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Neunzehntes Kapitel.
Der Spion


Es war eine laue sternhelle Septembernacht, etwa eine Woche nach der furchtbaren Niederlage des französischen Heeres unter Vandamme bei Kulm, da hielt am Rande eines Wäldchens, das sich an der böhmisch-sächsischen Grenze über einen langgestreckten Hügelrücken zog, eine etwa fünfzig Mann starke Reiterpatrouille. Die Reiter waren abgesessen; die Zügel ihrer Pferde in der Faust, lauschten sie, vom Waldesschatten verdeckt, in die dämmernde Ebene hinaus, die sich am Fuße des Hügels ausdehnte. Aus der Ferne schimmerten in langer Reihe die Biwakfeuer einer feindlichen Heeresabteilung herüber.

»Sergeant Siebert,« wandte der Anführer, eine stattliche Erscheinung, sich leise an einen älteren Soldaten, »was ist das für ein Ding, das sich in der Erdspalte dort unten bewegt?«

Scharfauslugend deutete er mit dem Finger nach einer niedrigen Schlucht, die sich in einiger Entfernung von dem Hügel in der Richtung des feindlichen Lagers durch das Gelände zog. Zwischen dem niedrigen Gebüsch, das die Ränder der Schlucht bedeckte, bewegte sich, bald auftauchend, bald verschwindend, eine schattenhafte Gestalt – ob Mensch ob Tier, war bei dem matten Dämmerlicht aus der Entfernung nicht zu erkennen.

»Zu Befehl, Herr Leutnant, ich weiß es nicht,« gab der Sergeant in verdrießlichem Tone zurück. »Habe mir das Ding auch schon die ganze Weil' her betrachtet.« Er verschärfte seine Aufmerksamkeit. »Zum Henker,« murmelte er, »was mag es sein?«

Die anderen Krieger wurden aufmerksam. Alle richteten ihre Blicke auf die rätselhafte Erscheinung.

» A la bonheur,« flüsterte der Offizier, »das müssen wir auf alle Fälle herausbekommen. Die Sache scheint nicht geheuer zu sein. Sergeant,« befahl er, »besteigt schnell Euer Pferd« – er selbst stand bereits mit dem Fuße im Steigbügel – »und folgt mir. Reitet Ihr rechts, ich werde die linke Seite der Schlucht zu gewinnen suchen. Entschlüpfen darf uns der Kerl – ich glaube es ist einer – aus keinen Fall.«

Im Nu waren beide im Sattel. »Ihr andern,« raunte der Offizier den Soldaten zu, »erwartet uns. Haltet Euch zu augenblicklichem Aufsitzen bereit, laßt Euch aber nicht beikommen zu schießen, wenn etwa die feindlichen Posten Lärm machen sollten.«

Im Galopp setzten beide den Hügel hinab.

Die Zurückgebliebenen bemerkten, daß der Schatten einige Augenblicke seine Bewegungen hemmte; gleich darauf sahen sie die Gestalt mit affenartiger Geschwindigkeit in langen Sätzen die Sohle der Schlucht entlang stürzen. Es war offenbar ein Mensch. Mit gespannten Gesichtern verfolgten sie den Verlauf der begonnenen Jagd.

Die Rosse flogen über das Feld. Jetzt hatten sie den Flüchtling ereilt. Man hörte den drohenden Anruf des Offiziers: »Halt da – keinen Schritt weiter, oder Ihr seid des Todes!«

Ein Pistolenschuß dröhnte durch die Nacht. Verzweifelten Mutes bestrebt, sich die Bahn freizumachen, hatte der Flüchtling auf den Leutnant gefeuert. Die Kugel hatte jedoch das Ziel verfehlt. Die Soldaten sahen, wie der Angreifer, von dem Säbelhiebe des herbeigeeilten Sergeanten getroffen, zusammenstürzte.

Der Schuß hatte das Echo in den Bergen geweckt und die feindlichen Vorposten in Bewegung gebracht. Schüsse krachten. Aus der Ferne tauchten feindliche Reiter auf. Ehe sie jedoch die Schlucht erreichten, befanden sich die beiden Deutschen bei den Kameraden in Sicherheit. Den Gefangenen hatte Siebert, ein baumstarker Mann, zu sich auf das Pferd genommen.

»Aufgesessen!« ertönte das Kommando des Offiziers. Im Augenblicke saßen alle zu Pferde. Ihre Blicke flogen über das Feld. Immer näher tönte der Hufschlag der feindlichen Rosse, immer deutlicher hoben sich die Gestalten im Mond- und Sternenschimmer von dem schwarzen Gelände ab; es schien ein ganzes Geschwader zu sein.

Noch zögerte der Offizier. Dann aber erscholl sein Kommando:

»Achtung! Ganze Schwadron kehrt! … Vorwärts, marsch marsch!«

Die Reiter spornten ihre Rosse. Als die Franzosen den Platz erreichten, war nichts mehr von ihnen zu sehen. Der Anführer donnerte ein Dutzend foudres und diables heraus, daß man sich durch einen blinden Lärm habe täuschen lassen; nicht willens, sich in dem coupierten Gelände, das sich vor den feindlichen Stellungen ausdehnte, der Gefahr eines Ueberfalles auszusetzen, befahl er fluchend den Rückmarsch.

Eine Viertelstunde mochten die Deutschen in sausendem Galopp geritten sein, als sie einen Posten erreichten, dessen rauhes: »Wer da?« ihnen Halt gebot. Sie gaben sich zu erkennen und wurden zur nächsten Feldwache zurechtgewiesen. Sie lagerte, aus einer Kompagnie österreichischer Scharfschützen bestehend, in einem kleinen Vorwerk, dessen Bewohner vor etlichen Tagen bei dem Herannahen des inzwischen geschlagenen Vandammeschen Korps geflüchtet waren. Der Hauptmann der Feldwache wurde gerufen. Er erschien mit einer Laterne in der Hand und machte ein erstauntes Gesicht, als er die Uniform der russisch-deutschen Legion erkannte.

»Ah, Herr Kamerad,« rief er dem Offizier entgegen und hielt die Laterne hoch, »was verschafft mir die Ehre? Gibts holters was neues?«

Jener legte die Hand salutierend an den Czako und stellte sich vor.

»Leutnant von Grandenborn also,« wiederholte der gemütliche Osterreicher und salutierte ebenfalls. »I moin holters, den Namen mußt' schon gehört haben. Hauptmann von Windischgrätz, zu dienen. Sie wünschen, Herr Leutnant?«

»Ich hätte eine Bitte, Herr Hauptmann,« gab unser Freund, Friedrich von Grandenborn, zur Antwort. »Können Sie mir nicht einen Ihrer Leute als Führer mitgeben in das Hauptquartier? Ich bin seit mehr als zwanzig Stunden auf einem Rekognoszierungsritt unterwegs – ein toller Ritt, sag' ich Ihnen, mitten zwischen den marschierenden feindlichen Heeressäulen hindurch; ein wahres Glück, daß wir in dem braven sächsischen Landvolke so wackere Verbündete haben, sonst wäre es uns einigemale recht schlecht ergangen … und muß jetzt unbedingt noch vor Tag im Hauptquartier sein, um Sr. Exzellenz dem Fürsten von Wittgenstein über die Stellungen des Mortierschen Korps und die Bewegungen Napoleons Bericht zu erstatten. Der Führer muß ein wegkundiger Mann sein, der im Stande ist, uns den kürzesten Weg zu führen. Haben Sie einen solchen?«

»Zehn für einen, Herr Kamerad!« Des Hauptmanns Blick streifte den Gefangenen, den des Leutnants Begleiter vor sich im Sattel hielt. »Na, wen haben's denn da?« fragte er. »Einen Gefangenen gemacht?«

»Einen Kerl,« versetzte unser Freund, »der, wenn nicht alles trügt, verräterische Streiche im Kopfe führte – einen Spion.«

Der Österreicher machte große Augen.

»Einen Spion?«

Neugierig trat er näher. Der Schein der Laterne fiel auf ein ausnehmend häßliches Gesicht, dessen Züge Schmerz und Angst vollends entstellten; ein Paar dunkler unheimlich rollender Augen glühte dem Hauptmann entgegen. Plötzlich brach dieser in ein schallendes Gelächter aus.

»Donner und Doria,« rief er, »aber das ist holters kostbar – Herr Doktor, Sie?«

Friedrich von Grandenborn sah verwundert den Österreicher an.

»Der Tausend, der Herr Hauptmann kennen ihn?« fragte er.

»Sollt' ich den Herrn nicht kennen,« erwiderte dieser unter fortwährendem Lachen. »Seines Zeichens ein Arzt, in Ungarn zu Hause, hat er sich holters Sr. Exzellenz, dem General Ostermann nach der Kulmer Schlacht als Volontärarzt zur Verfügung gestellt. Noch gestern sah ich ihn, in sehr lebhafter Konversation mit dem General in dessen Quartier. Sie haben eine Krähe gefangen, Herr Kamerad.«

»So?« versetzte unser Freund fast verblüfft. »Aber das wird sich ausweisen, Herr Hauptmann. Die Umstände, unter denen ich seiner habhaft geworden bin, waren äußerst verdächtig.«

Das Gesicht des Gefangenen, dem kein Wort dieses Zwiegespräches entgangen war, hatte sich aufgehellt. Aus den Worten des Hauptmanns dämmerte ihm etwas wie ein Hoffnungsstrahl. Im Tone sittlicher Entrüstung stieß er hervor:

»Der Herr Hauptmann kennen mich also. Sie werden, denke ich, nicht Ihre Hand bieten zu dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit. Ich protestiere gegen die unwürdige Behandlung, die mir, einem unbescholtenen Manne, von diesem Herrn widerfahren ist und bitte um Ihre Intervention, Herr Hauptmann.«

Er sprach in fließendem Deutsch.

Der Österreicher zuckte bedauernd die Achseln. »Mein lieber Herr Doktor,« entgegnete er, »was kann ich eigentlich tun? Welcher Teufel – nehmen's holters nicht übel, – reitet Sie auch, sich in eine so fatale Situation zu begeben? Wie war denn die Geschichte, Herr Leutnant?«

Friedrich von Grandenborn berichtete den Vorgang. »Ein Mensch,« schloß er, »der keiner Schuld sich bewußt ist, flieht nicht, setzt sich auch nicht in so verdächtiger Weise zur Wehr, wenn er von Soldaten der eigenen Partei angerufen wird. Sie haben,« wandte er sich an den Gefangenen, »die feindlichen Posten in Alarm gebracht, Herr, und werden Sie etwa leugnen, daß das Ziel Ihrer Flucht das französische Lager war?«

»Das leugne ich allerdings,« versetzte der Gefragte. »Ich suchte Kräuter für meine Verwundeten; was wunders, wenn ich, so urplötzlich angegriffen, vor Schreck den Kopf verlor? Sie konnten ebenso gut Baiern, Sachsen oder Westfälinger als Österreicher oder Preußen sein. Wohin ich lief, darüber konnte ich mir in dem Augenblicke wahrhaftig keine Rechenschaft geben. Ich muß sehr energisch bitten, meine Herren, mich freizugeben.«

Die beiden Offiziere sahen einander an. Die Ausrede klang wahrscheinlich genug.

»Fatale Geschichte,« flüsterte der Hauptmann Friedrich zu; »wird holters schwer sein, ihm das Gegenteil zu beweisen.«

»Immerhin,« gab Friedrich ebenso leise zurück; »schon der eine Umstand macht ihn verdächtig – die weite Entfernung vom Lager. Jedenfalls,« wandte er sich laut an den Gefangenen, »bin ich verpflichtet, Sie mitzunehmen ins Hauptquartier. Stellt sich dort Ihre Unschuld heraus, soll es mich freuen. In dem Falle bin ich zu jeder geziemenden Genugtuung bereit. Aber mit müssen Sie, Herr.«

Der Gefangene beteuerte seine Unschuld bei Himmel und Hölle, er bat und drohte – aber sein Widerspruch wurde nicht weiter beachtet. Auf die Bitte unseres Freundes ließ der Österreicher Verbandzeug bringen; dem Gefangenen, der durch den Säbelhieb am Arme verwundet war, wurde ein Notverband angelegt; der Hauptmann gab den geforderten Führer mit, und Friedrich von Grandenborn verabschiedete sich.

Wohlbehalten erreichte er gegen Morgen sein Ziel, das Städtchen Berggieshübel. Der erste, auf den er beim Eintritt in das Städtlein stieß, war sein Freund Oberstleutnant von Gehren. Er saß zu Pferd.

»Auf Parole, Herr Kamerad,« rief dieser, lachend über das ganze Gesicht, ihm schon von weitem entgegen, »Sie kommen zu einer glücklichen Stunde. Erfreuliche Nachrichten sind eingetroffen, wissen Sie schon?«

»Was für Nachrichten? Hollah, da wäre ich neugierig. Guten Morgen!«

Sie schüttelten sich die Hände.

»Sie wissen also noch nichts,« fuhr Herr von Gehren in fröhlichster Stimmung fort; »nun, Freundchen, so hören Sie: bei Dennewitz ist ein glänzender Sieg erfochten worden. Die Franzosen haben ganz gewaltige Hiebe gekriegt. Großbeeren, Katzbach, Dennewitz, Kulm – die Scharte von Dresden her, dächte ich, wäre ausgewetzt! Und noch eins, was Sie als Westfale besonders erfreuen wird: die westfälischen Truppen gehen massenweise zu uns über. Das Gerücht, daß der eigene Bruder des westfälischen Generals, Oberst von Hammerstein, sich dem Blücherschen Heere angeschlossen habe, hat sich bestätigt. Zwei Husarenregimenter, das eine von dem Oberst, das andere von Major v. Penz befehligt, sind bis auf den letzten Mann zu uns übergegangen. Ist es nicht wunderschön? Mit der Napoleonischen Herrlichkeit gehts, haha, auf Parole! jetzt rasch zu Ende!«

»Das gebe Gott!« erwiderte unser Freund mit einem aus tiefster Brust geschöpften Atemzuge. »Ganz sicher, ich hoffe es – wenn es auch« – ein Schatten flog über sein ernstes Gesicht – »noch manchen Schweiß- und Blutstropfen kosten mag, bis der dämonische Mann, diese Geißel der Menschheit, gebändigt am Boden liegt … Die Nachrichten, die ich bringe, sind ernsterer Art. Napoleon, soeben noch gegen das schlesische Heer operierend, zieht wieder heran gegen die Hauptarmee … Übrigens,« – er dämpfte die Stimme – »hab' ich auf meinem Ritte auch einen merkwürdigen Fang getan.« Er deutete mit der Hand rückwärts.

Herr von Gehren sah verwundert auf. Sein Blick musterte den Gefangenen. Einen Ausdruck der Überraschung im Gesicht, fragte er leise:

»Den Mann haben Sie gefangen genommen?«

»Ja. Aber Sie machen ein so erstauntes Gesicht. Kennen auch Sie ihn etwa schon? Der Mann gibt sich für einen Doktor aus, hat sich, wie ich unterwegs erfahre, Tagelang bei den Österreichern herumgetrieben und ist furchtbar ungehalten über seine Gefangennahme. Die Umstände waren jedoch derart, daß ich, habe ich wirklich einen Mißgriff getan, gleichwohl glaube entschuldigt zu sein, daß ich mich nicht an sein Raisonnement kehrte. Vorläufig kann ich aus verschiedenen Gründen nicht an seine Unschuld glauben.«

»Seltsam,« flüsterte Herr von Gehren gedankenvoll. »Das Gesicht –«

Wieder betrachtete er den Gefangenen. »Ah, ich hab's,« fuhr er mit einemmale lebhaft auf. Er redete jenen ohne weiteres an:

»Ei, ei, ein seltsames Zusammentreffen, Herr Marquis! Der Aufenthalt auf Ihrem westfälischen Schlosse bot Ihnen wahrscheinlich nicht Zerstreuung genug, daß Sie die Unruhe, die Gefahren des Lagerlebens ihm vorziehen konnten?«

Der Gefangene fuhr in sichtlichem Erschrecken zusammen. Doch er faßte sich. Mit scheinbarer Ruhe – nur die Stimme zitterte kaum merklich – entgegnete er:

»Sie irren, mein Herr; ich muß die Ehre, als Marquis betrachtet zu werden, in aller Bescheidenheit ablehnen. Ein simpler Arzt, ein geborener Ungar, bin ich gegen alles Kriegs- und Völkerrecht gefangen genommen worden. Ich appelliere an meinen Souverän, Se. Majestät Kaiser Franz, und fordere Genugtuung für den von diesem Herrn mir angetanen Schimpf.«

Herr von Gehren zuckte die Achseln. Er wandte sich um und klopfte Friedrich vertraulich auf die Schulter.

»Meinen Glückwunsch, Freundchen!« flüsterte er, »ich glaube, Sie können sich zu dem Fange gratulieren. Ein solch Gesicht wie das Ihres Gefangenen vergißt man nicht wieder so leicht. Erinnern Sie sich noch unseres Gesprächs im Pfarrhause zu Vernau vor vier Jahren – Sie wissen doch, an dem Tage nach jenem rätselhaften Einbruchsversuche, bei dem wir beide eine so bedeutsame Rolle gespielt haben?«

Friedrich von Grandenborn horchte begierig auf. »Freilich, nur zu gut,« erwiderte er und lächelte, »aber was wollten Sie sagen?«

»Ich erzählte – Sie erinnern sich – von dem Besuche, den ich jenem verfallenen, durch seine Gespenstergeschichten verrufenen Schlosse abgestattet hatte. Zwei vornehme Franzosen hatten es angekauft mit der Absicht, die Ruine in einen Feeenpalast zu verwandeln. Ich hatte das Vergnügen gehabt, einem der beiden Herren zu begegnen – dem höflichen Marquis de Lorne. Nun passen Sie auf: unser Mann ist kein anderer als er – eine Täuschung nicht möglich. Sein Erschrecken, als ich ihn anredete, war nur zu deutlich. Der hat ganz gewiß seine Absichten gehabt, wenn er hier bei uns den Doktor spielte.«

»So?« gab Friedrich erstaunt zurück. »Ei nun, wie gut also, daß ich mich nicht durch den Österreicher beirren und durch das Geschwätz des Halunken betören ließ.«

Er berichtete dem Freunde, wie die Sache sich zugetragen hatte.

»Das ist ja eine ganz amüsante Geschichte, auf Parole,« lachte der Oberstleutnant. »Kommen Sie – ich war soeben erst bei dem General, aber parole d'honneur! ich gehe stante pede mit Ihnen zurück. Ich bin doch gespannt, wie das Ding ablaufen wird.«

Fürst von Wittgenstein empfing die Freunde mit zuvorkommender Höflichkeit. Herr von Gehren entschuldigte sich, daß er es wage noch einmal vorzusprechen, aber er habe geglaubt, daß seine Gegenwart wichtig sein werde, da er in der Lage sei, näheres über den Gefangenen auszusagen.

»Schön, Herr Oberstleutnant,« erwiderte der General, »bleiben Sie nur hier. Also einen Gefangenen haben Sie mitgebracht?« wandte er sich an Friedrich von Grandenborn.

Dieser erstattete seinen Bericht. Der General nickte befriedigt. »Ich danke Ihnen, Herr Leutnant,« sagte er, »Sie haben Ihre Sache gut gemacht, sich Ihres Auftrags mit ebenso viel Mut als Umsicht entledigt. Es ist so, wie ich vermutet hatte, Napoleon will mit Gewalt Dresden halten, darum wagt er nicht, der schlesischen Armee unter Feldmarschall Blücher über die Neiße zu folgen, weil er sonst Gefahr laufen muß, daß wir ihm hinter seinem Rücken Dresden wegnehmen. Nun zieht er wieder gegen uns heran. Gut, er mag kommen; wir machen's wie der alte Blücher, ziehen uns in die Gebirge nach Böhmen zurück und geben so dem Feldmarschall Gelegenheit, mittlerweile abermals von der andern Seite gegen Dresden vorzurücken. Das ist eine Taktik, die den Feind mehr ermüden wird als eine regelrechte Schlacht, und die zugleich die verbündeten Heere Zeit gewinnen läßt, sich von allen Seiten, auch von Norden her, zur Entscheidungsschlacht näher um die sächsische Hauptstadt zu konzentrieren. Und nun wollen wir uns einmal Ihren Spion ansehen.«

Der Gefangene wurde hereingebracht. Mit trotziger Miene gab er auf die ihm gestellten Fragen Antwort. Er beharrte dabei, kein Spion zu sein und verlangte als österreichischer Untertan seine Freilassung. Die Behauptung des Oberstleutnants, daß er als Franzose unter dem Namen eines Marquis de Lorne in Hessen bekannt und Schwager eines am Kasseler Hofe eine gewisse Rolle spielenden angeblichen Duc de la Garde sei, leugnete er rundweg mit großer Bestimmtheit ab. Mit eisiger Ruhe hörte der General seine Beteuerungen an. Ohne ein Wort zu verlieren, ließ er durch eine Ordonnanz auf der Stelle den Profoß zitieren und, als dieser erschien, in seiner eigenen Gegenwart die Durchsuchung des Gefangenen vornehmen. So viel jedoch der Profoß auch in den Kleidern suchte – es kamen keine verdächtigen Papiere zum Vorschein. Unsere Freunde machten schon lange Gesichter, da geschah etwas, was alle ihre Vermutungen mit einem Schlage bestätigte. Der Profoß, ein in solchen Dingen offenbar wohl erfahrener Mann, war auf den Einfall gekommen, die Fußbekleidung des Gefangenen zu besichtigen. Aschfahl wurde dieser, als jener ihn aufforderte, die Schuhe auszuziehen. Er mußte gehorchen, und siehe da, als der Profoß die Innensohle des einen Schuhes befühlte, fand sichs, daß sie mit leichter Mühe entfernt werden konnte, und nun kam ein ganzer Pack beschriebener Papiere zum Vorschein, deren erste flüchtige Besichtigung schon die Schuld des Gefangenen erwies. In französischer Sprache geschrieben, enthielten sie die genauesten Berichte über die Bewegungen der Verbündeten, über die Stärke und Stellungen der einzelnen Korps in dieser Gegend und außerdem Pläne und Zeichnungen, in denen die Terrainverhältnisse, die Bodenbeschaffenheit nach Höhen und Tiefen, die Lage der Dörfer, der Wälder, Flußläufe und Gliederungen, die Länge der Wege und Entfernungen mit verblüffender Genauigkeit dargestellt waren.

»Nun, da haben nur ja die Bescherung!« donnerte der General in grimmigem Zorn den Bebenden an, der, solcherweise entlarvt, plötzlich alle Haltung verloren hatte. »Er frecher Patron! Na, warte er, sein Lohn wird ihm werden.«

Er ließ ihn binden und abführen. Die Freunde wurden huldvoll entlassen.

Noch an demselben Tage trat das Kriegsgericht zusammen, dem außer dem Fürsten auch General Kleist – von seinem berühmten Marsche über die Höhen von Nollendorf, der die Entscheidung der Kulmer Schlacht herbeigeführt hatte, Kleist von Nollendorf genannt – und General Ostermann beiwohnten. Sein Spruch lautete auf den Tod durch den Strang. Die Vollziehung wurde jedoch aus Gründen, die der Leser sogleich erfahren wird, verschoben und der Gefangene, in Ketten geschlossen, vorläufig nach der Festung Theresienstadt abgeführt.

Langsam zogen sich die verbündeten Heere nach Böhmen zurück und nahmen eine feste Stellung bei Kulm. Napoleon wagte nicht sie anzugreifen; unverrichteter Sache zog er wieder nach Sachsen zurück.

Einige Tage später ließ Fürst von Wittgenstein, der in dem Dorfe Arbesau Quartier genommen hatte, die Freunde abermals zu sich bescheiden. Er war allein, als sie eintraten.

»Ich habe Sie kommen lassen, meine Herren,« begann er, »um mit Ihnen eine Angelegenheit zu besprechen, die, im Hauptquartier seit mehreren Tagen erwogen, jetzt ernstlich in Angriff genommen werden soll. Zuvor aber eine erfreuliche Mitteilung für Sie, Herr Leutnant. Für den Mut und die Umsicht, die Sie bei jenem Rekognoszierungsritte an den Tag gelegt haben, hat mein Souverän, Se. Majestät der Zar, auf meine Verwendung geruht, Sie zum Rittmeister in Ihrem Korps zu ernennen. Hier ist das Schreiben, das Ihnen Ihre Beförderung anzeigt.«

Freudig überrascht nahm Friedrich das Dokument in Empfang. Seinen Dank lehnte der Fürst mit den Worten ab: »Schon gut, Herr Kamerad, Sie werden sich, ich rechne darauf, des Ihnen geschenkten Vertrauens würdig erweisen. Doch nun zu unserm eigentlichen Geschäft.«

Er wandte sich an den Oberstleutnant:

»Sie erwähnten neulich, Herr Oberstleutnant, eines Schwagers des eingefangenen Spions, eines Duc de la Garde. Gewisse Andeutungen in den zum Teil chiffrierten Schriftstücken, die sich bei dem Spione gefunden haben, machen es mehr als wahrscheinlich, daß in den Händen dieses Mannes die Fäden eines Complotts zusammenlaufen, das, hören Sie, nichts geringeres als die Ermordung Sr. Majestät, des Königs von Preußen, bezweckt. Es hat sich herausgestellt, daß der gefangene Marquis, während er unter dem Titel eines Doktors sich in den Lazaretten und in den Quartieren herumtrieb, sich mehrmals – angeblich, um eine bessere Verpflegung der Verwundeten zu erzielen – in unauffälliger Weise um eine Audienz bei dem Könige bemüht hat. Er ist öfters in Teplitz gesehen worden; nur ein Zufall hat seine Absicht, eine Audienz zu erlangen, vereitelt. Es liegt die Vermutung nahe, daß der Kasseler Hof, vielleicht Napoleon selbst diesen Plänen nicht fernstehe. Könnten wir den Duc in unsere Gewalt bekommen, mit dem Marquis konfrontieren und beide zu einem umfassenden Geständnisse bewegen, so hätten wir« – ein Zug hohnvollen Zornes malte sich auf dem Gesicht des Sprechenden – »ein Belastungsmaterial, das genügen würde, den Korsen und seinen sauberen Bruder in Kassel vor der ganzen Welt als ganz gewöhnliche Schurken, als Verbrecher, die einfach des Todes würdig sind, zu entlarven; es würde uns die ganze Sippe direkt ans Messer liefern, ohne daß die Federfuchser, die Diplomaten, die mit ihrer Maulwurfsarbeit schon mehr als zuviel verdorben haben, diesfalls Einsprache erheben dürften.«

Der General machte eine Pause. Mit leuchtenden Augen sahen die Freunde zu ihm auf.

»Schon längst,« fuhr jener fort, »bestand die Absicht, ein Streifkorps ins Westfälische zu entsenden. Mein Kollege, General Czernitscheff, brennt darauf, durch eine Operation im Rücken der französischen Hauptarmee dem Napoleon einen Schreck in die Glieder zu jagen. Er soll seinen Willen haben; der Zug gegen Kassel ist beschlossene Sache. Abgesehen von den strategischen Gründen, die hierbei maßgebend sind, spielt die Ergreifung des Duc bei diesem Beschlusse die wichtigste Rolle. Ihn gilt es, auf alle Fälle in unsere Gewalt zu bekommen, Nun werden Sie, meine Herren, schon ahnen, was ich im Sinn habe. Ich habe Ihnen die Aufgabe zugedacht, den General mit einer Anzahl erlesener Reiter aus verschiedenen Regimentern des Freikorps zu begleiten. Bei der Auswahl sollen die westfälischen Überläufer aus Hessen in erster Linie berücksichtigt werden. Sie selbst kennen die dortigen Verhältnisse. Mit Land und Leuten bekannt, werden Sie dem General von ganz unschätzbarem Nutzen sein, durch Ihre Orts- und Personenkenntnis wesentlich zum Gelingen des Handstreichs, besonders in Absicht auf den verräterischen Duc, beitragen. Sie sind damit einverstanden?«

Ob sie es waren? Beide dankten in feurigen Worten für das ehrende Vertrauen, dessen der Fürst sie gewürdigt habe. Friedrich von Grandenborn war rot geworden. Mit Macht stürmten die alten Erinnerungen wieder auf ihn ein. Welch eine Aussicht, die sich ihm hier mit einemmale eröffnete! Wie, wenn sich ihm bei dieser Exkursion Gelegenheit bot, die Seinigen und – sein Herz schlug höher bei dem Gedanken – vielleicht auch das Pfarrhaus wiederzusehen, in dem er einst so unvergeßliche Tage verlebt hatte?

»Gut, meine Herren,« sagte der Fürst lächelnd. »Sie werden mein Vertrauen rechtfertigen. Jetzt aber eilen Sie, Ihre Vorbereitungen zu treffen. Noch in dieser Nacht, bald nach Mitternacht, wird der Aufbruch erfolgen. Der Herr General, mit dem ich noch sprechen werde, wird Ihnen das Genauere mitteilen.«

Die Freunde verabschiedeten sich.

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