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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Ein Weihnachtsgeschenk


Emilie und ihre Mutter waren mittlerweile nach Eschwege zurückgekehrt. In stiller Zurückgezogenheit verlebten sie ihre Tage. Da sollten auch sie eine Überraschung erleben, die das stille Witwenheim in eine Stätte des Jubels und der Freude verwandelte. Just am heiligen Abend war es, Emilie zündete soeben in dem uns bekannten Hinterstübchen die Lichter am Weihnachtsbaum an, als ihr Ohr von dem Vorbau, der sogenannten Altane, her ein Geräusch von Tritten vernahm. Vermutend, daß es der Briefbote sei, öffnete sie die Tür. Der Schein der Lichter glitt über den Gang. Plötzlich entrang sich ein Jubellaut ihren Lippen. Im nächsten Augenblick hielt Friedrich Mutter und Schwester in seinen Armen.

»O Friedrich,« rief die Matrone in seligem Selbstvergessen am Halse des Sohnes aus, »an die Freude, diese Überraschung hätten wir nimmer gedacht. Wir erwarteten Dich erst nach Neujahr.«

»Halt!« rief Friedrich und entzog sich lachend der schier stürmischen Umarmung, »erst muß ich doch, teuerste Mutter, Ihnen und meinem Schwesterlein zeigen, was ich Schönes mitgebracht habe zum Weihnachtsfeste.«

Er ging zur Tür:

»Tritt ein, alter Freund! Und –« er wandte sich an die beiden Frauen – »je nun, meine Damen, darf ich halt bitten, auch ihm, meinem großen Christkind, ein wenig Ihre Aufmerksamkeit zu widmen?«

Herr von Gehren, der, von beiden noch gar nicht bemerkt, hinter der Tür im Schatten gestanden hatte, trat mit einer Verbeugung vor.

»Darf auch der Freund,« ertönte seine kräftige klangvolle Stimme, »der Freund des Sohnes und Bruders, sich schmeicheln, mit seinem Besuche ein wenig Anlaß zu geben zur Freude?«

»Herr von Gehren!« riefen Mutter und Tochter wie aus einem Munde. »Sie Guter, Treuer,« jubelte jene und streckte ihm in überwallendem Gefühle beide Hände entgegen. »O, seien Sie willkommen, herzinnig und tausendmal willkommen in unserm stillen Heim!«

Ungeachtet seines steifen Hüftgelenks beugte er sich nieder und küßte ihr mit ritterlichem Anstande die Hand.

»Und Fräulein Emilie,« fragte er lächelnd, »gedenkt auch sie des Versprechens, das sie dem Scheidenden damals in Kassel gegeben?«

Mit einem strahlenden Lächeln reichte sie ihm die Hand. Von einer plötzlichen Bewegung übermannt, führte er sie ehrerbietig an seine Lippen, hielt sie fest und sagte, indem er mit leuchtenden Blicken Mutter und Tochter ansah:

»Und wenn ich nun gekommen bin, mir heute noch mehr als einen freundlichen Willkomm zu holen, mir nämlich nichts weniger als diese kleine Hand zu erbitten zum Christgeschenk, werden Sie, verehrte Frau, und werden Sie selbst, teuerstes Mädchen, mir diese Bitte versagen? Verzeihen Sie diese vielleicht etwas sonderbare Art meiner Werbung – aber ein Kriegsmann ist gewohnt, stets gerade aus auf sein Ziel loszugehen.«

In holdseliger Verwirrung, mit gesenkten Wimpern und erglühenden Wangen stand Emilie vor dem ritterlichen Manne.

»Es liegt an Emilien,« flüsterte die Matrone, während ihr die hellen Tränen an den Wangen hinabrollten, »sonst sage ich mit tausend Freuden Amen dazu.«

»Und Emilie?«

Langsam erhob sie das Haupt, einen Augenblick sahen beide einander tief in die Augen; dann sank mit den geflüsterten Worten: »Dein auf ewig!« Emilie dem geliebten Manne an die Brust.

Das war ein Weihnachtsabend!

In der Werrastadt gab es eine gewaltige Aufregung, als sich die Kunde von dieser Verlobung verbreitete. Gerade jetzt aber zeigte es sich, wie groß die Verehrung war, deren die beiden Damen bei der Bevölkerung des Städtleins genossen. Die Verlobung bildete eine zeitlang förmlich das Tagesgespräch. Jedermann freute sich mit ihnen und gönnte unserer jungen Freundin das Glück, das sie an der Seite eines so trefflichen Gatten erwartete. Unter denen, die in den nächsten Tagen kamen, ihre Glückwünsche darzubringen, war auch der alte Börner. Der alte Biedermann ward verlegen und errötete wie ein Kind, als Friedrich ihn als seinen Lebensretter begrüßte. Man nötigte ihn, auf dem Divan Platz zu nehmen; die Matrone ließ Wein und Konfekt auftragen, und Friedrich stieß mit ihm auf das Wohl des Bräutigams an, der, wie er in launigen Worten behauptete, sein Glück nächst Gott doch in erster Linie dem Vater Börner verdanke. »Wäre Vater Börner,« sagte er, »an jenem Abende nicht gleich so hilfbereit bei der Hand gewesen, nichts hätte mich dem drohenden Schicksal entreißen können, niemals hätte ich die Zinnen von Falkenhagen gesehen, und mein Herr Schwager hätte noch heute keine Braut, hätte noch heute keine Ahnung, daß es überhaupt in der Welt ein so herrliches Mädel wie meine Schwester gibt. Heda, Schwager,« – er sah mit lachenden Augen Herrn von Gehren an – »hab' ich nicht recht?«

»Auf Parole, Friedrich, Du hast recht!« rief dieser lachend mit glückstrahlendem Gesicht. » Allons denn, der Schmied und Begründer unsers Glücks, Vater Börner, soll leben – hoch!«

Mit hellem Klange stießen die Gläser aneinander …

In den Tagen nach Weihnachten machten Friedrich und das glückliche Brautpaar Besuche. Sie empfanden das Bedürfnis, den beiden Männern, die sich nächst dem alten Türmer seiner Zeit ebenfalls um Friedrichs Rettung verdient gemacht hatten, ihre Dankbarkeit zu bezeugen. Der Zöllner im Chausseehause freute sich königlich, den ehemaligen Flüchtling wiederzusehen, um den er, wie er sagte, damals nicht wenig Angst ausgestanden habe, als ihm zu Ohren gekommen, was es zu Hause gegeben hatte. Er erinnerte an die damalige Begegnung des Pfarrers Sträubelein mit dem Kantonmaire; er müsse noch immer lachen, wenn er an das verdutzte Gesicht denke, das der Herr Bruder gemacht habe, als ihm der Pfarrer so hübsch habe heimgeleuchtet. Sehr gerührt aber wurde er, als Bruder und Schwester von dem erbaulichen Ende des Stiefbruders berichteten, wie er noch auf dem Todbette den Heiland und in ihm den Frieden gefunden habe.

Den Pfarrer trafen unsere Freunde inmitten seiner Knaben beim Unterricht an. Sein Gesicht war merklich verfallen; die bedenkliche Färbung der Nase und die blutumränderten Augen verrieten nur zu deutlich, wie es um den Ärmsten stand. Dennoch leuchtete sein Auge in altem Glanze auf, als er Friedrich erkannte.

»Ah, mein teurer Herr Professor,« rief er und streckte ihm die zitternde Rechte entgegen, »wie schön von Ihnen allen, daß Sie den alten Sträubelein aufgesucht haben! Ich hatte von den fröhlichen Ereignissen daheim, Ihrer Rückkehr und« – er wandte sich an Emilie – »Ihrer Verlobung, mein Fräulein, bereits gehört – meinen herzlichen Glückwunsch! Und das also ist der Herr Schwager?«

Er schickte die Knaben hinaus.

Die Freunde nahmen Platz und erkundigten sich nach seinem Ergehen.

»Wie soll's gehen?« gab er mit schmerzlicher Miene zur Antwort. »Sie haben, Herr Professor, gehört, daß mein Rudolf nicht mehr unter den Lebenden ist?«

»Meine Schwester hat mir davon erzählt,« erwiderte Friedrich ernst. »Die Nachricht hat mich auf das tiefste betrübt. Der brave Junge! Sie haben ihn geopfert auf dem Altare des Vaterlandes. Ein schweres, aber ein schönes Opfer, Herr Pfarrer!«

Straubelein nickte. »Das sage ich mir auch, aber – wie Sie sagen, Herr Professor, es war doch schwer. Erst die Frau, und dann dieser – dieser Junge!« Die Stimme brach ihm. »Von diesen treulosen, vertragsbrüchigen Welschen in dem schuftigen Stücklein bei Kitzen getötet … Herrgott, das Unglück! Mich hat der Jammer fast umgebracht, das furchtbare Herzeleid hat den witzigen Sträubelein zum dämlichen Narren und – und – nun, was soll ichs verschweigen? pfeifens doch die Spatzen schon von den Dächern – den freiheitdürstenden Patrioten zum elenden Sklaven, zum erbärmlichen Trinker gemacht …«

Unsere Freunde waren erschüttert.

»Mein armer, lieber Herr Pfarrer,« sagte Friedrich weich, »mußte es denn wirklich dahin kommen? Ach, daß ich nicht damals sogleich meine warnende Stimme erhoben habe. Ich hatte eine Ahnung, wie es stand, wie es kommen würde, und konnte doch schweigen. Nehmen Sie doch noch jetzt den Kampf auf mit diesem Feinde, raffen Sie sich entschlossen auf, noch ist es nicht zu spät!«

»Es ist zu spät,« erwiderte Sträubelein tonlos. »Ah, hat der Teufel Sie erst in der Mache, da helfen alle frommen Entschlüsse und Vorsätze nichts mehr.«

»Nein,« fiel Herr von Gehren mitleidig ein, »da haben Sie freilich recht. Aber ein anderer ist über den Starken gekommen und hat ihn überwunden, Jesus Christus, der Sohn Gottes, unser Mittler und Heiland. Im Zeichen des Kreuzes siegen wir.«

»Ja, lieber Freund, so ist es,« ergänzte Friedrich. »Klagen Sie Jesu Ihre Not, ergreifen Sie den Trost der Vergebung in Seinem Worte; bitten Sie um den Beistand des heiligen Geistes – und der barmherzige Gott hilft auch Ihnen, Herr Pfarrer.«

Sträubelein sah die Freunde mit großen Augen an.

»Sonderbar,« meinte er, »überall vernimmt man wieder diese Rede vom alten Glauben. Ich hatte den Herrn Professor sonst eigentlich zu den Aufgeklärten gerechnet … Aber Sie meinen es gut, ich danke Ihnen.«

»Liebster Herr Pfarrer,« nahm Emilie das Wort, »glauben Sie, diese Rede ist die Wahrheit. Tun Sie, ach, ich bitte Sie herzlich darum, wie die Herren sagen, nehmen Sie das Wort Gottes zur Hand, klammern Sie glaubend, betend, sich an die Gnadenverheißungen dieses Wortes an, und Sie werden diesen Feind überwinden.«

Der Pfarrer versank in Nachdenken. »Wollens versuchen,« sagte er, »ob's helfen wird? … Ich bin ein verlorener Mann …« Er brach in Tränen aus.

Hätte er den Rat befolgt! Ein bedauernswerter Mann, sank er in der Folge tiefer und tiefer. Den reumütigen Anwandlungen, die zuweilen, in bitterer Selbstanklage sich äußernd, am Morgen eintraten, folgte regelmäßig ein desto schlimmerer Fall. Schließlich mußte er des Amtes entsetzt werden. In einem Dörflein in der Nähe von Hersfeld verlebte er seine letzten Tage. Das Häuschen, in dem der Vereinsamte Wohnung genommen hatte, sah der Erzähler in seiner Schülerzeit. Noch machte damals ein Verslein die Runde, das er in bitterer Selbstironie an die Haustür geschrieben haben soll:

»In diesem kleinen Häuselein,
Da wohnt der Herr Pfarrer Sträubelein.«

So ging ein Mann unter, der, eine reich begabte, groß angelegte Natur, glänzend durch allezeit schlagfertigen Witz und beißenden Humor, nicht zum wenigsten berufen schien, in dem Geisterkampfe jener Tage eine hervorragende Rolle zu spielen – trotz des bunten Gerankes grotesker Komik, das ihm der Volksmund angedichtet hat, eine tieftragische Erscheinung aus jener Zeit …

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