Nummer auf dem internationalen Kunstmarkt aus. »Gestatten Sie mal! Die Dame ist meine Braut!«

»Gratuliere, Verehrtester!« so redete Wacker nicht etwa den glücklichen Bräutigam, sondern den zerschmetterten Kunsthändler an. »Sehn Sie, es gibt doch Leute, die noch früher aufstehn!«

Inzwischen hatte sich Trautchen, die im ersten Freudenschreck ganz verwirrt gewesen war, schon vollkommen in die Lage gefunden. Sie griff unter dem Tisch zärtlich nach Tonis großer Pratze und schmetterte Sauerländer die triumphierenden Worte ins Gesicht:

»Jawohl! Und daß wir Ihnen den ›Bel‹ unter fünftausend geben – gar keine Rede!«

– Jessas! Ich bin verlobt! so sprach sich Toni ein wenig dümmlich zu seiner Seele. Aber der Gedanke, daß er daran in Zeit und Ewigkeit noch etwas ändern könnte, kam ihm nicht einmal von fern. Er sah wohl: wie seine Geschäfte, so war von nun an auch sein Leben in eine kleine, runde, starke Hand genommen, die festhielt, was sie hatte.


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