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Fünfzehntes Kapitel. Haß auf den ersten Blick

Am Morgen nach der Ankunft der wohlriechenden Huldin, wie die neue Dame auch weiter von Toni genannt wurde, zeigte dieser seiner Gattin den rechten seiner braunen Schnürstiefel, an dem die Hintere Naht aufgeplatzt war, und bekundete ihr leichthin und nebenhinaus seine Absicht, mit dem Patienten jetzt gleich auf dem Weg ins Hotel rasch einmal zum Schuster hinüberzuspringen. Trautchen fand diese Eile überflüssig, da er ja andere Schuhe genug besäße. Auch erregte es Argwohn in ihr, daß er sich auf einmal persönlich zu Gängen anbot, die er in der Regel sehr gern ihr überließ. Wäre sie nun noch davon unterrichtet gewesen, daß Toni diese Naht gestern abend selber planvoll, und sorgsam mit seinem Taschenmesser aufgetrennt hatte – na, aber dann!

Immerhin war sie hellsichtig genug, ihn freundlich bis an das Schuhmacherhäuschen zu begleiten. Und dort erlebte er die weitere Enttäuschung, daß er auch nicht den kleinsten Seitenblick in die Gemächer der schönen Frau Nordlind abschweifen lassen konnte: die landesüblichen Rouleaux aus schwarzem Glanzkattun waren tief heruntergelassen. Offenbar zählte die Dame zu den Langschläfern. Von ihren Wirtsleuten hingegen ward einem, nachdem einige Schwierigkeiten der Verständigung überwunden waren, der Aufschluß, daß der Schuhmacher vor drei Jahren nach Amerika ausgewandert sei. Am Haus hafte wohl noch der alte Beiname, aber wegen Stiefelreparaturen könne man einem zur Zeit nichts andres raten, als nach Strömstad zu reisen, wo es sogar mehr als einen Schuster gebe.

Als man dann ins Hotel kam, zeigte sich's, daß sogar die weltfremdesten Dichter, wo sich das lohnt, eine gewisse Schläue zu entwickeln vermögen. Ladurners und Danielssons saßen schon beim Kaffee, aber die Tischordnung hatte sich geändert. Die Sache war nämlich die, daß die beiden vorderen Speisezimmer von den schwedischen Strohwitwen nebst ihren Kindern bis auf den letzten Stuhl bevölkert worden. In dem kleineren dritten Raum hatten sich bisher die drei Künstlerfamilien eines ungestörten Alleinseins erfreuen dürfen. Gestern abend jedoch war hier noch für die fremde Dame gedeckt worden, am Nebentisch, den von den Männern nur Danielsson vor Augen hatte, während die beiden andern ihm den Rücken zeigten.

Darum war Philipp heute sogar früher aufgestanden und hatte entdeckt, daß seine sämtlichen Leiden hier in Schweden auf den bejammernswerten Zustand seiner Augen zurückzuführen seien. Und der wundre ihn gar nicht, weil er ja bei allen Mahlzeiten durchs Fenster immer auf den einen blendend hellen Felsen starren müsse. Danielsson würde ihm einen Gefallen tun, wenn er den Platz mit ihm tauschte. Hierauf nun war der Schwede ohne das geringste Sträuben eingegangen. Eine schöne Aussicht sagte ihm offenbar weniger als andern Leuten.

Was Wunder, daß der Dichter wie ein Sieger strahlte! Sein gestriger Vorschlag, die Fremde, die sich da einsam langweile, zur Übersiedlung an ihren Tisch einzuladen, war gescheitert, weil einmal die Damen es hier schon für sechs Personen recht eng fanden, und weil ferner Danielsson erklärte, er kenne Frau Nordlind nur flüchtig und wisse gar nicht, ob ihr solch ein Vorschlag genehm wäre. Philipp hatte diese Ausreden bei sich wenig menschenfreundlich und noch dazu ganz albern genannt. Aber da er eine gesegnet lebendige Phantasie besaß, verstand er es, sich auch aus einem unschmackhaften Kuchen süße Rosinen zu klauben. Und seit er sich gar den günstigen Platz erobert hatte, sah er die Entwicklung, welche die Sache so nehmen müßte, in dem reizvollsten romantischen Licht.

Toni hingegen war verdrießlich. Er mißgönnte dem Freunde den strategischen Erfolg. Den einzigen Trost für ihn bildete es, daß Philipps heimtückischer Schachzug diesem zunächst nicht viel nützte. Frau Nordlind blieb unsichtbar; und auch die liebevolle Ausführlichkeit, mit der sich der Dichter schon in aller Herrgottsfrühe der gestern erst leidenschaftlich geschmähten Fischkost hingab, brachte die Schöne nicht herbei. Mit restlos gestilltem Hunger, aber ungestillter Sehnsucht mußte er sich wohl oder übel gleichfalls erheben, als der allgemeine Aufbruch jedes Paar den Weg nach seinem Badestrand einschlagen ließ.

Trautchen begann, nachdem man sich von den andern getrennt hatte, lieblos Glossen über Philipp zu machen und stellte fest, daß solch ein albern verliebtes Getue einem älteren, glücklich verheirateten Mann unendlich lächerlich anstehe. Wenn sie aber geglaubt hatte, damit bei Toni auf den Busch klopfen zu können, so unterschätzte sie ihn sehr. Kaum in halben Worten und eher gelangweilt gab er zu, daß er ihr nicht unrecht geben könne, und glitt sofort mit geschmeidiger Eleganz über dies Thema weg und in ein andres hinein: er warf die Frage auf, ob es nicht gut und zweckmäßig wäre, wenn er endlich die Kiste mit dem Malgerät auspackte und hier ein wenig zu landschaften begänne, Naturstudien bloß, Material für künftige Bilder.

Wurde Trautchen schon damit ein Wunsch erfüllt, den sie nicht ohne beunruhigte Sehnsucht im Busen gewälzt hatte, so durfte sie heute noch einen anderen Grund zu manchem heimlichen Seufzer beseitigt sehen, ihr auf Koster fraglos ein wenig verwilderter Gatte war plötzlich wie ausgetauscht. Er zeigte sich ihr den ganzen Vormittag in einer so vollendeten Nettigkeit, daß sie sich kaum aus ihren ersten Ehejahren auf etwas Ähnliches besann.

Ihr wurde schwül vor dieser Fülle des Segens. In Tonis schmelzenden Manieren sah ihr Mißtrauen den Versuch, ihr Richterauge zu blenden, sich schon vor der Zeit gewissermaßen ein Alibi zu schaffen. Und hinter der plötzlich erwachten Arbeitslust witterte sie sogar finstere Pläne für Porträtsitzungen mit weiblichen Wesen, die angeblich ungeheuer nobel in der Farbe waren. Mit solchen Grübeleien trug sich Trautchen. Und Toni gab sich doch soviel Mühe!

Wirklich: den Weibern soll's einer recht machen!

 

Als sich Gwinners an diesem Tage zum Mittagessen nach dem Hotel begaben, wollte es der Zufall, daß gerade Frau Nordlind den Seitenpfad vom Schuhmacherhaus heraufkam und dann in einem Abstand von etwa dreißig Schritten vor den beiden herwandelte.

»Schau, schau: in Lila heut!« bemerkte Toni beiläufig.

»Das dritte Kleid, das ich an ihr sehe! Und seit gestern ist sie da!« gab Trautchen naserümpfend zur Antwort.

»Ja, mei! Wer's lang hat, läßt's lang hängen«, sagte er und fügte halb zerstreut hinzu: »Gute Figur übrigens ...«

»So mager!« wendete sie mit einer Sicherheit ein, als könne ihr kein Mensch ausreden, daß ihre Formen reizvoller wären. Diese Meinung teilte er nicht, aber er enthielt sich klüglich jedes Widerspruchs; vielmehr stimmte er ihr halb und halb zu:

»Tja, vielleicht ... Aber gehn tut sie schon verdammt schön.«

»Schön gehen?!« fragte Trautchen so erstaunt, als hätte sie etwas Derartiges nie im Leben gehört. »Wieso: schön gehen?«

»No ja«, erläuterte er, »wie sie halt die Haxen setzt, und wie das bis da oben mitschwingt: die ganze Linie über die Hüften zur Schulter und bis zum G'nack.«

»Komisch!« Sie lächelte säuerlich. »Ist das nicht bei jedem Menschen so?«

»Jawoll! Du wirst dich täuschen! Nein, nein, laß gut sein: die geht, und andere watscheln.«

»Wer watschelt?«

»Halt die Weiberleut'. Heißt das: die meisten«, verbesserte er sich eilig.

»Geh du mal in so einem engen Rock!« sagte sie. Doch konnte sie ihm für den Augenblick nichts mehr davon eröffnen, was sie alles an Frau Nordlind auszusetzen wüßte; denn diese war stehengeblieben, hatte sich umgedreht und sah den Eheleuten mit dem ihr eignen ungenierten Blick entgegen, ganz so, als warte sie auf sie und wolle ihnen etwas mitteilen.

Trautchen und Toni wurden dadurch innerlich ein wenig befangen: sie in einem Gefühl von Feindseligkeit, er in angenehm kitzelnder Spannung; beide aber mäßigten sie unwillkürlich ihren Schritt, als sie der Fremden nahe kamen, die ihnen da sehr bestimmt und gleichsam unverrückbar mitten im Weg stand.

»Ach, möchten Sie, bitte, vorangehn!« bat die rothaarige Frau, durchaus verbindlich, aber fest wie eine Königin, die das Befehlen gewohnt ist. Dann wechselte ihr Ausdruck unvermittelt, etwas beinah Backfischhaftes kam in ihre Haltung, als sie mit einem großen, naiven Augenaufschlag gegen Toni hinzufügte: »Ich fürcht' mich vor dem Pferd.«

So graziös leise dieser kindliche Ton angeschlagen wurde, Gwinners empfanden ihn beide mit voller Deutlichkeit. Trautchen nannte ihn bei sich gräulich affektiert und lächelte spöttisch. Auch Toni lächelte, er aber gewissermaßen gerührt über die süße Hilflosigkeit dieses zierlichen jungen Dinges. Sein innerer Mensch jedenfalls glaubte in diesem Augenblick nicht von fern an Frau Nordlinds wohlgezählte dreiunddreißig Jahre.

»Das werden mir gleich haben!« sagte er, forsch auflachend, und schritt, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, dem falben Gaul entgegen, der ein Stückchen weiter vorn quer über dem Weg stand und mit den geisterhaften Augen der Haustiere von Koster herglotzte. Eine gebieterisch scheuchende Handbewegung des starken Mannes, und schon setzte das furchterregende Tier seine grobknochigen Knickebeine mit den dicken Knien und den riesigen, haarumzotteten Hufen langsam in Marsch.

»Die Bahn ist frei!« rief Toni den beiden Frauen entgegen, sieghaften Triumph, der seiner selbst spottete, im Blick.

Trautchen glaubte eigentlich merkbar genug die Erwartung zu zeigen, daß sich die fremde Person nun wieder hübsch allein ihres Wegs trollen werde. Die aber schien das zu übersehen. Mit einer liebenswürdigen, doch gleichsam keinen Widerspruch duldenden Gebärde nötigte sie die andre zum Vortritt und schloß sich an. Als sie zu Toni gelangten, der ihnen wartend entgegensah, sagte Frau Nordlind:

»Ich danke Ihnen sehr.«

»Oh, wenn gnä' Frau mir nie schwierigere Aufträge zu geben haben ...«, wehrte er ab und schwang grüßend das Hütchen.

»Ich erscheine Ihnen wohl ein bißchen komisch mit meiner Angst?« fragte sie und zeigte wieder jene entzückend kindliche Miene.

»Sehr gefährlich ist das altersschwache Pferd ja vielleicht nicht«, stellte Trautchen mit Ruhe fest.

»No?« meinte Toni. »Menschen wird der Gaul ja kaum schon g'fressen haben; aber, das is schon richtig, er hat was von einem Gespenst.«

»Ja, nicht wahr?« rief Frau Nordlind, ordentlich dankbar.

»Im Traum kann er einem vorkommen«, nickte er und fügte scherzhaft hinzu: »Ich selber hätt' am End' auch net so viel Schneid' gegen das Ungeheuer, wenn es net solch ein alter Bekannter wär'.«

»Sie kommen öfter nach Koster?« erkundigte sie sich, ausfallend lebhaft, schien es.

»Nein, nein, den Häuter kenn ich schon wo anders her. Sie übrigens auch, gnä' Frau.« Toni blinzelte sie schalkhaft an.

»Wie? Ich versteh' nicht?«

»No, schau'n S' doch 'nüber! Seh'n S' es denn net? Das is doch der mit Recht so beliebte Gaul, der zuerscht in dem Böcklin seinem ›Abenteuer‹ aufgetaucht is und dann nachher in der deutschen Kunst soviel Junge gekriegt hat. Jetzt kommt die Reih' also an mich, ihn zu verzapfen.«

»Ach, so ein abgedroschenes Motiv!« wendete Trautchen ein.

»Aber wieso?« widersprach er. »Ich mal' ihn doch als der erste nach der Natur.«

»Sehr gut!« Frau Nordlind lachte kurz auf.

»Du stürzt dich aber heute in Unkosten!« bemerkte Trautchen beißend.

Dies überhörte Toni.

»Übrigens«, sagte er unvermittelt und lüpfte den Hut gegen die rothaarige Schöne, »Gwinner is mein Name.«

»Ich weiß, ja, gewiß. Ich bin Frau Nordlind, Bengt Nordlinds Tochter!«

»Respekt!« Er verneigte sich. »Meine Frau«, so stellte er dann vor; und die beiden Damen senkten formell die Nasen.

Ein kurzes, etwas peinliches Schweigen stand für einen Augenblick zwischen den dreien. Dann begann Frau Nordlind wieder:

»Ja, ja, natürlich: Toni Gwinner. Ich kenne ihre Bilder.«

Diese gewiß recht gut gemeinten Worte reizten Trautchen. Und wenn die da seine Bilder schon kannte! Arrogante Pute, die!

»Ihr Herr Gemahl wird ja auch an manchem davon hübsch was verdient haben!« gab die mollige Professorin ungemütlich zurück und ließ zwei Augen voll betonter Harmlosigkeit irgendwohin in die Ferne schweifen. Die andere blickte sie mitleidig von ihrer Höhe an.

»Baginsky?« warf sie kühl und gleichsam zerstreut hin »Ja, ich war mit ihm verheiratet. Aber seine Geschäfte haben mich nie interessiert.« Und ohne eine Pause dazwischen zu machen, fuhr sie, zu Toni gewendet, fort: »Welch ein eigentümlicher Vornamen, den Sie haben! Wissen Sie, daß ich Sie im Anfang für eine Dame hielt?«

»Seine Bilder haben ja so etwas eminent Weibliches!« Trautchen fauchte ihr das beinah ins Gesicht.

»Hoffentlich kann ich der gnä' Frau jetzt beweisen, daß ich ein Mann bin«, rumpelte es Toni heraus. Erst das heiter vorwurfsvolle Erschrecken, das in ihrem Gesicht aufblitzte, machte ihm die Ungeschicklichkeit seiner Ausdrucksweife klar. »Pardon, ich meinte ...«, so verbesserte er sich etwas verwirrt. Dabei fühlte er sich aber doch als ein ganz verfluchter Kerl.

»Nun«, sagte sie leichthin, »Sie reden ja keck, für einen Deutschen!« Plötzlich jedoch wandelte sich ihr Ausdruck zu hochmütiger Strenge, und kühl verweisend fügte sie hinzu: »Ich hoffe aber nicht, Sie meinen ...«

»Oh, Frau Nordlind«, so schnitt ihr Trautchen mit überlegner Ironie das Wort ab, »da dürfen Sie ganz beruhigt sein. Was mein Mann so dahersagt ... Sie suchen wirklich zu viel dahinter.«

Dieses nun war für die andre ein Anlaß, sich wieder zurückzuverwandeln. Bloß neckisch vorwurfsvoll noch war ihr Ton, als sie, zum starken Mann gewendet, lächelnd weitersprach:

»Und gleich im ersten Moment der Bekanntschaft!«

»Ach, ich kenn' Sie ja schon so lang', gnä' Frau!« rief Toni wie erlöst, höchst befriedigt davon, daß ihm ein neues Thema einfiel.

»Wie?« fragte sie verblüfft.

»Jawohl. Par renommée, heißt das.« Ungeheuer schlau schielte er zu ihr hinüber.

» Par reno ...? Aber ich versteh' nicht?«

»Ja, gnä' Frau, es hat mir halt ein gewisser Jemand jo begeisterte Hymnen auf Sie vorgesungen ...«

»Wie?! Was?! Danielsson?!« fragte Trautchen heuchlerisch erstaunt, mit jener instinktiv ahnungsvollen Bosheit, die dem weiblichen Geschlecht ja im Bedarfsfall zur Verfügung steht.

»Aber ich weiß wirklich nicht ...« Eine schneidende Schärfe klang in Frau Nordlinds Stimme.

»No ja«, erklärte Toni pfiffig, »ein gewisser Herr Carl Nordlind.«

»Was? Calle?!«

»Eben derselbe.«

»Sie kennen meinen Bruder?«

»O ja, sind recht gute Freunde gewesen. Is freilich schon eine Zeit her.«

»Aber wo denn? Wie denn?«

»Vor Jahren in München.«

»O ja, o ja! Das war, als ich heiraten sollte.«

»Ganz recht, gnä' Frau. Zu Ihrer Hochzeit is er plötzlich fort. Und nachher kein Wort mehr, net einmal eine Ansichtskarte.«

»Oh, Calle!« sagte sie, als wundre sie das nicht im geringsten. »Er ist ja, ich weiß wirklich nicht, wie er zu uns kommt, der faulste, unzuverlässigste Mensch in der ganzen Welt.«

Trautchen schmunzelte giftig in sich herein. Jawohl, da erkannte sie die ganze lächerliche Einbildung der Kinder dieses großen Vaters wieder. Wenn einem Nordlind keine positiven Eigenschaften nachzurühmen waren, so mußten zum mindesten seine negativen ins Gigantische gehen. Der Faulste in der ganzen Welt; weiter nichts!

»Er soll jetzt ja verheiratet sein?« so spann Toni den Faden fort.

»Ja. Mit der Frau verkehr' ich nicht. Sie ist unmöglich. Aber das reichste Mädchen von Schweden.«

– Warum nicht auch von der ganzen Welt? fragte Trautchen höhnisch bei sich selber. Und durch ähnlich bösartige geheime Glossen tröstete sie sich auch des weiteren halbwegs über den Ärger hinweg, mit dem sie anhören mußte, wie lebhaft ihr Mann und diese Person sich Schwänke aus dem Leben Calles erzählten. Toni sprühte ordentlich von guten Bemerkungen und leicht gefundenen Witzen.

Überraschend schnell nach seinem, unerträglich langsam nach Trautchens Gefühl, hatte man den Platz vor dem Hotel erreicht. Hier blieb Frau Nordlind stehen und streckte ihm die Hand hin:

»Ja, also!«

Obgleich er das sonst in Trautchens Beisein nicht in der Mode hatte, küßte er diese Hand, die ihm allerdings ziemlich suggestiv gegen die Lippen gehoben wurde, eine, wie er genießerisch feststellen konnte, auffallend schöne, gepflegte, sehr weiße Hand, deren adeligen Form nicht einmal die vielen funkelnden Ringe Abbruch taten.

»Gnä' Frau!« sagte er etwas atemlos und dienerte höflich.

»Hier müssen wir uns wohl trennen. Schade!« fügte sie schmeichelhaft hinzu und schenkte ihm einen ihrer vollen, schelmischen Kinderblicke. Das begeisterte ihn so, daß er kühn alle Vorsicht gegenüber der Gattin vergaß.

»Aber warum, gnä' Frau? Kommen S' doch mit an unsern Tisch!«

»Bei der Enge!« bemerkte Trautchen.

»Ach nein, ich möchte lieber nicht«, erklärte die Schwedin.

»Sie sitzen da gar so verlassen, gnä' Frau!«

»Aber quäl doch Frau Nordlind nicht, Vati! Sie muß ja selber wissen!« mahnte Trautchen. Die Anrede Vati in diesem Augenblick wurmte den starken Mann schandbar und stachelte ihn erst richtig zum Trotz an. Dringlich fuhr er fort:

»Und schau'n S', gnä' Frau, den Danielsson kennen S' doch auch schon!«

»Ja, eben! Denn er hat da eine Person bei sich ...«

»Die Fröken Kajsa? Aber die is sehr nett.«

»Gefällt sie Ihnen? Ich kenne sie nicht, natürlich. Vielleicht, daß sie in München anders denken über solche Damen.«

»Ach, in Berlin gibt es das gar nicht?« fragte Trautchen spitzig.

»Berlin ist mir sehr wenig maßgebend«, erklärte die andre mit eisigem Hochmut. »Ich weiß nur, welchen Verkehr ich für mich passend finde.«

»Bitte, bitte!« entgegnete Trautchen, maliziös begütigend. Toni machte ein leicht überraschtes Gesicht:

»Sie sind aber streng, gnä' Frau!«

»Es muß jeder danach gehen, was sein Gefühl für Sauberkeit ihm vorschreibt.« Sie zeigte ein Gesicht von so tugendstolzer Selbstsicherheit, daß Trautchen mit aller Gewalt an sich zu halten genötigt war. Hätte sie nur ein Wort durch ihre Zähne gelassen, so wäre sie dieser Dame sicherlich grob gekommen. Und die schien so etwas zu ahnen. Jedenfalls sagte sie Abschied nehmend:

»Nun, einerlei! Ich will jetzt aber ...«

Da jede der Frauen lauerte, ob die andre zuerst Anstalt machen würde, ihr die Hand zu reichen, kam es wieder nur zu einer auch diesmal recht steifen Verneigung. Toni hingegen erhielt noch einen netten und vertrauten Scheideblick, der ihn aufs neue in solch einen Taumel versetzte, da er der schönen Frau nachrief:

»Aber wir ... Hoffentlich öfter das Vergnügen!« Und in einem verunglückten Versuch, spaßhaft zu sein, fügte er hinzu: »Denn wir, da können Sie ganz beruhigt sein, wir sind verheiratet.«

Sie drehte sich in der Tür um, ein Lächeln kräuselte ihre Lippen.

»Oh, das hab' ich nicht einen Moment bezweifelt«, sagte sie und maß Trautchen unter halb geschlossenen Lidern hervor mit einem Blick, den diese impertinent fand.

Toni starrte auf die Tür, die hinter der Schwedin zugefallen war, und zog ein ehrlich dummes Gesicht.

»Und du, und du!« So wurde er nun im Flüsterton angeherrscht. »Und das läßt du deiner Frau bieten, von so einer!«

»Ja, aber Schnucksi!« stammelte er erschrocken. »Was hast denn? Und was hat sie denn schließlich gesagt? Daß sie dich eh für kein Matschackerl gehalten hat. Is das eine Beleidigung?«

»Aha! Also du weißt genau!« Sie lachte bitter auf. »Und dazu hat man einen Mann!«

»Schnucksi, was bist denn so aufgeregt?« bettelte er wie ein ertappter Schulbub und schob zaghaft seine Hand in ihren Arm. Mit einer energischen Wendung des Oberkörpers vereitelte sie diesen Versuch zu unzeitgemäßer Zärtlichkeit.

»Ich bin nicht aufgeregt!« zischte sie wütend. Doch im gleichen Augenblick entspannten sich ihre Züge. Überraschend quick schaute sie um sich. Man hatte das vorderste Speisezimmer betreten und war somit im Kreuzfeuer der zwölf neugierigen Augen von sechs schwedischen Strohwitwen. Und die brauchten nichts zu merken. So glücklich wie diese semmelblonden Kühe war Trautchen noch lange!

 

Es wollte und wollte sich heute beim Essen nicht das lebhafte Geplauder von sonst anspinnen. Trautchens empörter Gram war es, der sich jedermann wie Meltau auf die Stimmung legte, den andern vielleicht unbewußt, sehr bewußt dem Sünder Toni. Das heißt: Sünder? Was hatte er denn verbrochen? Einer fremden Dame ein paar höfliche Redensarten gedrechselt; es war ja zu dumm! Aber was half es: sein getreues Weib brauchte nur eine gewisse verstockte Leidensmiene aufzusetzen, und schon fühlte sich sein kränkliches Gewissen schuldig, schon war die überlegene Wurstigkeit, in die er sich hier auf Koster süß hineingeträumt hatte, beim Teufel, niedergeglitten nach allen Regeln der Kunst. Stumm und ingrimmig futterte er in sich herein; nicht einmal Philipps regsames Liebäugeln zu der rothaarigen Schönen hinüber konnte dem starken Manne mehr als hier und da ein flüchtiges Lächeln der Ironie entlocken. Es war, mit einem Wort, fad, und alles fühlte sich erleichtert, als die Tafel aufgehoben wurde.

Toni wollte gerade das Zimmer verlassen, da hielt ihn ein Zuruf von Frau Nordlind auf:

»Ach Pardon, Gwinner, einen Moment!«

Er flog nur so herum, und an seine Seite stellte sich Trautchen. Das interessierte sie doch. Übrigens fand sie, daß die Person, wenn sie was von ihrem Mann wollte, ruhig Herr Professor sagen dürfte. Ungerufen kehrte noch jemand um: Philipp, der jetzt den Vorsprung wettzumachen dachte, den Toni der persönlichen Bekanntschaft mit der Dame verdankte. Zögernden Schrittes pirschte er sich heran.

»Sie haben so einen schönen Badestrand«, begann Frau Nordlind.

Trautchen setzte sich sofort auf die Hinterbeine:

»Ja, aber da sind wir doch schon seit Wochen!«

»O bitte, gnädige Frau, mir liegt nichts ferner ... Ich meinte nur: da Sie am Morgen baden und ich den Nachmittag vorziehe ...«

»Selbstverständlich steht Ihnen der Strand zur Verfügung«, erklärte Toni chevaleresk.

»Oder«, so mischte sich auf einmal der Poet ein, »wenn Sie vielleicht an unsern Platz wollen? Er stößt gleich an den andern. Und er ist auch sehr schön.«

Frau Nordlind musterte den fremden Herrn erstaunt.

»Danke«, entgegnete sie kühl.

»Toni, willst du mich nicht vorstellen?« mahnte Philipp.

»Herr Ladurner«, murmelte Toni mit einer nachlässig präsentierenden Handbewegung. Sie nickte flüchtig, hatte also offenbar keine Ahnung, wen sie da kennenlernte.

»Philipp Ladurner!« betonte darum der Dichter.

»Ach so? Ja, Sie malen auch?« sagte sie.

»Aber nein!« rief Philipp, fast entsetzt, mit einem Auflachen.

»Er schreibt gewohnheitsmäßig Bücher«, erläuterte der starke Mann.

»So? Ich dachte ...« sagte Frau Nordlind kurz und wendete sich dann, lebhafter, an Trautchen: »Ich darf also Ihren Strand benutzen?«

»Bitte sehr!« erwiderte sie gleichgültig. »Wir haben ihn ja nicht gepachtet. Und nachmittags, wo wir nicht da sind ...«

Philipp hatte inzwischen an seiner Enttäuschung und seinem Ärger über Toms Maler-Größenwahn gekaut. Da plötzlich brachte ihn etwas auf andre Gedanken: Brita erschien nämlich draußen in der Tür, um nachzusehen, wo er eigentlich bleibe.

»Ach Brita, einen Augenblick!« Er winkte ihr; und während sie durch die zwei vorderen Zimmer heranschritt, sagte er eifrig: »Gnädige Frau, Sie und meine Frau – wissen Sie auch, daß Sie alte Bekannte sind?«

»Ich?« fragte die Schwedin. »O nein, das muß ein Irrtum sein.«

»Doch! Früher, in Falun. Meine Frau hat viel in Ihrem Elternhaus verkehrt. Sie war eine Schulfreundin Ihrer Schwester, Brita Palmquist.«

»Ach so? Schulfreundinnen von Ellen? – Ja, da sind verschienene gekommen. Palmquist? Nein, ich weiß wirklich nicht.« Recht hochmütig brachte sie das hervor. Und sehr viel anders war auch der Ton nicht, den sie dann gegen Brita selbst anschlug.

Philipp schien der Meinung zu sein, daß diese Steifheit sich bald heben würde, wenn man jetzt zusammen den Kaffee nähme. Aber seine Einladung dazu wurde von Frau Nordlind knapp abgelehnt, mit einem Gesicht, als müsse sie solch eine Zumutung recht merkwürdig finden. Und gleich darauf empfahl sie sich in nicht eben schmeichelhafter Eile; nur auf Toni ruhte ihr Blick etwas länger, und gegen ihn senkten sich ihre Lider flüchtig zu einem Gruß voll geheimen Einverständnisses. Wie sich da der starke Mann aber als Sieger fühlte! Bloß leid tun konnte er ihm, der Poesiedichter auf seinem Platz mit der schönen Aussicht.

Philipp jedoch schien mit seinem Erfolg bescheidenerweise soweit ganz zufrieden zu sein. Wenigstens sagte er, als sie nun hinter ihren Gemahlinnen her gleichfalls ins Freie gingen, begeistert:

»Mensch, ist die Frau schön!«

»Aber ungebildet«, entgegnete Toni. »Net einmal deine Bücher gelesen!«

»Ja.« Der Poet lachte auf. »Das war wirklich naiv. Mich für einen Maler zu halten! Du, Brita!« rief er. »Du mußt heute abend Frau Nordlind mein letztes Gedichtbuch bringen.«

»Da wird sich Brita schönstens bedanken!« stieß Trautchen mit feindseligem Hohn hervor.

»Wenn ich sie darum bitte?!« fragte Philipp befremdet.

»Gewiß, natürlich, wie du willst! Und wenn du meinst ...«, so beeilte sich Brita ihn zu beruhigen.

Inzwischen hatte man sich dem Siestaplatz genähert.

»Nun? Sie sind schon bekannt geblieben mit Frau Nordlind?« rief Danielsson ihnen entgegen.

»Eine angenehme Bekanntschaft!« sagte Trautchen schneidend und ließ sich neben Fräulein Kajsa nieder. Der Schwede lächelte.

»So ist sie nicht in Ihrem Geschmack?«

Sie gab ihm keine Antwort, sondern wendete sich an Brita.

»Sag' mal: zu dir war sie doch auch so frech?«

»Frech? Ach nein: frech? Aber ich finde: es kommt einem kein Gefühl von ihr entgegen.«

»Soll sie dir vielleicht gleich um den Hals fallen?« fragte Philipp geärgert. »Als eine Wildfremde! Sie erinnert sich eben nicht mehr an dich; entschuldige schon!«

Trautchen lachte mitleidig auf.

»Und diesen Schwindel glaubst du?! No ja du findest sie ja sogar naiv, hast du vorhin behauptet!«

»Naiv?« warf Danielsson dazwischen. »O ja, in einer Hinsicht sind es Bengt Nordlinds Kinder alle.«

»Im Größenwahn, jawohl!« bestätigte Trautchen energisch.

»Wie ihr Frauen schnell fertig seid mit einem Urteil!« entgegnete der Dichter tadelnd.

»Nun, Gwinner, und was sagen Sie?« fragte der Schwede.

»Ich?« fragte Toni fast übertrieben gleichgültig zurück. »So viel hab' ich wirklich noch net nachgedacht über sie. Die Dame is mir ziemlich wurscht.«

Man sah es Trautchen an, daß sie das gern hörte. Aber dennoch bemerkte sie spitz:

»Ich denk': sie geht so schön?«

»No ja? Und dann?« erwiderte der starke Mann

»Von vollendeter Grazie ist sie!« erklärte Philipp.

»Ich hab' schon öfter gefunden«, wendete Brita ein, »daß die Menschen, welche sich so schön bewegen, im Innern kühl sind.«

»Wie Wellen geht es durch ihren Körper!« schwärmte der Dichter. »Wie eine Nixe ist sie!«

»Und Nixen haben bekanntlich keine Seele!« triumphierte Trautchen.

»Das wird sich alles zeigen!« sagte Philipp mit einer vertröstenden Handbewegung.

»Ja, laß dir ihre Seele zeigen!« spöttelte der starke Mann.

»Ach Toni, du mit deinen ...! Sag selbst: ist sie nicht schön? Gerade du als Maler! Zu ihrem roten Haar der schneeweiße Teint!«

»Ja, und der Puder: fingerdick!« lachte Trautchen mit Behagen.

»Gepudert war sie deutlich«, räumte Toni ein, nicht weil er etwas davon bemerkt hätte, sondern nur, um sein gestrenges Weib in Sorglosigkeit zu wiegen. Und er tat noch ein übriges und fügte heuchlerisch hinzu: »Auch die Haarfarb'; wieviel von der sie ihrem Friseur verdankt, nix Gewisses weiß man nie.«

»Nein, nein«, widersprach Danielsson, »das nicht! Die Farbe von ihre Haaren, die ist ekt.«

»Soll sie echt sein!« sagte Trautchen. »Warum auch nicht? Wir haben bei uns ein Sprichwort: Rote Haar' und Erlenhecken wachsen auf kei'm guten Flecken.«

»Hahüh, ein Moosbacher!« jauchzte Toni. »Das wird der Fröken Kajsa schmeicheln! Das müssen S' ihr gleich auf schwedisch ausdeutschen!«

Und dies tat Danielsson voll innigen Vergnügens, während die erschrockene Professorin sich mit hastigen Worten herauszuwinden trachtete. Die rote Kajsa aber legte beruhigend die Hand auf die ihre und nickte ihr lachend zu.

Derweil nahm der Schwede die andre Hand seiner Liebsten zwischen seine beiden und schüttelte sie mit leiser Herzhaftigkeit. Sonderbar, was für ein zärtliches Getu bei denen Mode wurde neuerdings!


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