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Fünftes Kapitel. Das kluge Trautchen

Toni hatte das Modell für heute entlassen und stand genießerisch vor seinem Bilde, das in großen Strichen angelegt und untermalt war. Stellenweise war sogar die Ausführung ziemlich weit gediehen.

Wahrhaftig, er war verblüfft, wie gut manches saß, anders, aber viel besser, als er's bewußt gewollt hatte.

Plötzlich hob er den Kopf. Aus der Gegend, wo Theos Gemächer lagen, erscholl das gelle Kreischen einer Frauenstimme.

»Schau, schau!« sagte der starke Mann. »So also zeichnest du dein Eisenbahnmalheur?«

Und ein Instinkt dafür, daß die Sache irgendwie seine Aufmerksamkeit verdiene, zwang ihm die Türklinke in die Hand. Geräuschlos trat er in den dämmerigen Gang hinaus und bewegte sich vorsichtig auf den Fußspitzen weiter.

Aber er brachte seinen Schleichweg nicht zu Ende, sondern fuhr erschrocken zusammen und stand wie angewurzelt: ein Hilferuf ertönte, und aus dem Atelier des Nachbarn stürzte eine kleine, mollige Frauensperson mit flatternden blonden Haaren. Bevor er überhaupt einen Gedanken fassen konnte, klammerte sie sich an seine Schultern, drängte sich zitternd an ihn und keuchte:

»Schützen Sie mich vor ihm!« Und ihre Angst war, kraft der weiblichen Phantasie in so brenzlichen Dingen, durchaus ungeheuchelt.

»Er soll nur kommen!« knurrte der Kraftmensch bedrohlich, schlug den linken Arm schirmend um sie und ballte die rechte Faust gegen den unsichtbaren Feind. – Er hatte Trautchen erkannt, mit der seine Gedanken soeben aus guten Gründen – wie in der letzten Zeit überhaupt oft – beschäftigt gewesen waren.

»Ach, Sie sind es?« sagte sie, machte sich, geschämig lächelnd, ohne Schroffheit, von ihm los, deutete nach der offen gebliebenen Tür seines Ateliers und fragte hastig: »Kann ich nicht da hinein? Nur einen Moment.«

»Wenn ich bitten darf! Wenn ich bitten darf!« Genau wie vorhin Theo, chassierte er dienernd neben ihr her.

»Gott sei Dank!« hauchte sie, als sie über die Schwelle war, und bat dann unruhig: »Schließen Sie zu, damit er ...!«

»Der traut sich net!« renommierte Toni. Trotzdem aber drehte er den Schlüssel um. Das schien ihm das Beisammensein so viel intimer zu machen ...

Schon war Trautchen im Begriff, ihrem neuen Wirt eine möglichst natürliche Erklärung ihrer Anwesenheit zu geben, da erstarb ihr das Wort im Munde, ihre Augen sprangen beinah aus den Höhlen und glotzten die lebensgroßen Figuren auf Tonis werdendem Meisterwerk an.

»Ah!« sagte sie lebhaft und schritt näher hin.

»Ja«, sagte er kleinlaut und schlich bedrückt hinterdrein. Herrgott, die Person in seiner Gedankenlosigkeit da hereinzuführen!

»Könnte ich einen Stuhl haben?« bat sie. Das Bild stand, weil er an den oberen Partien gemalt hatte, ziemlich niedrig. Und sie schien ja wohl fest entschlossen zu sein, es genau zu studieren.

– Ja, das glaub' ich, daß du dich erst mal setzen mußt! dachte Toni bei sich und rollte in fatalistischem Gehorsam das gewünschte Möbel heran.

»Interessant!« fing sie versonnen an und blieb in diesem Anfang für eine Weile stecken.

Das höllische Motiv, von dem Toni seinem Nachbarn erzählt hatte, war in dem Gemälde beibehalten, nur mit einer kleinen, doch vielleicht nicht uncharakteristischen Änderung. Der originell gesehene, kreuzfidele Teufel, der da nach links aus der Leinwand hinausstapfte, entführte huckepack auf dem Rücken in grimmem Triumphe nicht etwa einen Kunstmaler, o nein: der hatte sich auf dem Weg vom Hirn durch ein enttäuschtes Herz und den Pinsel in ein Malweib verwandelt. An den Kleidern freilich konnte man den Beruf des Fräuleins nicht erkennen, weil sich dieses jeder wärmenden und schmückenden Hülle entschlagen hatte. Doch sagten die goldblonden Schneckerln, die ihre Ohren verbargen, dem Kenner das Notwendige. In der vergnügt wollüstigen Pein einer Gekitzelten lachte sie den Beschauer mit ihrem pikanten Mopsgesicht an, stark im Gegensatz zu der bürgerlich und ausgiebig bekleideten ältlichen Frau, die rechts im Hintergrund voll staunenden Entsetzens die Hände rang und trotz einer entfernten Ähnlichkeit mit der Gschwendtnerin gut und gern aus Crimmitschau stammen konnte.

Trautchen blieb lange stumm. Zum Schluß jedoch erkundigte sie sich gefaßt und sachlich:

»Und wie nennen Sie das Bild?«

Er hatte Zeit gehabt, über seinen Alibibeweis nachzudenken.

»Der Raub der Proserpina«, sagte er täuschend unschuldsvoll und gleichsam erstaunt darüber, daß sie erst noch fragen mußte.

Sie brach in ein helles, ehrliches lustiges Lachen aus, sie bog sich geradezu und schlug sich auf die Knie vor Vergnügen.

– Gott sei's getrommelt! dachte er sehr erleichtert. Sie hat überhaupt net gespannt, daß sie es selber sein soll!

Trautchen aber hatte natürlich die Urbilder seiner Phantasiegestalten sofort erraten und war sogar im Begriff gewesen, das erwartete Ärgernis zu nehmen; doch nur einen Moment lang. Freie Weiber pflegen so kleinliche Regungen einer beleidigten Eitelkeit zu unterdrücken, weil sie fürchten, andernfalls eben nicht für freie Weiber gehalten zu werden.

Und schließlich kann es beinah schmeichelhafter sein, es beschäftigt sich ein in Betracht kommender Mann mit einem in solcher Form, als er hat einen nach acht Tagen schon gänzlich aus seinen Gedanken verloren.

Nämlich: in Betracht zu kommen schien der einst so verachtete Toni der Malerin auf einmal entschieden. Denn so viel verstand sie von ihrem Fach, daß sie der Kraft, dem Humor und der Urwüchsigkeit dort auf der großen Leinwand einen strammen Respekt entgegenbrachte.

»Wissen Sie, daß das eine ganz famose Sache ist!« sagte sie anerkennend.

»Es steckt ja noch sehr in der Schkizze«, entgegnete er bescheiden und ein klein wenig zerstreut. Denn innerlich festigte er gerade in sich den Entschluß, seinem großen Schinken da den mythologischen Namen zu lassen, den seine Angst ausgebrütet hatte. »Raub der Proserpina« war sehr gut und gab dem ganzen erst die richtige Pointe.

»Komisch!« begann sie auf einmal. »Und der Herr Schlotthauer ...«

»Was ist mit dem?« fuhr er auf.

»Ja, neulich bei Ladurners, da sprach er doch so, als ob Sie überhaupt nichts täten«.

»Also, so ein Schwindler!« rief der starke Mann. Und sein Zorn war durchaus ehrlich. Wenn einer nun bald eine Woche lang mit dem größten Eifer schruppt, muß er es ja für eine infame Lüge halten, daß er in ferner Zeit einmal mit Recht für faul angesehen werden durfte. Beruht denn der Optimismus über sich selbst, den die meisten Menschen bis ins Greisenalter behalten, nicht überhaupt auf dem gesegneten schlechten Gedächtnis?

»Der Theo!« fuhr Toni fort. »Jawohl, der hat es nötig! Mit seinen Jugendkitschen! Die net einmal genommen werden!«

»Wie?« fragte Trautchen sehr hellhörig. »Ja, ich sah bei ihm drüben ...

»... seinen Salon der Zurückgewiesenen?« höhnte er.

»Ach? Aber ich denk': er ist doch ständiger Mitarbeiter?«

»Von der ›Jugend‹? Hat er das gesagt?« Toni kannte keine Rücksicht mehr. Dieser Mensch hatte seinen Fleiß in Zweifel gezogen, hatte unter falschen Vorspiegelungen im Trüben gefischt! Das hieß Krieg! Und im Kriege muß jede Waffe gut sein! »Da is ihm eine kleine Verwechslung passiert«, fuhr er ironisch fort. »Ständiger Mitarbeiter is er schon! Aber bei der ›Freien Münchner Volksstimme‹. Weiß net, ob Ihnen das Käsblattl bekannt is«.

»Und da zeichnet er ...?« fragte sie ganz starr.

»Jawohl, um ein Trinkgeld! Pabstjubiläen und Eisenbahnunglücker«.

»Ei–senbahn?« hauchte Trautchen ganz entgeistert. »Also darum!« Und empört brach es aus ihr hervor: »Das ist ja ein unglaublicher Mensch!«

»Er is mein Freund, aber ich muß schon sagen!« bekräftigte Toni.

Sie war aufgesprungen und trat auf ihn zu.

»Und haben Sie eine Ahnung, wie er sich gegen mich benommen hat?! Ich komm' ganz harmlos auf sein Atelier. Das darf man doch unbesorgt als Kollegin?«

»Hm, ja, obzwar ... Es is ja net grad häufig der Fall, aber ich kann mir doch Kolleginnen denken, die mir auch gefährlich werden könnten«. Ein Seitenblick musterte Trautchen, der laut davon sprach, wie so eine Malerin gewachsen sein müßte.

Ihre Augen antworteten den seinen kokett flüchtig. Dann sagte sie aber:

»Sie glauben wohl auch, daß jede Malerin unbedingt häßlich sein muß?«

»A wo! Ich sehe den Gegenbeweis!« gab er zurück.

»Ach, Sie sind auch so einer ...«

»Wie der Theo?« protestierte er lebhaft.

»Gott sei Dank, das doch nicht. Denn dieser Mensch! Direkt handgreiflich ist er geworden!«

»A was?!« Toni war verblüfft und legte in ernstlicher Anteilnahme seinen Arm um ihre Schultern.

Sie schien das eine Weile nicht zu bemerken; endlich löste ihre kleine, wohlgepolsterte Hand seine große, harte von ihrem Arm und ließ sie ohne Heftigkeit sinken, mit jenem leichten Druck, den sie von vorhin noch gut in der Übung hatte.

»Toni! Nein!« hauchte sie verwirrt.

»Trautchen!« Mit ausgebreiteten Armen tänzelte er stürmisch auf sie zu.

»Nein, nein, nein!« Sie wich zurück. In ihren Augen brannte eine drohende Leidenschaftlichkeit, die fast an Haß gemahnen konnte. »Toni, bleiben Sie! Oder ...!«

Hatte sie heute nicht schon einmal in der Überstürzung solcher Angelegenheiten ein Haar gefunden?

Und das täuschend echte Aufbäumen ihrer weiblichen Zurückhaltung brachte ihn halbwegs zu sich. Nein, er war nicht so ein Kamel, sich alles wieder zu verpatzen. Sollte sie vielleicht aus Furcht vor ihm wieder ihre Zuflucht bei Theo suchen? Daraus könnte schließlich ein Aufundabrennen entstehen, das – gelinde gesagt – zeitraubend wäre. Eine edle Bewegung seiner Rechten teilte ihr mit, daß er sich füge und daß sie nicht die kleinste Sorge zu haben brauche. Solcher Gehorsam schien ihr aber denn doch übertrieben vorzukommen.

»Und Sie versprechen mir, ganz vernünftig zu sein?« fragte sie eindringlich, mit einem Ausdruck in Stimme und Augen, daß nicht viel fehlte, und er hätte allen Vorsätzen zur Bravheit verzweifelt mutig den Laufpaß gegeben.

Sie beobachtete ihn verstohlen unter gesenkten Brauen hervor, und derweil arbeiteten ihre Hände zierlich, doch gleichsam zerstreut daran, die während aller der Aufregungen durcheinandergeratne Haarfülle wieder einigermaßen dekorativ zu ordnen.

»Also! Blödsinnig nobel!« rief er begeistert. »Und diese Menge! Wie ein Mantel!«

»Schmeichler!« lächelte sie und fügte hinzu: »Es ist aber wirklich mehr, als es aussieht. Das einzelne Haar ist so fein. Wenn Sie mal fühlen wollen?« Reizend naiv hielt sie ihm eine Strähne hin.

Die Angst, die sie dabei angenehm schauerlich überlief, erwies sich als grundlos. Toni faßte die äußersten Haarspitzen zaghaft mit zwei Fingern und ließ sie, wie erschrocken, wieder fallen.

»J – ja«, hauchte er unruhig und verwirrt.

Nun begann sie in flackernder Lebhaftigkeit zu sprechen. Es war ihr eingefallen, daß es wohl am Platze wäre, ihm eine harmlose Erklärung für ihre immerhin bacchantische Haartracht zu geben. – Natürlich hätte sie die Schneckerln nur aufgelöst, um Theos malerischen Interessen entgegenzukommen, aber da wäre der ja, rein verrückt wäre er geworden! Nein, ein ganz sonderbarer Mensch! So ... so leidenschaftlich! Aber schließlich, wenn Temperament an sich auch gewiß nichts Verwerfliches wäre, sie wäre doch eine Dame und ...

Trautchen redete sich in einen immer hysterischeren Eifer hinein, und Tom wurde davon gleichsam angesteckt.

»Also, ein paar herunterhauen sollte man dem Lackl!« rief er endlich in wilder Begeisterung.

»Ach, ach? Wollen Sie das für mich tun?« fragte sie warm und dankbar.

Er sah sie mit seinen schwarzen Augen an, überrascht und ein wenig ernüchtert.

»Ihn zur Rechenschaft ziehen?« hetzte sie weiter.

Toni mußte einen Moment nachdenken. Nicht, daß er Angst gehabt hätte, der Nachbar könnte den Spieß umdrehen und ihn durchprügeln – dazu war er sich über die beiderseitigen Machtmittel zu klar. Aber ausgelacht zu werden, gehört auch nicht eben zu den Genüssen des menschlichen Daseins. Ganz fatale Geschichte!

Trautchen wunderte sich schon über sein Schweigen.

Da kam unserm starken Mann der Zufall zu Hilfe, der es ja überhaupt liebt, Helden zu schaffen. Ein ganz leises Geräusch traf seine scharfen Ohren, nichts als das Einschnappen der Schloßzunge an der Flurtür, etwas Geringes und Alltägliches. Und doch bewirkte es, daß sich jemand in die Brust warf und schon mit langen Schritten unterwegs war.

»Suppenfleisch mach' ich aus dem Tropfen!« verkündete Toni blutgierig.

»Tun Sie ihm nur keinen ernstlichen Schaden!« bat Trautchen in einem schönen menschlichen Mitgefühl, das sich selbst dem Beleidiger ihrer Ehre nicht versagte. Und plötzlich fiel ihr etwas ein: »Ach, und können Sie mir nicht auch meine Haarnadeln bringen? Auf dem Zeichentisch«.

»Haarnadeln, ja!« sagte er mit unheilverkündendem Pathos. Bumm! flog seine Ateliertür zu, bumm! gleich darauf die des unglücklichen Nachbarn.

Hochklopfenden Herzens stand Trautchen da, zitternd vor banger Erwartung und – im Wonnegefühl ihrer Interessantheit. – Zwei Männer würden kämpfen um sie – was war das doch für eine Stadt, dieses München! Mit angehaltnem Atem horchte das Mädchen. Die ereignisschwangere Stille! – Jetzt müßte sich drüben doch ein Getöse erheben, oder wenigstens ein Klatschen. Aber es geschah nichts, als daß Toni, seine ganze Tatkraft noch in der Miene, zurückkehrte und die Frisiereisen klirrend in ihre Hand fallen ließ.

»Ausgerissen is er, der Tropf! Und das war sein Glück!« gab er auf ihren fragenden Blick zur Antwort.

»Gott sei Dank!« brach es aus ihr hervor. Der Schrei der Erleichterung barg auch ein Quentchen Enttäuschung. Doch schien sie entschlossen zu sein, die Romantik der Stunde nicht erst wieder kalt werden zu lassen. »Müssen Sie stark sein!« seufzte sie verklärt.

Er spannte seinen Oberarm und servierte ihn ihr:

»Bitte!«

Sie überzeugte sich wesentlich unbefangener von der Härte seiner Muskeln als er vorhin von der Weichheit ihrer Locken.

»Oh! Wie Stein!« seufzte sie verklärt. »Ach, und ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie für mich eintreten wollten! Wenn ich nur wüßte, womit ich Ihnen danken kann?«

Ein so kühner Vorschlag schoß ihm durch den Sinn, daß er erschrak und mit halboffnem Munde stumm stehen blieb.

»Soll ich Ihnen für das da einmal Modell stehn?« Sie wies auf das vom Teufel geholte Malweib. »Das heißt: für den Kopf!« ergänzte sie schnell.

»Nur für den Kopf, natürlich!« stammelte er, Donnerwetter! Sie hatte sich also doch erkannt, und trotzdem ...

»Trautchen!« rief er begeistert. »Sie sind ... Das gescheiteste Mädel sind Sie, was ich noch je gesehn hab'!« Und seine großen Pratzen näherten sich ihr voll Anerkennung. Sie wich ihm geschickt aus.

»Wollen wir dann aber auch gescheit sein!« sagte sie lächelnd.

»Ja, jetzt muß ich wohl ...« fuhr sie nach einem kleinen Schweigen fort und wog die Nadeln in der Hand und machte eine Bewegung, die ihren Entschluß kundgab, den goldnen Mantel wieder sittsam zu zöpfen.

»Ach nein! Bitte!« flehte er herzbeweglich.

»Soll ich's so lassen?« fragte sie, lind erheitert und lieb. »Nun, schön! Wenn Sie ...«

»Ach Trautchen!«

»Nein, nein! – Aber wissen Sie, was Sie können? Zeigen Sie mir mal, was Sie sonst gemacht haben!«

Genau wie vorhin Theo, war auch Toni nicht gerade begeistert von diesem Vorschlag. Aber was sollte er tun! So schleppte er denn seine verstaubten Leinwanden vor ihr Richterauge und fühlte sich bald für solche Folgsamkeit belohnt. Denn auch hier wußte sie in ihrer mit Fachkunde gespickten Ausdrucksweise so viel Lob zu spenden, daß sein Respekt vor der Verständigkeit ihres Urteils über alle Grenzen schwoll.

Und als er dann kein Roß mehr im Stall hatte, saß er auf einmal in dem Klubsessel – er wußte selbst nicht, wie er dazu gekommen war –, und sie ließ sich neben ihm auf die Armlehne nieder. Wollten aber seine Hände in der Zerstreutheit einmal zu freundlich werden, so brachten die ihren sie wieder zu Vernunft, sanft natürlich, sehr sanft; denn ihm grausam allen Mut zu nehmen, gewann sie nicht über sich.

Die Luft hinter dem großen Fenster fing schon an blau zu werden. Das trug eine Ahnung der kommenden Dämmerung in den Raum und stärkte die warme Vertraulichkeit, die zwischen den beiden ihre Fäden spann. Sie fragte, und er glitt aus dem Antworten in ein gemächliches Erzählen von sich herein. Wie sie alles interessierte, das konnte einen freilich dazu verlocken. Kindlich erfreut klatschte sie in die Hände, als seine Oberammergauer Abstammung zu ihrer Kenntnis gelangte. Toni bekam dadurch förmlich etwas Verklärtes in ihren Augen. Sie war nicht umsonst aus Crimmitschau.

»Nun ja«, nickte Trautchen verständnisinnig. »Dann versteh' ich ja auch ... Wenn man in so einer Atmosphäre von Kunst aufgewachsen ist!«

»Wer?« fragte er verblüfft.

»Na ja, ich mein' doch: Oberammergau ...«

»Ach so!« Das klang nicht gerade überzeugt. Aber wozu sollte er ihre Illusionen stören!

»Ihre Bilder, da steckt nämlich wirklich etwas drin!« fuhr sie fort und, stützte ihren Ellenbogen vertraulich auf seine Schulter.

»Hm«, machte er großartig wegwerfend. »Tja, das«, er zeigte auf das angefangene mythologische Bild, »das kann vielleicht was werden. Das andre is ja bloß Atelierscheps«.

»Aber die Bilder sind doch sehr gut?« wendete sie ein.

»A was!« Eine Handbewegung von ihm schmiß den ganzen Krempel gleichsam auf den Müll. »Von bessern Sachen hab' ich überhaupt nix mehr da«.

»Verkauft?« fragte sie warm.

»Ja, natürlich!« sagte er mit Würde. Die Preise brauchte er ihr ja nicht mitzuteilen.

»Was Sie für hübsches Haar haben!« Urplötzlich fiel ihr das auf. Sie strich leise über seine schwarzen Stoppeln.

Er haschte sich ihre andre Hand und massierte sie gleichsam zwischen den seinen. Ein Schweigen dehnte sich, in das sie abwechselnd hineinseufzten. Auch das kann ein vielsagendes Frage- und Antwortspiel sein. Die Luft lud sich mit Stimmung.

Sanfte Rührung erfaßte Trautchen. Ja, jetzt kannte sie ihn ganz, diesen großen Jungen. Sie sah sein Leben so deutlich! Zuerst der Bauernjunge in dem poetischen Christusdorf, mit langen, schwarzen Locken. Aus niedriger Hütte, aber gesättigt an dem Kunstsinn von Generationen, der sich in ihm zur Blüte entfalten sollte. Die Schnitzschule, dann die Kunstgewerbeschule in München, und endlich die Akademie. Ja, ein Bauernjunge, aber er hatte es zu etwas gebracht und würde es weiter bringen unter kluger Leitung. Schon wurden seine Bilder gekauft. Trautchen ahnte nicht, daß Tonis Kunsthändler im Hauptberufe Friseur war, und daß er zudem seine Ankäufe längst eingestellt hatte, weil es ihm nie gelungen war, auch nur eins dieser Meisterwerke wieder an den Mann zu bringen. Nein, sie träumte sich hübsche, runde Ziffern, und ihr Herz wurde weich.

Freundlich und ganz den linden Wallungen ihres Gemütes hingegeben, streichelte Trautchen mit erfahrenem Taxatorblick die soliden Möbelstücke von Tonis Atelier. Doch dabei drängte sich ihr etwas auf, worüber sie bisher hinweggesehen hatte; sie konnte jetzt selber nicht mehr begreifen, wie das möglich gewesen war.

Was zunächst ihr Staunen erregte, darin hätte jemand andres nichts als eine gewöhnliche Ansichtspostkarte gesehen. Sie zeigte in feinstem Farbendruck eine Vollmondlandschaft, die zweifellos von Poesie nur so troff, deren künstlerische Qualitäten jedoch ihre Verwendung als Wandschmuck bei einem Maler recht unglaubwürdig machten, ganz zu schweigen davon, daß sie auch gar nicht an der Wand hing, sondern mit zwei Reißzwecken unsymmetrisch auf der Tür eines Biedermeierschrankes festgemacht war, der neben dem Fenster stand und von diesem noch ziemlich viel Licht erhielt.

Und wie Trautchen ihre nunmehr geschärften Augen weiterschweifen ließ, konnte es ihr nicht verborgen bleiben, daß eigentlich alle Fahrnisse in dem Atelier irgendwo an einer unwahrscheinlichen Stelle in der gleichen befremdenden Weise verschönert waren.

Ein Ruck der Verwunderung schnellte durch Trautchens Gestalt; sie saß plötzlich steil da, ein sehr leerer Luftraum klaffte zwischen ihr und Toni, auch ihre Hand wurde schlanker und lag nur noch lose zwischen den seinen.

Er spürte sofort, daß irgend etwas Verkehrtes in die Stimmung hereingeplatscht war.

»Trautchen! Was is?« fragte er mit dem Ansatz zu einem Lachen und schüttelte ihre Hand in sanfter Heftigkeit, als wolle er sie wecken.

Aber sie war sehr wach, so wach, wie er es wahrscheinlich in seinem ganzen Leben nie werden konnte. Denn er war ein Mann.

Plötzlich glitt ihre Hand aus denen Tonis; keinen anderen Grund konnte man dafür annehmen, als daß sie gerade nach dem Fenster zeigen mußte.

»Hören Sie?« Keine Frage der Welt hätte ungezwungener klingen können.

»Was?« forschte er; denn er vernahm nicht den geringsten Laut, der geeignet gewesen wäre, ihm aufzufallen.

Sie saß nicht mehr; eine Bewegung ihrer flachen Hände bedeutete ihn, daß er ganz ruhig sein müsse, ihr Oberkörper reckte sich mit anstrengender Spannung gegen die Scheiben, hinter denen die Bläue sich schnell vertiefte.

»Dies Klingeln! Die Feuerwehr!« erklärte sie dann sehr sicher.

»Ah, woher denn!« widersprach er. »Was Sie meinen, das is bloß die Trambahn.«

»Trambahn, das Klingeln von der Trambahn ist ganz anders.«

»Aber Trautchen, ich hör es hier doch täglich hundertmal.«

»Einerlei! Und ich möchte wetten! Also horchen Sie doch!«

»Weiß der Teufel!« rief Toni plötzlich. Nun war auch er aufgesprungen. Selbstverständlich, es mußte in der Nähe irgendwo brennen. Wie geschoben durch die Willenskraft, die hinter ihm mächtig war, eilte der starke Mann zum Fenster. Aber er war zu hastig: vergeblich rüttelten seine großen Pratzen eine Weile am Riegel. Trautchen folgte ihm langsamer und handelte dabei viel schneller. Die nächste der sonderbaren Postkarten, die ihr auf dem Wege zur Hand war, wurde ein wenig aufgebogen, ohne daß sie deswegen erst groß haltmachte. Ein flüchtiger Blick bestätigte ihr, was sie geahnt hatte, aber wissen wollte. Es herrschte kein Zweifel darüber, was für ein Beamter hier kürzlich seine Pflicht erfüllt hatte.

Als Toni das Klappfenster glücklich aufbrachte, stand das geschickte Mädchen dicht hinter ihm, man konnte glauben, schon lange. Er streckte den Kopf hinaus und holte ihn, ein paar lockre Schneeflocken auf seinen Haaren, sehr bald wieder herein.

»Nix! Die ganz gewöhnliche Trambahn! Hören Sie: jetzt wieder!« verkündete er triumphierend. »Also, ich hab's doch gewußt!«

Gewußt hatte zwar eigentlich sie es, aber sie erwiderte nachgiebig:

»Sonderbar! Und ich hätte schwören können ...«

»Brr!« Er schüttelte sich. »Diese Sau ... pardon: diese Mordskälte!« Und schnell schlug er das Fenster zu, freudig bereit, gleich wieder warm zu werden. Doch nützten ihm diese guten Vorsätze nicht viel; denn von Trautchen strahlte auf einmal eine Kühle aus, eisiger noch als der Nordwind, der draußen den Schnee an die Scheiben klebte.

»Hi–ja«, sagte er, sichtlich verlegen, und zermarterte seinen Kopf um eine passende Anknüpfung an das traute Idyll von vorhin.

Sie ließ dies peinliche Schweigen lang werden, empfand sie doch, daß jede Sekunde ihm eine Waffe raubte und etwas von seiner Zuversicht. Aber auch in sich mußte sie manches zur Ruhe bringen, bevor sie wieder die Alte war und den Rückzug aus diesem Hinterhalt, in den ihr Eroberermut sie verlockt hatte, ehrenvoll und mit flatternden Fahnen antreten konnte – noch auf der Flucht ein Sieger.

– Nur nichts merken lassen! sprach sie zu sich. Nicht den Schimmer einer Ahnung bekommen durfte dieser Mensch, der in so ungeordneten Verhältnissen lebte, von den Zuckungen ihrer Nerven. Und sie zuckten ja gar nicht, zuckten ja gar nicht! Trautchen machte ihr Rückgrat steif und biß die Zähne zusammen. Ans Herz griff ihr diese Enttäuschung doch.

»Wieviel ist es schon, sagten Sie?« so unterbrach sie plötzlich die Stille.

»Ach, Sie haben noch Zeit!« beruhigte er.

»Nein, bitte, sehn Sie nach!«

Das war leichter gesagt als getan. Denn Tonis Uhr schlummerte schon seit einem Vierteljahr im Leihhaus. Aber das hinderte ihn nicht, sich jetzt zum Fenster zu wenden, etwas Imaginäres aus seiner Westentasche zu holen, dieses Stück Nichts gegen das scheidende Licht zu halten und mit Mühe und Sorgfalt eine ebenso imaginäre Zeit davon abzulesen.

»Erst halb fünf«, erklärte er sicher und vergaß nicht, das Phantom seines Chronometers geistesgegenwärtig wieder einzuschieben.

Doch trotzdem er dabei, teils aus Absicht, teils aus Zufall, gut eine Stunde unterschlagen hatte, bekam es Trautchen auf einmal sehr eilig. Alle seine Bitten, all die verstohlne Zärtlichkeit, die er in seiner Stimme schmelzen ließ, alle Gegengründe waren, wie er bedauernd feststellen mußte, umsonst. Sie hatte sich schon um vier mit Frau Ladurner verabredet, und es ging absolut nicht. Was sollte Brita denn glauben!

Mehr als einmal war Toni drauf und dran, sie mit der Gewalt seiner Leidenschaft und seiner Arme über ihre Bedenken hinwegzuheben. Aber immer im entscheidenden Augenblick stockte sein Fuß, sank ihm der Mut.

– Feiger Hanswurscht! so schmähte er darob vergebens sich selber.

Damit freilich tat er sich unrecht. Er war gar nicht feiger als andre. Kein normaler Mann hat einer Frau gegenüber in Liebessachen so leicht den Mut zu etwas, was sie ihm nicht gestatten will. Das wußte Toni bloß nicht. Um so besser wußte es Trautchen. Und nichts lag ihr ferner, als es wieder so weit kommen zu lassen wie vorhin in dem Nachbaratelier.

»Nein«, sagte sie, durchaus nicht unfreundlich, aber jede Widerrede ausschließend. »Ach, und ich muß ja auch noch ...«, fügte sie, wie in einem Einfall, hinzu und griff in ihre Haare. »Sein Sie so gut und machen Sie Licht!«

Er wollte sich wehren, ließ es dann aber und setzte langsam Fuß vor Fuß. Ein Glück, daß die städtischen Elektrizitätswerke die Drohung, ihm wegen Säumigkeit im Zahlen den Strom zu sperren, noch nicht wahrgemacht hatten. Licht, ja freilich, damit konnte er dienen! Ordentlich wohlhabend kam er sich vor. Den Bruchteil einer Sekunde zauderte er noch an der Tür und wendete den Kopf nach Trautchen um. Als dunkle Silhouette hob sie sich vom Fenster ab.

»Hach ja!« seufzte er dann und drehte den Schalter.

Eine Helligkeit, die zuerst weh tat, stürzte von der Decke an den Wänden herunter, prallte vom Boden wieder empor, hielt auf halber Höhe mit einem Ruck inne, füllte still und gleichmäßig den Raum. Am lichtesten stand plötzlich das blonde Mädchen vor den schwarz gewordenen Scheiben.

Er sah es, und sie empfand es, Jede Spur der äußerlichen Unruhe glitt von ihr ab. Ihr Verstand hatte sie fest im Zügel; und solange sie noch da war, konnte sie unbefangen mit Toni plaudern, nett und liebenswürdig, doch fremd, ganz fremd, wie eben eine vom Zufall Hierhergewehte.

So lehnte sie in dem Klubsessel und flocht die Zöpfe. Er, halb sitzend an den Sofatisch gestützt, schaute ihr zu. Sie legte jetzt bewußt keinen Wert auf Anmut, sondern arbeitete eilfertig und sachlich; doch vielleicht gerade darum, und weil über ihrer ernsthaften Geschäftigkeit ein leiser Hauch von Komik lag, hatten ihre Bewegungen für den großen Jungen etwas Rührendes, wurde sein Herz weicher und hingegebener, als es in den heißesten Momenten der verflossenen Stunde gewesen war. Und so schmolz ihm das letzte bißchen Erobererkraft. Zärtlich verträumt lauschte er ihren plätschernden Worten und antwortete einsilbig, mehr irgendwohin nach innen horchend.

Einem schärferen Blick als dem seinen wäre es vielleicht aufgefallen, daß Trautchens Schneckerln, da sie nun wieder über ihren Ohren saßen, kaum den halben Umfang hatten wie sonst. Ob es wohl, trotz ihrer Geistesstärke, nicht doch eine Auswirkung der niedergekämpften Erregtheit war, was sie gar so stramm hatte flechten lassen? Aber in kindlich großer, geradezu leerer Ruhe sahen ihre Augen ihm ins Gesicht, als sie sich nun erhob und ihm die Hand hinhielt.

»Adieu, Herr Gwinner! Und vielen Dank noch!«

»Dank?« stammelte er verwirrt und hielt ihre Hand fest. »Ich habe zu danken! Und, Trautchen«, fügte er in kühnem Anlauf hinzu, »wann sehen wir uns wieder?«

»Nun, das wird sich ja finden«. Sie machte sich los.

»Nein, nein, bestimmt! Und sie haben mir doch versprochen ...« Er deutete auf den Kopf seines vom Teufel entführten Malweibes.

»Ach?« fragte sie, leise erheitert. »Und das haben Sie im Ernst ...?«

»Aber!« jammerte er. »Ja, dann wird es ja doch nix, das Bild! – Ach, bitte, bitte! Das hat mir ja so imponiert von Ihnen!«

»Nun«, sagte sie, »wollen sehn, was sich für Sie tun läßt!«

»Also wann?« drängte er. »Morgen?«

»Nein, morgen – da ...«

»Übermorgen?«

»Kaum. Ich muß nämlich ...«

»Ja, aber wann denn?«

»Hm«. Sie zuckte lächelnd die Achseln. »Wenn ich komme, bin ich da.«

Das klang nicht verheißungsvoll. Er fühlte sich sehr niedergeschlagen.

Also!« Sie nickte freundlich und machte sich auf den Weg.

»Aber!« Erbärmlich wehleidig stieß er das hervor, in bittrer Anklage gegen das Schicksal. Er suchte instinktiv nach einem Vorwand, sie wenigstens einen Moment noch zu halten; und da fiel ihm etwas ein: »Ja, und wo ist denn ...? Ihr Mantel? Der Hut?«

»Hab' ich nicht«. Sie drückte auf die Klinke.

»Haben Sie net?«

»Aber ich wohn' jetzt doch unten, bei Brita Ladurner.«

»Ach«, rief er, förmlich erlöst, »da sind wir ja Hausgenossen!«

»Wußten Sie denn das nicht?« Wiederum neigte Trautchen Urlaub nehmend den Kopf. Und ehe sich's Toni versah, war die Flurtür hinter ihr ins Schloß gefallen.

Er machte ein verdutztes Gesicht. Aber dann klammerte er sich voll Vertrauen an die überraschende Kunde, die ihm geworden war.

»Feit si nix!« sprach er vergnügt zu sich. »Wundern sollst du dich, Madel, wie bald daß du wieder da herin bist! – Ha, ich kenn' mich schon aus!«

Aber diese Zuversicht sollte ihn täuschen. Trautchen legte nur noch geringen Wert darauf, hier Hausgenossin zu sein. Schwante ihr doch, daß sie dabei täglich auf der Treppe die Gefahr der unerwünschten Begegnungen laufen könnte. Wohl fühlte sie sich fähig, den frechen Theo mit einem Blick der Verachtung in Grund und Boden zu schmettern; aber der Anblick Tonis, des starken Oberammergauers, würde ihr doch am Ende jedesmal einen Stich ins Herz versetzen.

Darum erinnerte sich Trautchen daran, daß sie und ihre Freundin Brita über manche der entscheidendsten Lebensfragen sehr verschieden dachten. Dies war schon mehrfach zutage getreten, wenn ihr weibliches Solidaritätsgefühl den Drang in ihr weckte, die so schnöde und in so prekären Geldumständen zurückgelassene Strohwitwe mit ihrem Mitleid zu überströmen. Dann hatte sie sich wirklich immer sehr wundern müssen, wie gerade albern glücklich in ihrer Ehe sich diese Frau fühlte, deren, man durfte wohl sagen, verdammte Pflicht und Schuldigkeit es doch gewesen wäre, kreuzunglücklich zu sein, mit so einem Egoisten von Mann!

Heute nun erwies sich Trautchens Mitleid besonders groß und gewann bald eine deutliche Schärfe nach der Richtung des sorglosen Abessinienpilgers, was, zur gekränkten Überraschung der Trösterin, von Brita sehr übelgenommen wurde. Ein Wort gab das andre, Tränen hier entfesselten Tränen dort; schließlich wurde ein Koffer gepackt, und ein notleidender Dienstmann hatte noch in vorgerückter Abendstunde eine unverhoffte Einnahme, wie denn auch Trautchens frühere Pensionswirtin wieder beruhigter in die Zukunft blicken durfte.

 

So war denn die hübsche Blondine den Bewohnern des vierten Stockes unsichtbar geworden. Und blieb es. Nun, und die zwei, die Maler?

Sie fanden sich damit ab, am leichtesten allerdings Theo. Aber auch Toni verschob seine Kundschafter- und Plänklerexpeditionen von heute auf morgen und übermorgen, weiter und weiter. Notgedrungne Arbeit und die kneifenden Sorgen des Alltags schaffen magern Nährboden für den Bazillus der Leidenschaft. Auch spielte ein gewisses Schamgefühl vor dem Nachbarn mit, der es an schnöden Bemerkungen über heiratswütige Ölkusinen, die bei ihm aber sehr sauer an dem Falschen gelaufen seien, durchaus nicht fehlen ließ. Toni wäre vielleicht so ein Rindvieh. Na, viel Vergnügen!

Nun, und die haarsträubende Verdächtigung, er könnte auch nur von fern an Standesamt und dergleichen philiströse Menschenfallen denken, wird doch ein rechter Bursch nicht auf sich sitzenlassen. Dagegen wehrt man sich, und besonders laut, wenn das Schicksal es will, daß man eigentlich in aller Unschuld und Ahnungslosigkeit schon fällig ist für die Ehe, welche Art von stillem Wahnsinn sogar bei Leuten vorkommen soll, die eine Familie überhaupt nicht zu ernähren vermögen. Danach fragt eben das Schicksal, das blinde, nicht. Ein wahres Glück noch, daß die Frauen, die sehenden, danach fragen. Sonst wäre dem frohgemuten Stande der Junggesellen wohl bald die Axt an die Wurzel gelegt.


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