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Siebentes Kapitel. Weltflucht

Der Mensch gewöhne sich an alles, behauptet der Volksmund, der es sich mit dem Prägen schlichter Weisheiten überhaupt leicht macht. Und das Leben soll derartigen Sprüchen weiß Gott manchmal recht geben. Jedenfalls lieferte die Zeit, die auf Tonis negativ verlaufenen großen Schlag folgte, den Beweis dafür, daß auch etwas so Unwahrscheinliches wie die Arbeit zur Gewohnheit ausarten kann, auch bei den stärksten Männern, wenn die Vorbedingungen gegeben sind.

Es ist dies ein Zustand gewiß der Verzweiflung, aber über deren Bitternis täuscht ein milder Zuckerguß freundlich hinweg: man fühlt sich so tugendhaft in seinem Fleiß und wiegt sich in dem guten, alten Kinderglauben, daß die Tugend zum Schluß doch belohnt werde. Diese großen Rosinen, die man unter Müh' und Plage im Sack hat, nennt man auf deutsch den Segen der Arbeit. Toni empfand ihn, war aber doch nicht sehr traurig, als er endlich wieder mehr oder weniger beruhigt Palette und Pinsel säubern durfte.

Wie in einer Vergolderwerkstatt sah es in seinem Atelier aus, als der Ablieferungstermin für die Internationale vor der Tür stand. Fünf kostbare – er war dem Lieferanten vorher nichts schuldig gewesen – und bestechende Rahmen umschlossen genau soviel Bilder: den jetzt wahrhaft gigantisch wirkenden »Raub der Proserpina« und vier bescheidenere Genossen in dem handlichen Sofaformat, alle aber mythologischen Charakters.

Hätte ein kleiner Junge in der naiven Form, wie Kinder derlei auszudrücken pflegen, den starken Mann gefragt: »Mythologie, geht das leicht?«, seine Antwort wäre mit Recht gewesen, daß sie sehr leicht ginge. Es öffnete sich hier ein weites und dankbares Feld; und auf die Art, wie Toni es beackerte, brauchte es dazu keine spezialistischen Fachstudien. Man malte etwas Lustiges, wie's einem gerade einfiel, und erfand sich nachher einen recht blöd' wirkenden Titel mit alten Göttern. Nichts einfacher als das!

Und man hatte so gleich die im Handel geschätzte persönliche Note, die einem nicht auswendig genug an seinen Werken kleben kann, weil sie ihren praktischen Zweck verfehlt, wenn nicht auch der Begriffstutzigste sie sofort bemerkt und davon spricht. Das Schwätzen der Dummen ist ja trotz allen Fortschritten der Reklametechnik noch immer die beste und billigste Propaganda.

Feder und Tinte gab es bei Toni nicht, und auch ihm waren die Geheimnisse einer geläufigen Kurrentschrift Geheimnisse geblieben. So borgte er sich denn zum Ausfüllen der Anhängezettel und der Meldepapiere von Theo ein Fläschchen Tusche und einen Aquarellpinsel. Mit flotten Schwüngen warf er seinen Namen, und was sonst nötig erschien, hin; das war schnell getan. Nur eine Rubrik machte Schwierigkeiten, und die sparte er sich bis ganz zum Schluß auf.

Die Verkaufspreise, Himmelherrgott, die Preise! Was sollte er da einsetzen? Das kroch ihm schon seit Tagen im Hirn herum. Einerseits sagte er sich: Tüchtig verlangen! Denn abgehandelt würde ja immer. Auf der andern Seite aber erhöhte Wohlfeilheit gewiß die Verkaufsmöglichkeiten.

Mit Theo konnte man von so was nicht reden: für faule Witze über die ernsthaftesten Angelegenheiten braucht ein Toni Gwinner keinen andern.

Der starke Mann hatte sogar, mit einigem Zagen, den Versuch gemacht, sich bei seinem Meister Rats zu erholen, doch Staudacher war, als ihm gemeldet wurde, wer Einlaß begehre, leider verhindert gewesen, in Wirklichkeit nur, weil auch einem Palaisbesitzer die Zwanzigmarkstücke bei den schlechten Zeiten nicht gar so locker sitzen; aber der Abgewiesene fühlte sich übel begossen: natürlich hätte der Ernstl eine Schandwut auf ihn wegen des gefälschten Telephongespräches mit Sauerländer. Warum war er auch so ein Idiot gewesen! Der würde jetzt in der Jury keinen Finger für ihn rühren! Und ob die andern ...? Die Aussichten waren belämmert.

Aber Preise mußte Toni hinschreiben. Und in einem Anfall verzweifelten Humors tunkte er den Pinsel ein und schrieb.

Auf welche einfache Weise man doch den Wert eines Gegenstandes zu steigern vermag! Ein paar Ziffern, eine Handvoll Nullen: jetzt kostete das große Bild fünfzehntausend Mark, und jedes der andern fünftausend. Der Oberammergauer lächelte in sich herein. Doch wie sich die letzte Null gerundet hatte, erstarrte sein Gesicht zu einem sehr nachdenklichen Ausdruck. Es ließ ihm keine Ruhe: er mußte eine Probe auf die Wirkung seiner kühnen Tat machen. Wohl schwankte er noch ein wenig, dann jedoch begab er sich zu seinem fleißig an einer Zeichnung aktuellen Charakters schruppenden Nachbarn und stellte ihm mit ungewohnter Gewissenhaftigkeit Tuschflasche und Pinsel zurück, ohne ein Wort. Erst als er schon wieder im Begriffe war, die Tür hinter sich zuzuziehen, fragte er lässig und wie in einem plötzlichen Einfall:

»Gehst du einmal mit 'nüber?«

»Ja? Warum?«

»Ich zeig' dir was«.

»Nu, was is?« erkundigte sich Theo ungeduldig, als sie vor der goldgerahmten Mythologie standen. »Ich muß heute bis um zwei abliefern«.

»Da stehn fünfunddreißigtausend Emm!« erklärte der Oberammergauer gespaßig.

»Hä?« machte der Nachbar verständnislos, schaute Toni an, begab sich auf dessen erklärenden Wink zu den Bildern, musterte einen Anhängezettel nach dem andern und sagte schließlich sehr gefaßt und sehr trocken: »Mach bei jedem noch eine Null dazu! Dann sind's dreihundertfufzigtausend, und' du kannst dich zur Ruh' setzen. Aber ich hab' höchste Eisenbahn. Mahlzeit!« Und draußen war er.

Toni fühlte sich im Innersten erschüttert. Nicht einmal seine brüllende Hohnlache hatte dieser Bursche aufgeschlagen. Man wurde hier also ganz einfach für übergeschnappt gehalten. Und es war ja auch natürlich ein Unsinn: er mußte die Preise ändern.

Aber das Schicksal schien etwas dagegen zu haben. Die Leute des Spediteurs wollten die Bilder holen und erklärten, als Toni sie zu warten ersuchte, weil er mit den Papieren noch nicht ganz fertig wäre, dann kämen sie morgen wieder. Denn wo sie heute noch überall hinmüßten ...!

»Also, weg mit dem Schaden!« sagte der leichtfertige Künstler und blickte hinter seinen Werken her, wie sie eins nach dem andern durch die Türe verschwanden und von jedem das Kartonrechteck mit den schönen runden Ziffern höhnisch zurückwinkte.

»Is ja wurscht!« sprach er zu sich, als alles draußen war. »Die Deppen nehmen ja doch keins davon!« Und sonderbarerweise enthielt dieser Gedanke beinah etwas Tröstliches für ihn. Er jedenfalls wollte weiter nichts sehen und hören und zog in plötzlichem Entschlusse seinen Rock aus.

Als Theo nach einer Viertelstunde, den Panamahut auf dem Kopf und die fertige Zeichnung gerollt in der Hand, bei ihm eintrat, erblickte er einen richtigen Hochalpinisten in kurzer Wichs, mit einem geschwollenen Rucksack und allen Utensilien für eine Hochtour beladen.

»Na?« fragte er verblüfft.

»Na?« fragte Toni kühl zurück.

»Ahaha!« lachte der Nachbar.

»Was: ahaha?«

»So, so? Machst du jetzt endlich die berühmte Pumpfahrt zu dem reichen Vetter nach Oberammergau?«

Der starke Mann kniff die Augen zu listigen Strichen zusammen.

»Kann schon sein«, entgegnete er nebenhinaus.

»Und mit dem Steigeisen«, höhnte Theo. »Damit du dem Vetter auf Wunsch gleich dem Buckel raufsteigen kannst«.

»Jawohl, extra zu diesem Zweck«.

»Seil dich nur gut an! Ich seh' dich schon morgen wieder hereinwanken, geknickt wie 'ne Lilie!«

»Das wirst du zwar net sehn«, begann Toni sehr ruhig; doch der andre hörte ihn nicht mehr: er hatte plötzlich die Flucht ergriffen, weil ihm die Gefahr einer Anborgung um das Fahrgeld nach dem Passionsdorf drohend zu werden schien.

Aber Theo mußte bald merken, daß seine schadenfrohe Prophezeiung sich nicht erfüllte: Tag um Tag verstrich, ohne daß etwas hereinwankte, was auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Ateliernachbarn gehabt hätte. Toni war spurlos von dem Horizont seiner Freunde und des eifrig nachfragenden Gerichtsvollziehers verschwunden – niemand wußte, wohin. Und über dieses Rätsel sollte sich in der Folge noch gar mancher den Kopf zerbrechen.

 

Einen Menschen aber gab es auf Erden, der jeden Augenblick wußte, wo sich Toni befand, und es sogar spürte. Dieser Mensch hieß Carl Nordlind oder kurz: Calle. So nannte ihn alle Welt.

Der Schwede war seit jenem festlichen Abend bei Ladurners unzertrennlich von den beiden Malern gewesen; und die hatten ihn großmütig in ihrer Mitte geduldet. Ein Freund, der sich fanatisch darauf kaprizierte, immer die Zeche für alle drei zu bezahlen und sich dafür noch mit echter Dankbarkeit jede Frozzelei gefallen ließ, das war wirklich keine alltägliche Erscheinung. Es sah so aus, als ob diese Seele von einem Skandinaven durch nichts gereizt werden könnte. Nur in einer Beziehung verstand er keinen Spaß: seinen Erzeuger mußte man für den größten Meister aller Zeiten und Völker halten und ihn selbst dementsprechend für einen fabelhaft berühmten Sohn. – Daß der Glanz des Vaters auch aus den Kindern Leuchten mache, ohne daß sie sonst etwas dafür mitzubringen brauchten, schien in dieser Familie so eine Art Dogma zu sein.

Infolgedessen taten natürlich Toni und Theo nichts häufiger, als sich bei ihrem Freunde mit leiser Verwunderung erkundigen, ob denn sein alter Herr in Schweden als Maler wirklich so bekannt wäre. Und dies klang in einer Weise echt, wie wenn sie selber den Namen Nordlind kaum jemals vernommen hätten. Auf das hin wies ihnen der sonst so leutselige Calle vor Entrüstung kugelrunde Augen und schimpfte lästerlich. Beschränkte Chinesen wären sie beide, die immer hinter ihrer großen Mauer säßen, ohne eine Ahnung davon zu haben, was draußen die Welt bewegte.

Er selber hatte sich kühn europäisiert: sein ganzer Bartwuchs war dem Schermesser zum Opfer gefallen. Also verschönt, plätscherte er wohlig in dem Strom des Vergnügens, besonders intensiv während des Faschings, und war allenthalben beliebt, weil er, wie man zu sagen pflegt, keine Stiefelsohlen fraß, hingegen im Verzehren von Weißwürsten mit deutschem Senf Wonnen entdeckte wie ein echter Altbayer, was der starke Mann als das einzige Zeichen wirklicher hoher Intelligenz an ihm feststellte.

Überhaupt: auf Calle ließ Toni nichts kommen, hatte eigentlich auch nicht den geringsten Grund dazu. War es doch dieser großzügige Mensch, der ihm über die schweren Zeiten hinweghalf und ihm die Monatsraten an die Gläubiger und noch so manches vorstreckte.

Man konnte das ja mit gutem Gewissen annehmen: diente doch auf die Art das Geld, das sowieso, hast du mir nicht gesehn, hinausflog, wenigstens den ernsten Zielen der Kunst. Von Kunst kam es, zu Kunst sollte es wieder werden.

Und der alte Nordlind mußte wahrhaftig ein gutes Verkaufsjahr haben: als der erste Kreditbrief sauber verputzt war, erhielt Calle einen zweiten, und diesem folgte, nach etwas längeren ernsten Vorreden, wahrhaftig der dritte! Es ließ sich alles so an, als könnte das mit Grazie in Ewigkeit weitergehen. Da aber schien es auf einmal endgültig geschnappt zu haben. Vater Nordlind sagte beim vierten Male glatt: Nein! Und das war Calle kaum weniger unangenehm als Toni, der solch ein Benehmen ganz niederträchtig fand.

Kläglich nach Schweden heimreisen, ohne das Ziel erreicht zu haben, das man erstrebte! Denn es soll wahrhaftig niemand glauben, daß der junge Nordlind bloß so gedankenlos in den Tag hineingelebt hätte.

Er hatte das erstemal sehr dumm geheiratet. Nun ja, das lag hinter ihm: er war in aller Form Rechtens geschieden. Deswegen also hätte Trautchen die Erwähnung seiner Frau nicht so tragisch zu nehmen brauchen. Freilich wäre sie auch kaum die rechte für Calle gewesen. Dazu wandelten sie beide auf viel zu ähnlichen Wegen, er allerdings in wesentlich größerem Stil. Hatte er schon den verzweifelten Entschluß gefaßt, wieder in den Stand der Ehe zu treten, so verlangte er nun nicht bloß eine gute, sondern eine glänzende Partie. Und daß es ihm da schwerlich fehlen könne, war ja ganz klar, bei seinem Namen und seinem Range als so eine Art Kronprinz der Kunst!

Sein Vater hegte die gleiche Meinung, und diese Pläne hatten seinen Beifall. Wer einem weltnotorischen Idealisten hieraus einen Vorwurf machen will, soll auf der andern Seite bedenken, daß er seinen Sohn kannte, ihm für andre Berufe also vielleicht keine übertriebnen Talente zutraute. Und bequemer mußte es ihm ja sein, wenn Calle statt seines eignen Geldes das einer fremden Dame zum Fenster hinauswürfe.

Aber dem alten Manne fehlte jede Erfahrung. So schnell ging das nicht. Damit muß man sich abfinden, daß die größten Geschäfte die meisten Spesen fressen. Und kann man sich denn einbilden, die Millionenerbinnen wüchsen wild und liefen nur so herum?

Die Sache war besonders fatal, weil in der Pension, wo Calle auf dem Anstand saß, gerade eine junge Amerikanerin ihren Wechsel hatte, der die Dollars nur so von der Stirn leuchteten. Sie nahm die Huldigung des Skandinaven mit der freundlichsten Heiterkeit auf, alles stand zum besten, und nun sollte er, so kurz vorm Hafen, umkehren!

Das reiche Mädchen, das außerdem, ohne darauf angewiesen zu sein, hübsch war, wurde Toni gezeigt, und er bestärkte den Freund darin, daß ein Zurückweichen Wahnsinn wäre. Er müsse seinem Vater klarmachen, welche Summe hier auf dem Spiele stünde. Er müsse sich, wenn nötig: durch Diebstahl, eine Photographie von Miß Helen Bainbridge verschaffen und sie als Beweisstück nach Schweden schicken.

Calle ließ sich schieben, er befolgte alle diese Ratschläge und verfaßte einen mit seinem ganzen Gemüt geölten Brief an den Alten, der denn auch zu dessen Herzen sprach. Die vierte Kreditanweisung traf ein, fiel jedoch wesentlich magerer aus als die früheren. Die Summe war so bemessen, daß sie für ein paar Wochen eines sachlichen, zielbewußten Lebens reichen konnte; für nebensächliche Allotria, wie die Unterstützung armer strebsamer Kunstmaler, bot sie kaum ein sehr breites Fundament.

Und dies war nun Toni eine viel peinlichere Überraschung als Calle, der im Augenblick, wenn er sich's an seinen Freunden absparte, genug hatte, und für dessen Zukunft ja glänzend gesorgt war. Leider nur erlebte er zwei Tage nach dem Eintreffen seiner Goldfregatte eine ganz infame Überraschung. Miß Helen erschien zu Mittag nicht bei Tisch. Migräne natürlich. Als sie aber auch am Abend unsichtbar blieb und er fragte, stellte es sich heraus, daß sie abgereist war, nach Philadelphia U. S. A.

Ohne von ihm Abschied zu nehmen!

Ob sie denn ...? – Ja, doch: grüßen hätte sie ihn lassen.

Aber nein, so ein dummes Mädel! Hatte wohl keine Ahnung gehabt von dem Glück, das ihr bevorstand!

Diese Enttäuschung hinwiederum war Calle viel peinlicher als Toni. Der starke Mann hatte sich klar darüber werden müssen, daß seine Wurzen zu Darlehen in der bisherigen Form nicht mehr zu haben war. Aber deswegen verlor er den Glauben an Gott noch lange nicht, sondern paßte seine Taktik den veränderten Umständen an. Er selber hatte große Lust und gute Gründe, sich vor den Augen der Welt für eine Weile zu verbergen. So richtete er denn seinen gebrochenen Freund aus Schweden auf und erklärte ihm, er hätte bisher die Sache ganz falsch angefaßt. München wäre um die Jahreszeit das denkbar schlechteste Feld für seine Pläne. Jetzt müsse man Bergtouren machen in den Dolomiten. Droben auf den Hütten wimmle es nur so von amerikanischen Milliardösen.

Calle wurde hellhörig, und sein vertrauensseliges Gemüt schöpfte auch keinen Verdacht, als Toni auf Umwegen damit herausrückte, daß das verdammt Teure bei solchen Geschichten die Bergführer seien, die man aber leider nicht entbehren könne. Zum Glück kam dem Oberammergauer plötzlich eine Idee: er als Gebirgler könnte das alles ja viel besser als diese happigen Brüder. Und, hol's der Teufel: wenn Calle wollte, der gute Kerl war bereit, sich zu opfern. Es mache ihm direkt Vergnügen, er tue es umsonst, der Freund brauche nichts, als unterwegs für ihn zu zahlen, und erspare dabei einen Scheffel Geld.

So war es gekommen, daß die beiden in aller Stille nach Tirol verdufteten und dort durch die folgenden Wochen ein mächtiges Kraxeln vollführten.

Der arme Calle, der nicht eben ein fanatischer Fußwanderer war, wurde dabei nur durch die stets wieder trügende Hoffnung weitergetrieben, in der nächsten Hütte endlich auf seine reiche Zukünftige zu stoßen. Er hatte viel auszustehen, denn Toni nahm sein Führeramt grimmig ernst und leistete eine Menge für Kost und Logis. Auf Gipfel und Türme und Spitzen schleppte er seinen schlotternden Freund; wenn der nicht gutwillig folgte, am Seil. Es ist schwer zu entscheiden, was dabei stärker in ihm war: die eigne Freude am Klettern oder das lieblose Amüsement über die Ängste des andern. Jedenfalls blühte er auf bei diesem Leben, während der Skandinave sichtlich verfiel und erst abends nach etlichen Schoppen von dem guten Spezial den richtigen gesprächigen Stolz über die vollbrachten Leistungen gewann.

Toni war die ganze Zeit in dem hellen Bergrausch, der einen die Sorgen des Tales vergessen läßt. Sah er irgendwo die »Münchener Neuesten Nachrichten« hängen, so hielt er sich ängstlich fern davon und verbot auch Calle, das Blatt zu berühren. Solange er gar nichts wußte, durfte er sich immer noch in dem Traum wiegen, seine sämtlichen Meisterwerke prangten im Ehrensaale der Sezession. Das heißt: alle fünf? Da mußte er selber lächeln. Aber doch vielleicht eins.

Na, jedenfalls, ihm war es wurscht: die ganze Malerei! Was scherte ihn die Welt, und was fehlte ihm! Nichts fehlte ihm! Bis dann, es war auf der Kölner Hütte, ein sehr betrüblicher Abend hereinbrach. Calle hatte plötzlich das Gefühl, als ob sein Geldvorrat denn doch langsam zur Neige ginge. Er raffte sich dazu auf, nachzuzählen, und siehe da: der gesundeste Optimismus konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es wirklich nur noch sehr wenig war.

»Hol' der Teufel; was sollen wir machen?« wehklagte er.

»Och«, so beruhigte ihn Toni, »mir gehn morgen zum Dings, zum Karersee, nunter, von da fahren wir mit der Post nach Bozen, und dann telegraphierst du an deinen alten Herrn, er soll dir den Draht per Draht schicken. Es is drunten grad' der richtige Platz, um zwei Rasttage zu halten, bis das Schiff eintrifft.«

Calle hatte in letzter Hinsicht stark seine Zweifel, aber schon das Wort Rasttag übte einen bestrickenden Zauber auf ihn. So wurde der Rat des starken Mannes befolgt.

Leider nur glich die Depesche, die nach langem Harren aus Schweden eintraf, aufs Haar einem väterlichen Fluch und machte alle schönen Träume zu Wasser. Toni ließ sich auch jetzt nicht einschüchtern und wußte schon wieder Rat.

»Zunächst bezahl einmal hier das Hotel!« kommandierte er. »Heißt das: nein! Gib mir den Mammon! Du ruinierst uns mit deinen blöden Trinkgeldern.«

Toni beglich also die Rechnung und hinterließ lange Gesichter bei allen Angestellten des Gasthofs.

»So!« sagte er dann befriedigt. »Es langt noch, daß mir dritter Klasse über Innschpruck nach Garmisch kommen. Verhungern tun mir unterwegs auch net. Von da bummeln mir übers Ettaler Manndl – auf das mußt du noch 'nauf, es is gar net gefährlich – schön langsam nach Oberammergau. Und dann hau' ich halt meinen Herrn Vetter, den Pfundshammel, an. Nein, Calle, da gibt's nix: du warst anständig; alles, was recht is. Ich laß dich schon auch net sitzen!«

»Aber, Toni, wird dann dieser Vetter ...?«

»Gern g'wiß net! Aber er muß! Ein paar Hunderter zieh' ich heraus aus ihm, für die erschten Zeiten in München. Und nachher muß halt dein alter Herr wieder ...«

»Nein, Toni, er nicht, das soll Gott wissen! Er ist rasend auf mir!«

»A was, mir werden lang' fragen! Ich sag' dir schon, wie du ihm schreibst! Du bist so tappet, Calle. Den Mann muß man bloß behandeln, hast g'hört: bloß behandeln muß man den Mann!«

 

So erreichten denn eines Abends schon in der Dämmerung die beiden Freunde, vom Ettaler Manndl kommend, eine Stelle auf dem Laber, wo sich der Blick ins Ammertal und nach Tonis Heimatort öffnete.

Der starke Mann stutzte.

»Ja, was wär' denn jetz' dös?« fragte er, und seine Hand wies auf ein großes Quadrat aus unruhig zitternden bunten Lichtlinien, das rechts vom Dorf auf dem Wiesengrund lag. »Horch einmal!« fuhr er überlegend fort. »Haben mir heut' net Johanni? – Freilich! Nacher is das das Sommerfest von die Akademischen. Treffen mir also die ganze G'sellschaft drunten beisammen. Teufel! No ja, aber da heroben können mir net bleiben. Und einmal muß es ja sein. Hach ja, schad' is es schon, daß sie herum is, die schöne Zeit!«


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