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Einundzwanzigstes Kapitel.
Eine bittere Erfahrung


Wir befinden uns in einem großen schönen Hause der Oberneustadt von Kassel. In einem elegant eingerichteten Zimmer, das aus seinen Fenstern die Aussicht auf die Karlsaue mit ihren prachtvollen Anlagen gewährte, schritt am Abend des 29. September ein schöner stattlicher Mann in vornehm modischer Tracht in heftiger Erregung auf und nieder. Auf einer Causeuse in einer der tiefen Fensternischen erblicken wir zwei Damen, eine ältere und eine jüngere, die eng aneinandergeschmiegt in leisem Geflüster die Ereignisse des Tages besprechen. Ihre Blicke folgen den Bewegungen des Mannes. Mit geheimer Sorge beobachtet zumal die ältere Dame sein zuckendes Antlitz; der Anblick, wie er so bleich und stumm, unfähig dem in seiner Brust tobenden Sturme in Worten Ausdruck zu geben, die Stube durchrast, hat etwas Beängstigendes.

Der Mühe, die drei Personen dem geneigten Leser vorzustellen, dürften wir wahrscheinlich enthoben sein. Es sind unsere Freundinnen aus der Werrastadt und der einstige Kantonmaire, nunmehrige Staatsrat Kurt Wendheim. Schon seit Monaten weilt er hier in der Hauptstadt, die Damen sind nur bei ihm zu Besuch. Seine stürmischen Bitten, mit ihm überzusiedeln in die Residenz und sein Heim mit ihm zu teilen, hatten in diesem Falle kein Gehör gefunden. Sie hatten es vorgezogen, für sich zu bleiben, damit freilich dem Könige eine arge Enttäuschung bereitet; deutlich genug hatte er, als der Entschluß der Damen am Hofe ruchbar geworden war, seinem Verdrusse gegen den neugebackenen Staatsrat Ausdruck gegeben.

Noch immer hatte Kurt keine Silbe gesprochen. Die Mutter konnte es nicht mehr mit ansehen. Das beängstigende Schweigen zu brechen, hob sie in sanftem beschwichtigendem Tone an:

»Kurt, lieber Kurt, so fasse Dich doch. Was geschehen ist – Du konntest es doch nicht ändern.«

Kurt blieb stehen.

»Nicht ändern, sagen Sie,« stieß er, jetzt endlich Worte findend, mit bebender, wutheiserer Stimme hervor. »Aber Sie haben recht, chère maman. Narr, der ich war, daß ich mir einbildete, diesen Schwächling zu einer ruhigen Auffassung der Sachlage bewegen, durch meinen persönlichen Einfluß, durch vernünftigen Rat diese übereilte kopflose Flucht verhindern zu können. Nein, diese Feiglinge, hahaha!«

Er lachte schrill auf.

»Wundert Dich das so sehr?« fragte die alte Dame liebevoll. »Wir haben es Dir doch zuvor gesagt.«

Der Rat nahm seinen Gang wieder auf. Plötzlich hielt er inne, schob einen der gepolsterten Stühle herbei und ließ sich den Damen gegenüber darauf nieder.

» Chère maman,« nahm er das Wort und seufzte tief auf, »Sie haben es gesagt, und ich habe unrecht behalten. Aber können Sie sich in meine Lage versetzen? Können Sie sich in die Gefühle eines Mannes hineindenken, der, von den höchsten Idealen erfüllt, begeistert für alles, was in der Menschennatur, in der Geschichte der Menschheit ihm groß, stark, hoch und erhaben erschien, plötzlich alle seine Ideale in Trümmer sinken, den stolzen Bau, an dem er seinesteils in gutem Glauben gearbeitet, um den er gekämpft und gestritten hat, zusammenbrechen sieht wie ein Kartenhaus?«

»Ich kann es, Kurt,« versetzte Frau von Grandenborn milde. Mitleidvoll ruhte ihr Blick auf seinem Angesicht.

»Wie ist nur alles so schnell gekommen?« fragte Emilie leise.

»Ja, wie ist es gekommen?« gab Kurt stöhnend zurück. »Daß ein feindliches Korps im Anzuge sei, das hatte, Ihr wißt doch, das Gerücht uns schon längst gesagt. Der Kaiser, um Verhaltungsmaßregeln gebeten für den Fall, daß der Feind die Residenz bedrohe, schwieg sich aus, so geruhte denn« – ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen – »Majestät, seine Räte zu fragen. Minister Reinhardt für den Rückzug, ich dagegen. Rückzug,« – der Staatsrat lachte grimmig auf – »als ob das in diesem Falle etwas anderes wäre als Flucht? O, diese heillose, unsinnige Überstürzung! Ein Rückzug, vor wem denn? Vor einem Reiterkorps, das weder Infanterie noch Artillerie bei sich hat! Es war zehn gegen eins zu wetten, daß Czernitscheff, wollte er nicht abgeschnitten und von unsern zum Entsatz anrückenden Divisionen erdrückt werden, wieder abziehen würde, sobald er hier, vor den Mauern der Hauptstadt, entschlossenen Widerstand fand … Nun, ich entwickelte meine Gründe, betonte jedoch zugleich aufs dringendste die Notwendigkeit, die Stadt in Verteidigungszustand zu setzen. Der König, eigensinnig wie immer, wenn jemand eine entschiedene Ansicht äußert, und doch dabei unentschlossen, überlegte. Endlich – scheinbar meiner Ansicht zugeneigt – mit sehr entschlossener Miene zu Reinhardt: › Ah voilà – wenn ich es nun machte wie die kleinen Fürsten, wenn ich bliebe? Meine Absicht, Messieurs, ist, zu bleiben‹ – dann, sich besinnend, in leiserem Tone: ›heißt das, wenn der Feind mit meinem Bleiben einverstanden ist.‹ Ich war starr. Also das der Grund seiner unverhofften Entschließung – die Hoffnung durch Anschluß an die Verbündeten sich auf dem Throne zu behaupten! … O der Tollheit! So plump die Falle war, die der Czernitscheff, der schlaue Fuchs, dem Könige durch seine brieflichen Anträge gestellt hat, – er war richtig ins Garn gegangen! Er blieb also – aber meine Bitte, Maßregeln zur Verteidigung zu treffen, blieb unbeachtet. Nichts, gar nichts ist geschehen – bis das Verhängnis hereinbrach. Da, ja da – war der Teufel los. Die Nachricht jenes Kuriers, der mit genauer Not den Russen bei Helsa ein Dorf hinter Kaufungen, drei Stunden von Kassel entfernt. entgangen war – Sie wissen ja, chère maman, wie er uns fast in die Hände lief, als ich mit Ihnen gestern vor dem Leipziger Tore spazieren fuhr –, sie hat alles rein aus dem Häuschen gebracht. Du selbst, Emily, hast es gesehen, wie blaß der König wurde, als ich hereinstürzend die Kunde brachte: ›die Kosaken sind da.‹ Aber« – von einem neuen Gedanken ergriffen, sah er Emilie düster an – »diese Überraschung, parbleu, Emily, bei meiner Rückkunft, den König bei Dir zu finden! Höll' und Teufel,« rief er leidenschaftlich, »wenn ich mir denke, was hätte passieren können, wären wir nicht so unverhofft schnell wieder zu Hause gewesen – ich könnte geradezu rasend werden! Bei Gott, die Ausschweifungen dieses Lüstlings übersteigen nachgerade ja alles Maß. Ciel,« – Kurt schrie die Worte förmlich heraus – »wo hätte ich je eine solche Verderbnis für möglich gehalten!«

»Sprich nicht davon,« bat Emilie schaudernd. »War ich im ersten Augenblick auch tödlich erschrocken, als plötzlich der König so unvermerkt eintrat – der Mann hätte mir nichts getan. Sieh her!« Sie stand auf, zog aus der Schublade eines Arbeitstischchens, das vor der Causeuse stand, eine kurzläufige Pistole hervor und reichte sie Kurt. »Du siehst, die Sache hatte, wenigstens für mich, keine Gefahr.«

In hellem Erstaunen sah der Staatsrat das tapfere Mädchen an. Er war auf einmal merkwürdig ruhig geworden. Auf dem Antlitze der Mutter malte sich ein heilloser Schreck.

»Sie ist geladen?« fragte Kurt und wog das Pistol in der Hand.

Emilie bejahte. Die Mutter schlug entsetzt die Hände über dem Kopfe zusammen.

»O, Kinder,« rief sie, »was sind das für Zeiten! O Emilie, wenn Du die Hand nun erhoben hättest und sie hätten Dich als eine Königsmörderin –« Sie brach schluchzend ab, schlug die Hände vor das Gesicht und weinte.

Emilie nahm die Waffe aus Kurts Händen und legte sie wieder an ihren Ort. Es entstand eine Pause.

»Liebe Mutter, weinen Sie nicht,« bat sie endlich weich. »Sehen Sie, wie sollte ich mir eigentlich anders helfen? Die Zudringlichkeiten, mit denen mich der König kürzlich bei der Galatafel verfolgte – wir hatten,« schaltete sie mit leisem Vorwurf ein, »wieder einmal Deinetwegen, Bruder, unsere Gefühle überwunden –, hatten mich bereits stutzig gemacht. Dann die Andeutungen, die mir gleich darauf von verschiedenen Seiten über des Königs Absichten zu Ohren kamen – was blieb mir da übrig, als solcherweise beizeiten mich vorzusehen? Doch lassen wir die Sache ruhen. Du bist mit Deinem Berichte noch nicht zu Ende, Kurt. Von den einzelnen Vorgängen des heutigen Tages noch wissen wir so viel wie nichts.«

Der Rat legte die Hand vor die Augen.

»Was ist da noch viel zu berichten?« stöhnte er. »Wäre Major Bödiker mit seinen Gardejägern nicht gewesen, die Stadt wäre jetzt im Besitze der Russen. Der Hof, das französische Militär, alles war verwirrt und bestürzt, Major Bödiker der einzige, der den Kopf nicht verloren hatte. Er stürmt mit seinen Gardejägern hinaus. Schon am Messinghofe stoßen sie auf die Kosaken, deren Kanonen – westfälische Kanonen, meine Damen, hahaha!« – er lachte in grimmigem Hohne auf – »Geschütze, die man in unbegreiflicher Sorglosigkeit in ihrer Schanze auf dem Forste gelassen hatte! – den braven Jägern als Salut einen Kartätschenhagel entgegendonnern. Dennoch hat der Major, ohne die geringste Unterstützung aus der Stadt zu empfangen, sich stundenlang auf der Bettelbrücke gehalten; erst, als er, auf den Flügeln umgangen, gar keine andere Möglichkeit sah, hat er sich unter starken Verlusten zurückgezogen nach dem Leipziger Tore. Inzwischen hatte ich und andere vergebens alle Beredsamkeit erschöpft, den König zur Raison zu bringen; aber er hatte vollständig die Besinnung verloren. Jetzt gab er einen Befehl, im nächsten Augenblicke wurde er widerrufen. Was Wunder, wenn das Militär alles Vertrauen verlor; die westfälischen Truppen wurden aufsässig; alle Disziplin war dahin. Schließlich floh er – ja o der Schande! – floh er mit allen Truppen, die er bei sich hatte, durch das Frankfurter Tor aus der Stadt! … Und doch war absolut keine Gefahr … Zwar haben die Kosaken das Leipziger Tor gesprengt, ihrer zweihundert sind in die Unterneustadt eingedrungen, haben das Kastell erstürmt und die dort internierten Staatsgefangenen befreit, aber über die Fuldabrücke, die der Major in aller Eile durch eine Wagenburg hatte verrammeln lassen, sind sie nicht gekommen. Der Widerstand, den die Russen hier gefunden haben – auch sie haben tüchtige Verluste gehabt, sogar einer ihrer Obersten soll gefallen sein –, hat schon genügt, sie von weiteren Versuchen zurückzuschrecken. Sie sind abgezogen, weit und breit ist kein Kosak mehr zu sehen! Das haben unsere Jäger vollbracht – nun sagen Sie, wie alles gekommen wäre, wenn dem tapfern Major zu rechter Zeit Unterstützung geworden wäre! O diese Feiglinge,« – der Staatsrat ballte die Faust – »diese elenden Feiglinge, vor einer Handvoll unzivilisierter Asiaten Reißaus zu nehmen! Voll Zorns über den an der Stadt und am Lande verübten schändlichen Verrat, ingrimmig empört, daß man ihn so schmählich im Stiche gelassen, hat Bödiker sein Schwert eingesteckt mit der Erklärung, daß er sich künftig nicht mehr für die Franzosen schlagen werde. Wer will's ihm nach solchen Erfahrungen verdenken?« Er seufzte.

»Es wird mancher durch eigene Erfahrung klug werden müssen,« bemerkte Emilie anzüglich mit heiterem Lächeln.

Mit verdutztem Gesicht sah Kurt die Sprechende an. Er wollte auffahren, bezwang sich jedoch.

»Sei nicht grausam, Emily,« bat er ruhig, fast resigniert. »Ich habe schlimme Erfahrungen mit einer gewissen Klasse von Menschen gemacht, das ist wahr. Aber geben solche Erfahrungen wohl das Recht, irre zu werden an den wahrhaft großen Ideen, die, von Frankreich ausgegangen, die größten Geister der Zeit zu ihren begeisterten Anhängern zählen? Vieles ist mir in der letzten Zeit durch den Kopf gegangen; ich muß gestehen, manchmal kommt mir sogar der Zweifel, ob das, wofür ich bisher gekämpft und gestritten habe, nicht eine Täuschung gewesen sei; aber nein – es kann nicht sein! Ideen, für die eine ganze große gebildete Nation gekämpft und geblutet hat, können unmöglich Trug und Täuschung sein! … Jérome ist schlecht, über die Maßen schlecht seine ganze Umgebung; was kann für solche Einzelne jedoch, für die französischen Schmarotzer an unserm Hofe, die französische Nation?«

Die Frauen schwiegen. Die Matrone machte ein bekümmertes Gesicht. »Was wird jedoch,« fragte sie endlich, »nun aus der Stadt? Der Hof, der König entflohen – das Militär hinweg – was soll daraus werden? Wenn das alles nur gut tun wird!«

»Der König beabsichtigt, sich mit General Bastineller zu vereinigen,« versetzte Kurt. »Den Grund gab er wenigstens an, als er den Entschluß zur Flucht aussprach. Ha,« – ein grimmiger Hohn klang aus seiner Stimme – »jetzt, da die Gefahr vorüber, wird Majestät seine geliebte Stadt wohl bald genug wieder beehren mit seiner Gegenwart –«

»Und die ganze Komödie wieder von vorne beginnen,« ergänzte Emilie. »Da ist es jedoch, fürwahr, an der Zeit, daß wir beide – nicht wahr, mein Mütterlein? – eilen, wieder zurückzukehren in unser stilles Heim.«

»Ja, mein Kind,« erwiderte die Matrone. »Nach dem, was gestern Abend geschehen ist, kann unsers Bleibens hier nicht zwei Tage mehr sein. Morgen reisen wir.«

»Liebste, beste maman,« rief der Staatsrat erschrocken, »sagen Sie, das kann doch Ihr Ernst nicht sein?«

»Es ist mein völliger Ernst, lieber Kurt, und bei ruhiger Überlegung wirst Du uns recht geben,« sagte sie. »Wir sind deiner Einladung gefolgt, haben, so schwer es uns auch aus verschiedenen Gründen geworden ist, auf Dein Drängen Dir den Willen getan, aber fast muß ich sagen, es wäre besser gewesen, wir hätten es nicht getan. Nach dem gestrigen Erlebnis kann von längerem Bleiben schlechterdings keine Rede sein.«

Kurt war blaß geworden. In heftiger Bestürzung stieß er hervor:

» Ciel, und das sagen Sie so ruhig, als handelte es sich um das geringfügigste Ding von der Welt? Und an mich denken Sie gar nicht? O, und ich hatte mich so auf Ihren Besuch gefreut! … Meine stille Hoffnung, daß Sie sich würden bewegen lassen, auf längere Zeit, ja, was sage ich, für immer mein Los zu teilen, können Sie so leichthin mit einem Schlage zertrümmern? … Wie es mir in der nächsten Zukunft ergehen wird, die wahrhaftig für mich keine Rosen zeitigen wird, was ich anfangen soll, wenn nun auch Sie von mir ziehen, mich allein lassen werden, das ist Ihnen gleichgültig?«

»Durchaus nicht, lieber Kurt,« erwiderte die Greisin sanft. »Aber was können wir, zwei schwache Frauen, Dir wirklich groß nützen? Du, ein hochgestellter Mann, ein Mann, dem sein Ansehen, sein Reichtum jederzeit die Mittel gewähren wird, sich das Leben nach Wunsch einzurichten, wirst unter allen Umständen auch ohne uns wissen fertig zu werden. Warum, ja warum nahmst Du Dir nicht längst eine Frau?«

»Warum?« gab Kurt leidenschaftlich zurück. »Warum, so fragen SieSie Mama, die Sie, o, ich täusche mich nicht, längst den Grund ahnen, weshalb ich bis heute noch unvermählt bin?«

Mit zuckendem Gesicht blickte er auf Emilie hin, die, als ginge sie das Ganze nichts an, wie träumend und geistesabwesend nach dem Fenster sah. »O Emily,« rief er bebend, »was ich noch nie gesagt, mag's denn heraus sein: ist's Dir nicht möglich, kannst Du Dich nicht entschließen, die Meine zu werden?«

Emilie zuckte erbleichend zusammen. Ihre Brust hob und senkte sich; langsam wandte sie ihm ihr Antlitz zu.

»O Kurt,« fragte sie leise, »warum quälst Du mich? Deine Schwester will ich sein allezeit und trotz allem, was zwischen uns liegt, Dich schwesterlich lieb haben, aber Deine Frau – nein, Kurt, ich kann es nicht.«

Der Rat war aufgesprungen. Eine furchtbare Erregung malte sich in seinen Zügen.

»O Emily,« stöhnte er, »wird es Dir so schwer zu vergessen? Du denkst an Deinen unglücklichen Bruder, den Friedrich. O Mädchen, kannst Du es denn nimmer begreifen, daß es mir, einem königlichen Beamten, unmöglich war, anders zu handeln, wollte ich nicht meinem Eide, meiner eigenen innersten Überzeugung untreu werden, mich vor meinen eigenen Augen verächtlich machen? Und wer hat doch im Grunde sich mehr gefreut als ich, daß Friedrich – mit Deiner Hilfe, Emily, – so schlankweg den verfolgenden Behörden entkam? Hast Du das nie bemerkt?«

Äußerlich ruhig, während doch alle Fasern ihres Körpers bebten, bat Emilie: »Laß es gut sein, Kurt. Wir verstehen uns einmal nicht. Was Du an Friedrich gesündigt hast, das habe ich, Gott weiß es, Dir längst vergeben. Aber unsere Prinzipien, unsere ganze Welt- und Lebensanschauung sind zu grundverschieden, als daß wir je mit einander würden harmonieren können.«

Kurts Gesicht sah schrecklich aus. In seiner Seele tobte ein furchtbarer Kampf. Die Ader auf seiner Stirn war geschwollen, seine Züge waren förmlich verzerrt. Außer sich vor Zorn und Schmerz, wollte er die Lippen zu einer heftigen Entgegnung öffnen, aber das Wort erstarb ihm im Munde. Sein Blick begegnete dem Auge der Mutter. Mit blassem tränenüberströmtem Antlitz, ein Bild unsagbaren Schmerzes, starrte sie den Erregten an …

Es klopfte. Der Rat eilte zur Tür und öffnete. Ein Bote stand draußen mit einem Schreiben des Magistrats. Hastig entfaltete er den Brief, hatte jedoch kaum einen Blick auf den Inhalt geworfen, als er, das Blatt von sich schleudernd, Hut und Stock ergriff und ohne Abschied davonstürmte.

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