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Sechstes Kapitel. Toni sammelt Erfahrungen

Als Toni mit seinem »Raub der Proserpina« so weit gekommen war, daß jeder neue Strich nur dazu diente, dem Bilde wieder etwas von seiner Frische zu rauben, kratzte er seine Palette ab, wusch die Pinsel fein sauber und fand, er hätte genug getan, um ein Anrecht auf mindestens halbjährige Erholung zu haben, und dürfte nun, die Hände im Schoß, des Goldregens harren, der sich in allernächster Zeit – dies war eigentlich verflucht notwendig – über ihn ergießen würde. Da es jedoch fürs erste gar nicht nach solchen Niederschlägen aussehen wollte, schien es Toni zweckmäßig, gelinde nachzuhelfen.

Mag sein, daß er einmal vom Wetterschießen als einem Mittel zur Beschleunigung des himmlischen Segens gehört hatte, jedenfalls nahm er seine Zuflucht zu einer großen Kanone, nämlich zu seinem ehemaligen Lehrer an der Akademie, dem Professor Dr. h. c. Ernst Ritter von Staudacher, einem immer noch sprichwörtlich schönen Manne, wobei der Ton allerdings bereits mehr auf dem »sprichwörtlich« zu liegen hatte. Pflegt einem doch der Ruf der Schönheit länger treu zu bleiben als dieses Göttergeschenk selbst, das sich im Lauf von gut fünfzig Jahren leicht ein wenig abschleißt. Aber in der gleichen Zeit hatte es der Staudacher Ernstl durch einfaches Pinselfechten vom armen Häuslerssohn bis zum Range einer europäischen und transatlantischen Nummer und ferner zu einem auch geschäftlich sehr dekorativ wirkenden Palais an der Leopoldstraße gebracht. Das sind Realitäten, die einen Philosophen selbst über den Verlust seiner Locken hinwegzutrösten geeignet sind. Und außerdem schuf dieser große Mann neben anderm sehr häufig Selbstporträts, was nach einer alten Erfahrung ein treffliches Mittel ist, auch seine entschwundenen Schönheiten immer noch deutlich zu sehen. Denn was er nicht sieht, kann ein richtiger Künstler unmöglich malen.

Lügen müßte man, wollte man behaupten, es wäre Toni vor dem Siegestor ein begeisterter Empfang zuteil geworden. Im Gegenteil: die Begrüßung sah einer Standpauke täuschend ähnlich.

Rund und plastisch als einen Saustall bezeichnet der Meister es, wie stinkfaul Toni wäre. Von ihm hätte man doch etwas mehr verlangen können als von der übrigen Trottelbagasch'. Ja, Pfeifendeckel! Wenn einmal heutzutag' einer ein bissel Talent hätte, müsse er es natürlich verlumpen und verludern!

Der also Gerüffelte kam einfach nicht zu Worte. Es eilte ihm aber auch nicht weiter damit. Vor Wohlbehagen still in sich hereingrinsend, ließ er das Hagelwetter auf sich losrasseln und auch die dicksten Schlossen schlank von seinem ausnahmsweise sehr guten Gewissen abprallen. Das war ja grad' lustig: je wilder der Ernstl schimpfte, ein um so dümmeres Gesicht würde er nachher schneiden.

Nur damit sich Tonis Schwärze recht wirksam von einem hellen Hintergrund abhebe, begann der Meister nun von sich selber zu sprechen. Ob er denn vielleicht nicht arbeite? Ob er, der doch vermutlich eher in der Lage dazu wäre, sich auf die faule Haut gelegt hätte nach seinen Erfolgen?

Der Schüler wies durch ein bewunderndes Murmeln jeden solchen Irrwahn weit von sich. Ganz, ganz verstohlen nur bezeigten seine schwarzen Augen den beiden angefangenen Damenporträts, die Staudacher auf der Staffelei hatte, eine tiefe Verachtung.

Aber mochten das tausendmal wenig erbauliche Kunstwerke sein, und mochten sie dem »Raub der Proserpina« nicht entfernt das Wasser reichen, Toni war doch im Unrecht: ein Anfänger kann gar nicht genug malen; der fertige Maler malt, wie er will, irgendein Kunsthändler bezahlt es doch.

Andrerseits war es vielleicht nicht nur Idealismus, was Staudacher so einen Abscheu vor der Faulheit einjagte. Mit der Größe eines Porträtisten wachsen seine Spesen; und was ein Palais mit Ateliers an Hypotheken tragen kann, ohne in den Boden zu sinken, ist manchmal überraschend.

Endlich schien der Gestrenge ein Atemholen nötig zu haben. Er fragte, als fiele das ihm selber plötzlich auf:

»Sie finden mich vielleicht grob?«

»Och, das will ich net grad' bestreiten«, gab Toni schmunzelnd zu.

»Also, schön! Aber wenn das net wahr is, dann zeigen S' mir doch freundlichst ein einziges Mal was halbwegs Gescheites, was Sie gemacht haben!« Siegesgewiß und voll Ironie sah der große Mann seinen Schüler von oben herab an.

Doch auch dieser wuchs auf einmal förmlich aus den Hüften empor und knallte in eleganter Heiterkeit seinen Trumpf auf den Tisch der Debatte:

»Herr Professor, das is nämlich der Zweck meines Besuches.«

»Wa–as?« Dies Wort reckte sich vor ungläubigem Staunen. »Sie haben etwas gemacht?«

»Ja«, entgegnete der Oberammergauer schlicht.

»Also, gestatten Sie mir schon die Frage: was haben S' denn nachher gemacht?«

»Ein Bild.«

»No ja: daß es kein Schweizerkäs sein wird, hab' ich mir eh denkt! Vorwärts! Herzeigen! Wo haben S' denn?«

»Da hab' ich's natürlich net,« Toni hielt zum Beweise dessen seine leeren Hände her.

Der andre pfiff verständnisvoll durch die Zähne, kniff ein Auge zu und musterte seinen Schüler von der Seite.

»Es hat sechs Quadratmeter«, erklärte Toni.

»Bloß?« klang es, etwas trocken, zurück. »So? Na ja ... Und, net wahr, Gwinner, für so ein großes Bild, da haben S' natürlich viel Auslagen gehabt, und ...«

»Das freilich auch.«

»Und da liegt Ihnen jetzt dran ...?«

»Jawohl, jawohl!« Toni nickte eifrig. Der Ernstl, auf den ließ er nix kommen! Der kannte sich aus! Auf den durfte man sich verlassen!

Aber zu seiner Überraschung griff Staudacher in den Hosensack, ließ dort ein wohlsituiertes Klimpern entstehen, holte eine Handvoll Geld hervor, entklaubte dieser ein Zwanzigmarkstück und überreichte es seinem vertrauensvollen Jünger.

»So! Mehr hab' ich selber net und so weiter«, log er frivol, während die anderen Münzen mit prahlerischem Geschepper wieder in ihr Versteck rieselten.

Mit zweifelnden Blicken musterte Toni die Doppelkrone auf seinem Handteller.

»Ja, aber!« stotterte er dann und machte ein Gesicht, mindestens so dumm, wie er es sich vorhin von seinem Meister erwartet hatte.

»Schieben S' es ein, schieben S' es ein!« riet ihm der. »Es wird nämlich net mehr! Das is einmal mein Satz. Und wenn man da net seine Prinzipien hätt' – müssen ja selber sagen: wo käm man hin!«

»Ja aber, Herr Professor!«

»Gwinner, das braucht's doch net, das Theater. Schieben S' es ein! Zwanzig Mark sind zwanzig Mark.«

Das ließ sich nur schwer bestreiten. Und wenn man den gleichen Betrag auf der Straße findet, hebt man ihn auch auf.

»Dank' schön, Herr Professor!«: sagte Toni. »Deswegen bin ich zwar net kommen.«

»Weiß schon, weiß schon. Kann es mir denken. Aber, lieber Gwinner ...« Das klang wie die Einleitung zu einem Adieu.

»Und wie ich mein Bild verkauf', Herr Professor, zahl' ich's sofort retour!«

»Hat ja Zeit, hat ja Zeit, Gwinner! Aber ich, leider ... Jede Minute muß sie zur Sitzung kommen, die Prinzessin Dingskirchen, die Orloff, vom russischen Ministerpräsidenten die Tochter. Also, Gwinner, hat mich gefreut.« Eine hastige Hand streckte sich Toni entgegen.

»Ja aber, Herr Professor«, stammelte der verdutzt, »mein Bild!«

»Was für ein Bild denn? – Ach, Sie haben wirklich was gemalt?«

»Aber was glauben Herr Professor von mir!« Tonis Stimme zitterte vor tiefgekränkter Unschuld.

»Zerreißen S' Ihnen net, Gwinner!« so beruhigte ihn der Meister. »Junge Leut'! Ich hab's auch net anderst gemacht damals.«

»Mein Ehrenwort, Herr Professor!«

»No alsdann! Freut mich ja um so mehr!«

»Und da hätt' ich halt gemeint, ob Herr Professor net einmal kommen wollen und es anschaun?«

»Ich? Ja, Gwinner, wo denken Sie hin! Wissen Sie, was ich zu tun hab'? Die Arbeit, das wär' ja noch das wenigste, aber die Repräsentationspflichten, die unsereins hat! Himmel Herrgott, da fällt mir was ein! Da hab' ich doch wieder was verschwitzt! Der König von Schweden hat mir den Nordsternorden verliehn, schon vor vierzehn Tag', und ich hab' mich noch net bedankt! Teufel, das is aber unangenehm! Ein schöner Orden, der Nordsternorden, und wird selten verliehn, an Künstler schon gar! Daß ich nix auf Orden gib', können Sie sich leicht denken, aber er, der König, hat mir doch eine Freud' machen wollen. Zu dumm! Was denkt sich der Mann nun von mir! Ich mein': daß ich wenigstens so tu, das kann er von mir einfach verlangen. Net wahr?«

Toni nickte mechanisch.

»Also, was haben S' dann dagege, daß ich mich bedank'?« fragte der Meister, plötzlich nicht ganz frei von Gereiztheit.

»Ich?« Die Augen des starken Mannes suchten hilflos erstaunt im Zimmer umher. Mein Gott, wo sollte er so etwas auch nur angedeutet haben? Er würde sich schwer hüten!

»Vollkommen recht haben Sie, Herr Professor!« beeilte er sich zu versichern und fügte schnell hinzu: »Aber wär's net vielleicht doch möglich, daß Sie mein Bild ansehn?«

»Gwinner, was hätten S' denn davon! Vom Anschaun wird es auch net besser. Hab' ich recht oder net? Schicken S' es uns nur, wenn's so weit is, für die Internationale. Wollen versuchen, was sich tun läßt für Sie. Vielleicht is grad' heuer die Konjunktur net amal schlecht. Sie machen ja solch ein blödes Geschrei, die Deppen von Zeitungsschmieranten: wir von der Sezession, wir sollen keine neuen Leut' aufkommen lassen! Daß ich net lach'! Woher nehmen und net stehlen? Zu unserer Zeit, was gab's da für Kerle! – Heut! Uijeh, mir wird übel! Also, Gwinner, sagen S' doch selber: wissen S' mir einen einzigen von dem sogenannten Nachwuchs, der wirklich was kann?«

»Doch! Ja! Gewiß!« sagte Toni keck.

»Also, drei Tag' weit reis' ich, um den zu finden! Grad' daß die Schmieranten seh'n, wer mir sind!«

»Braucht's keine drei Tag', Herr Professor! Es langt eine halbe Stund'!«

»Wa–as?«

»Mein Atelier is keine zehn Minuten von da.«

»Hoho! Stolz lieb' ich mir den Spanier! Nein, Gwinner, ich hab' wirklich keine Zeit. Im Ernst: drei Tag' erübrigen sich oft leichter als wie eine halbe Stund'. Aber schicken S' uns dann nur Ihr Bild! Ich bin in der Jury. Freilich: sechs Quadratmeter! Mensch, warum net gleich sechzig? – Werden uns hart tun. Aber schicken S' es doch! Wollen schau'n! Wenn ich's bloß halb so gut find' wie Sie selber ...«

»Dank' schön, Herr Professor; und das is ganz recht, aber ...«

»Was denn: aber?«

Nun schoß Toni endlich mit seinem wahren Anliegen hervor: er hätte sich halt gedacht, der Herr Professor – wenn er die Sache gut fände, natürlich – könnte ihm vielleicht ein paar empfehlende Worte an Sauerländer telephonieren.

Das war denn nun ein starkes Stück von Zumutung. Den Kunsthändler, den Staudacher im Grund als sein persönlichstes Privateigentum betrachtete, sollte er nun gar noch bestärken in der dummen und lästigen Angewohnheit, Teile seines Betriebskapitals auf fremde Bilder zu verläppern? Nein, der Meister bedauerte. Einfach sein Gewissen erlaube ihm nicht, ein Bild zu empfehlen, das er gar nicht kenne.

Darum eben solle er es sich ansehn, verlangte Toni. Und da er fest blieb und mit dem Mute der Verzweiflung weiterdrängte, kam es zutage, daß Staudachers Gewissen immer noch eher mit sich handeln ließ als seine Bequemlichkeit. Gegen das Telephonieren schien er jetzt auch noch etwas zu haben. Aber schön, gut, es sei abgemacht: schreiben wolle er an Sauerländer. Gleich morgen früh.

Nun hatte der starke Mann wohl zu oft bei sich selbst feststellen können, was für Resultate das Verschieben auf den nächsten Tag zu zeitigen pflegt. Er wich und wankte nicht, so daß sein gutherziger Lehrer sich schließlich, um ihn nur loszuwerden, hinsetzte und einen Briefbogen mit seinen berühmten großen Lettern zu füllen begann, die wie gemalt aussahen und höchst schwungvoll dekorativ wirkten. Die Geheimnisse einer geläufigen Kurrentschrift waren diesem Professor und Doktor stets böhmische Dörfer geblieben.

»Wie heißt Ihr Bild?« fragte er unter dem Schreiben.

»Raub der Proserpina.«

»Hm, net schlecht, net schlecht.«

Na ja, wer sollte denn auch Respekt vor einem klassisch gebildeten Motiv haben, wenn nicht ein hochgekommener Häuslerssohn! So, nun war es so weit. Der Meister schmiß seine Signatur unter den Bogen, löschte ab und überreichte ihn Toni, damit der ihn läse, während er das Kuvert adressierte.

»Also, Gwinner, Sie Räubersg'sell, sind Eure Exzellenz jetzt zufrieden?«

»Ah! Ja! Dank' schön! Alles, was recht is! – Aber wenn Herr Professor es net gern tun ...« sagte Toni edel und großartig. Als jedoch Staudacher die Hand nach dem Bogen ausstreckte, rief er hastig: »Ach, bemühn sich doch Herr Professor net weiter! Hineintun und zupappen kann ich schon selber!« Urplötzlich war es ihm zugleich aufgegangen, wie kostbar die Zeit des Meisters wäre. Keine Minute wollte er ihm rauben.

»Uff!« machte er, als er wieder unter den Pappeln der Leopoldstraße stand. »Das war eine schwere Geburt!« Und höchst undankbar fügte er hinzu: »Herrschaft, is das ein Stiesel! Und den Dreck, den er malt! Wo er doch einmal verflucht was gekonnt hat! Naa, wenn man so ein Rindviech wird von der sogenannten Berühmtheit, pfüet di Gott, dann pfeif' ich schon gehorsamst drauf!«

So stark aber war sein Abscheu vor den ersten Staffeln auf der Leiter des Erfolges denn doch nicht, daß er etwa das Empfehlungsschreiben irgendwoanders hingeworfen hätte als in den nächsten Briefkasten. Drei Kreuze malte sein Zeigefinger dazu in die Luft, dreimal markierten seine Lippen ein Ausspucken. Jetzt durfte er kommen, der goldne Regen, von ihm aus als Wolkenbruch!

 

Aber siehe da, vierzehn Tage gingen ins Land, ohne daß sich das geringste segenspendende Gewölk an Tonis Himmel zusammenballen wollte.

Sauerländer war Kunsthändler, also mehr Verstandes- als Gemütsmensch. Und sein Verstand sagte ihm, daß die Maler in mancher Hinsicht wie Apfelbäume zu behandeln sind: Man braucht ihnen zwar nicht die Raupen abzulesen – die kann man ihnen gönnen –, aber man schüttelt sie zweckmäßigerweise erst dann, wenn man sie mit schlauer Geduld hat zeitig werden lassen.

Toni gewann derweil etwas Vergeistigtes, um soviel länger wurde sein Gesicht mit jedem Tage. Auch grüner wurde es zusehends, da seine Galle arge Strapazen erlitt durch Zorn über den vermaledeiten Theo, der es immer wieder für witzig hielt, sich mit unerschütterlichem Ernst zu erkundigen, ob denn nun Sauerländer heute dagewesen wäre und wieviel braune Lappen er hinterlassen hätte.

Hölle und Teufel nein: wer den Schaden hat, braucht für die Teilnahme nicht zu sorgen. Und eben diese Teilnahme wuchs Toni in einer Weise zum Halse heraus, daß er etwas tat, was ein Kriminalist nur als Urkundenfälschung in idealer Konkurrenz mit Hochstapelei bezeichnen könnte.

Ihm fiel ein, in welch wirkungsvoller Weise er seinerzeit auf der Akademie die Arbeitspausen damit ausgefüllt hatte, daß er Organ und Ausdrucksweise des Ritters von Staudacher täuschend kopierte. Da der Meister selbst ihn mehrmals dabei erwischte, hatte dies sämtlichen Zuhörern immer große Freude bereitet, und Toni war so nett, selbst einem Kunsthändler, der ihn schlecht behandelte, einmal ein Vergnügen zu gönnen.

Also zauderte er nicht lange, sondern eilte auf die Hauptpost, zog die Tür einer Telephonzelle sorgsam hinter sich zu, opferte ein sauer erborgtes Zehnerl und rief seinen, ihm bisher allerdings nur vom Sehen bekannten Geschäftsfreund an.

»Hallo! Hier Moderner Kunstsalon Adrian Sauerländer«, so meldete sich eine gleichgültig leiernde Frauenstimme.

»Hier Professor Doktor von Staudacher«, sprach Toni würdevoll.

»Ah, die Ehr', Herr Professor! Ja, ich ruf' den Herrn Sauerländer. Moment!«

»Haut schon!« triumphierte Toni, während er den Sprechtrichter vorsorglich mit der Hand zudeckte.

»Sauerländer«, rief jetzt durchs Hörrohr eine sonore Männerstimme, die jede Silbe selbstgefällig und schön artikulierte. »Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr Professor. Und womit kann Ihr Gehorsamster Ihnen dienen?«

»Sie, Sauerländer«, fragte der Schwindler in der jovialen Weise des Meisters. »Ja, Mensch, was is denn mit Ihnen?«

»Herr Professor?«

»Haben S' denn meinen Brief net gekriegt, oder können Sie nimmer lesen?«

»Ja–a. Herr Professor, ist denn das so dringend?«

»Er fragt! Er fragt!« entgegnete Toni. »Natürlich is es dringend, nämlich für Sie!«

»Immer gut aufgelegt, der Herr Professor!« scherzte die Stimme, wie es schien, etwas krampfhaft, und fuhr dann, weniger sonor und artikuliert, vielmehr die Silben in der Eile überhudelnd, fort: »Herr Professor, Sie schrieben doch selber, Sie brauchen es erst zum Ersten. Und zwanzigtausend! Ich sitz' selber nicht so drin. Wer kauft Kunst, bei den Fleischpreisen! Und für Bilder, die noch gar nicht gemalt sind ...«

– Ooha! hätte Toni beinah gesagt. Er besann sich aber gerade noch rechtzeitig und stellte sich wieder auf die Beine seiner Rolle, die jetzt nichts andres von ihm verlangen konnte als ein gespanntes Schweigen.

»Sie wissen, Herr Professor, ich bin tout à vous und tu', was ich kann«, so quäkte das Telephon unentwegt weiter. »Aber lassen Sie mir Zeit! Ich weiß wirklich nicht, woher nehmen! Und ohne daß Sie mir den Bankzinsfuß vergüten ... Wenn es die Bank überhaupt tut! Bedenken Sie doch: die Zeiten! Ja, und jedenfalls ... Ich komm' nächstens vorbei. Wir müssen auch wegen der Bedingungen reden. Ja ...« Schmerzlich zitternd verklang diese Schlußsilbe. Hier kam Sauerländers Menschliches zutage.

»Sind S' nun fertig, Mann Gottes?« erkundigte sich Toni, genau in dem Tonfall, mit dem Staudacher diese Frage zu stellen pflegte, wenn einer seiner Schüler ihm gegenüber sein künstlerisches Persönlichkeitsrecht verfochten hatte.

»Herr Professor, ich kann heute wirklich noch nichts andres sagen.« Tief wehmütig klang das.

»Ja, Sauerländer, Sie, Sie Kunsthändler, hab' ich Sie danach schon gefragt?«

»Wie?! Was?!«

»Glauben denn Sie, ich ruf' Sie wegen der Lappalie an?«

»Lappalie, sagt er, und ich schwitz' Blut!« wehklagte der Geschäftsfreund. »Ja, daran erkenn' ich Sie, Herr Professor!«

»Und das is die Hauptsache!« entgegnete Toni frech. »Nein, was ich Sie fragen wollte: waren Sie schon bei dem jungen Gwinner?«

»Jungen: was?«

»Gwinner, G wie Genie, W wie Wunderknabe, Anton Gwinner, der Schüler von mir! Ich hab' Ihnen doch geschrieben.«

»Ach, wegen dem Bild? Was war es? Orpheus und Euridietsche?«

»Nix Dietsche! Raub der Proserpina.«

»Nu, wenn schon Proserpina! Wer kauft mir die alten Griechen!«

»Haben Sie einen Begriff, Sauerländer! Nix alte Griechen! Aber, gut, lassen Sie's! Heut am Tag' noch schreib' ich's dem Jacobi! Der kauft's! Nehmen Sie Gift drauf!«

»Nein?« klang es erschrocken zurück. »Das werden S' nicht tun, Herr Professor! Der Jacobi! Der Blutsauger! Der Fatzke in Lackstiefeln! Der Preisverderber! – Mich dauert ja bloß der arme junge Mensch!«

»Wenn Sie das Bild doch net wollen, Sauerländer!«

»Nu, Herr Professor, überlegen kann man's. Und anschaun kostet kein Geld.«

»Anschaun und kaufen, Sauerländer, das is hier eins.«

»Ja, is er denn wirklich so gut, der ... der Dingsda?«

»Wenn ich ihn Ihnen empfehle! Oder hab' ich Sie schon so oft gedrängt, zu kaufen?«

»Nein, da müßt ich schon lügen, Herr Professor! No ja, freundliche Briefe ... Aber Sie haben mir ja selber, wie oft!, gesagt, das ist für Sie die einfachste Art, sie loszuwerden, die Wanzen.«

»Wanzen sagt er!« rief Toni unbesonnen.

»Ich?« fragte der Händler. »Nein: Sie!«

»No ja, natürlich! Aber der Gwinner, das is doch ganz was andres! Das hätten S' doch gleich am Ton merken können von meinem Brief.«

»Am Ton? No schön: am Ton! Ich hab' nichts gemerkt am Ton. Aber ich bin kein Schriftsteller, unberufen!«

»Na, dann wissen Sie's jetzt, Sauerländer! Also: wollen Sie hingehn oder net?«

»Ich geh', Herr Professor, ich geh'!«

»Wann?«

»Nächster Tage.«

»Morgen?«

»Kann ich nicht so genau sagen.«

»Morgen um zwölf, Sauerländer. Daß er auch daheim is! Ich schreib' ihm gleich. Aber sicher!«

»Sagen wir: zwischen zwei und vier, Herr Professor!«

»Auch recht! Sie, Sauerländer, und daß Sie mir fei net knickern! Ich hab' den Gwinner schon instruiert, was er verlangen muß!«

»Sind Sie auch noch ein Mensch, Herr Professor? Macht mir schon die Anfänger aufsässig! Mit wem soll ich denn ein Geschäft machen? Mit Ihnen?«

»Sauerländer, und wenn Sie's haben, schicken S' uns das Bild für die Internationale! Da bringen S' es alles wieder dreifach herein!«

»Und wird es dann auch ausgestellt? Ist das gewiß?«

»In unserm Ehrensaal, Sauerländer!«

»Ehrensaal? Nu machen Sie keine Witze! So sieht se aus, Ihre Hängekommission.«

»Jawohl, Sauerländer, diesmal zeigen wir's ihnen, den Zeitungsschmieranten!«

Ein verständnisinniger Pfiff kam durch das Telephon.

»Hu – itt! Die Presse, jawohl! – Nu, ich sag' nichts auf die Presse! Ich steh' mich gut mit der Presse.«

»Und recht haben S' darin, Sauerländer! Also, greifen S' unbesorgt in den Beutel!«

»Wie er red't, der Herr Professor! Was nützt Ihnen das, wenn ich mich ruinier' in dem ... in dem ... Wer kann den Namen behalten!«

»Gwinner. – Sie werden ihn sich schon merken müssen, Sauerländer.«

»Schauen Sie, Herr Professor, wo Sie doch selbst ein Attentat auf meine Kasse vorhaben!«

»Ah, das hält die schon aus! Darüber reden mir noch. Also morgen zwischen zwei und vier! Net vergessen! Grüß Gott, Sauerländer.«

»Die Ehre, Herr Professor.«

»So war er doch sonst nicht. Der Mann wird alt!« sprach Sauerländer seufzend, während er das Hörrohr einhängte.

Der falsche Staudacher aber vollführte noch in der Sprechzelle einen kleinen Schuhplattler. Das war ja über alles Erwarten gelungen! Fünftausend Mark, und keinen roten Pfennig weniger, sollte er bluten, der Bilderpraxer! Ja, wenn unsereins net schlauer wär' als wie ein Kunsthändler, da wär' man freilich verratzt!

Und so gut war nach dieser höchst unkorrekten Tat Tonis sonst doch manchmal kränkliches Gewissen, daß er, kaum nach Hause gekommen, zu Theo rannte und sich ganz schamlos dick tat mit seinem Meisterstreich, trotzdem ihm eine kaum schon kaltgewordene Erfahrung hätte sagen können, daß es hie und da ärgerliche Folgen nach sich zieht, wenn man ungelegte Eier in Gegenwart von Leuten begackert, deren Vorliebe es ist, andre zu frozzeln. Aber zu seiner Genugtuung schwoll der Nachbar förmlich an vor Neid.

»Dann krieg' ich vielleicht auch meine hundertsiebenunddreißig Mark fünfundsiebzig wieder«, sagte er giftig.

»Dir noch was pumpen, Affe!« protzte Tom.

 

Als es nun aber am nächsten Tag vier Uhr schlug, und ein Viertel nach vier, und halb fünf, ohne daß irgendein Zeichen auf Sauerländers Nahen hätte gedeutet werden können, da übermannte Toni ein böser Katzenjammer ob seiner gestrigen Redseligkeit.

Wenn der verdammte Bilderverschleißer nun wirklich ausbliebe, dann könnte Theo sich schön revanchieren für den Hohn, mit dem man ihm neulich seine Begeisterung darüber verdorben hatte, daß von der »Jugend« endlich einmal wieder zwei seiner tief allegorischen Blätter angenommen worden waren. Heiliges Kanonenrohr, was nützt einem das Maul, wenn man es nicht halten kann!

Und wie schön aufgeräumt das Atelier sich präsentierte! Nicht einmal mehr schamhaft verlarvte Wapperln gab es zu entdecken; denn Toni hatte sich mit seinem Möbellieferanten und andern unangenehmen Brüdern auf Monatsraten geeinigt, für deren Bezahlung bislang ein guter Freund sorgte, der übrigens nicht etwa Theo hieß. Es sah richtig wie bei einem wohlsituierten jungen Mann aus, der das Malen überhaupt nicht nötig hat, und bei dem es niemand so leicht riskieren würde, schundige Preise zu bieten. Die Wirkung war fabelhaft, ging aber ohne Sauerländer leider ins Leere hinaus.

Toni saß vornübergeneigt auf der Kante desselben Klubsessels, in dem er vor knapp drei Monaten beinahe Trautchens Herz erobert hätte. Die Ellbogen bohrten sich ihm grausam in die Knie, seine Finger zerstörten zappelig den Schwung der mit soviel Sorgfalt und Legerität über die rechte Stirnseite herabgekampelten Künstlerlocke.

Plötzlich riß es den geknickten Maler empor. Ja, wahrhaftig: es schellte, kurz und energisch.

»Natürlich! Als ob ich einen Moment daran gezweifelt hätte?!« rief er. Wenige lange Sprünge, und er war draußen und – mußte an der Tür noch etwas verziehen, bevor er öffnete, teils um sich zu verschnaufen, teils um die auf Preise haltende Würde zu wahren.

»Habe ich die Ehre, Herrn Kunstmaler Gwinner ...?« fragte wohltönend ein spitzbäuchiger kleiner Herr mit glattrasiertem markanten Gesicht und lebhaften Händen.

Der Oberammergauer verneigte sich aus seiner Höhe herunter und fühlte sich sofort sicherer infolge des Miniaturformates des Fremden, das ihn doch wieder gleichsam überraschte, trotzdem er den Kunsthändler ja vom Sehen kannte.

Jawohl ja, das war schon sein Mann. Er hatte so sehr seinen Stil, daß Toni ihn wirklich hübsch fand, eine Beurteilung, wie sie dem Gast gewiß noch nicht oft widerfahren war.

»Sauerländer heiß' ich«, so bestätigte dieser dem nun auch wirklich seine Identität.

– Bumm! knallte etwas von unten hart an die Klinke von Theos Ateliertür. Toni blickte nur flüchtig hin.

– Ja, schau nur durchs Schlüsselloch und zerplatz! dachte er herzlos. Du hast jetzt eine g'sunde Dullen im Schädel, und ich hab' Sauerländer!

»Wollen Sie näher treten, Herr Hofrat!« sagte er dann laut. Er hatte keine Ahnung, ob er dem kleinen Herrn diesen Titel zu Recht verlieh, kalkulierte aber, daß selbst ein Irrtum in derlei Dingen schwerlich als Beleidigung aufgefaßt würde. »Bitte, Herr Hofrat!« flötete er schmelzend und hielt die Tür.

Sauerländer trat über die Schwelle und hemmte dort nur für eine Sekunde den Schritt. Flink abschätzend musterte er das Atelier bis in den hintersten Winkel und schoß einen Seitenblick zu seinem Wirt hinauf.

– Die Möbel von sämtlichen Bekannten zusammengepumpt! Fauler Zauber! stellte er, höchst ungerecht, bei sich fest. Dann ging er in geradezu nachtwandlerischer Sicherheit gegen das Fenster, drehte sich um und stand genau so, wie es nötig war, um den »Raub der Proserpina« auf die richtige Entfernung und im richtigen Licht zu haben.

»Ist das das Bild?« Sein goldbeknopfter Stock wies auf die blühende Fleischpartie unterhalb des Rückens der schönen Persephoneia. Er fragte nicht etwa, weil er den geringsten Zweifel gehabt hätte, sondern aus Liebenswürdigkeit.

»Jawohl, Herr Hofrat«, versicherte der Maler, beglückt, diesem Mann etwas Neues sagen zu können.

Ein langes Schweigen folgte, während dessen Toni mit klopfendem Herzen zu erraten bestrebt blieb, was für einen Eindruck von seinem Werk dieser ernste Beobachter da wohl hätte. Aber eher wären die Züge der großen ägyptischen Sphinx mitteilsam zu nennen gewesen als Sauerländers ehernes Antlitz.

»Haja«, sagte er endlich und wendete den immer gleich leeren Blick auf seinen Wirt. »Wie kommen Sie zu dem Format?«

»Ich? Aber ich mein': es is doch ausgefüllt? Und grad, wie es in den Raum komponiert is ...« Die rechte Hand des erschrockenen Künstlers suchte durch zusammenballende und formende Bewegungen seinen stolpernden Worten mehr Beweiskraft zu geben.

»Tja, jawohl«, nickte der andre kühl und wiederholte unbeirrt: »Das Format ist un–mög–lich.«

»Warum?«

»Zu groß, voilà! Nur das Sofabild hat eine Zukunft.«

»Aber darnach kann doch ein Künstler net ...!«

»Muß er ja nicht. Regen Sie sich nicht auf! – L'art pour l'art, weiß ich! Der Künstler malt, was. er will. Haja! Und das Publikum kauft, was es will. Eccolo! Ich bitt' Sie: sechs Quadratmeter! Oder?« Der Händler ließ seinen Blick um die Leinwand jagen und stellte dann abschließend fest: »Nein, gradeaus sechs: keinen Zentimeter mehr oder weniger«.

»Haben Sie ein Augenmaß, Herr Hofrat!« rief Toni fast verzückt.

»Och ja.« Von diesen kleinen unter seinen Gaben machte ein Sauerländer nicht viel Wesens.

»Schaun S', Herr Hofrat, natürlich: daß sich das kein Spießer in die Wohnstube hängt ... Aber das is mir wurscht!«

»So? No ja, dann!« Beruhigt klang das.

»Herr Hofrat, ich mein' doch aber: als Galeriebild?«

»Ich hör' immer: Galeriebild!« Ein unbändiges Staunen glotzte aus Sauerländers Augen. Mitleidig fügte er hinzu: »Sie sind wohl noch sehr jung?«

»Das ist ja vielleicht kein Fehler«.

»Tja, in einer Beziehung ... Die Mädchen schätzen es. Sie schätzen zwar auch andre Sachen, aber sie schätzen es. Eh bien! Nun und: wonach werden hingegen in zivilisierten Ländern die Galerieankäufe gemacht?« Der kleine Herr schmiß sich in die Brust und trompete die Antwort hervor: »Nach der Anciennität!«

»Aber! Ein Bild, von dem wo der Professor von Staudacher ...!« so ließ Toni seine große Kanone losböllern, »Er hat Ihnen doch geschrieben«.

»Sogar telephoniert«, erwiderte Sauerländer. Auf dem Grunde seiner leeren Augen, die sich dem Maler jetzt gerade ins Gesicht bohrten, funkelte ein Schein von innig vergnügter Schlauheit, als er fortfuhr: »Ja, da haben Sie wirklich einen großen Bewunderer gefunden; alles, was recht ist, Herr ... Herr ...«

»Gwinner«, half ihm der andre ein, unwillkürlich verwirrt.

»Richtig! Natürlich: G wie Genie, W wie Wunderknabe ... Auf die Art nämlich«, erläuterte der Dicke kordial, »hat mir der Staudacher Sie vorbuchstabiert am Telephon. Wollen Sie's glauben!«

Toni antwortete in naiver Fröhlichkeit:

»Schau, schau! No ja, ein Spaßettl! Aber er hält was auf mich, der Ernstl!«

»Muß schon wahr sein, Wertester! Denn solche Töne ...«

»Und, Herr Hofrat, wie finden Sie denn das Bild?« so unterbrach ihn der Maler ablenkend.

»Es ist ein – Bild«, war die vieldeutige Antwort. Dann aber begab sich der Kleine zur Staffelei und führte seine Augen aus solcher Nähe vor der Leinwand auf und ab, daß man befürchten konnte, seine kühn gebuckelte Nase müsse sie streifen. »Interessante Technik«, bemerkte er nach einer Weile. »Aber unsolid.«

»Unsolid?«

»Also: lange, bevor ich es wieder losbringen könnte ... Was red' ich: in drei Jahren kennen Sie das Bild selber nicht wieder! Da sitzt da ein ganzes Netz von Krackelüre, so breit jeder Riß!«

»Wie ein alter Meister hält das sich!« widersprach Toni lebhaft. »Also, mein heiliges Ehrenwort!«

»Wozu, Wertester! Ehrenwort ist Ehrenwort. Heben Sie es sich auf für Fälle, wo es Ihnen gezahlt wird! Ich kauf' das Bild nicht.«

»Sie – kaufen es – nicht?«

»Was tu ich damit!«

»Dann bedaure ich, daß Sie sich umsonst bemüht haben!« stieß der enttäuschte Maler grimmig hervor.

» Pourquoi? – C'est mon métier.« Sauerländer zuckte die Achseln. »Nu, und warum? Haben Sie sonst nichts? Kleine Sachen? Billige Sachen?«

Eine neue, bescheidenere Hoffnung erwuchs in Toni.

Bald stand eine Reihe von Bildern und Studien längs allen vier Wänden des Ateliers am Boden. Trautchen hatte diese Sachen gut gefunden. Der beleibte Herr schlenderte prüfenden Blicks daran entlang und rümpfte seine Nase so verdammt kritisch, daß sein Wirt es mit der Angst bekam und sich die Worte entschlüpfen ließ:

»Es ist ja mehr Atelierscheps.« Auweh, das hätte er nicht sagen sollen! Er fuhr also großartig fort: »Das andre is alles verkauft, natürlich!« Jawohl, er kannte sich schon noch aus darin, wie man solch einem Ekel imponiert.

Sauerländer nickte sanft.

»Ich lass' mich manchmal rasieren beim Prschiwanek.«

»Sie wissen?« Tonis Mund blieb weit offen stehen.

»Er hat mir die Sachen angeboten. Aber, wer kann da ...? Unsinnige Preise!«

»So ein böhmischer Hund! Und wissen Sie, was er mir gezahlt hat? Stück um Stück fünfzig Mark!«

»Diese kleinen Leute!« warf der Händler mißbilligend hin. »Man sollte sich damit nicht einlassen! Das ist doch kein Geschäftsmann. Ich bin zwar auch kein Geschäftsmann. Wie oft hör' ich das von meiner Frau: ›Adrian, du kaufst wie ein Mäzen! Kannst du dir das leisten, Adrian?‹ – Nu, hol' mich der Teufel, ich sag' Ihnen was! Ich fall' dabei 'rein, aber ...« Seine gepolsterte Hand mit dem hypnotisierend blitzenden Brillanten am kleinen Finger machte eine kühn das Atelier umfassende Bewegung. »Ich nehm' den ganzen Scheps, wie Sie selbst bemerkten! Schlagen Sie ein, bevor es mich wieder reut! Tausend Emm!« Das Wort Mark getraute sich scheinbar selbst Sauerländer in diesem Zusammenhang nicht ohne spaßhafte Stilisierung auszusprechen.

»Tausend, für alles?« stammelte Toni entgeistert, und sein Zeigefinger überzählte flüchtig die Leinwanden, »Dreiundzwanzig Stück!«

»Vierundzwanzig«, verbesserte der andre sachlich.

»No ja, oder vierundzwanzig. Da zahlt mir der Prschiwanek ja mehr.«

»So? – Zahlt er mehr, dann haben Sie recht: geben Sie's ihm! Aber wir machen uns doch nichts vor! Der Mann hat ja noch nie tausend Mark auf einem Haufen gesehn! Ich ... Sie kriegen tout de suite ein schönes Stück Geld auf die Hand. Und wenn ich mich um Sie annehm', sind Sie gleich eingeführt.«

»Lassen Sie einem nur einen Moment Zeit, Herr Hofrat!«

»Bitte, bitte!« Sauerländer konnte gut warten.

»Gut!« sagte Toni mit einem Ruck. »Es is ein Spottgeld. Aber meinetwegen, wenn Sie den ›Raub der Proserpina‹ auch nehmen ...«

»Ja, aber der gehört doch dazu!« Der Händler schüttelte sich förmlich vor Verwunderung über soviel Naivität.

»Was?!«

»Ja, lieber Herr. Glauben Sie: für den Scheps allein?«

»Ein Bild, das Sie jedenfalls für fünftausend Mark ...!«

»A was! Das Bild ist unverkäuflich! Absolument! Nehmen Sie Gift drauf!«

»Zu was wollen Sie es dann?«

»Das kann ich Ihnen sagen. Wertester: es meiner Frau zum Geburtstag schenken! Und privatim darf ich mir keine Phantasiepreise leisten.«

»Und Sie wollen mir einreden ...? Ach, Herr Sauerländer!« Nicht einmal des Hofratstitels würdigte Toni diesen Proleten mehr.

»Es ist in ihrem Boudoir gerade so eine Wand frei geworden. Und in was für Hände Ihr Bild kommt! Meine Frau! Und was glauben Sie: die Leute, welche sich da versammeln! Tout Munich, die crême de la crême! Eine Bombenreklame, Herr!«

»Mein letztes Wort, Herr Sauerländer: dreitausend für alles!« So schlank massiert waren Tonis dicke Ansprüche schon durch die sachgemäße Behandlung des kleinen Herrn.

»Ausgeschlossen!«

»Wieviel also?«

»Tausend, hab' ich ja schon gesagt.«

»Und wissen Sie, wie ich das nenne?!«

»Behalten Sie es für sich, werter Herr, behalten Sie es für sich! Das gibt nur Bitterkeiten für die Zukunft. Überschlafen wir es uns beide! Ich will noch mehr tun: überschlafen Sie sich's allein! Ich halt' mich noch drei Tage an mein Limit gebunden. Hab' die Ehre, werter Herr! Da geht's hinaus, ich weiß. Bemüh'n Sie sich nicht!«

Aber Toni ging mit: es kochte in ihm, er mußte diesem Schubjack die Meinung sagen und suchte nur nach den richtigen schlagenden Worten. So, jetzt hatte er sie.

»Also, auf gut deutsch ...« begann er.

Da wendete sich Sauerländer, die Hand schon an der Klinke der Flurtür, noch einmal um und fiel ihm mit einem ganz fatalen Feixen in die Rede:

»Und wenn Sie bei kaltem Blut, und Sie überlegen sich die Sache ... Sie brauchen mich nur anzurufen: Nummer ... Ach Pardon: Sie kennen die Nummer ja noch vom letztenmal hehehe; G wie Geniestreich, Spaß! Au revoir! War mir ein Fest! Hehe!«

Toni erstarb jeder Laut im Munde. So lang er war, und so klein der andre – auf die Art gemein von oben herab angesehen hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt.

Sauerländer verzog hinter der geschlossenen Tür noch einen Moment.

»Er!« lächelte er in einem geradezu verächtlichen Mitleid. »Mich!« fuhr er selbstgefällig fort.

Als ein Mann, der seine Zeit ausnutzt, hatte er nämlich die Fahrt nach Schwabing gleich mit einer geschäftlichen Besprechung auf dem Atelier des Ritters von Staudacher verknüpft. Und diesem Besuch verdankte er neben andern Kenntnissen auch sein genaues Augenmaß für die Größe von Tonis Bild.

Er war wieder einmal durchaus einverstanden mit sich. Jawohl, Sauerländer blieb Sauerländer. Ein überlegener Mann, wo er sich's leisten konnte. Und er konnte sich das fast immer leisten.

 

Toni war zu verblüfft, um sich sofort die pekuniären Folgen des Ereignisses klarzumachen. Er vermochte gerade noch in sein Atelier zu wanken, und da fiel er krampfhaft in den Klubsessel, der ihn schon während so mancher bedeutenden Stunde seines Daseins zwischen den ledernen Armen gehabt hatte.

Himmel, Himmel! Ganz blöd werkelte es unter seiner Hirnschale. Er konnte kaum erst ringen um den Entschluß, sich selbst mit der nötigen Erhabenheit zu erzählen, daß ihm das alles schnuppe wäre und daß er auf Sauerländer, na, sagen wir: pfiffe. Da kam ihm, wie das bei Götterlieblingen so zu gehen pflegt, die Hilfe von außen. Lautlos öffnete sich die Tür erst zur Spaltbreite, dann spähte Theos schmaler, rothaariger Kopf herein, wurde sprechend wie ein verständnisvolles »Aha!«, zeigte, daß auch noch eine Schulter mit ihm 'n Verbindung stand, und auf einmal war der ganze lange Kerl drinnen.

»Nu, hat er es nich gleich mitgenommen?« erkundigte er sich mit infamer Harmlosigkeit und deutete nach der Staffelei.

Toni saß plötzlich, als hätte er einen Malstock verschluckt.

»Pö!« machte er voll Verachtung. »Der Mistgockel!«

»So? Nu ja ...« entgegnete Theo aufreizend sanft und lakonisch.

»Hat die Frechheit, mir dafür – viertausend Mark zu bieten!«

»A was?« Die Augen des preußischen Bundesbruders wurden groß. »Für das alles?« fragte er mit einer weiten Handbewegung. – Er hatte den sauber aufgereihten Scheps längst bemerkt.

»Du spinnst wohl?« fragte der Oberammergauer zurück. »Für die Proserpina!«

»Äh!« Sehr gläubig klang dieser Naturlaut nicht. »Nu, und du?«

»Das kannst du dir wohl denken!« brüstete sich Toni. »Ihm einmal die Meinung gesagt, wie er's noch net gehört hat! Ihn zusammengeputzt, den Schundnickel, daß er in keinen alten Schlappschuh mehr 'neinpaßt!«

»So siehst du aus!« stellte Theo freundlich fest.

»Der kommt schon wieder!« behauptete der starke Mann mit eiserner Stirn. »Wenn ich alles so genau wüßte!«

Na, na!« gab der Nachbar zu bedenken. »Hättest du doch die – zweitausend lieber genommen!«

»Kamel!« knurrte Toni. Es war ihm jedoch eine Genugtuung, daß ihm sein intimster Freund wenigstens so viel geglaubt hatte. »Zu was brauch' denn ich überhaupt einen Kunsthändler!« fuhr er lässig fort. »Ich schick's in die Internationale. Da bringt's das Doppelte. Wirst du sehn!«

»Ja, wenn sie's nehmen!«

»Nehmen?! – Wo der Staudacher ganz weg is von dem Bild!«

»Das hast du zwar Sauerländer telephoniert ...«, grinste Theo.

Der starke Mann sah ein, daß er sich verschnappt hatte, und mußte sich zunächst etwas sammeln. Dann entschloß er sich kurz und klug, die Sache komisch zu nehmen, und lachte laut und herzlich.

Theo stimmte ein, war aber doch so unfreundlich, alsdann seine Bedenken zu äußern. So einen Riesenschinken anzunehmen, würde sich die Jury wohl schwer hüten.

»Mit Kußhand ...! Hab' du keine Sorge!« äußerte Toni zuversichtlich. »Sie nehmen es!« wiederholte er und fügte eilig hinzu: »Außerdem, unbesorgt: ich mal' ihnen kleinere Formate auch noch!«

»Leere Drohung! Als wie du?« spöttelte der Freund.

»Und weißt du, was ich jetzt mal'?« jubelte der starke Mann plötzlich hell heraus. »Das wird zum Schießen! Den Sauerländer mal' ich, als Bel zu Babel, wie er Kunstmaler auf dem Kraut frißt!«

»No ja, eine Idee!« gab Theo zu. »Das kauft er heilig!«

»Is mir doch absolut wurscht!«

Und jetzt hätte keiner mehr unsern Toni der Lüge zeihen dürfen: es war ihm Wurscht. So sind sie nun, diese Künstler!


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